Reckless - Steinernes Fleisch (Cornelia Funke)

Dressler (September 2010)
gebunden mit Schutzumschlag
352 Seiten, 19,95 EUR, ab 13 Jahren
ISBN: 978-3-7915-0485-8

Genre: Phantastik / Jugendbuch


Klappentext

Jacob Reckless hat einen Fehler gemacht nach all den Jahren der Vorsicht: Sein Bruder Will ist ihm hinter den Spiegel gefolgt. In eine Welt, in der die dunkelsten Märchen wahr sind und der Fluch einer Fee Steinernes Fleisch sät. Viele Jahre lang hat diese Welt für Jacob Zuflucht und Zuhause bedeutet, und er hat als Schatzjäger für Kaiser und Könige die magischen Dinge gesucht, die sich in ihren Wäldern und Hügeln verbergen. Aber als Wills Haut sich in Jade verwandelt, muss Jacob nur noch eines finden: die Medizin, die seinen Bruder rettet.


Rezension

Jacob und Will Reckless wachsen ohne Vater auf, da dieser eines Tages spurlos verschwunden ist. Alles, was bleibt, ist ein verbotenes Zimmer, das die Mutter immer abschließt. Jacob stiehlt nachts den Schlüssel und sieht sich im Arbeitszimmer seines verschwunden Vaters um. In seiner Hilflosigkeit beginnt er zu randalieren, wobei ihm ein Blatt Papier vor die Füße fällt. Unter für ihn sinnlosen Symbolen und Gleichungen steht ein Satz, der sein Leben verändern wird: „Der Spiegel öffnet sich nur für den, der sich selbst nicht sieht.“ Jacobs Blick schweift unweigerlich zu dem großen, dunklen Spiegel mit den Rosenranken um den silbernen Rahmen. Der zwölfjährige Jacob kommt hinter das Geheimnis des Spiegels und lebt fortan in einer Welt, in der Märchen wahr zu sein scheinen. Seinen Bruder Will sieht er nur noch selten, so viel Zeit verbringt er bald in der Spiegelwelt, in die – so denkt er – sein Vater verschwunden ist. Jacob hält sich als Schatzjäger über Wasser, findet für die Kaiserin von Austrien magische Gegenstände wie den goldenen Ball oder auch ein Tischleindeckdich. Als Will ihm eines Tages durch den Spiegel folgt, geschieht das Unglück. Die erwachsenen Brüder geraten zwischen die Fronten – in einem Krieg der Goyl, steinernen Wesen, gegen Menschen. Statt ihre Gegner zu töten, verwandeln diese sie ebenfalls in Goyl. Auch Will wächst nun Stein statt Fleisch und Jacob bleibt nicht viel Zeit, ihn zu retten.

Der verantwortungslose Frauenheld, zu dem Jacob geworden ist, muss sich von nun an zusammenreißen. Seinen Fehler wieder gut machen. Sein Beschützerinstinkt gewinnt nahezu die volle Kontrolle über ihn, was ihn irgendwie sehr sympathisch macht. Seine Verzweiflung über den drohenden Verlust wird für den Leser greifbar. Zu allem Überfluss folgt Wills Freundin Clara ihm durchs Glas, die im Verlauf des Romans nur selten über sich hinauswächst. Zu sehr ist sie die zarte Frau, das unsichere Mädchen, das von der Hoffnung auf Rettung ihrer großen Liebe getragen wird. Will ist ebenfalls unsicher. Er war schon immer der ruhigere, der „schwächere“. Der kleine Bruder, den Jacob beschützen musste. Doch als ihm Jade wächst, wird Will nicht nur äußerlich steinhart. Auch Fuchs, die eigentlich ein Mädchen ist, sich aber lieber in ihrem Fell zeigt, kommt recht hart daher. Sie begleitet Jacob durch die Spiegelwelt und beschützt ihn – auch mit guten Ratschlägen. Fuchs ist einer der faszinierendsten Charaktere, der wie Jacob lieber flüchtet, als sich zu stellen. Jacob flieht vor der seiner Welt, Fuchs vor ihrem Wesen. Auf ihrer Reise begleitet sie außerdem der habgierige Zwerg Valiant, der Jacob schon einmal verraten und verkauft hat. Doch mit seinen umfangreichen Kontakten ist er unverzichtbar.

