Der Tourist (Olen Steinhauer)

Heyne (Januar 2010)
544 Seiten, 19,95 €
ISBN: 978-3-453-26610-0

Genre: (Agenten-)Thriller


Klappentext

Jahrelang hat Milo Weaver als Geheimagent der CIA gedient. Es gab keinen Auftrag, der ihm, als einem der Besten, nicht anvertraut wurde. Jetzt ist seine große Zeit vorbei, er plant den Ausstieg. Doch die Company lässt ihn nicht los, und so stimmt Weaver einem letzten Einsatz zu, bei dem es bald ums nackte Überleben geht.


Rezension

Thriller sind oftmals eine Sache für sich. So mancher wusste bisher durch rasante Action zu überzeugen, andere hingegen gingen es ruhiger an. Sie vermittelten mehr Details, mehr politische Tiefe, dafür jedoch auch eine oftmals zähere Handlung. Wer das eine nicht mochte, wurde meist bei der genreinternen Konkurrenz zufrieden gestellt, oder fand nach längerem Suchen Bücher, die beide Vorzüge versuchsweise vereinten. Als Olen Steinhauers Roman Der Tourist im Januar 2010 das deutsprachige Licht der Welt erblickte, waren sich jedoch viele kritiklose Kritiker vorbehaltlos einig: Erstklassig, intelligent & vielschichtig. – So und nicht anders muss ein Agententhriller sein.


>> Es gibt keine andere Seite mehr, hatte Angela gesagt, doch das stimmte nicht. Die andere Seite hatte viele Facetten: die Russenmafia, die chinesische Industrialisierung, herrenlose Atombomben und selbst die lautstarken Muslime in Afghanistan, die den Klammergriff Washingtons um den ölreichen Mittleren Osten lockern wollten ... <<

Milo Weaver ist Charles Alexander. Ein Tourist. Er schützt, tötet, bewacht und verfolgt Menschen im Auftrag der CIA und im Namen seines Chefs Tom Grainger. Nichts anderem ist er verschrieben und nichts anderes kann er so gut. Doch der Druck übersteigt seine Kräfte. Aufputschmittel und seine einzige Freundin Angela, die zwar seinen richtigen Namen nicht kennt, auf die er sich jedoch stets verlassen konnte, halten ihn aufrecht. Als jedoch ein Einsatz die beiden nach langer Zeit einmal mehr zusammenführt, denkt Milo nur noch an Selbstmord und ist bereit sein Leben zu beenden. Ein Vorsatz, der ihn unvorsichtig werden lässt und ihn bald darauf ins Schussfeld seiner Feinde bringt.

Sechs Jahre später ist Milo Weaver von seinen psychischen Leiden geheilt. Er ist aus dem Tourismus ausgestiegen, hat geheiratet und nun Familie. Sein alter Job, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, ist ihm nun nicht mehr wichtig. Im Gegenteil. Milo arbeitet nun an einem blank polierten Schreibtisch der CIA, kümmert sich um Kleinigkeiten und denkt im Grunde während des Tages viel zu oft an seine kleine Stieftochter Steff. Doch als seine alte Freundin Angela schließlich des Hochverrates beschuldigt wird, muss er erneut zur Waffe greifen, um Beweise für ihre Unschuld zu sammeln. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, den Milo nur verlieren kann und der ihm bald verdeutlicht, dass nichts – absolut gar nichts – ist, wie es scheint.

>> ... Nach Graingers Auffassung war jeder, der sich nicht in das Imperium eingemeinden ließ, ein Feind, den man unschädlich machen musste wie die Barbaren vor den Toren Roms. Und jedes Mal, wenn so ein Feind auf der Bildfläche erschien, läutete Charles Alexanders Telefon. <<

