André Wiesler (23.06.2008)

Interview mit André Wiesler

Literatopia: Hallo André! Es wäre schön, wenn Du Dich kurz all den Lesern vorstellst, die Dich noch nicht kennen. Wer ist der Mensch hinter den Romanen?

André Wiesler: Das ist ja eine schon fast philosophische Frage. In kurzen Worten: Ein Mittdreißiger mit Frau, Sohn, Hund und Schildkröten, der in der Freizeit gerne rollenspielt und etwas Kampfsport betreibt.

Fragen zu Wolfsfluch

Literatopia: Nach „Hexenmacher“ und „Teufelshatz“ kommt bald dein nächster Mysteryroman „Wolfsfluch“ – kannst Du uns schon etwas über die Handlung verraten?

André Wiesler: Aber gern: Hagen von Stein, der Vampirherrscher Deutschlands, hat es unterdessen bis in unsere Zeit geschafft und plant einmal mehr Weltbewegendes. Diese Suppe möchte ihm aber Georg von Vitzthum, der junge Inquisitor, gerne versalzen und ist bereit, einen sehr hohen Preis dafür zu zahlen. Das ganze steuert auf ein fulminantes Finale mit Werwölfen, Hexen und Vampiren aller Art zu.

Literatopia: Wie bist Du dazu gekommen Mystery-Historienromane zu schreiben?

André Wiesler: Wie die sprichwörtliche Mutter zum Kind. Hagens Geschichte war ursprünglich mal eine Filmidee, die ich dann zusammen mit anderen Exposés bei Heyne einreichte. Hagen hat das Rennen gemacht, und also wurde es Mystery.

Literatopia: Recherchierst Du viel für den geschichtlichen Hintergrund?

André Wiesler: Für Band 1+2 habe ich sehr, sehr viel recherchiert. Band drei ist da zum Glück weniger arbeitsintensiv gewesen, denn der Großteil spielt ja im Jahr 2007 – und daran konnte ich mich trotz steigendem Alter noch recht gut erinnern. (lacht)

Literatopia: Wie viel Wahrheit steckt in diesen Romanen? Ist alles frei erfunden oder hast Du wahre geschichtliche Begebenheiten eingeflochten?

André Wiesler: Der Hintergrund, also der Königszwist, die Hussitenkriege, die Pest, der Dreißigjährige Krieg und derlei mehr, ist akribisch recherchiert und die historischen Fakten sind nach bestem Wissen und Gewissen eingehalten. Aber natürlich habe ich hier und da historische Ereignisse etwas umgedeutet, also die Verantwortung dem Übernatürlichen zugeschoben.

Literatopia: Fiel es Dir schwer von „Rollenspielliteratur“ auf Mystery-Historie umzusatteln? Gibt es große Unterschiede? Was ist „leichter“?

André Wiesler: Nein, schwer war das für mich nicht, ich habe ja schon immer auch andere Dinge geschrieben. Die Unterschiede sind jedoch gewaltig. Bei den Rollenspielserien musste man sich an sehr viele Vorgaben halten und durfte auch die Spielererwartungen nicht enttäuschen, was immer auch bedeutete, Zugeständnisse bei der Geschichte zu machen. Viele Sachen „gehen“ eben bei DSA oder Shadowrun einfach nicht. Da hat man bei einer gänzlich eigenen Serie deutlich mehr Freiheit. Auf der anderen Seite kann man nicht mal eben eine Zigarettenmarke oder eine Waffenbezeichnung erfinden. Beides hält also seine ganz eigenen Herausforderungen bereit.

Literatopia: Hast Du Dich durch das neue Genre sozusagen neu entdeckt?

André Wiesler: Das wäre vielleicht ein bisschen viel gesagt, aber ich lerne natürlich mit jedem neuen Roman und gerade bei einem neuen Genre immer dazu.

Allgemeine Fragen

Literatopia: Wie bist Du damals dazu gekommen, Shadownrunromane zu schreiben? Hast Du selber einige oder sogar alle gelesen?

