Nicolaus Equiamicus (15.12.2008)

Interview mit Nicolaus Equiamicus

 

Literatopia: Hallo Nicolaus! Erzähl unseren Lesern erst einmal etwas über Dich – wer bist Du, was schreibst Du? Dein Pseudonym klingt nach Latein und passt gut zu den Themen, die Du in Deinen Büchern behandelst. Wie bist Du zu ihm gekommen?

 

Nicolaus Equiamicus: Hallo Judith!

Ich bin 1974 geboren, Familienvater und beschäftige mich in meinen Büchern und Texten mit kulturgeschichtlichen Themen der „dunklen“ Art: Hexen, Vampire, Werwölfe, Geister und Dämonen bzw. mit dem Glauben der Menschen an diese Gestalten.

Die Frage nach dem Pseudonym wird mir immer zuerst gestellt (lach). Schön, dass der Name Interesse weckt! Diese Absicht hatte ich auch bei der Wahl des ungewöhnlichen  Pseudonyms, das im Übrigen mein ins Lateinische gesetzter Realname ist.

 

Literatopia: Im April 2009 erscheint Dein neues Buch „Daemonolatria oder Teufelsdienst“. Wie bist Du auf Nicolas Rémy aufmerksam geworden?

 

Nicolaus Equiamicus: Ich habe mir aus Interesse an der Hexenverfolgung alle verfügbaren Hexentraktate besorgt, darunter eben auch die „Daemonolatria“. Es gibt viele dieser alten Abhandlungen, doch nur wenige wirklich aufschlussreiche. Von der Daemonolatria bin ich fasziniert, weil Rémy in diesem Werk nicht nur trockene Theorien von sich gibt, sondern als Hexenrichter quasi „aus dem Nähkästchen“ plaudert. Er schildert dort persönliche Erfahrungen, die ihn, wie er schreibt, von der Existenz des Übersinnlichen erst überzeugt hätten, er schreibt von belastenden Aussagen der Angeklagten, die in seiner Gegenwart gemacht wurden und zeigt anhand von unzähligen Zitaten antiker Schreiber auf, dass der Glaube an Hexen seinerzeit kein neues Phänomen war.

 

Literatopia: Wie schwierig ist es, einen alten Text neu aufzuarbeiten? Und wie genau sieht die Arbeit mit diesen Texten bei Dir aus – änderst Du manches oder lieferst Du eher eine reine, „moderne Übersetzung“?

 

Nicolaus Equiamicus: Technisch gesehen ist es schon schwierig, ein altes Buch überhaupt zu entziffern, zu übersetzen und abzutippen. Aber insgesamt gesehen macht das nur einen kleinen Teil der Arbeit aus. Das Schwierigste und auch Spannendste daran ist, dass man sich in jeden einzelnen Autor hineinfühlen muss. Das einfache „Reprinten“ eines alten Werkes reicht mir nicht aus, da würden zu viele Fragen offen bleiben. Den Text verändern im Sinne von „interpretieren“ oder gar „verfälschen“ – nein, das tue ich natürlich nicht. Ich modernisiere lediglich die Sprache, übersetze die lateinischen Einwürfe und Zitate, recherchiere die Quellen und versehe Stellen, die Erklärungsbedarf haben, mit Anmerkungen. Ich bemühe mich dabei stets, saubere und wissenschaftlich nutzbare Arbeit zu leisten.

 

Literatopia: Warum beschäftigst Du Dich mit alten Texten? Was reizt Dich an Geschichte und den Wahrheiten hinter Hexenverbrennung, Vampiren und Satanskult?

