Kerstin Gier (06.02.2010)

Interview mit Kerstin Gier

Warin: Zunächst einmal lieben Dank, dass Du den Besuchern der Internet Portale Literatopia.de und Fantasy-Forum.net für dieses Interview zur Verfügung stehst.

Du gehörst zu den bekanntesten Bestseller Autorinnen Deutschlands. Dennoch musste ich bei der Vorbereitung dieses Interviews feststellen, dass viele unserer jungen LeserInnen Dich (noch) nicht kennen. Bist Du so lieb und stellst Dich uns einmal kurz vor? Seit wann und warum schreibst Du und was machst Du, wenn Du nicht gerade an einem neuen Roman arbeitest?

Kerstin Gier: Ich bin 43 Jahre alt und lebe mit meinem Mann, meinem Sohn, unserer alten Katze und einer zahlenmäßig schwankenden Schar Goldfische in einem kleinen Dorf im Bergischen Land. Von Beruf bin ich eigentlich Diplompädagogin, aber ich lebe seit 15 Jahren vom Schreiben. Wenn ich nicht arbeite, faulenze ich gern zu Hause herum, spiele Klavier, lese oder rupfe im Garten Unkraut.

Warin: Gemäß Wikipedia verfasst Du überwiegend "Frauenliteratur". Ich muss aber zugeben, dass auch ich als Mann viel Vergnügen an Deinen Werken finde. Was hältst Du selbst von der Einordnung in die Schublade "Frauenliteratur"?

Kerstin Gier: Es ist ein bisschen schade, dass die Menschen immer für alles Schubladen brauchen, aber da ich eine Frau bin und meine Hauptfiguren auch immer Frauen sind, passt es wohl… und natürlich sollen die rosa Blümchencover die Männer abschrecken :)  Ich persönlich glaube aber, dass kluge Männer diese Bücher trotzdem lesen, weil sie darin viel über Frauen lernen kön-nen. Oder wenigstens über sie lachen.

Leserfrage: Und nun eine Fantasy-Trilogie. Erzählst Du uns, wie es dazu gekommen ist?

Kerstin Gier: Ich hege ja heimlich schon länger den Traum, einen Fantasy-Roman zu schreiben, bin aber inzwischen der High-Fantasy etwas äh entwachsen. Ich mag die Kombination von Humor und Fantasy gern wie zum Beispiel bei Pratchett und Stroud, die das beide großartig beherrschen. Im Bereich der All-Age-Romantic-Fantasy allerdings fehlte es meiner Einschätzung nach an humorvollen Büchern. Also lag es nahe, es genau hier mal damit zu versuchen. Meine Lektorin von Arena, die Programmleiterin Christiane Düring, hat die Trilogie dann mit mir zusam-men geplant, und die Idee mit den Zeitreisen stammt sogar vom Verleger persönlich.

Leserfrage: Wie reagieren Deine Leser auf diesen Genrewechsel? Hattest Du Angst, Stammleser zu verlieren? Was hast Du getan, um Dir die neue Zielgruppe der fantasybegeisterten Jugendlichen zu erschließen?

Kerstin Gier: Viele Stammleser mögen auch die Jugendbücher gern, andere können damit nichts anfangen. Umgekehrt gibt es auch reichlich Leute, die die Jugendbücher mögen, aber meine anderen Bücher sch… doof finden. Da ich weiterhin Bücher für Erwachsene schreiben werde, macht das nichts – es gibt für beide Bereiche eine Zielgruppe. Auch wenn mir natürlich die Schnittmenge am liebsten ist.

Leserfrage: Welche Fantasy-Bücher liest Du gerne privat? Und wer sind Deine Lieblingsautoren?

Kerstin Gier: Terry Pratchett und Jonathan Stroud habe ich ja schon erwähnt, dann warte ich gespannt auf den zweiten Teil von Suzanne Collins „Tribute von Panem“, verfolge mit Begeisterung Ulrike Schweikerts „Erben der Nacht“-Reihe und fand Cassandra Clares „Chroniken der Unterwelt“ sehr, sehr cool.

Warin: Du veröffentlichst in schneller Folge bei gleichbleibend hoher Qualität. Was viele Autoren sicher interessiert: Wie zähmst Du Deadline Monster und wie ringst Du Schreibblockaden nieder?

Kerstin Gier: *seufz. Schreibblockaden ringen sich von ganz allein nieder, wenn der Abgabetermin nur nahe genug rückt. Und ich arbeite wirklich viel. 18 Stunden Schreibzeit sind keine Seltenheit. Mäßig aber regelmäßig ist einfach nicht meine Arbeitsweise. Meine ist gesundheitsschädlich und absolut sozialunverträglich.

