Engel spucken nicht (Simon Halo)

KINGonly (3. Auflage, Mai 2010)
Taschenbuch, 427 Seiten, 12,90 EUR
ISBN: 978-3000274800

Genre: Science-Fiction / Horror


Klappentext

Anja erwacht als Einzige ihrer Elitetruppe in den Weiten des Alls aus ihrem Tiefschlaf. Auf der Suche nach Antworten tastet sie sich langsam durch das riesige Schiff. Erst nachdem die von ihr unbewusst eingeleitete Befehlssequenz die gewaltige Vernichtungsmaschinerie des Schiffes unwiderruflich in Gang gesetzt hat, erkennt sie das todbringende Ziel der Mission. Zweifel beginnen sich zu formen. Zweifel, die die in ihrem Gehirn implantierten Befehlsketten nie hätten aufkommen lassen dürfen, wäre deren Verfallsdatum nicht schon lange überschritten worden.


Rezension

In „Engel spucken nicht“ begleitet der Leser vier Protagonisten auf ihrer Reise in eine ungewisse Zukunft. Auch Anja befindet sich in Stasis, wusste zu Beginn ihrer Reise nicht, ob sie einen bewohnbaren Planeten finden würden, ob sie und ihre Kameraden sich wiedersehen. Nun wacht sie als einzige auf – die anderen sind tot. Mühsam versucht sie, ihren Geist unter Kontrolle zu bringen, ruhig zu bleiben und herauszufinden, was passiert ist. Auch Thomas und sein Bruder Manfred werden unabhängig voneinander mit seltsamen Ereignissen konfrontiert. Beide treffen sie auf ein außerirdisches Wesen, halb Mensch, halb Pferd, welches ihnen nicht friedlich gesinnt zu sein scheint. Anjas Schwester Rebecca erlebt man währenddessen auf der Erde, als sie ihren Hightech-Kuschelbären EMO geschenkt bekommt. Dieses intelligente Spielzeug findet im Laufe der Geschichte den Weg zu allen Protagonisten. Zudem gelangt EMO in die Hände eines kleinen Mädchens, deren Augen sich aus ihren Höhlen bewegen und ihre Arme sich wie Kaugummi langstrecken können …

Simon Halos Roman bewegt sich anfangs zwischen Science-Fiction und Horror. Da gibt es das Schiff, das Menschen im Tiefschlaf und wertvolle Kulturgüter transportiert und da erscheinen diese seltsamen Wesen. Die Atmosphäre auf dem Schiff ist düster – mit den Protagonisten tappt man ins Ungewisse und die ersten Seiten fühlen sich wie ein Alptraum an. Pro Kapitel widmet sich der Autor zwei Personen, erzählt abwechselnd von ihren Erlebnissen, wobei er die auktoriale Erzählweise bevorzugt. Allerdings nutzt er die Möglichkeit, Informationen zu vermitteln, die die Charaktere (noch) nicht kennen, kaum aus. Stattdessen werden oftmals beinahe mikroskopische Geschehnisse beschrieben, wie das Ächzen eines Tisches, auf dem sich eine Person abstützt. Dadurch entsteht ein seltsam zäher, zeitlich verformter Lesefluss. Alles scheint in Zeitlupe abzulaufen, dann plötzlich rasen die Seiten dahin oder lesen sich auch einfach wieder ganz normal. Noch dazu weiß man bis weit in die zweite Hälfte des Romans nicht wirklich, ob alles zur gleichen Zeit geschieht oder ob ein Handlungsstrang Gegenwart, der andere Vergangenheit ist. Das macht den Roman zwar stellenweise schwierig und anstrengend, aber auch sehr interessant. Man ist einfach unheimlich gespannt, wie sich die Geschichte auflösen wird.

