13. Dezember

 

Grün und weiß und rot überziehen diagonale Streifen die heutige Schachtel und du fühlst dich sofort an die Zuckerstangen erinnert, die du irgendwann einmal auf einem Weihnachtsmarkt gesehen hast, und das Papier glänzt genauso wie eine Zuckerstangenoberfläche. Als du sie antupfst, erwartest du beinahe, mit dem Finger kleben zu bleiben. Natürlich passiert das nicht, und es ist wohl auch besser so – wer will schon einen klebrigen Adventkalender haben? Aber ein bisschen kühl fühlt sie sich an, und ein bisschen hart, ein bisschen glatt. Neugierig hebst du den Deckel.  

 

13. Schachtel: Zuckerstangenhaken  

 

Innen ist die Schachtel ganz dunkelgrün ausgekleidet, und mittendrin liegt seltsamerweise ein falscher Bart, wie ihn Weihnachtsmänner in Kaufhäusern tragen. Weiß und künstlich gelockt fühlt er sich an wie Plastik. Du bist irgendwie enttäuscht, denn er gefällt dir nicht, genauso wenig wie dir die gefallen, die ihn normalerweise tragen und dabei Werbezettel verteilen. Am liebsten würdest du ihn einfach drin liegenlassen, aber du weißt ja: So simpel speist dich keine Schachtel ab. Und deswegen hebst du ihn hoch. Darunter wartet ein Teller auf dich, mit einer Serviette zugedeckt, unter der sich zwei Zimtsterne und ein Vanillekipferl verstecken – und ein maschinenbeschriebener Papierbogen, der irgendwie geschäftlich wirkt. Du überfliegst die ersten Sätze und liest dann weiter, gespannt auf den Fortgang der Geschichte ...

 

 

 

