Stan Nicholls (deutsche Übersetzung - 09.11.2008)

Interview mit Stan Nicholls

Literatopia: Der Erfolg deines Romans Die Orks hat in Deutschland eine Art Hype ausgelöst, von dem sich auch Autoren wie Christoph Hardebusch (Die Trolle) und Bernhard Hennen (Die Elfen) inspirieren ließen. Was denkst du darüber? Wie fühlt es sich an, so einen einflussreichen Roman geschrieben zu haben?

Stan Nicholls: Es fühlt sich sehr schön an, und ein bisschen unwirklich, um ehrlich zu sein. Es ist fast so, als würde das alles jemand Anderem passieren. Wie viele andere Autoren auch verbringe ich die meiste Zeit in Gedanken versunken, um mir Geschichten auszudenken, und da kann es schon zu einem gewissen Abstand zu der so genannten realen Welt kommen. Wenn man das Schreiben zum Beruf macht, gibt es Zeiten, in denen es sich so anfühlt, als würde man die Worte in ein Schwarzes Loch schaufeln, gemessen an der Reaktion, die man bekommt. Die Mehrheit der Leser liest nämlich einfach nur, ohne dann ihre Meinung über das Gelesene kund zu tun. Wenigstens war das größtenteils meine Erfahrung vor den Orks-Büchern – und ich spreche als jemand, der fast dreißig Bücher, jede Menge Kurzgeschichten und einige Millionen Wörter an Journalismus verfasst hat. Aber Orks war anders. Als das einmal in Fahrt gekommen war, war da plötzlich ein Interesse, das vorher nicht da gewesen war. Eine Lawine an Kommentaren von Lesern aus allen Teilen der Welt traf plötzlich ein, und tut es immer noch, und jeder scheint eine Meinung über das zu haben, was ich tue. Sogar Leute, die meine Bücher gar nicht gelesen haben, haben eine Meinung!

Ich bin glücklich darüber, dass der Erfolg von Die Orks in Deutschland anderen Autoren bei ihrem Werdegang geholfen hat. Ich empfinde eine geistige Verwandtschaft zu anderen Schriftstellern und denke gerne, dass es eine Art Verbundenheit zwischen uns allen gibt, vor allem im Feld der Science Fiction und der Fantasy, wo es immer eine weltweite Gemeinschaft gegeben hat. Chris Hardebusch ist zum Beispiel ein Freund geworden, und wenn ich es irgendwann einmal schaffe, nach Deutschland zu kommen, was ich wirklich gerne in der näheren Zukunft machen will, würde ich gerne so viele andere Fantasyautoren kennen lernen, wie möglich. Ich bin mir sicher, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Übrigens werden einige der deutschen Bücher, die als Reaktion auf Die Orks geschrieben wurden, jetzt auf Englisch übersetzt, um sie in Großbritannien veröffentlichen zu können. Es ist seltsam. Ich habe euch die Orks rübergeschickt und jetzt schickt ihr eine ganze Horde anderer Kreaturen zurück …

Literatopia: Wie wurde dein Roman in Großbritannien und den USA aufgenommen? Warst du überrascht über seinen Erfolg in Deutschland?

Stan Nicholls: Die erste Orkstrilogie wurde erst vor ein paar Wochen in einem einzelnen Buch zusammengefasst in Amerika veröffentlicht, also ist es etwas früh zu sagen, wie sie sich dort schlägt. Obwohl es Anzeichen gibt, dass das Buch einen guten Start hingelegt hat. Da werde ich weiter die Daumen halten.