Warin: Du karikierst in Deinen Romanen gerne die Merkwürdigkeiten des Alltags. Als Leser habe ich schon oft gedacht: Das kenne ich oder das habe ich auch schon erlebt. Woher nimmst Du Deine Inspiration? Hast Du Dein geistiges Notizbuch stets gezückt oder kommen Dir die Ideen einfach so beim Schreiben?

Kerstin Gier: Tatsächlich passieren mir oft Dinge, die ich nur halb so komisch finden würde, wenn ich sie nicht später in irgendeiner Form in den Büchern verbraten könnte. Beim Schreiben kommen mir oft Kleinigkeiten wieder in den Sinn, die ich schon längst vergessen glaubte und die sich dann wie ein winziges Puzzleteil ins Manuskript einfügen.

Warin: Deine Charaktere haben ein sehr hohes Identifikationspotenzial. Gibt es für sie Vorbilder im realen Leben? Haben sich schon Menschen in Deinen Werken wiedererkannt?

Kerstin Gier: Die Menschen in meinen Büchern sind immer frei erfunden. Auch wenn ich ab und an Charaktereigenschaften „ausleihe“ und hier und da mal ein Erlebnis. Wie zum Beispiel die Episode mit dem WC-Frische-Stein, der der armen Constanze in „Die Patin“ am Rockbund hängt. Die Bekannte einer Bekannten ist mit so einem Teil quer durch ein Großraumbüro gelaufen… Komischerweise erkennen sich manchmal Leute in einem meiner Romane, die überhaupt nicht darin vorkommen und an die ich beim Schreiben todsicher auch nicht gedacht habe.

Warin: Der Vergleich von Anne und Max mit Hobbits in der Mütter-Mafia ("ob sie wohl alle so behaarte Füße hatten?") ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Wie kommst Du auf so tolle Vergleiche? Erfindest Du auch im realen Leben gedankliche Vergleiche für Deine Mitmenschen?

Kerstin Gier: Ich fürchte, ja.

Warin: Deine Charaktere denken gerne in Klammern. Wie kommt es und hat noch kein Lektor versucht, es Dir auszutreiben?

Kerstin Gier: Die Klammernmacke habe ich erst in den letzten Büchern so penetrant entwickelt, das wird immer schlimmer, aber meine Lektoren scheinen es zu mögen. In „In Wahrheit wird viel mehr gelogen“ hat meine Lektorin sogar die in Klammern gesetzten Botschaften an sie selber im Manuskript gelassen, weil sie sie witzig fand.

Warin: In "Die Patin" rufst Du einer Rezensentin aus Düsseldorf im Vorwort "Geh doch und schaufle dir ein Loch!" entgegen. Was war der Grund dafür? Und wie schlimm sind einzelne negative Rezensionen angesichts von mehreren hundert positiven für Dich?

Kerstin Gier: Ja, und deswegen bin ich auch schon sehr ausgeschimpft worden. Von wegen, man dürfe sich als Autor nicht über schlechte Rezensionen aufregen oder gar etwas gegen die Rezensenten sagen. Natürlich darf man meine Bücher schlecht finden und darüber auch frei seine Meinung äußern. Mit vielen negativen Rezensionen kann ich sogar etwas anfangen, manche Kritik ist durchaus hilfreich, um sich zu verbessern. Aber es gibt auch Leute, die in solchen Rezensionen persönlich und gemein werden, und da war es früher manchmal schwer für mich, nicht darauf zu reagieren. Mittlerweile sehe ich das deutlich gelassener.

Warin: Direkt Dein erstes Buch "Männer und andere Katastrophen" wurde verfilmt. In einem anderen Interview habe ich gelesen, dass es Pläne für eine Verfilmung der "Mütter-Mafia" Reihe und von "Für jedes Lösung ein Problem" gibt. Welchen Einfluss würdest Du als Autorin auf eine Verfilmung nehmen wollen?

Kerstin Gier: Tja, zwischen wollen und können ist da ein großer Unterschied *grins. Ich vertraue einfach, darauf dass die Bücher auf die richtigen Produzenten und Drehbuchschreiber treffen und dass aus allen Büchern schöne Filme werden.

Leserfrage: In Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün geht es um Zeitreisen. Wie kamst Du dazu, Dich in Deinem ersten Fantasy Roman direkt mit einem so komplizierten Thema zu befassen? Wie hast Du zu dem Thema recherchiert? War es schwierig, sich nicht in Widersprüche oder Plotholes zu verstricken?