 

Nicolaus Equiamicus: Es gibt zu so ziemlich jedem kulturgeschichtlichen Thema auch moderne Literatur, die ich natürlich auch lese. Doch nicht jeder Sachbuchautor versteht die originalen und oftmals schwierigen Quelltexte, und so kann es zu falschen Annahmen kommen, die dann wiederum vielfach von anderen Autoren ungeprüft übernommen werden. Diese Quelltexte sind Schriften, um die man also gar nicht herumkommt, wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt oder gar darüber schreiben möchte. Zudem sind sie viel spannender und lebendiger zu lesen als neuere Literatur zum Thema, weil man die Informationen aus erster Hand bekommt und somit ganz neue Sichtweisen erhält. Wer einmal Gefallen an den alten Texten und Augenzeugenberichten gefunden hat, wird sich kaum mehr mit Sekundärliteratur allein zufriedengeben wollen.

 

Literatopia: Wie reagieren die Leute auf Dich, wenn Du von Deinen Büchern und Interessen erzählst? Eher mit Faszination oder mit Ablehnung? Oder hält sich beides die Waage?

 

Nicolaus Equiamicus: Das hängt natürlich stark davon ab, mit wem man darüber spricht. Die meisten Menschen lesen ja noch nicht einmal Bücher und erst recht nicht solch tiefgreifende. Sie würden mit Unverständnis auf derlei Vorlieben reagieren. Warum sollte ich sie also mit meinen Büchern irritieren? Daraus resultiert, dass in meiner Umgebung kaum jemand weiß, womit ich mich privat beschäftige. Die wenigen Menschen, denen ich davon erzählt habe, waren aber sämtlich sehr interessiert.

 

Literatopia: Erzähl uns etwas über „Die Geisterwelt“: Das Original soll Luise Bernhardi zugeschrieben werden – wer war sie? Wie bist Du an ihr Werk gekommen?

 

Nicolaus Equiamicus: Leider habe ich zur Person Luise Bernhardis nur spärliche Informationen herausgefunden, und selbst das erst unmittelbar vor dem Drucktermin. Sie wurde 1828 in Berlin als Luise Firlé geboren, wurde Lehrerin und heiratete im Jahre 1864 einen Professor namens Wilhelm Bernhardi. Als Autorin widmete sie sich unter verschiedenen Pseudonymen der Herausgabe von Kinder- und Jugendbüchern. „Die Geisterwelt“ allerdings erschien anonym und ohne Angabe des Druckjahrs. Man kann heute schwer nachvollziehen, ob Frau Bernhardi die tatsächliche und alleinige Verfasserin dieses Werkes war. Womöglich hat sie dieses Werk auch zusammen mit ihrem Mann verfasst. Ich habe lange recherchiert, um mehr Informationen herauszufinden, konnte aber den Hinweis auf ihre Urheberschaft in nur einer Quelle finden.

„Die Geisterwelt“ war lange Zeit ein sehr gesuchtes Buch, ein regelrechter Geheimtipp. Alle Aspekte des im 19. Jahrhundert noch vollständig vorhandenen deutschen Volksglaubens werden darin angesprochen, ausgelegt und vielfach auch in schönen Sagen und Märchen wiedergegeben. Ich  stolperte eines Tages über ein nicht ganz günstiges Angebot aus der Schweiz, wo ein Antiquar eines dieser sehr selten gewordenen Bücher anbot. Als ich es dann erhalten und gelesen hatte, war für mich sofort klar, dass ich diese „Schatzkammer des Wunderglaubens“ wieder einem breiteren Lesepublikum verfügbar machen wollte.

 

Kürzlich hatte ich übrigens das Glück, ein weiteres Exemplar zu ergattern, das ich 2009 im Zuge eines Frühjahrs-Gewinnspiels verlosen möchte. Mehr dazu gibt es ab Januar auf meinem Blog und meiner Homepage. Der Gewinner erhält ein knapp 150 Jahre altes Buch in einer wunderbaren Erhaltung, das von mir mit einer persönlichen Widmung versehen wird.

 

Literatopia: Was reizt Dich persönlich an Sagen und Märchen? War das Interesse schon immer da oder kam irgendwann ein Punkt, an dem Dir diese Leidenschaft bewusst wurde?