Die Originaltrilogie, Orcs: First Blood, die schlussendlich zu Die Orks in Deutschland wurde, wurde hier in England in einzelnen Bänden veröffentlicht, zuerst als großformatige Taschenbücher, dann als Massenware für den breiten Markt. Die haben sich ganz gut verkauft. Die Verkaufszahlen waren OK, aber nichts Spektakuläres. Als ich die Idee mit den Orks hatte, habe ich eine grobe Handlung entworfen, die sich durch insgesamt neun Bücher ziehen sollte, drei Trilogien. Wenigstens hoffte ich das. Doch als mein Verleger mich fragte, ob ich die zweite Trilogie schreiben wollte, dachte ich „Naja, vielleicht gibt es ja doch keinen so großen Markt für solche Bücher“, und sagte nein. Stattdessen ging ich zu einem anderen Verleger und schrieb, was in Großbritannien als die Quicklisvertrilogie bekannt ist – in Deutschland als Der Magische Bund, Das Magische Zeichen und Die Magische Insel herausgegeben. Als ich damit ungefähr zur Hälfte fertig war, begann sich die Orkstrilogie plötzlich im Eiltempo zu verkaufen. Nicht nur in Großbritannien und Deutschland, sondern überall. Auf einmal wurden diese unglaublichen Verkaufszahlen gemeldet und ich bekam plötzlich Emails von Lesern, und überall erschienen Rezensionen. Für Werbung war bei diesen Büchern praktisch kein Geld ausgegeben worden; das war die klassische Mundpropaganda. Und ich muss auch zugeben, dass Peter Jacksons Herr der Ringe-Filme, die nur kurze Zeit nach Veröffentlichung der Bücher herauskamen, wohl auch geholfen haben. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die First Blood-Trilogie weltweit ca. eineinhalbmillionen Mal verkauft. Also schien es tatsächlich einen Markt für solche Bücher zu geben und ich war damit einverstanden, die Fortsetzungstrilogie zu schreiben, nachdem ich die Quicksilvertrilogie beendet hatte.

Literatopia: Warum hast du über Orks geschrieben? Was ist deiner Meinung nach der Reiz dieser „abscheulichen“ Kreaturen?

Stan Nicholls: Manche Leute haben mich stark dafür kritisiert, dass ich es überhaupt wage, über Orks zu schreiben. Es gibt Tolkienfans, die denken, dass ich Tolkien ausbeute oder versuche, etwas zu seinem Werk hinzuzufügen. Doch das ist schlicht nicht wahr. Ich bewundere Herr der Ringe enorm aber ich müsste wohl verrückt sein, da noch etwas anfügen zu wollen – das wäre jeder. Es ist ein völlig einzigartiges Werk das man nicht verbessern kann, und ganz sicher nicht übertreffen. Ich denke die Kritik entsteht aus dem falschen Glauben heraus, Tolkien hätte die Orks erfunden – hat er nicht. Orks kommen seit Jahrhunderten in europäischen Überlieferungen vor und tauchen seit dem 15. Jahrhundert auch immer wieder in der Literatur auf. Als Tolkien eine wilde Horde brauchte, um das personifizierte Böse darzustellen, hat er einfach die Orks auf der Mythologie herausgepflückt und sie für seine Zwecke ummodelliert. Er hat sie sozusagen bekannt gemacht, genauso, wie Bram Stoker Vampire mit Dracula populär gemacht hat und Anne McCaffrey Drachen eine neue Seite gegeben hat; beide, ohne zu behaupten, sie hätten sie erfunden. Im Wesentlichen sind Orks einfach nur eine Gruppe der berühmten Fantasyfiguren, wie auch Elben, Elfen, Trolle, Kobolde und der ganze Rest und sollten als solche auch für jeden Autor zugänglich sein, der mit ihnen arbeiten will. Da ich auch Tolkiens Welt und Konzept in keinster Weise zu imitieren versuche, denke ich, das ist vollkommen legitim. Ich biete nur meine eigene Darstellung dieser einen Gruppe von Fantasykreaturen an.

Als ich darüber nachdachte, über Orks zu schreiben, bin ich in Gedanken bei dem bekannten Sprichwort hängen geblieben, dass die Gewinner die Geschichtsbücher schreiben. Die Feinde werden dämonisiert, teilweise, um die Bevölkerung zu Hass aufzuwiegeln – denkt nur an Saddam Hussein – und einmal besiegt, bleiben sie dann „die Bösen“. Mein Gedanke war „Was, wenn das mit den Orks passiert wäre?“. Es war der alte „Was wäre, wenn?“ –Prozess. Was, wenn Orks wild und furchteinflößend wären, aber nicht tatsächlich böse? Was, wenn sie einfach einen schlechten Ruf hätten? Wenn man Tolkien liest, erkennt man, dass er uns eigentlich sehr wenig über Orks erzählt. Sie werden als förmliche Urgewalt des reinen Bösen dargestellt. Für mich war es einleuchtend, dass Orks, wie jedes andere Volk auch, wohl ihren eigenen Glauben haben müssen, ihre eigenen Hoffnungen, Ängste, Traditionen, Mythen, Rituale, Brauchtümer und so weiter. Darum war es auch Teil meiner Absicht, sie ausgeglichener zu machen und ihnen sogar etwas Edles zu geben. Ich wollte über sie als Charaktere schreiben, mit denen man mitfühlen kann. Zugegeben, kein Haufen, mit dem man gerne in Streit geraten würde, aber ein Volk, das sowohl zu einer Art groben Mitgefühls imstande ist, als auch zu Wildheit. Ich weiß, dass das bei manchen Leuten, die Tolkien lieben, nicht gut ankommt, aber wenn schon, das hier sind meine Orks. So wie ich sie darstelle, sind sie Außenseiter, benachteiligt, weil es überall Vorurteile gegen sie gibt. Wenn man einmal so eine Idee hat, ist der nächste logische Schritt, zur Abwechslung mal die Menschen zu den Bösen zu machen. Man kommt zu einigen ziemlich interessanten Ergebnissen, wenn man die Welt so auf den Kopf stellt.