Kerstin Gier: War ja gar nicht meine Idee, wie gesagt, sondern die vom Verleger. Und hätte ich geahnt, wie kompliziert das wird, wäre ich wohl schreiend davon gelaufen. Aber tatsächlich macht es unwahrscheinlich Spaß, sich in diese Thematik hineinzudenken. Plotholes (haha, ich dachte ge-rade, es handelt sich um einen mir unbekannten griechischen Philosophen, Plo-tho-les, und wollte schon zu google…) und Widersprüche sind wahrscheinlich nicht ganz zu vermeiden, weil Zeitreisen als solche ja schon ein Paradoxon darstellen. Um es nicht zu langweilig zu machen, erläutere ich dem Leser ja auch nicht alles, was ich „weiß“, so bleibt aber oft einfach viel Spielraum zum Spekulieren… ich bin selber gespannt, ob ich das alles zu einem schönen, runden, logischen Abschluss bringen kann, ohne zu tief in die Trickkiste greifen zu müssen.

Warin: Diese Frage muss bei einem Zeitreiseroman zwangsläufig kommen: In welche Zeit würdest Du selbst gerne einmal reisen und warum?

Kerstin Gier: Ich wäre so ängstlich, was das angeht, dass ich mich wahrscheinlich gar nicht weit zurück-trauen würde. In den 50erJahren meine eigenen Eltern besuchen oder Jane Austen in England treffen… - ja, das wäre schon reizvoll.

Leserfrage: Wieso hast Du Dir als Schauplatz diesmal London ausgesucht? Du wohnst doch im Bergischen Land, das nur so vor schönen Kulissen für Fantasy-Romane wimmelt. Wieso dann London, wo die Recherche der verschiedenen Orte, etc. doch etwas aufwändiger ist?

Kerstin Gier: Das war auch nicht meine Idee. Ich hätte die Trilogie glatt hier spielen lassen, aber Christiane Düring hat mir nahe gelegt, eine europäische Großstadt auszusuchen, gern außerhalb von Deutschland. Offensichtlich interessieren sich die Verlage im Ausland nämlich mehr für Stoffe, die nicht in Deutschland spielen. London war erst eine willkürliche Wahl, dann aber hat sich herausgestellt, dass es keine bessere Kulisse für diese Geschichte geben könnte. Und ich liebe London. Es ist eine magische Stadt. Was die ausländischen Verlage angeht: Die Rechte hätten sich wahrscheinlich wirklich nicht in die USA etc verkauft, wenn das Buch in Lüdenscheid spielen würde, das muss ich wohl jetzt zugeben.

Warin: Sowohl Rubinrot, als auch Saphirblau enden mit Cliffhangern. Manche Leser verärgert das. Hast Du die Trilogie so geplant oder war das der Wunsch des Verlages?

Kerstin Gier: Ich weiß, das ist fies von mir. Ich hasse das beim Lesen auch. :) Aber es muss doch spannend bleiben, Leute!

Warin: In Saphirblau spielt der freche Dämon eines Wasserspeiers eine Rolle. In dem Forum, in dem wir uns getroffen haben, hast Du einen Wasserspeier als Avatar. Was fasziniert Dich an Gargoylen?

Kerstin Gier: Mein Xemerius ist auch eine Hommage an Jonathan Strouds Dschinn Bartimäus, der ja ab und an die Gestalt eines Wasserspeiers annimmt. Gargoyles faszinieren mich, weil sie so böse und unheimlich aussehen, und das ausgerechnet an Kirchen! Ich glaube wirklich, dass die meisten davon mal lebendig waren…

Warin: Können wir uns nach dem Abschluss der Trilogie mit Smaragdgrün auf weitere Fantasy Ro-mane von Dir freuen?

Kerstin Gier: Ja, ganz bestimmt.

Warin: Abschließend würde Dir gerne eine Leserin noch Ihre Begeisterung mitteilen: "Ich habe Rubinrot bereits zweimal, und Saphirblau, den Folgeband gestern erhalten und sofort gelesen. Ich finde die Bücher klasse, und von Anfang bis Ende spannend. Es sind noch viele Fragen offen, doch der dritte Band, Smaragdgrün, wird diese bestimmt beantworten. Freue mich riesig und bin richtig gespannt auf Smaragdgrün!"

Kerstin Gier: Das ist ja süß. Vielen Dank.

Warin: Vielen Dank für das nette Interview!!


Homepage zu "Saphirblau"

Leserunde zu "Rubinrot" und "Saphirblau" im Fantasy-Forum

Rezension zu "Rubinrot"

Rezension zu "Saphirblau"


Dieses Interview hat Warin, Administrator des Fantasy-Forums,  für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.