 

Nicolaus Equiamicus: Jeder liebt doch Märchen! Das Interesse war bei mir schon immer vorhanden. Zudem interessieren mich aber auch noch der Hintergrund, die Ursachen und die Folgen von solchen Märchen und Sagen.

 

Literatopia: Die Cover Deiner Bücher passen sehr gut zur jeweiligen Thematik und sehen obendrein richtig gut aus – wer gestaltet sie? Hast Du dabei ein Wörtchen mitzureden? Bekommst Du zum Beispiel zwei bis drei Vorlagen gezeigt und kannst Dir eine aussuchen? Oder wird das über Deinen Kopf hinweg entschieden?

 

Nicolaus Equiamicus: Das ist unterschiedlich. Bei zwei meiner Bücher habe ich die Cover aktiv mitgestaltet, bei den anderen wurden mir die Covermotive fertig präsentiert. Einmal habe ich mein Veto ausgesprochen, weil ich das Motiv zu unpassend fand, ansonsten war ich aber immer zufrieden. Die Cover meiner Bücher im Verlag Ubooks stammen übrigens alle von Agnieszka Szuba – einer tollen Künstlerin, wie ich finde!

 

Literatopia: Zu „Von Unholden und Hexen“ steht in der Buchbeschreibung Deines Verlags, dass wir die Sitten und Lebensverhältnisse von damals gern nach heutigen Maßstäben beurteilen – stammt die Beschreibung von dir? Wenn ja, wie kommst Du zu dieser Meinung?

 

Nicolaus Equiamicus: Dieser Satz ist aus meinem Vorwort entnommen worden, ja.

Heutzutage neigen wir dazu, auf die Menschen früherer Zeiten herabzusehen, indem wir davon ausgehen, dass wir uns weiterentwickelt hätten, und die Menschen früher folglich dümmer und rückständiger gewesen sein müssten. Das sehe ich nicht so. Die Ziele und Interessen variieren wohl, manche Bereiche werden heute weiter erforscht und andere fallen der Vergessenheit anheim, aber letztlich bleibt der Mensch sich gleich und die Geschichte wiederholt sich ständig.

 

Literatopia: Bei „Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten“ geht es um Vampirismus. Dabei hast Du Michaels Ranfts Werk neu aufgearbeitet. Worum genau geht es in dem Buch? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion?

 

Nicolaus Equiamicus: Michael Ranft hat im Jahre 1734 das wohl bekannteste Sachbuch zum Thema Vampirismus in deutscher Sprache verfasst. Es enthält unter anderem auch seine beiden lateinischen Abhandlungen aus den Jahren 1725 und 1728 in deutscher Übersetzung. In seinem Buch sucht er nach rationalen Erklärungsmöglichkeiten für das gruselige Phänomen der unverwesten Leichen und der im Grabe schmatzenden Toten. Dabei kommt er mitunter zu sehr scharfsinnigen Schlüssen und bietet einen umfassenden Einblick in die damalige Vampirdebatte, da er in seinem „Traktat“ die wichtigsten damals kursierenden Schriften und Meinungen zum Phänomen Vampirismus wiedergibt und kommentiert. Fiktives in Form von melancholischen Unsterblichen oder blutsaugenden Charmeuren, wie sie aus der zeitgenössischen einschlägigen Romanliteratur bekannt sind, kommt darin aber nicht vor.

 

Literatopia: In Deinen Büchern beschäftigst Du Dich hauptsächlich mit deutscher bzw. europäischer Geschichte – reizen Dich auch Kulte anderer Kontinente? Zum Beispiel afrikanische oder asiatische?

 

Nicolaus Equiamicus: Natürlich interessiere ich mich auch für die Mythologie anderer außereuropäischer Kulturen, aber mein Schwerpunkt liegt hierbei in der europäischen Geschichte.

 

Literatopia: Wie hoch ist der Rechercheaufwand für Deine Bücher? Ist er wesentlich höher als bei Romanen?