André Wiesler: Alle waren es nicht, aber die ersten 25 habe ich wohl gelesen und die meisten Deutschen. Und da ich immer schon Kurzgeschichten geschrieben habe und Shadowrun gespielt, lag es nah, meinen ersten Romanversuch in diesem Universum anzusiedeln.
Mein erster veröffentlichter Roman war ja dann aber doch für DSA.

Literatopia: Was macht für Dich den Reiz von Shadowrun aus? Bist Du eher Cyberpunk- oder Fantasyfan? Gibt es Romane aus diesen Genres, die Du besonders gut findest, die Dich vielleicht sogar inspiriert haben? Hast Du Vorbilder?

André Wiesler: Shadowrun ist für mich gerade durch die Mischung so interessant. Nur Cyberpunk wird auf Dauer zu düster, nur Fantasy zu heroisch.
Bewusste Vorbilder habe ich nicht, aber es gibt natürlich Kniffe, die man sich abguckt und Fehler, die man vermeidet, weil man sie bei anderen sieht. Ich bewundere, jeden für eine andere Qualität, u.a. Michael Ende, Stephen King, Alexandre Dumas.
Ich finde, dass in der Shadowrunreihe die deutschen Autoren im Schnitt deutlich bessere Geschichten abliefern als die Amerikaner, zumindest in den letzten Jahren. Aber es gibt natürlich Klassiker wie 2XS oder die Dragonheart-Trilogie, die ich sehr gern und mehrfach gelesen habe.

Literatopia: Wann und mit was hast Du das Schreiben begonnen? Geschichten oder gar Gedichte? Hast Du dich jemals an einem Theaterstück oder Ähnlichem versucht?

André Wiesler: Gedichte haben mich nie wirklich gereizt. Mit Kurzgeschichten habe ich erst recht spät angefangen, im Vergleich zu anderen Kollegen, kurz vor dem Abi nämlich. Ein Theaterstück liegt praktisch fertig in meinem Kopf, aber bisher fehlten Zeit und Gelegenheit es niederzuschreiben. Ich habe diverse Kino- und Fernsehfilmexposés entwickelt, aber bis auf Sketchcomedy ist davon noch nichts realisiert worden.

Literatopia: Kannst Du uns etwas über dieses Theaterstück erzählen? Oder ist das nochstrenggeheim?

André Wiesler: Das bisherige Konzept sieht einige sehr unterschiedliche Leute in einer
Unterwasserkuppel. Irgendwann kommt das Versorgungsschiffs nicht an und der Kontakt zur Außenwelt bricht ab. Da ihr Projekt streng geheim ist, wissen die Bewohner nicht, wann oder sogar ob noch mal eines kommen wird. Das Stück beschreibt die sich daraus entwickelnden Konflikte und Gruppendynamik und endet mit einem Knalleffekt. Ich hoffe wirklich, es bald schreiben und dann irgendwo inszenieren zu können.

Literatopia: „Zelebrierst“ Du das Schreiben? Hast Du Deinen Schreibtisch auf eine besondere Art eingerichtet und schreibst nur zu bestimmten Zeiten oder kannst Du praktisch überall und jederzeit schreiben? (z.B. auf einer Zugfahrt)

André Wiesler: Da ich vom schreiben und übersetzen lebe, habe ich einen festen Arbeitsplatz, an dem ich alles habe, was ich zum arbeiten brauche: Einen Computer mit zwei Bildschirmen und Musik. Unterwegs lese ich meist, oft auch zur Recherche, oder genieße das „Nichtstun“. Seit mein Sohn geboren wurde, habe ich gelernt, auch zwischendurch immer mal wieder für 20 Minuten zu schreiben, das ging früher nicht. Da brauchte ich schon sichere 2-3 Stunden vor der Nase, um überhaupt anzufangen.

Literatopia: Wo siehst Du Dich in zehn Jahren? Wirst Du vorerst bei Mystery-Historie bleiben oder schwebt Dir noch etwas ganz anderes vor?

