
Verlag: Splitter; (Februar 2025)
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten; 45 €
ISBN-13: 978-3-68950-007-8
Genre: Horror/ Grusel/ Mystery/ Abenteuer
Klappentext
„Ich war den ganzen Tag lang geritten, einen grauen und lautlosen, melancholischen Herbsttag lang – durch eine eigentümliche öde und traurige Gegend, auf die erdrückend schwer die Wolken herabhingen. Da endlich, als die Schatten des Abends herniedersanken, sah ich das Stammschloss der Usher vor mir.“
Das imposante Haus Usher wird einzig vom letzten Stammhalter der Familie, Roderick, und seiner Zwillingsschwester Madeline bewohnt. Roderick behauptet seit einiger Zeit, er leide unter einer schweren Krankheit, die seine Familie seit Generationen heimsucht. Besucher des Hauses werden von einer erdrückenden Atmosphäre empfangen, einem unheimlichen Pesthauch, der den Verstand der Bewohner schon lange verschlungen hat …
Die Gebrüder Brizzi – unbestrittene Meister der literarischen Comic-Adaption – versehen in diesem Prachtband 11 Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe mit über 100 detailreichen Graphitzeichnungen.
Rezension
Die Brüder Brizzi haben mittlerweile so manchen Literaturklassiker graphisch umgesetzt. Balzacs Tolldreiste Geschichten, Dantes Inferno und auch Don Quijote sind unter ihren Arbeiten zu finden. Nun haben sie sich Edgar Allan Poe gewidmet, der einer der großen Autoren der USA ist und nicht nur ein Meister des Grusels und Horrors war, sondern mit Mord in der Rue Morgue nebenbei auch die modernen Detektivgeschichten erfand. Ohne ihn würde es vermutlich keinen Sherlock Holmes geben. Diese Geschichte haben die Brizzis zwar nicht für diesen Band ausgewählt, ebenso wenig Der Rabe, aber dafür andere sehr bekannte und manch unbekanntere Kurzgeschichte. Im Gegensatz zu den anderen erwähnten Klassikern haben Paul und Gaetan Brizzi jedoch hier darauf verzichtet, die Geschichten in Comics umzusetzen, sondern haben sie „nur“ mit Illustrationen versehen.
Ihre Bilder zu den einzelnen Geschichten sind äußerst atmosphärisch, fügen sich gut in den Text ein und sind nicht nur einfach Beiwerk. In den besten Momenten gehen sie Hand in Hand mit dem Text und gerade bei Das Manuskript in der Flasche und Die Insel der Fee sind sie einfach großartig. Bei Das Manuskript in der Flasche fangen sie perfekt das Grauen und die Hilflosigkeit des Protagonisten ein und bei Die Insel der Fee erschaffen sie eine wunderbare andersweltliche Atmosphäre.
Der Untergang des Hauses Usher
Der Adelige Roderick Usher schickt einem Jugendfreund völlig aufgewühlt einen Brief und bittet diesen zu kommen. Als dieser am Stammsitz der Ushers ankommt, muss er erkennen, dass nicht nur das Gebäude auf verwirrende Art Verfall ausstrahlt, sondern dass auch sein Freund Roderick anscheinend immer weiter geistig und körperlich verfällt. Als dessen Zwillingsschwester nach langer Krankheit stirbt, verschlimmert sich der Zustand Ushers und die aufgestaute Spannung und Düsternis entlädt sich in einer stürmischen Nacht.
Der Untergang des Hauses Usher dürfte eine der bekanntesten Geschichten Edgar Allan Poes sein und dies vollkommen zurecht. In Der Untergang des Hauses Usher zieht er beständig die Spannungsschraube und den atmosphärischen Horror an. Nicht die Zeichnungen der Charaktere sind es, die den Grusel am Besten transportieren, sondern die Bilder des Schlosses, die zugleich einfach schön und unheimlich sind.
Die Maske des Roten Todes
Der Rote Tod wütet im Land und rafft die Menschen reihenweise dahin. Um sich nicht anzustecken und dennoch nicht auf seine Vergnügungen zu verzichten, beschließt Prinz Prospero sich mit 1000 weiteren Reichen und Schönen in ein Kloster zurückzuziehen. Hinter verschlossen Mauern feiern sie prächtige Feste und ignorieren die Welt. Bis zu dem Abend als zu einem Maskenball ein ganz besonderer Besucher auftaucht.
Lange Zeit bleibt der Horror bei Die Maske des Roten Todes stark im Hintergrund und konzentriert sich mehr auf die Dekadenz der Reichen. Am Schluss wird es dann aber doch richtig gruselig und das kann Edgar Allan Poe schreiben wie kein Zweiter. Den unerwarteten Besucher des Festes stellen die Gebrüder dann auch noch perfekt dar.