 

Nicolaus Equiamicus: Ein solches Buch herauszugeben, verursacht wesentlich mehr Arbeit als z. B. das Schreiben eines Romans. Nachdem das Buch als „Textreprint“ in ein Textprogramm übertragen ist, fängt für mich die Arbeit nämlich erst an: Der Text wird, falls vorhanden, mit anderen Ausgaben verglichen, sprachlich modernisiert, lateinische Textstellen werden übersetzt, Quellen recherchiert, unklare Stellen mit Anmerkungen versehen. Diese Arbeit hat man bei einem Roman natürlich nicht.

 

Literatopia: Du hast  einen eigenen Blog – was findet der geneigte Leser dort? „Nur“ Informationen zu Deinen Büchern oder mehr? Wie oft aktualisierst Du diesen Blog?

 

Nicolaus Equiamicus: In meinem – in unregelmäßigen Abständen aktualisierten – Blog finden sich natürlich Neuigkeiten zu meinen Büchern, aber auch, und das soll in Zukunft der Hauptfaktor werden, Quelltexte und Artikel zu Themen wie Hexenverfolgung und Vampirismus. Die meisten dieser Texte befinden sich derzeit noch auf meiner Homepage, ich werde aber das Projekt „Dunkle Kulturgeschichte“ demnächst von meiner Autorenseite trennen.

 

Literatopia: Was liest Du selbst gerne? Bücher, die thematisch zu Deinen passen oder auch einmal einen Science-Fiction-Roman beispielsweise? Oder einen Thriller?

 

Nicolaus Equiamicus: Ich habe in meiner Jugend zwar ein paar historische Romane und auch Fantasyliteratur gelesen, seither aber kein besonderes Interesse mehr daran. Wenn ich heute Zeit zum Lesen habe, verbinde ich das in der Regel mit der Recherche für meine aktuellen Projekte und lese dazu meistens alte, aber auch moderne wissenschaftliche Texte.

 

Literatopia: Wann hast Du mit dem Schreiben angefangen? Und schreibst Du auch Geschichten, gar ganze Romane? Oder Lyrik?

 

Nicolaus Equiamicus: Geschrieben habe ich schon immer gern, auch Belletristik. Meinen ersten, zum Glück nie veröffentlichten, Roman habe ich mit 17 beendet. Ein weiterer Roman liegt überarbeitungsfähig in der Schublade. Kurzgeschichten habe ich hingegen schon mehrere veröffentlicht, z. B. stammt das „Rotkäppchen“ in Annie Bertram’s Bildband „Wahre Märchen“ von mir und demnächst wird meine bei Literra veröffentlichte Geschichte „Die schwarze Kerze“ in der kleinen, aber feinen Radiosendung „Fantasy Channel“ vorgelesen. Darauf bin ich schon sehr gespannt! Für Lyrik hingegen habe ich leider kein Händchen.

 

Literatopia: Von welchem Jahrhundert bist Du persönlich am meisten angetan? In welcher Zeit lebten die Deiner Meinung nach faszinierendsten Menschen?

 

Nicolaus Equiamicus: Das ist eine schwierige Frage. Jede Epoche der Geschichte hat ihre interessanten Aspekte. Die sogenannte „Romantik“ war z. B. eine sehr fruchtbare Zeit, eine Zeit der Rückbesinnung und der Forschung. Da gäbe es Dutzende Menschen, die ich gerne kennengelernt hätte! Aber auch das 15. und 16. Jahrhundert, das Zeitalter der Renaissance und Reformation hat für mich seinen besonderen Reiz.

 

Literatopia: Was machst Du eigentlich, wenn Du nicht schreibst oder recherchierst?

 

Nicolaus Equiamicus: Zum Entspannen von der Arbeit renoviere ich mein altes Bauernhaus, restauriere Bücher oder stelle Tinten nach historischen Rezepten her.

 

Literatopia: Vielen Dank, Nicolaus!

 


 

Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.