Literatopia: Ursprünglich war Die Orks eine Trilogie und wurde in Groß Britannien auch in drei einzelnen Büchern veröffentlicht, die Bodyguard of Lighting, Legion of Thunder und Warriors of the Tempest hießen. Warum hat sich Piper dazu entschlossen, dein Werk in einer einzigen Ausgabe zusammenzufassen? Hattest du da ein Mitspracherecht?

Stan Nicholls: Eigentlich hat der Heyneverlag Die Orks zuerst veröffentlicht. Die Piperedition kam erst später. Man hat mich nicht gefragt, aber ich denke, es war eine kluge Idee, die drei Teile in einem Buch zu veröffentlichen. Solche Ausgaben sind bei Lesern sehr beliebt, und sie haben ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Es ist besonders passend, eine Gesamtausgabe von so etwas wie Die Orks zu haben, weil die ersten zwei Teile mit besonders spannenden, offenen Stellen enden und es die Leute frustrieren kann, wenn sie dann erst den nächsten Teil auftreiben müssen. Ich habe diese beiden Teile in Anlehnung an die alten Filmserien, wo der Held am Ende jeder Episode immer in gefährlichen Situationen zurückgelassen wird, so enden lassen.

Literatopia: Du schreibst momentan an einer Fortsetzungstrilogie, die Orcs: Bad Blood heißt. Wann wirst du mit dieser neuen Trilogie fertig werden? Hast du schon etwas nach Bad Blood geplant? Wieder etwas über Orks, oder etwas vollkommen Anderes?

Stan Nicholls: Ich bin gerade dabei, das zweite Buch der Bad Blood-Trilogie fertig zu stellen. Das dritte Buch wird nächstes Jahr um diese Zeit fertig werden. Dafür hab ich noch keinen Titel. Ich weiß noch nicht, ob es danach noch weitere Orkromane geben wird. Wir werden sehen. Ich habe noch viele andere Ideen für Romane – eigentlich sage ich immer, dass ich mehr Ideen habe, als ich in diesem Leben in Romanen verwirklichen könnte. Was auch immer ich aber schreiben werde, es wird auf die eine oder andere Art Fantasy sein. Das Einzige, was ich jetzt schon weiß, ist, dass ich gerne ein oder zwei eigenständige Romane schreiben würde. Bad Blood ist jetzt schon die vierte Trilogie in Folge, die ich schreibe. Ich hätte wirklich gerne einmal eine Auszeit von diesen Marathongeschichten!

Literatopia: Warum ist Die Orks: Blutrache, der erste Teil deiner neuen Trilogie, in Deutschland bereits veröffentlicht, nicht aber in Großbritannien?

Stan Nicholls: Es ist auch schon in Frankreich und den Niederlanden veröffentlicht. In Großbritannien wird es im Dezember erscheinen. Vielleicht ist es zuerst in Deutschland herausgekommen, weil deutsche Verleger effizienter sind! Es ist eben so, dass verschiedene Herausgeber andere Arbeitsweisen haben und in Großbritannien ist es traditionell so, dass viel Zeit vergeht zwischen der Abgabe des Manuskripts und der Drucklegung.

Heyne ist ein ausgezeichneter Verleger, aber leider haben sie einen kleinen Fehler gemacht, als sie Die Orks: Blurache herausgegeben haben. Sie haben vergessen, anzugeben, dass das Buch Teil einer Trilogie ist. Ihr würdet nicht glauben, wie mich deutsche Leser mit Emails überschütten und fragen „Warum ist die Geschichte nicht zu Ende geschrieben? Wo ist der Rest?“ Sie denken, dass es eine abgeschlossene Geschichte ist, so wie Die Orks, nur dünner! Ich entschuldige mich bei diesen Lesern; und Heyne wird das in späteren Editionen richtig stellen.