Der Roman wird mit den Worten "Gefunden und erzählt von Cornelia Funke und Lionel Wigram" eingeleitet. Letzterem ist dieser Roman gewidmet, inwiefern er über Ideen hinaus am Geschriebenen mitgewirkt hat, bleibt leider weitgehend im Dunkeln. Die Spiegelwelt enthält viele Anspielungen auf die Grimm’schen Märchen, die insgesamt gelungen in den Roman eingebracht werden. Die Idee mit dem Spiegel ist nicht neu, fasziniert bei guter Umsetzung aber nach wie vor. Und in „Reckless – Steinernes Fleisch“ ist sie das. Für Leser, die in ihrer Kindheit in den Genuss vieler Märchen gekommen sind, eröffnet sich hier ein dunkles Netz verschiedenster, magischer Elemente. Doch nicht alles ist so, wie es die Märchen erzählen. Cornelia Funkes Welt ist vor allem gefährlich. Dornröschen wurde nicht wachgeküsst, sondern liegt im Todesschlaf in einem von Leichen umsäumten Schloss. Die Loreley fressen männliche Reisende, die ihren Fluss überqueren wollen. Zudem hat die Technik längst Einzug in die Spiegelwelt gehalten, auch wenn diese noch weit hinter Wills und Claras Welt zurückliegt. Doch es gibt Fabriken und Eisenbahnen. Auch das Photographieren wurde bereits erfunden. Und die Goyl sind, was technische Errungenschaften betrifft, den Menschen ein Stück voraus. Als Unterdrückte und Gejagte haben sie inzwischen den Spieß umgedreht und gewinnen den Krieg gegen die Menschen. Nicht zuletzt durch die Geliebte des Goyl-Königs, der dunklen Fee, die das steinerne Fleisch säte. Zunächst sieht alles etwas nach typischer Schwarz-Weiß-Malerei aus, doch am Ende kristallisieren sich mehr und mehr Graustufen heraus. Die anfangs zu stereotypen Charaktere gewinnen an Tiefe und ihre Rollen relativieren sich etwas. „Gut“ und „Böse“ sind keine Begriffe mehr, mit denen man die Fronten abstecken könnte.

Der Aufbau der Geschichte ist vergleichsweise vorhersehbar. „Reckless – Steinernes Fleisch“ ist ein Abenteuer, wie es eingefleischte Fantasyfans kennen: Die Helden müssen etwas finden, in diesem Fall etwas, um den „kleinen“ Bruder zu retten, und durchleben dabei allerlei gefährliche Situationen. Nebenbei bereisen sie gefühlt die ganze Welt, von den Städten Austriens bis in den unterirdischen Palast des Goyl-Königs. Nichtsdestotrotz enthält der Roman auch immer wieder kleine Überraschungen und vor allem kreative Ideen, die das Lesen zum Vergnügen machen. Die Darstellung der Goyl als Steinwesen beispielsweise überzeugt durch und durch. Ihre Haut leuchtet in den Farben verschiedener Edelsteine, wobei schon der Stein an für sich viel über die Herkunft und Position des jeweiligen Goyls aussagt. Dazu schreibt Cornelia Funke regelrecht „zauberhaft“. Ihr Stil liest sich sehr schön, viele gelungene Formulierungen trösten über manch weniger gut gelungene Szene hinweg. Es gibt Stellen im Buch, da fragt man sich, ob diese wirklich sein mussten. Vielleicht erklärt sich die Wichtigkeit in folgenden Romanen, denn am Ende von „Reckless – Steinernes Fleisch“ bleiben noch viele Fragen offen. Nach der positiven Entwicklung der Geschichte freut man sich zudem auf die Fortsetzung.


Fazit

Die dunkle Fee sät steinernes Fleisch - Cornelia Funke Anspielungen auf zahlreiche Märchen, die ihrem neuen Roman Tiefe verleihen. Die Geschichte an für sich ist wenig innovativ und ein typisches Abenteuer, allerdings gespickt mit kreativen Ideen und untermalt von einem traumhaften Stil, der jede Seite zu einem wahren Lesegenuss werden lässt.


Pro & Contra

+ traumhaft schöner Stil
+ Anspielungen auf die Grimm’schen Märchen
+ positive Entwicklung der Charaktere
+ zum Ende hin kristallisieren sich Graustufen heraus
+ auch für Erwachsene ein Lesegenuss

- Charaktere anfangs zu stereotyp
- Aufbau relativ vorhersehbar

Extras: Illustrationen von Cornelia Funke

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3/5


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