James Bond, Jason Bourne und Leo Demidow haben es als bestes Beispiel für Vielfältigkeit bewiesen: Agenten sind und bleiben in der Thriller-Mode. Vielfältig einsetzbar und stets zu Diensten sind sie Garanten für Spannung, Lesefluss und wild wucherndes Chaos. Olen Steinhauer hat mit Milo Weaver seinen Platz in ihren Reihen gefunden, denn der mehrfach ausgezeichnete Autor hat es geschafft, einen von Spannung durchwachsenen Roman zu schreiben. Dabei setzt er auf kurze, knackige Kapitel, politische Differenzen und umfassende Ermittlungen. Schnell versteht er es, zu fesseln und den Leser ins Geschehen zu ziehen, das bereits von Beginn an turbulent zu werden verspricht. Milo Weaver glänzt hierbei vor allem anfangs durch verschiedene Charakterzüge, die ihm eine gewisse Tiefe verleihen und im Grunde einfach nur neugierig machen. Man liest aus seiner Vergangenheit, fühlt und leidet mit ihm und kann seine wirren und lebensverachtenden Gedanken oftmals auch gut verstehen.

Etwas später und nach dem plötzlichen Abbruch seiner Zeit als Tourist (von der man gerne mehr gelesen hätte) ist man weit weniger angetan von dem Mann, der sich sechs Jahre später ein neues Leben aufzubauen versucht. Zwar besticht Milo auch in einem noch reiferen Alter immer noch, doch fehlt ihm die ausgeprägte Eigenheit der Melancholie, die gerade in den ersten Seiten hervorragend begeistern konnte. – Ein Verlust, der sich verkraften lässt, jedoch dem Leser im Hinterkopf bleibt, sofern man einer gewissen Düsternis etwas abgewinnen kann. Ist aber das Gegenteil der Fall, so freut man sich über die neue Handlung und Ausgangsituation, die ein schnelles Vorankommen verspricht. Und diese Erwartung wird auch erfüllt. Um lieblich-lesbisch-Angela zu retten, zieht Milo bald alle Register und deckt einen unschönen Teil einer noch viel unschöneren Verschwörung auf, deren Wurzeln zu tief reichen, um sie einfach vernichten zu können. Sie bringen Olen Steinhauers Werk das gewisse Etwas an Aktualität. Öl, Abhängigkeit und China sind hierbei die Schlüsselworte, die den politischen Rahmen schaffen. Politik, von der man sich satt lesen kann, die jedoch weitaus turbulentere Handlungselemente verdrängt.

Und genau dies ist das einzige, wirklich vorwerfbare Manko. Denn von Agenten-Thriller erwartet man sich im Grunde doch mehr Action, noch mehr Blut und um ein Vielfaches mehr Willen zur Kompromisslosigkeit. Auch den Tourismus selbst hätte der Autor deutlicher herausarbeiten können (was vielleicht in einer Fortsetzung der Fall sein wird). So jedoch muss man sich mit flüchtigen Vorstellungen begnügen, verschluckt von einer umfassend ausgewalzten Handlung, die einfach nicht die spektakulärste ist, darüber hinaus aber dennoch zu fesseln versteht. Was am Ende bleibt, ist aufgewärmte Luft und das Wissen, sich mehr erwartet zu haben von einem Buch, das man großspurig als den Agenten-Thriller des 21. Jahrhunderts bezeichnet hat.


Fazit

Der Tourist verdient sich die Bezeichnung Pageturner in jedem erdenklichen Maß und bietet interessante Stunden voller Intrigen und Ermittlungen. Darüber hinaus zeichnet Olen Steinhauers Machwerk eine bewundernswerte Detailfreudigkeit aus; mit dem Tourismus kann es sicherlich etwas Erfrischendes bieten, dessen Potenzial bleibt jedoch teilweise ungenutzt. Zumindest in diesem Band. Denn eine Fortsetzung wird - nach dem sich sicher schnell einstellenden Erfolg - hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen.


Pro und Kontra

+ interessanter, politischer Hintergrund
+ authentisch & spannungsgeladen
+ wunderschönes, hochwertiges Hardcover (!)
+ stimmungsvolle Detailarbeit
+ lesenswerte Haupt- und Nebencharaktere

- zu wenig Action

Bewertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4,5/5


Rezension zu "Last Exit" (2)