André Wiesler: Ich habe die unterschiedlichsten Konzepte in der Schublade, von mehr oder weniger klassischer Fantasy über Thriller- und Historienstoffe bis hin zu SciFi und sogar einen weiteren Shadowrun-Roman schließe ich nichts aus. Von all dem werde ich das schreiben, was die Leser sich wünschen und die Verlage herausbringen wollen. (lacht)
Was die Zukunftsvision angeht: Ich sehe mich in zehn Jahren auf einer großen Terasse mit Steingrill vor einem bescheidenen, aber abbezahlten freistehenden Einfamilienhaus, umlagert von den Freunden meines Sohnes und einer ebensogroßen Zahl an Hunden.

Leserfragen

Leserfrage: Was bedeutet es für Dich, Geschichten in einem vorgegebenen Szenario zu schreiben (bei Shadowrun) - ist das eine Herausforderung oder macht es das Schreiben einfacher?

André Wiesler: Ein bisschen was dazu habe ich ja bereits weiter oben gesagt. Generell ist es ein Rahmen, der einengt, aber auch die Richtung vorgibt. Ich halte es für ebenso schwer oder leicht, wie einen gänzlich eigenen Roman zu schreiben.

Leserfrage: Wie wichtig ist Dir der Kontakt zu den Lesern? Wie wichtig findest Du Interviews, Lesungen etc.? Machst Du das alles gerne oder siehst du es eher als „Muss“? Gibt es Fragen, die Dich mittlerweile nerven?

André Wiesler: Als Autor schreibe ich ja für meine Leser und darum ist mir der Kontakt sehr wichtig. Ich freue mich natürlich über Lob, aber auch konstruktive Kritik ist gern gesehen. Interviews und Lesungen machen mir einen Höllenspaß, denn auf letzteren kriegt man sehr direkt mit, was funktioniert und was nicht.
Zu den Fragen: Davon gibt es ja bekanntlich keine dummen und jede Frage, auch wenn ich sie schon hundertmal gehört habe, ist für den Fragenden neu. Sehr oft hört man als Autor z.B. die Frage: Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?

Leserfrage: Hast Du viel Kontakt zu anderen Autoren? Siehst Du diese als Konkurrenz oder gibt es ein solches Denken in der (deutschen) Autorenszene nicht?

André Wiesler: Konkurrenzdenken ist mir in der deutschen Autorenszene bisher noch nicht untergekommen, zumindest nicht mir gegenüber. Ich habe recht regen Kontakt mit Markus Heitz, Daniela Knor, David Grade, Oliver Plaschka und dann kommt immer mal wieder auch der Hardebusch angedackelt, um sich Hilfe bei seinem neuesten Roman zu holen.

Leserfrage: Würdest Du sagen, dass die Autorenszene "familiärer" ist als z.B. die Musikerszene?

André Wiesler: Ich habe wenig Einblick in die Musikerszene. Es gibt sicher auch bei den Autoren die ein oder andere Fehde, aber zumindest unter den "jungen" Fantasy-Autoren scheint es mir wenig böses Blut zu geben.

Leserfrage: Wie lautete die Leserkritik, über die Du Dich bisher am meisten geärgert hast?

André Wiesler: In einer Amazon-Kritik stand mal, mit sehr schlechter Rechtschreibung, sinngemäß: „Die Sätze sind mir zu lang, das begreife ich nicht, darum ist das Buch schlecht“. Da ärgert man sich schon ein bisschen, vor allem, wenn es die Gesamtbewertung herunterzieht.

Leserfrage: Gibt es von Dir veröffentliche Werke, insbesondere Kurzgeschichten, die Du im Nachhinein gesehen ganz anders geschrieben oder erst gar nicht veröffentlich hättest?

André Wiesler: Grundsätzlich haben Geschichten und Romane bei mir eine „Halbwertszeit“ von etwa einem Jahr. Wenn ich sie danach noch mal lese, würde ich sie grundsätzlich „ganz anders“ schreiben. Ich sehe das als gutes Zeichen an, denn es bedeutet, dass ich mich in der Zwischenzeit handwerklich weiterentwickelt habe.
Ich bereue bis heute noch keine Veröffentlichung, denn ich weiß, dass ich alle Werke zu ihrer Zeit so gut geschrieben habe, wie es mir möglich war.

Literatopia: Vielen Dank für das Interview!


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.