Genre: Science Fiction
Der Regenplanet
Eigentlich hatten sich die Siedler an Bord der VILM VAN DER OOSTERBRIJK das ganz anders vorgestellt. Doch anstatt sie wohlbehalten zu einer entfernten Kolonialwelt zu bringen, war der Weltenkreuzer auf einen namenlosen Planeten gekracht, auf dem es nur eines im Überfluss zu geben schien: Regen. Die wenigen Überlebenden improvisieren zwischen Schrott und Schlamm eine Zivilisation, der nicht nur Kaffee fehlt.
Der Regenplanet scheint nur auf sie gewartet zu haben - allerdings nicht, um sich erobern zu lassen.
Die Eingeborenen
So hatten sich das die Retter an Bord der Armorica nicht vorgestellt: Statt sich evakuieren zu lassen, fordern die Schiffbrüchigen der Vilm van der Oosterbrijk, dass ihr Planet als unabhängige Welt anerkannt wird. Damit lösen sie eine diplomatische Krise aus, denn der wenig attraktive Regenplanet weckt unerklärbare Begehrlichkeiten: beim Flottenkommando auf Atibon Legba, der Goldenen Bruderschaft, den Päpsten von Vatikan, bei Versicherungskonzernen und Journalisten. Die Vilmer, deren ganzer Reichtum aus einer riesigen Schutthalde besteht, scheinen all dem hilflos ausgeliefert. Aber sie bringen ihre Widersacher immer wieder ins Grübeln, nicht zuletzt über die Frage, ob Vilmer überhaupt noch Menschen sind ...
Rezension
Die Reise des gewaltigen Sternenschiffs VILM VAN DER OOSTERBRIJK stand von Beginn an unter einem schlechten Stern, doch eine nie dagewesene Katastrophe lässt den mehrere Kilometer durchmessenden Giganten auf einer Welt zerschellen. Die wenigen Überlebenden, noch nicht mal eintausend, finden sich auf einer Welt, auf der der Regen ununterbrochen zu fallen scheint, wieder, inmitten eines gigantischen Trümmerfeldes. Die Reste der Schiffs werden nach allem irgendwie Brauchbaren untersucht, als offenbar wird, dass mit Rettung nicht zu rechnen ist. Während die Erwachsenen sich nur schwer an die regnerische Welt anpassen, verändern sich die Kinder zunehmend. Sie scheinen mit dem ewigen Regen viel besser zurecht zu kommen, doch dann entwickelt sich alles, ohne Wissen der Erwachsenen, noch viel, viel weiter: Mit den sogenannten Eingesichtern führen die Kinder eine Symbiose durch, und bald ist schon nicht mehr zu sagen, welcher Teil des gemeinsamen Bewusstseins nun Mensch und welcher Eingesicht ist.
Im zweiten Band dann wird die Entdeckung der Schiffbrüchigen nach zwei Jahrzehnten beschrieben. Auch die Alten haben inzwischen Vilm, wie sie die Welt genannt hatten, als Heimat anerkannt. Die Suchmission trifft auf ein versprengtes Häufchen Überlebender, das gar nicht gerettet werden will, und besonders mit den Vilmern, jenen Symbiosewesen aus Mensch und Eingesicht, droht ein Konflikt. Doch was kann eine Welt fast gänzlich ohne Ressourcen gegen ein omnipotentes Menschheitsimperium ausrichten?
Bei dieser Duologie handelt es sich um einen Episodenroman, der einen Zeitraum von ca. 50 Jahren abdeckt. Es gibt keine festen Hauptpersonen, sondern nur Protagonisten, die mehrfach Hauptfigur einer Erzählung sind. Zu Beginn sind noch die Siedler im Mittelpunkt wie die Zentralierin Eliza, die als einziges überlebendes Mitglied der Brückencrew sich mit der geballten Wut der Siedler konfrontiert sieht, oder der Arzt Mechin, der alle Hände voll damit zu tun hat, seine Behandlungsmethoden der Welt anzupassen. Später dann werden die Kinder wichtiger und dabei ist die Symbiose mit den Eingesichtern besonders hervorzuheben. Karsten Kruschel beschreibt die Handlungen dieser Doppelwesen unglaublich gut und der Leser bekommt eine fremdartige Gedankenwelt präsentiert. Überhaupt ist der Schreibstil des Autors sehr gut. Immer mit Informationen geizend, aber nie zu viel zurückhaltend, erzählt er die Chronik einer faszinierenden Welt und bewegt sich dabei in den Fußstapfen Ray Bradburys, der mit seinen Mars-Chroniken ein vergleichbares Werk geschaffen hat. Dabei muss Kasten Kruschel diesen Vergleich mit dem Klassiker nicht scheuen.
Das Lektorat war angesichts der Entstehungsgeschichte des Werks wirklich hervorragend, denn der Doppelroman ist in sich sehr stimmig und man hat eigentlich nie den Eindruck, dass dies ein Sammelsurium von Geschichten darstellt, die über einen Zeitraum von 20 Jahren geschrieben wurden. Tatsächlich wirkt das Ganze wie ein Episodenroman, der in einem Rutsch geschrieben wurde, und das ist schon erstaunlich. Bereits 1989 brachte Karsten Kruschel einen Erzählband mit einigen Vilm-Geschichten heraus und Erik Simon, damals tätig für den Verlag Das Neue Berlin, bot an, die Vilm-Geschichten in einem eigenen Buch zu veröffentlichen. Es gab einen Vertrag, doch durch die Wiedervereinigung und die Währungsunion änderte sich alles. Es wurde ein Honorar in DDR-Mark ausbezahlt und der Autor bekam die Rechte zurück. Im Laufe der nächsten Jahre kamen Geschichten hinzu, hauptsächlich um Lücken in der Storyline zu schließen. Auf ein Angebot des Manuskripts an den Heyne Verlag reagierte Wolfgang Jeschke zunächst sehr positiv, doch dann wurde die SF-Reihe bei Heyne aus wirtschaftlichen Gründen zusammengestrichen und wieder einmal war das Timing alles andere als günstig. Erst Mitte der 2000er Jahre wurden Heidrun Jänchen und Armin Rößler auf Vilm aufmerksam, als sie für eine Anthologie mit ostdeutscher SF Beiträge suchten. Der Kontakt war da und im Zuge des Lektorats wurde das fast 500 Seiten umfassende Manuskript überarbeitet und wegen der Veröffentlichung in 2 Bänden etwas umgestellt. Für alle Beteiligten war das gewiss sehr viel Arbeit, aber in Hinblick auf das Ergebnis kann man sagen: Es hat sich mehr als gelohnt.
9 von 10 Punkten
Diese Rezension stammt von Rupert Schwarz - mehr Rezensionen von ihm findet ihr bei fictionfantasy!