Der Goldkäfer
Auf Sullivan´s Island lebt Legrand mit seinem freigelassenen Sklaven Jupiter. Legrand ist etwas exzentrisch und längst nicht mehr so reich wie einst, aber er ist mit seinem Leben zufrieden. Als ein Freund zu Besuch kommt, berichtet er von einem ungewöhnlichen Fund. Ein Käfer, der aus Gold zu bestehen scheint, wurde von ihm auf der Insel entdeckt. Da er ihn einem Entomologen zur Betrachtung gegeben hat, zeichnet er ihn seinem Besucher auf. Doch der sieht nichts weiter als einen Totenkopf. Wochen später kommt Jupiter zu Legrands Freund und berichtet ihm, dass sich dieser sehr seltsam verhält. Und tatsächlich scheint dieser von dem Goldkäfer besessen zu sein und macht sich mit dessen Hilfe auf die Suche nach einem Schatz.
Was etwas gruselig beginnt, endet in einer spannenden Schatzsuche, bei der dann die Auflösung, wie Legrand die Hinweise bekam, letztlich im Mittelpunkt steht. Das Verhältnis zwischen Jupiter und Legrand ist sicher ambivalent zu sehen und muss auch im zeitlichen Kontext eingeordnet werden, wobei es dann für die Zeit erstaunlich ist, schließlich droht Jupiter Legrand als Erziehungsmaßnahme zu verprügeln. Edgar Allan Poes Interesse an Kryptographie und Kryptoanalyse nimmt eine zentrale Stellung ein und wird von ihm nicht trocken sondern spannend präsentiert. Insgesamt ist Der Goldkäfer eine großartige Abenteuergeschichte.
Das Manuskript in der Flasche
Ein von sich überzeugter und gebildeter Mann, der behauptet absolut rational zu denken, schifft sich in Batavia auf Java ein und reist mit dem 400 Tonnen Handelsschiff von dort zum Archipel der Sundainseln. Auf dem Weg werden sie von einem enormen Sturm getroffen. Nur er überlebt letztendlich, nach dem er tagelang mit dem Schiff durch den Sturm Richtung Süden trieb. Seine vermeidliche Rettung ist dem Umstand geschuldet, dass er durch den Sturm auf ein viel größeres Schiff geschleudert wurde. Doch das Schiff flößt ihm Furcht ein. Die Mannschaft verhält sich seltsam und wirkt alt und ausgelaugt. Niemand scheint von ihm Notiz zu nehmen und so kann er sich unter ihnen frei bewegen. Doch ihr Ziel bleibt ihm verborgen. Er weiß nur, dass das Schiff immer weiter in die Welt des Eises und des Unbekannten vorstößt.
Das Manuskript in der Flasche war erst die zweite veröffentlichte Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe und bereits hier erweist er sich als ein absoluter Meister des Grauens. Immer intensiver wird die bedrohliche Atmosphäre und was wirklich auf dem Schiff passiert, bleibt dem Leser überlassen, was die Geschichte nur noch gruseliger werden lässt.
Die Bilder der Brüder Brizzi sind in ihrer Intensität vergleichbar mit Edgar Allan Poes Wortgewalt. Sie sind zugleich wunderschön und beängstigend und das vor allem in der Darstellung des verlorenen Schiffes im Sturm.
Der schwarze Kater
Ein skrupelloser und gewalttätiger Mann bringt seine Frau um und erzählt, wie ein schwarzer Kater ihn zum Mord verführt und überführt hat.
Der schwarzer Kater ist eine Kurzgeschichte, die am Ende den Leser lächeln lässt. Edgar Allan Poe baut sie geschickt auf und lässt den Leser eigene Vermutungen über den Kater anstellen.
Die Zeichnungen ergänzen wie zuvor die Geschichte sehr gut, auch wenn dieses Mal kein wirklich besonderes Bild dabei ist.
Eine Geschichte aus den Ragged Mountains
Ein junger Mann namens Bedloe geht in die Ragged Mountains. Als er zurückkehrt, erzählt er von einem sehr seltsamen Erlebnis, dass ihn an einen weit entfernten Ort und scheinbar auch in eine lang vergangene Zeit gebracht hat.
Etwas gruselig ist Eine Geschichte aus den Ragged Mountains, aber sie ist mehr dem Abenteuergenre und vielleicht sogar eher der Fantasy bzw. Science Fiction zuzurechnen. Trotzdem ist sie spannend und birgt am Ende eine kleine Überraschung.
Die Grube und das Pendel
Ein von der Inquisition in Toledo zum Tode Verurteilter wacht in einer absolut dunklen Zelle auf. Diese dient seinen Richtern als grausame Hinrichtungsmethode. Denn in der Mitte befindet sich ein tiefer Brunnen, der bei Hereinfallen den Tod bedeutet. Aber dies ist nicht die einzige Apparatur, die in diesem Raum den Tod herbeiführen kann und soll.
