Virtuelles Licht (William Gibson)

Heyne Verlag (2002)
Taschenbuch, 367 Seiten
ISBN: 978-3453863275

Genre: Cyberpunk


Rezension

Berry Rydell war Polizist in Knoxville – bis er einen durchgeknallten Familienvater erschoss. Zufällig wird er Darsteller in Cops in Schwierigkeiten, einer Fernsehreportage, die er als Kind mit seinem Vater zusammen gesehen hatte und die der Grund für seine Berufswahl war. Er wird aus seinem Prozess herausgepaukt und durchlebt eine kurze Berühmheit, doch schließlich wird er aus der Serie geschmissen und landet bei einer Sicherheitsfirma namens IntenSecure. Natürlich bleibt er auch dort nicht lange und so verschlägt es ihn nach San Franciso, der Heimat von Chevette Washington. Sie arbeitet als Fahrradkurier und lebt auf der Oakland Bridge, die inzwischen von zusammengebastelten Hütten überwuchert wird – hier leben diejenigen, die im Leben nicht so viel Glück hatten. Die Bevölkerung hat sich von der Stadt abgekapselt und lebt in Anarchie – dennoch werden Werte wie Gemeinschaft hier hochgehalten.

Rydell und Chevette sowie die anderen Charaktere in Virtuelles Licht sind so unvollkommen wie die Welt, durch die sie sich kämpfen. Die Atmosphäre ist weitgehend düster und hart, die Dialoge sind trocken und sorgen für den einen oder anderen Lacher.

Es ist erstaunlich, wie Gibson es schafft, Thriller und Science-Fiction oder besser gesagt Cyberpunk in Einklang zu bringen. Die Geschichte liest sich durchweg spannend, es gibt so gut wie keine Längen, bei denen der Leser mal durchatmen könnte – und nicht nur wegen dem enormen Tempo, das der Autor vorlegt, kann man dieses Buch schwer aus der Hand legen. Gibson schreibt dermaßen dicht und fesselnd, dass man sich zwischen den genialen Formulierungen schier verliert – zudem sind die Charaktere mit all ihren Schwächen so sympathisch, dass man schwer damit warten kann, zu wissen, was mit ihnen geschieht.

Im Gegensatz zur Neuromancer-Trilogie ist der Auftakt zur Bridge Trilogie weniger abgedreht, sondern klarer und gleichzeitig kompromissloser. Zeitlich befinden wir uns vor der Welt der Neuromancer-Romane, im frühen 21. Jahrundert. Der Cyberspace steht noch am Anfang und manches scheint eher Gegenwart als Science-Fiction.

Im Hintergrund der Geschichte blitzen immer wieder große Zusammenhänge durch, die sich dem Leser jedoch nur unvollständig erschließen. Gibson konzentriert sich auf die Geschichten seiner Charaktere – Geschichten ganz normaler Menschen, die mit globalen Ereignissen nur wenig zu tun haben. Sie sind lediglich Figuren, die an vielen Eckpunkten die beunruhigenden Hintergründe berühren.

Mit unfassbarer Liebe zum Detail führt Gibson den Leser durch eine Zukunft, in der die Kluft zwischen arm und reich unüberwindbar geworden scheint und die technische Entwicklung die Menschheit überrennt. Das Lesegefühl pendelt dabei zwischen Faszination und Abscheu, wirkt doch Gibsons Vision erschreckend nah. Auch wenn der Roman inzwischen fünfzehn Jahre alt ist und manches wie eine veraltete Vorstellung daher kommt, gibt es viel Aktuelles zu entdecken. Gibson zeichnet hier Entwicklungen, die wir teilweise in unserer Gegenwart beobachten können. Auch heute noch wirkt der Roman wie eine Mahnung und selbst wenn niemand genau sagen kann, wie die Zukunft aussieht: Bei Virtuelles Licht hat man das Gefühl, schon mitten drin zu sein.


Fazit

Eines der wenigen Bücher, die ich mehrmals gelesen habe. Auch wenn einiges im Unklaren bleibt, war ich am Ende des Romans sehr zufrieden und habe mich natürlich sofort auf Idoru gestürzt. Dort wird die Hintergrundgeschichte von Virtuelles Licht weitergeführt, jedoch mit anderen Charakteren – im dritten Teil der Trilogie (All Tomorrow’s Parties, in Deutschland: Futurematic) trifft man schließlich wieder auf alte Bekannte. Doch dazu ein andern mal mehr!

An dieser Stelle sei jedoch gesagt, dass Gibsons Stil gewöhnungsbedürftig ist und wer Cyberpunk nicht mag, wird auch an diesem Roman keine Freude finden. Für Fans der Dystopie und geneigte Leser, die sich mit dem Genre vertraut machen wollen, ist der Roman wärmstens zu empfehlen – als Einstieg ist er sogar weitaus besser geeignet als Neuromancer. Achja: Wer gut mit Englisch klarkommt, sollte zur englischen Version greifen, da dort Gibsons Stil noch viel besser zur Geltung kommt!


Pro und Contra

+ beeindruckend düstere Zukunftsvision
+ sympathische Charaktere mit einer Menge Ecken und Kanten
+ viel Liebe für düstere Details
+ durchweg spannend
+ für Genreneulinge geeignet

- stellenweise unübersichtlich

Wertung

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5

Anmerkung: Preis / Leistung wird hier nicht berücksichtig, da der Roman im Moment vergriffen ist. Wann eine Neuauflage erscheint, wissen wir noch nicht. Das Buch kann man jedoch gebraucht oder auch mit Glück als Restposten bekommen!


Rezension zu "Idoru"

Rezension zu "Futurematic"

Rezension zu "Mustererkennung"

Rezension zu "Agency"

Tags: Cyberpunk, William Gibson, Near Future