12. Dezember

Dunkelblau schimmert es dir heute entgegen, tiefdunkelblau, königstintenblau. Eine nahezu weiche Farbe, in die du dich am liebsten einhüllen würdest, so viel Geborgenheit strahlt sie aus. Du fährst mit der Hand über die Schachtel, als könntest du so etwas von dem Schimmer, der Ruhe in dich aufnehmen. Lauschst eine Weile, denn beinah ist dir, als würde sich die Stille um dich verdichten, sich auf deine Schultern legen wie ein Tuch ... Dann öffnest du die Schachtel.

 

12. Schachtel: Momentaufnahmen zweierlei Art 

 

Im Inneren scheint sich ein Sternenhimmel unter deinen Fingern aufzutun, vom selben Blau, übersät mit winzigen Lichtern, manche blasser, manche hell leuchtend. Du befühlst den Untergrund und merkst, dass er ganz samtig ist – anders, als du es erwartet hättest, auch wenn du nicht weißt, womit du gerechnet hast. Angenehm weich. Du musst lächeln, so schön sieht es aus. Und in der Mitte steht ein kleiner Teller, auf dem im Kreis drei Kekse in Kometenform aufgelegt sind, auf zwei Umschlägen: einer flockenweiß, einer laternenlichthell. Du öffnest den ersten und ziehst einen dünnen Papierbogen heraus, in dessen Oberfläche kleine Schneekristalle eingeprägt sind – folgst den dünnen Linien, die sich zu einem Gedicht verspinnen ...

 

Winternacht

Aus endlos dunklem Nichts er fällt,
durch schwarze Wolkendecke bricht,
mit kalter Glut die Nacht erhellt:
es glitzert Schnee im Dämmerlicht.

In Kiefernzweigen er sich verfängt,
um dort zu schimmern in seltener Pracht.
Weiche Haut wird mit Kälte getränkt
und Atem gefriert in eisiger Nacht.

Wie blasse Sterne in zeitlosem Raum.
Taumelnd sein Gang, beharrlich der Wille,
geleitet die Welt in Winterschlafs Traum,
und sanft wie sein Fall: die Stille.
  

 

 

Aus dem zweiten Umschlag fällt dir ein kleiner Regenschirm entgegen, wie ihn manche Leute zum Schutz vor Schnee verwenden, dazu ein paar Streukiesel. Rund um den Bogen Papier zieht sich ein leicht geschwungener Rahmen von der Farbe nassen Asphaltes, durchsetzt mit Lichtreflexen, Spiegelungen. Darin eine leicht flüchtige Schrift, ein wenig nach rechts geneigt, die sich in schnellen Strichen zu einem kurzen Text fügt ...

 

Erinnerung an letztes Jahr

Durch die stille Josefstadt an einem späten Weihnachtsabend. Kleine Steinchen unter den Schuhen, Atemwolken vor dem Gesicht, die Hände in den Taschen und wir sprechen nur ganz leise. Christbäume überall durch die Fenster, und manchmal noch Gesang; die Straßen sind wie ausgestorben, es fährt nichts, geht nichts. Zur leeren Mariahilferstraße: Alles ruht ganz ohne Menschenmassen, ohne Hektik und Kaufsucht; nur die dunklen, breiten Wege. Eine Weihnachtsfriedenstimmung. Die Schaufenster noch immer hell erleuchtet und die Kälte kommt nur langsam durch die Wärme der vielen Weihnachtslichter. Ganz eingehüllt in unsere Erinnerungen und Gedanken an den Abend, ganz gefangen in den schönen Bildern.

Und dann sitzt dort fast versteckt, zusammengekauert und still, ohne aufzusehen, als wir kommen, regungslos in der eisigen Nacht ein alter Mann in dreckigen Fetzen, in zerfledderten Sandalen und schaut ins Nichts und hört wie wir das leise Singen, sieht wie wir die bunten Lichter, die hohen Tannenbäume in den Fenstern.

Ob ihm die Spende, die wir bestürzt gaben, die Kälte vertrieben hat?

 

 

 


   Das Schneegedicht und das zweite Bild wurden von Ichigo aus unserem Forum eingesandt.

Das erste Bild und der Erinnerungstext stammen von lu, Mitglied des Moderations- und Redaktionsteams, ebenso wie die Anregung für die Schachtelgestaltung.

Herzlichen Dank den beiden!