Es ist vielleicht interessant zu wissen, dass Die Orks: Blutrache – das in Großbritannien Weapons of Magical Destruction heißt – anders als alle anderen Editionen dieses Buches von Herausgebern anderer Länder ist. Nachdem ich es bei Heyne abgegeben hatte, meinte mein britischer Verleger, dass er mit dem Anfang der Geschichte nicht ganz glücklich sei, und fragte, ob ich es eventuell ändern würde. Ich konnte verstehen, was er meinte, und habe die ersten drei Kapitel umgeschrieben. Also ist die deutsche Edition einzigartig.

Literatopia: Kennst du Michael Peinkofers Romane Der Schwur der Orks und Die Rückkehr der Orks? Was denkst du darüber? Macht es dir was aus, so imitiert zu werden?

Stan Nicholls: Naja, man sagt ja, dass Nachahmung die aufrichtigste Form der Schmeichelei ist. Natürlich kann ich nicht beginnen, mit Leuten zu streiten, die auch über Orks schreiben, so wie manche Tolkienfans mit mir streiten, aber ich bedaure den entstandenen Eindruck, dass Peinkofers Bücher irgendetwas mit meinen Büchern zu tun hätten. Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber irgendjemand hat mir gesagt, dass sie diese Bücher mit einem erfundenen Zitat einer meiner Figuren beworben haben!

Weil sich Die Orks in Deutschland so gut verkauft hat, gab es eine Auktion für die zweite Trilogie. Vier oder fünf Verleger haben dafür geboten, unter anderem auch Piper, die ja schon die Sammelausgabe von Die Orks als Taschenbuch für den breiten Markt herausgebracht hatten. Ich habe mich entschlossen, Heynes Gebot anzunehmen, weil ich mit ihrer Originalausgabe von Die Orks sehr zufrieden war und sie außerdem eine Leidenschaft für diese Bücher hatten. Piper wollte aber trotzdem ein Stück vom Kuchen, also haben sie Herrn Peinkofer dazu beauftragt, seine Klone zu produzieren. Viele Leute denken, dass ich diese Bücher geschrieben habe, oder dass er meine geschrieben hat, unter einem Pseudonym, und ich muss die Situation andauernd erklären. Aber was soll’s. Wir müssen schließlich alle irgendwie unsre Brötchen verdienen.

Wenn wir schon beim Thema Falschinformation sind: Ich war höchst erstaunt, als ich vor ein paar Jahren begonnen habe, Briefe von deutschen Lesern zu bekommen, die fragten „Wie ist es denn so in Australien?“ Ich dachte mir: „Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich war noch nie in Australien.“ Irgendwie hat sich offenbar das Gerücht in Deutschland verbreitet, dass ich in Australien lebe. Ich habe keine Ahnung, wieso. Die Leute hören nicht auf zu fragen, wie denn das Wetter in Australien ist. Bitte gebt das weiter: Ich bin kein Australier!

Literatopia: Brauchst du eine spezielle Atmosphäre, um Schreiben zu können? Bevorzugst du z.B. eine bestimmte Tageszeit oder brauchst du absolute Ruhe?

Stan Nicholls: Ich hör mir Musik an oder sogar Radiodiskussionen, während ich arbeite. Manchmal brauche ich Ruhe, wenn ich gerade an etwas besonders Kompliziertem schreibe, aber allgemein brauche ich irgendeine Art von Geräuschhintergrund. Der lässt alles irgendwie leichter fließen. Und natürlich kann Musik auch dabei helfen, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Wenn es mit dem Schreiben gerade gut geht, oder manchmal auch, wenn es gar nicht gut geht, arbeite ich Tag und Nacht. Wenn man das Schreiben zum Beruf macht, muss man diszipliniert an die Arbeit herangehen. Es ist ganz sicher nicht so, dass man dasitzt und auf Inspiration wartet oder so ähnlich. Zum Glück habe ich ein paar Jahre als freischaffender Journalist gearbeitet, da lernt man, Sachen zügig zu Ende zu bringen.

Literatopia: Hast du Kontakt zu deinen Übersetzern? Hast du schon jemals Jürgen Langowski oder Christian Jentzsch getroffen?