Als schließlich die Außerirdischen in ihrer echten Form in Erscheinung treten, ist man endgültig zwischen Faszination und Unbehagen zerrissen. Simon Halo verzichtet auf die beliebten humanoiden Darstellungen, die der Identifikation mit den fremden Wesen dienen. Sie sind in ihrem Körperaufbau, sofern man davon sprechen kann, gänzlich verschieden von uns. Ihre Lebensweise erscheint parasitär oder symbiotisch, gänzlich aufgeklärt wird das nicht. Man tendiert irgendwann aber doch eher zu letzterer Variante. Die Darstellung dieser Wesen ist dem Autor jedenfalls wunderbar gelungen, denn sie erzeugt genau die Gefühle, die man bei der Konfrontation mit außerirdischem Leben wohl verspürt: Neugier, Faszination, aber vor allem auch Befremdung, Angst. Die menschlichen Protagonisten sind dabei insgesamt sehr verschieden. Anja ist extrem selbst- und pflichtbewusst, Thomas der dicke Computerfreak, Manfred und Rebecca eher ruhig, auch etwas unsicher. Durch kursive Einschübe mit persönlichen Erinnerungen werden die vier Personen dem Leser zudem näher gebracht – unbedingt notwendig sind sie nicht, vertiefen aber das Verständnis für die Handlungen der Charaktere. Insbesondere Anjas Entwicklung ist entscheidend, denn wie im Klappentext angedeutet, wird sie sich gegen ihre Bestimmung wenden. Der positive Gesamteindruck wird allerdings etwas von den vielen erotischen Anspielungen im Roman gestört. Man weiß nicht, was der Autor mit den ganzen Andeutungen und Erregungszuständen bezweckt – zur Geschichte passen die meisten dieser Szenen ganz und gar nicht.

Der größte Kritikpunkt liegt beim Storyaufbau beziehungsweise dem Vorenthalten wichtiger Informationen. Am Ende bleiben sehr viele Fragen offen. Natürlich muss auf der letzten Seite eines Romans nicht alles aufgeklärt sein, aber im Verlauf der Geschichte fehlen einfach die Grundsteine für ein umfassendes Verständnis. Zudem wirken die letzten Seiten etwas, als habe der Autor sich in seinen vielen Ideen verhaspelt. Es bleiben nur die eigenen Gedanken, die rückblickend den Roman regelrecht erforschen müssen. So ist „Engel spucken nicht“ keine Unterhaltungslektüre für zwischendurch. Man muss wach mitlesen, jede kleine Information aufnehmen, um am Ende noch den Überblick zu behalten. Was nach den düsteren, diffusen Anfangsszenen geschieht, ist Phantastik in ihrer ganzen Bandbreite. Wie erwähnt, spielt Horror eine große Rolle, auch Fantasyelemente meint man (zunächst) zu erkennen und schließlich kommen mythologische Akzente hinzu. Man kann mit dem Aufbau der Geschichte hadern, doch man muss zugeben, dass Simon Halo ein ungewöhnlicher, eigensinniger Science-Fiction-Roman gelungen ist. Hier und da gibt es in die Länge gezogene Passagen, über die man hinwegsehen kann in Anbetracht der Ideenvielfalt.

Der Roman wurde im Selbstverlag veröffentlich, im Mai 2010 ist die dritte Auflage erschienen. Die Covergrafik passt sehr gut zum Roman und sieht schlichtweg toll aus. Das Taschenbuch macht insgesamt einen stabilen Eindruck – nur lassen sich die Seiten etwas schwer umblättern, es ist sehr fest gebunden, das Papier recht dick. Dadurch bilden sich leider auch schnell Knicke im Buchrücken. Also entweder vorsichtig lesen oder mit kleinen Schönheitsfehlern nach der Lektüre leben. Warum der Roman nun „Engel spucken nicht“ heißt, lässt sich fast nur durch den gewünschten Effekt erklären: So ein Titel ist natürlich ungewöhnlich und dadurch interessant. Eine Stelle im Roman gibt auch Aufschluss über die Titelwahl, wirklich wichtig ist die Szene allerdings nicht.


Fazit

Simon Halo ist mit „Engel spucken nicht“ ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Roman gelungen, der mit der Einarbeitung verschiedener phantastischer Elemente besticht. Über kleine Schwächen kann man im Anbetracht der überaus faszinierenden Darstellung außerirdischen Lebens leicht hinwegsehen, wobei man sich auf den interessanten, aber auch etwas schwierigen Stil einlassen muss.


Pro & Contra

+ faszinierende Darstellung der Außerirdischen
+ authentische Charaktere
+ alptraumartige Atmosphäre
+ ungewöhnlicher Erzählstil
+ Ideenvielfalt

o erzwingt volle Aufmerksamkeit

- zu viele offene Fragen am Ende
- unpassende erotische Anspielungen

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5