Die Kinderdiebin (Mila Lippke)

Verlag List, März 2009
TB, 360 Seiten, € 8,95
ISBN 978- 3548608655

Genre: historischer Krimi


Klappentext

Cecilie, Gehilfin im Leichenkeller des Gerichtsarztes Hektor von Thorwald, erfährt von einem beunruhigenden Todesfall. Eine junge Frau wurde offenbar kurz nach der Entbindung in der Berliner Charité ermordet, vom Neugeborenen fehlt jede Spur. Zur gleichen Zeit hat Cecilie private Sorgen: Elsa, das Dienstmädchen der Familie, bekommt ein Kind von Cecilies Vater und stirbt beinahe bei der Geburt. Während sie mit dem Tode ringt, wird der Säugling aus der Charité entführt. Cecilie macht sich auf die Suche nach ihrem Halbbruder und stößt auf einen schrecklichen Zusammenhang zwischen den beiden verschwundenen Kindern.


Die Autorin

Mila Lippke, Jahrgang 1972, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. Heute arbeitet sie als Fernsehautorin und -redakteurin und lebt mit ihrer Familie in Köln. Der Puppensammler ist der Auftakt einer Serie historischer Kriminalromane, die im Berlin der Jahrhundertwende angesiedelt sind.


Rezension

Cecilie, Tochter aus gutem Hause, hat sich entschlossen, lieber Medizin zu studieren anstatt sich gut zu verheiraten. Da in Deutschland zu dieser Zeit noch keine Frauen in den Universitäten zugelassen sind, ist sie gezwungen, Geld zu verdienen, um in der Schweiz studieren zu können. Sie arbeitet bei Doktor Thorwald im Leichenkeller, der angesehene Gerichtsarzt lässt ihr freie Hand bei ihren Studien der menschlichen Anatomie. Als bei ihrem Dienstmädchen Elsa ein Kaiserschnitt vorgenommen werden muss und sie daraufhin ihre Gebärmutter verliert, da die Ärzte sie noch nicht nähen können, versucht Cecilie alles Mögliche, um die junge Frau zu retten. Aber das ist nicht das einzige Problem, das sie beschäftigt. Da gibt es noch ihren kleinen Halbbruder, der aus ihren Armen in der Charité entführt wurde und sie macht sich Sorgen um ihre Schwester Marianne, die nach einem Fehlverhalten geistig verwirrt ist. Ihre Eltern haben sie in eine Irrenanstalt und damit in schlechte Verhältnisse abgeschoben. Zusammen mit Dr. Thorwald und dem jungen Arzt Samuel Zimetbaum macht sie sich auf die Suche nach verschwundenen Kindern und ihrer Schwester.

Der Reiz dieses Buches liegt eindeutig in der Historie. Eindringlich wird einem bewusst, wie weit der medizinische Standard heutzutage ist. Ein Kaiserschnitt ist kein Problem mehr, Hygiene wird sehr wichtig genommen und die Operationsmethoden sind geradezu revolutioniert. Über allem sollte man allerdings auch die Anfänge nicht vergessen, und so findet man sich in einer Welt wieder, in der uneheliche Mütter ausgestoßen wurden und eine Frau noch überhaupt nicht studieren durfte. Wie schwer es Cecilie wirklich hat, erfährt man auch aus Kleinigkeiten, das Verhalten einer früheren Freundin bei einer zufälligen Begegnung. Standesdünkel werden über Menschlichkeit gesetzt, ohne finanzielle Zuwendung gibt es oft nicht die benötigte einfachste medizinische Hilfe.

Eines bleibt allerdings immer gleich, die gegenseitige menschliche Anziehungskraft. Cecilie ist verwirrt, da sie Gefühle für Hektor entwickelt, die sie lieber nicht hätte, da sie doch zum Studium in die Schweiz möchte. Allerdings kann sie die Gefühle nicht einordnen, da sie ja noch nicht einmal weiß, wie sich ein Kuss anfühlt. Hektor liebt Cecilie, kann seinen Gefühlen aber nicht einmal Ausdruck geben, er weist sie eher zurück als sich ihr zu nähern. Dieses ständige Geplänkel ihrer Gefühle nimmt viel Raum in der Geschichte ein und reduziert das Tempo beträchtlich. Als dann auch noch Zimetbaum ins Spiel kommt, ist Cecilie beträchtlich irritiert. Der Krimiplot zieht sich ebenso hin, man hat oft das Gefühl, dass die Protagonisten auf der Stelle treten. Es gibt zwar immer wieder unverhoffte Wendungen, aber so richtig weiter bringen sie die Geschichte nicht. Auch die Suche nach ihrer Schwester benötigt viel Platz, wenigstens beweist am Ende ihre Mutter einmal Rückgrat und Durchsetzungsvermögen.

Das Buch ist in sich abgeschlossen, man kann es durchaus lesen, ohne den ersten Teil zu kennen. Eine bildhafte Sprache und glaubhafte und interessante Milieustudien geben noch eine besondere Note her. Die medizinischen Verhältnisse um die Jahrhundertwende werden eindrucksvoll und kenntnisreich geschildert, man hat richtig den Gestank von einem überfüllten Krankensaal in der Nase und die Uniform der Schwestern vor Augen. Die Ignoranz und Überheblichkeit der männlichen Ärzte gegenüber den Leiden der Frauen dringt förmlich durch jede Seite.


Fazit

Historische Fakten rund um die Medizin, ein Rückbesinnen in alte Zeiten und eine gut recherchierte Gesellschaftsstudie sind die Besonderheiten dieses historischen Medizinkrimis. Noch gar nicht so lange her, so liegen doch schon Welten dazwischen, für Fans von historischen Krimis ein unbedingtes Muß.


Pro und Contra

+ Gesellschaftsstudie
+ Medizin im Entwicklungsstadium
+ interessante Charaktere
+ gut recherchiert

- einige Längen
- zuviel Geplänkel über ihre Gefühle bei den Protagonisten

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5