Stan Nicholls: Jürgen ist mittlerweile ein guter Freund geworden, er hat mich und meine Frau zu verschiedenen Anlässen auch schon ein paar Mal besucht. Wir stehen oft in Kontakt, vor allem, wenn er gerade dabei ist, eines meiner Bücher zu übersetzen. Christian Jentzsch habe ich noch nie getroffen und auch nie mit ihm gesprochen. Tatsächlich hat er die Übersetzung von Die Orks fertig gestellt, bevor ich überhaupt wusste, dass man ihn dafür ausgesucht hatte. Ich versuche, eine Beziehung zu allen meinen Übersetzern zu haben. Ich zähle meine französischen und holländischen Übersetzerinnen, Isabelle Troin und Lia Belt ebenfalls zu meinen Freunden. Es ist gut, mit seinen Übersetzern in Kontakt zu sein.  Dadurch wird die Übersetzung besser. Wenn sie Fragen zum Text haben, können sie mir einfach ein Email schicken oder mich anrufen, anstatt raten zu müssen.

Literatopia: Wann hast du mit dem Schrieben angefangen? Gab es einen bestimmten Moment, wo du dir gedacht hast „Ich will einen Roman schreiben“ oder schreibst du schon, seit du ein Kind bist? Wie hast du angefangen; mit Gedichten, oder Kurzgeschichten?

Stan Nicholls: Ich wollte Autor sein, seit ich denken kann. Was vielleicht ein bisschen seltsam ist, wenn man sich ansieht, wie ich aufgewachsen bin. Ich bin in eine sehr arme Familie geboren und bin in einem Slum von London aufgewachsen. In unserem Haus gab es praktisch keine Bücher und kaum jemand meiner Verwandten interessierte sich sehr für das Lesen. Ich hatte nur mäßige Bildung. Und trotzdem hatte ich immer irgendwie den Drang, zu Schreiben und Geschichten zu erzählen. Das, was ich heute scherzhaft meinen ersten Roman nenne, habe mit neun oder zehn Jahren geschrieben. Ich schrieb in ein liniertes Notizbuch mit verschiedenfarbigen Stiften. Ich wusste, dass Bücher etwas hatten, das man Kapitel nannte, aber ich wusste nicht, wie lang so ein Kapitel sein sollte. Also habe ich aus jeder Seite ein Kapitel gemacht. Es war eine Geschichte über einen Haufen Kinder, die fliegende Untertassen sehen und eine Alieninvasion aufhalten. Auch damals habe ich also einen starken Hang zum Phantastischen gehabt. Woher das gekommen ist, weiß ich ebenfalls nicht.

Als Jugendlicher habe ich Fanzeitschriften veröffentlicht, die sich mit Science Fiction, Fantasy und Horrorfilmen befassten. Das erste Mal bezahlt wurde ich für journalistische Texte: Kritiken und Artikel, hauptsächlich für Filmzeitschriften. Ich war einige Jahre lang Buchhändler und habe spezielle Science Fiction und Comicbuchgeschäfte in London geleitet, bevor ich hauptberuflich Journalist wurde. Schlussendlich, nach all den üblichen Problemen und Widrigkeiten, habe ich mich als Autor versucht.

Literatopia: Gibt es rückblickend eine Figur in deinen Büchern, die du jetzt nicht mehr leiden kannst? Oder hat es jemals Figuren gegeben, die sich schlicht geweigert haben, sich in die für sie vorgesehene Richtung zu entwickeln?

Stan Nicholls: Ich kann ehrlich sagen, dass mir keine einzige Figur einfällt, die ich jetzt nicht mehr mag. Nicht einmal von den bösartigen. Die haben alle ein Stück von mir selbst in sich und man arbeitet so hart an ihnen, also denke ich, es ist natürlich, dass man für sie immer eine Art von Zuneigung behält.

Wenn Figuren immer still alles mit sich machen ließen, was man für sie geplant hat, wäre irgendetwas ganz entsetzlich falsch. Meiner Erfahrung nach ist das Klischee von Figuren, die ein Eigenleben entwickeln, wahr. Die sind oft sehr stur, wenn es um Dinge geht, die man sie tun lassen will, oder um Dialoge, die man ihnen in den Mund legen möchte. Und sie haben meistens Recht. Man muss flexibel bleiben, wenn man schreibt, und neue Ideen auf sich zukommen lassen. Ein Teil des Schreibens ist eine Art von Mutationsprozess. Eine Erzählung muss lebendig und nicht einfach nur das Nacherzählen eines fixen Entwurfes sein. Ich meine, ich weiß, wohin sich meine Geschichten bewegen sollen und ich weiß, welche Elemente mit hinein müssen, aber ich versuche immer, für Abänderungen offen zu bleiben, die sich unter der Arbeit ergeben.