Nah am Tod und Wahnsinn ist der Protagonist von Die Grube und das Pendel und Edgar Allan Poe hat hier eine Horrorgeschichte par excellence verfasst. Wer eine Inspirationsquelle für Filme wie Saw oder Escape Room sucht, dürfte sie hier gefunden haben. Zurecht ist diese Geschichte eine von Poes bekanntesten. Die Zeichnungen der Brüder Brizzi tragen zur Atmosphäre bei und sind entsprechend düster.
Der Teufel im Glockenstuhl
Vondervotteimittis, ein kleiner Ort in Holland, ist ein seltsamer Flecken Erde. Dort hat alles seinen rechten Gang. Die Menschen essen dasselbe, wohnen in gleich aussehenden Häusern, sehen gleich aus und sind besonders stolz auf ihre Turmuhr. Alles hat seinen gewohnten Gang bis ein kleiner Mann ins Dorf kommt.
Auch wenn die Vorstellung eines solch gleichförmigen Dorfes durchaus unheimlich ist, ist Der Teufel im Glockenstuhl eher skurril und lustig als furchteinflössend oder gruselig.
Ligeia
Nach dem Tod seiner Frau Lady Ligeia, die schön, klug, gebildet und mit einer großen Gier nach Leben erfüllt war, heiratet ein Witwer wieder. In der Ehe mit Lady Rowena Trevanion von Tremaine ist er nicht glücklich, da er weiterhin seiner verstorbenen Frau nachtrauert und von ihr geradezu besessen ist. Er betäubt sich mit Opium und als Lady Rowena ebenso schwer erkrankt wie Lady Ligeia beginnt er seltsame Dinge wahrzunehmen. Schließlich stirbt auch Lady Rowena. Doch bei der Totenwache nimmt er plötzlich eine Veränderung an der Leiche war. Sie scheint immer wieder zu atmen und der Körper kämpft sich ins Leben zurück. Allerdings ist dies nicht die einzige Veränderung, die er an der Leiche wahrnimmt.
Tod, Verlust und Wahn stehen im Mittelpunkt dieser Horrorkurzgeschichte. Dabei hat der Leser von Anfang an das Gefühl, das etwas nicht stimmt, aber erst am Ende wird so richtig klar, welche Macht Ligeia eigentlich besitzt.
Hopp-Frosch
Ein König und seine sieben Minister haben gerne „Spaß“ und quälen dafür auch gerne ihren Narren mit dem Namen Hopp-Frosch. Der Kleinwüchsige Hopp-Frosch hat allerdings eine Verbündete namens Tripetta, die ebenso klein ist wie er, aber zumindest auch aufgrund ihrer Schönheit einen gewissen Einfluss auf den König hat. So kann sie Hopp-Frosch meistens vor dem Schlimmsten bewahren. Als der König Hopp-Frosch an seinem Geburtstag zwingt Alkohol zu trinken und sich Tripetta schützend vor ihn stellen will, schlägt der König sie. Und dies ist der Moment, in dem Hopp-Frosch beschließt, sich an dem König und seinen Ministern zu rechnen. Und der Plan könnte ausgefeilter und hinterhältiger nicht sein.
Sicher wartet man darauf, dass Hopp-Frosch zurückschlägt, wie dies eintritt, ist jedoch überraschend grausam und konsequent. Zusätzlich kann die Geschichte auch als Kritik an der Gesellschaft gesehen werden, die sich auf ihre Gier und das Geld konzentriert und nicht auf die schöpferische Kraft der Phantasie, die hier in Form von Hopp-Frosch und Tripetta triumphiert.
Die Insel der Fee
An einem Fluss sitzend beobachtet der Erzähler wie eine Fee aus den Schatten einer Insel auftaucht und in ihnen wieder verschwindet.
Atmosphärisch ist Die Insel der Fee extrem dicht und regt zum Nachdenken an. Auch wenn die Geschichte im eigentlichen Sinne keine Handlung besitzt, ist sie wirklich gut zu lesen und ein Ruhepol und gelungener Abschluss des Buches. Die Brüder Brizzi liefern hierzu die vielleicht stimmungsvollsten Bilder des gesamten Bandes. An ein, zwei Stellen erinnern sie an Caspar David Friedrich, was atmosphärisch perfekt passt.
Fazit
Die Zeichnungen von Paul und Gatean Brizzi verbessern sicher nicht Edgar Allan Poes Kurzgeschichten oder heben sie auf eine neue Ebene. Dies dürfte sehr schwierig sein, aber sie ergänzen sein Werk auf wunderbare Weise und so können sie kleine Glanzlichter setzen.
Pro & Contra
+ abwechslungsreich
+ auch unbekanntere Geschichten sind dabei
+ passende und atmosphärische Bilder
Bewertung: ![]()
Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Zeichnungen: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5
Literatopia-Links zu weiteren Titeln von Paul und Gaetan Brizzi:
Rezension zu Tolldreiste Geschichten nach Honoré der Balzac
Rezension zu Don Quijote von der Mancha
Rezension zu Der Untergang des Hauses Usher
