Wawerzinek schreibt sich den Schmerz von der Seele

«Ich habe gedacht, wenn ich mich schreibend verschenke, entfliehe ich dem Teufelskreis der Erinnerung», so beginnt Peter Wawerzinek sein Buch «Rabenliebe».

Berührend schildert der 55-Jährige darin seine Kindheit als Waise in der DDR, nachdem die Mutter ihn bei der Flucht in den Westen zurückgelassen hat.

Für den Roman erhielt der in Berlin lebende Autor kürzlich den Ingeborg-Bachmann-Preis, eine der begehrtesten Auszeichnungen für deutschsprachige Literatur. Auch das Publikum kürte «Rabenliebe» beim Lesewettbewerb in Klagenfurt zum Lieblingsbuch.

«Ich bin mit diesem Thema jahrelang schwanger gegangen», sagte Wawerzinek in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. «Jetzt ist es in der Welt. Das Fenster ist aufgemacht und jeder kann mir ins Zimmer blicken.»

Schonungslos beschreibt der Autor den vierjährigen schwächlichen Jungen, der sich aus Schmerz um die verlorene Mutter in einer düsteren Nebelwelt abkapselt, in Kinderheimen als zurückgeblieben abgestempelt wird und in verschiedenen Adoptivfamilien immer neue Verletzungen erfährt. «Ich bin das ewige Winterkind», sagt er.

Besonders stark ist der Text, wenn Wawerzinek ganz aus der Sicht des Kindes schreibt. Mit einer poetischen, kraftvollen Bildsprache, die immer wieder mit Gedichtzeilen und Kinderreimen durchwirkt ist, macht er das Gefühl des Verlassenseins geradezu körperlich spürbar. Dazwischen eingeschoben sind knappe Nachrichtentexte von Eltern, die ihr Kind verhungern lassen, vom Balkon werfen oder lebend in die Tiefkühltruhe legen - Kindermord an Leib und Seele.

Nicht umsonst hat Wawerzinek in Klagenfurt mit dem furiosen Einstieg in seinen Roman gewonnen. Im Verlauf der mehr als 400 Seiten verliert der Text gelegentlich an Dichte. So wie der Autor fast 50 Jahre braucht, um sich der Begegnung mit der Mutter zu stellen, hat auch das Buch seine Längen und Umwege - und kommt nicht ganz ohne Selbstmitleid aus.

Ganz am Schluss steht Wawerzinek bei der Mutter vor der Tür. Er hat sie in Eberbach am Neckar gefunden. Sie war, kaum zwanzigjährig, dem Vater in den Westen gefolgt und hatte Peter und seine Schwester hilflos in der Wohnung zurückgelassen. Inzwischen gibt es acht Stiefgeschwister. «Ach, das bist du ja», sagt sie achtlos, als der Sohn vor der Türe steht. «Wir sitzen wie Leute in einem Wartesaal, die eine Nummer gezogen haben», schreibt Wawerzinek. «Wir gehen uns nichts an.»

Der Text sei «nicht perfekt und nicht makellos, sondern dem eigenen Lebensstoff im schmerzlichen Prozess abgerungen», sagte die Literaturkritikerin Meike Feßmann bei ihrer Laudatio in Klagenfurt. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schrieb: »Als am letzten Tag Peter Wawerzinek zu seiner dichten und intensiven DDR-Kindheitsgeschichte anhob, hatte man ¬ zum ersten Mal in drei Tagen ¬ das Gefühl, hier habe jemand wirklich etwas zu erzählen.»

Für den in Rostock geborenen Autor, mit bürgerlichem Namen Peter Runkel, war der Roman - wie er sagt - eine Art Befreiungsschlag. Er hatte sich nach seinem Umzug nach Ost-Berlin lange mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, war als Totengräber und Tischler, Performance-Künstler und Stegreif-Poet tätig.

Literarisch fiel er erstmals 1990 mit seinen Parodien zur DDR-Literatur und dem Roman «Nix» auf. «Ich habe mir eisern vorgenommen, dass ich künftig ein bisschen den Clown in mir rauslasse und mich selbst auf dem Weg der Befreiung noch ein bisschen freier fühle», sagt er jetzt.

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Quelle: yahoo.de