Katerina (Aharon Appelfeld)

Verlag: Rowohlt Berlin, März 2010
Hardcover, 254 Seiten, € 19,95
ISBN: 978-3871346804

Genre: Belletristik / Historik


Klappentext

>> Warum kommst du nicht zu uns, hier ist es warm <<, rief mir einer der Trinker zu. Ich wusste, dass dies kein Ruf des Himmels war, sondern ein sehr irdischer, grober und böser. Dennoch freute ich mich, Ruthenisch zu hören, die Sprache meiner Mutter. Ich blieb stehen, trat aber nicht näher.
>> Komm zu uns, wir trinken ein Glas. Wo arbeitest du, Süße? <<
>> Bei Juden <<, sagte ich, und sofort bereute ich, mich verplappert zu haben.


Über den Autor

Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz geboren und lebt in Jerusalem. Nach Verfolgung und Krieg, die er im Ghetto, im Lager, dann in den ukrainischen Wäldern und als Küchenjunge der Roten Armee überlebte, kam er 1946 nach Palästina. In Israel wurde er später Professor für Literatur. Seine hochgelobten Romane und Erinnerungen sind in vielen Sprachen erschienen.


Rezension

Aharon Appelfeld, israelischer Autor und Professor für Literatur, ist einer der ganz Großen seines Faches. Der Achtundsiebzigjährige hat unter anderem mit „Blumen der Finsternis“ oder „Elternland“ so manch literarisch herausragendes Werk vorgelegt und sich damit in die Herzen seiner Leser geschrieben. Mit Katerina erschien im März 2010 ein weiterer Roman des begabten Erzählers, dessen Geschichten zumeist aus dem Leben jüdischer Protagonisten erzählen.

>> Die Art, in der Appelfeld sich seiner Wurzeln besinnt, erinnert an Tolstoi. <<
New York Times Book Review

Katerina ist allein. War sie schon immer. Ob in ihrem Heim oder bald später auf der Straße, zwischen Bettlern und Tagedieben. Nur ihr Wille ist ihr geblieben und als dieser schließlich versagt, bekommt sie plötzlich einen Platz im Leben. Von einem Engel, wie ihr scheint. Einem Juden. Dieses Glück trägt sie näher zu dem zurückgezogenen Volk heran, das sie schon als kleines Mädchen faszinierte. Jahre voller Unbeschwertheit folgen, doch sind nicht von Dauer, denn der Hass des Volkes auf die „Jesus-Mörder“ wird stärker und stärker ...

„Ein Drittel (der Juden) wird sterben, ein Drittel wird auswandern, und das letzte Drittel wird im russischen Volk völlig assimiliert werden“, prophezeite Konstantin Pobedonoszew, der persönliche Berater von Zar Alexander III Ende des 19. Jahrhunderts. Die vor wenigen Jahren in Russland eingetretene antisemitistische Wende, auf Grund der Ermordung von Zar Alexander II, ist zu diesem Zeitpunkt nicht überwunden und beeinflusst, unter anderem, auch das Ansehen der Juden in den eng verwandten Völkergruppen. So auch in der Ukraine. Misstrauen und Hass regieren die Gefühle der nicht jüdischen Bevölkerung. In diesen rauen und unfreundlichen Zeiten lernt der Leser die junge Katerina kennen, die nach langen Demütigungen ihr Dorf verlässt, um ihr Heil in der Fremde zu finden. Ihr Weg führt das Mädchen durch Wiesen, Wälder, Dörfer und Städte. Nichts hält sie lange an einem Fleck, bis sie dem Alkohol verfällt und damit Teil einer zwielichtigen Gesellschaft wird. Gerettet von einer strenggläubigen Jüdin, gerät ihr Leben dennoch aus den Fugen. Aharon Appelfeld erzählt von Distanz und Nähe, von Liebschaften, tiefer Zuneigung und stummer Wut. Körperverkauf wird dabei ebenso Thema wie Beschneidung und Kindsmord. - Themen, die den geneigten Leser oft erschaudern lassen bei der Vorstellung, dass es so gewesen sein soll und teilweise immer noch ist.

Katerina fokussiert hierbei besonders die Juden und ihre Verbindung zu nicht jüdischen Völkergruppen. Durch den Verzicht auf viele historische Fakten, zeichnet der Autor ein verschwommenes Bild von Ahnungslosigkeit, das gut zur Protagonistin passt. Anschaulich wird gezeigt, dass die Meinung des Volkes vorrangig durch Unwissen geformt und durch haarsträubende Gerüchte gefestigt wird. Aharon Appelfeld nutzt diese Tatsache für sich, die seinem tiefgreifenden Stil eine gewissen Authentizität verleiht. In der Erzählung des Autors, die Katerinas ganzes Leben und sämtliche Schicksalsschläge umfasst, nimmt er sich viel Zeit, schreibt besinnlich und formt Charaktere, die zwar nicht im Detail vorgestellt werden, dennoch aber zu bestechen verstehen.

Leser ohne Vorwissen werden sich, dank Katerinas persönlichen Unwissen, generell nicht unwohl fühlen, dennoch ist dieses Werk an jene gerichtet, die sich mit dem Thema schon beschäftigt haben und tief in die Mysterien von Abneigung und Hass eintauchen wollen. Viel über jüdische Volkskultur darf man sich dennoch nicht erwarten. Es werden zwar bestimmte Feste und Umgangsformen der Juden erwähnt, trotzdem wird stets eine gewisse Distanz gewahrt. Ein bedauernswertes Manko, das zwar verständlich ist, da auf Katerinas Innenleben abgestimmt, jedoch ebenso frustriert wie der sehr hoch angesetzt Preis für die geringe Seitenanzahl.


Fazit

Katerina wird man nach dem Studieren dieser Lektüre nicht so schnell wieder vergessen. Aharon Appelfeld erzählt durch ihre Augen eine Geschichte aus dem Leben. Eine Geschichte von Wahrheit, unendlichen Schmerz und dennoch auch von Harmonie. - Leser, die sich allgemein für jüdische Erzählungen interessieren oder besinnliches Neuland entdecken möchten, kommen an diesem liebevoll gestalteten Büchlein kaum vorbei und werden sich über Stunden voller liebenswerter Gediegenheit freuen.


Pro und Contra

+ authentisch & kurzweilig
+ bestechende Charaktere
+ interessantes, antisemitistisches Bild
+ schön gebundenes Hardcover mit Lesebändchen
+ zum Nachdenken anregend
+ psychologisch wertvoll
+ besinnlich ...

o ... erzählender Stil
o historisch nicht anspruchsvoll

- kleine Längen im Mittelteil
- Preis

Wertung:

Handlung: 4 / 5
Charaktere: 4,5 / 5
Lesespaß: 4,5 / 5
Preis/Leistung: 3 / 5