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 Verhandlungssache


Boris liebte die Weihnachtszeit auf seine ganz eigene Weise. Er freute sich nicht auf den Geruch frischer Plätzchen oder auf das Gläschen Eierlikör bei wärmendem Kaminfeuer, umringt von seinen Liebsten. Nein, für ihn hielt diese Jahreszeit ganz eigene Genüsse bereit, die nur wenige mit ihm teilten.
„Ich hab keine Lust mehr“, nörgelte seine kleine Tochter neben ihm. Noch ganz in Gedanken versunken realisierte er ihre Worte erst einen Moment später, was dazu führte, dass sie schon grob an seinem Arm zog, um die geforderte Aufmerksamkeit endlich zu erhalten.
Boris rollte entnervt mit den Augen, hielt sich aber damit zurück, seine Tochter zu maßregeln, jedenfalls vorerst.
„Wir sind bald da“, versprach er sanft.
„Wann ist bald?“, fragte sie weiter, mit ihrer quietschenden, bis in sein Innerstes vordringenden Stimme, derer sie sich immer bediente, wenn sie nicht augenblicklich ihren Willen bekam.
„Schon gut, Jenny“, fuhr er sie ein wenig zu grob an, aber er ertrug es nicht, wenn sie sich so benahm.
Als er sich ein wenig besser in der Gewalt hatte, versprach er: „Es kann nur noch ein paar Minuten dauern.“
Sie gingen weiter, stapften durch den Schnee und Boris hegte wirklich die Hoffnung, dass Jenny sich nun besser benehmen würde. Er wusste selbst, dass er nicht sonderlich gut mit Kindern konnte, besonders, wenn es um sein eigenes ging, doch seine Frau war noch eine Stufe aufbrausender als er selbst. Sie wären wahrscheinlich das ideale Versuchsobjekt für die Supernanny, ein Langzeitprojekt, zeitlich unbegrenzt: Die Alte würde sich um das Balg kümmern und alle wären glücklich.
Boris seufzte schwer, was das kleine Energiebündel an seiner Hand wohl als Zeichen verstand, dass es nun wieder toben durfte, doch er hielt es unwirsch zurück.
„Nicht jetzt, Jenny“, setzte er scharf hinzu.
Beleidigt reckte sie die Unterlippe nach vorne, so weit, das sicher ein halbes Dutzend Fliegen darauf Platz gefunden hätte, doch Boris ignoriert ihr Verhalten und trieb sie weiter.
„Wie weit denn noch?“, quengelte die Kleine wieder.
Verärgert drehte er seinen Kopf und funkelte sie an.
„Bald“, zischte er, um seine Beherrschung ringend. Ihm lagen so viele Wörter auf der Zunge, welche hinausgeschrieen werden wollten, so viele Schläge in der Hand, die sich danach sehnten, ausgeteilt zu werden, doch er kämpfte alles zurück und lächelte stattdessen nur verkniffen.
„Gedulde dich noch ein bisschen“, flüsterte er sanft, „oder soll Papi dich tragen?“
Fragende Blicke, die ihm begegneten. Ein Kopfschütteln, Achselzucken. Sie gingen weiter.
Der Treffpunkt war nicht derselbe wie im letzten Jahr, ansonsten würde hoffentlich aber wieder alles glatt laufen. Er würde die letzte Rate für seinen Sportwagen abbezahlen können und seine Frau würde den Schmuck bekommen, welchen sie bei jedem Einkaufsbummel hypnotisiert anstarrte.
Aber das war alles nichts gegen das größte Geschenk dieses Weihnachtsfestes, nämlich …
Sein Gedanke brach ab, als er den Kontaktmann wiedererkannte. Der nickte ihm nur zu und verschwand dann in einer Seitengasse.
Als er ihm folgen wollte, zerrte Jenny an seinem Arm.
„Was ist denn?“, fauchte er scharf.
Jenny hörte auf, sich zu wehren, und folgte ihrem Vater in den kleinen Hinterhof.
Ein spöttischer Weihnachtsmannverschnitt und noch ein paar weitere zwielichtig wirkende Typen warteten dort auf sie. Mit einem falschen Lächeln unter dem weißen Kunstbart kam er auf die beiden zu. „Unsere Kleine hat wohl Gefallen an unserem letzten Abenteuer gefunden“, stellte er zuckersüß fest.  „Also einmal Weihnachtstraum.“ Er reichte Boris einen Scheck über zweitausend Euro und griff nach Jennys Hand.
„Du kommst mit mir.“
„Papi?“ Sie drehte sie sich zu ihrem Vater um.
„Was denn, Kleines?“, fragte er abwesend, während er zufrieden die Zahlen auf dem Papier registrierte.
„Holst du mich dann wie letztes Jahr wieder ab?“
Boris schaute sie gedankenverloren an.
„Natürlich“, sagte er, doch im Grunde war es ihm egal. Er hätte sie gerne noch länger ausgeliehen und das Beste war, dass es ihr sogar Spaß machte – sie hielt es für ihr Weihnachtsgeschenk, die kleine Elfe spielen zu dürfen. Boris wusste nur zu gut, wie illegal Kinderarbeit in Deutschland war. Aber andererseits – wenn er an die Verhältnisse in Afrika dachte, würden seine Tochter die zwei Wochen nicht umbringen, in denen sie auf irgendwelchen Ausstellungen in Weihnachtselfenkleidern herumlief. Außerdem, rief er sich wieder ins Gedächtnis, gefiel es ihr ja sogar. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie er fand.

Boris warf Jenny einen kurzen Blick nach, als sie winkend dem Mann folgte, und küsste überglücklich seinen Scheck. Wie gut, das Santa Claus an Weihnachten seine kleinen Elfen brauchte ... Nur schade, das er nun wieder ein Jahr warten musste. Aber vielleicht würde der Geldbetrag nächstes Mal noch saftiger ausfallen.

 

 


 

Diese Geschichte wurde  von unserem User Mindfreak86 für den Adventkalender eingesandt.

 

Das Foto der zwielichtigen Schneemänner stammt vom anonymen Bildspender Thantalas.

 

Die Schachtelgestaltungsidee ist erneut lu zu verdanken.

 

Herzlichen Dank den beiden!