Literatopia: Kannst du uns etwas über Nightshade Chronicles erzählen?

Stan Nicholls: Nightshade Chronicles ist eine Fantasytrilogie – The Book of Shadows, Shadow of the Sorcerer und A Gathering of Shadows – die ich vor etwa fünfzehn Jahren für den Jugendbuchmarkt geschrieben habe. Es gehört zu Sword & Sorcery und handelt von der Jagd nach einem Buch mit außergewöhnlich mächtigen Zaubersprüchen. Mein Held ist ein einarmiger Schwertkämpfer – er hat seinen Schwertarm im Kampf gegen den bösen Zauberer verloren. Es ist komisch, dass ihr gerade jetzt nach dieser Trilogie fragt, ich bin nämlich gerade am Überlegen, ob ich sie nicht in eine Reihe für Erwachsene umschreiben soll. Tatsächlich wurde in Frankreich vor ein paar Jahren eine eher für Erwachsene ausgelegte Version der Bücher veröffentlicht, und wie es so kommt, ist dort gerade letzte Woche eine Edition herausgegeben worden, die alle drei Bände in einem Buch zusammenfasst. Ich denke, es wäre nett, Nightshade Chronicles einem breiterem Publikum zuzuführen, natürlich auch meinen deutschen Lesern.

Literatopia: Wirst du in Zukunft weiterhin Fantasy schreiben? Oder kannst du dir vorstellen, auch einmal Thriller oder Science Fiction zu schreiben?

Stan Nicholls: Ich werde wohl immer bei Fantasy bleiben. Aber es gibt eine Menge Definitionen für Fantasy – es ist ein breites Feld, wie man so sagt – also wird nicht alles, was ich noch schreiben werde, wie Orks werden. Science Fiction war meine erste Liebe und ich habe immer noch eine leidenschaftliche Affäre damit. Ich habe bisher einen Science Fiction-Roman geschrieben, ein Jugendbuch mit dem Titel Strange Invaders, und einige Kurzgeschichten. Aber so sehr ich auch Science Fiction bevorzuge, Fantasy fällt mir aus irgendeinem Grund einfach leichter. Als Leser bin ich ganz für Science Fiction, aber als Autor für Fantasy. Ich würde sehr gerne mehr Science Fiction schreiben, aber ich fürchte, ich bin einfach besser auf Fantasy eingestellt. Ich habe schon ein, zwei Ideen für Thriller gehabt, aber bisher war die größte Annäherung an dieses Genre ein Krimi mit dem Titel Fade To Black – wieder ein Jugendbuch – und eine Handvoll Kurzgeschichten. Praktisch gesehen ist es nicht immer ein kluger Schachzug, das Genre zu wechseln. Wenn man bei den Leuten mit einem gewissen Genre bekannt ist, kann man sie durcheinander bringen, wenn man plötzlich mit einem Western oder einer Romanze herauskommt – ich habe aber nicht vor, Western oder Romanzen zu schreiben; das wird euch wohl erleichtern.

Literatopia: Kannst du dir vorstellen, Die Orks in näherer Zukunft verfilmt zu sehen? Ist vielleicht sogar schon etwas dahingehend geplant?

Stan Nicholls: Eines der großen Hollywoodstudios ist momentan mit meinem Agenten im Gespräch und ein anderes, europäisches Studio hat auch schon Interesse angemeldet. Aber das beschäftigt mich nicht sehr. Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas im Raum steht. Es sind schon viele meiner Bücher von Filmstudios in Betracht gezogen und dann wieder fallen gelassen worden. Das passiert Schriftstellern viel öfter, als ihr denkt, und meistens kommt nichts dabei heraus. Also ja, ein Film wäre nett, aber ich baue nicht darauf.

Ein Projekt, das ich endlich realisiert habe, ist ein Orks-Comicroman. Ich bin kürzlich mit der Geschichte dafür fertig geworden und das Buch wird von First Second Books in Amerika veröffentlicht. Es ist eine ganz neue Geschichte, keine Abwandlung der Orks-Romane. Der Arbeitstitel ist Fit For Purpose und die Geschichte spielt noch vor der ersten Trilogie. Stryke und die Vielfraße kommen darin vor, und auch einige der Figuren aus Die Orks, aber der Rest ist anders. Gut, ein Comicroman ist kein Film, kommt ihm aber schon recht nahe, oder?

Literatopia: Vielen Dank für das Interview!


Dieses Interview wurde von Judith Gor im Auftrag Literatopias durchgeführt. Alle Rechte vorbehalten.