Die Süße des Lebens (Paulus Hochgatterer)

   

 



Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006
296 Seiten
ISBN-10: 3552060278
ISBN-13: 978-3552060272
Preis: € 19,90 (D)


Genre: Kriminalroman

 

Null – Ein Auftakt in Großaufnahme

„Das Kind schiebt den Zeigefinger langsam über den Rand der Tasse, bis die Fingerkuppe die gekräuselte Oberfläche berührt. Es beschreibt einen winzigen Kreis, hebt, sobald es sicher ist, dass die Haftung ausreicht, den Finger hoch, führt ihn vorsichtig an die Tassenaußenseite und streift ihn ab.“
Ein Zoom als Beginn, Bild des Kindes, das dasitzt und seinem Kakao die Haut abzieht; Selbstverständlichkeit, schon mit einer Ahnung dunklen Beigeschmacks. Eine alltägliche Szenerie: Wie oft zuvor spielen Kind und Großvater miteinander ‚Mensch ärgere dich nicht‘ mit den gelben und blauen Figuren – bis es an der Tür klingelt. Der Großvater geht. Und kommt nicht wieder. Als das Kind seinen Spuren im Schnee folgt, macht es einen grausigen Fund, der sich in die scheinbar ruhige Kleinstadt senkt wie ein Stein, bis an den schlammigen Grund, und Wellen schlägt ins neue Jahr hinein ...

Gefrorene Süße

Eine eigentümliche Spannung ist es, die das Buch durchzieht; wie ein Balanceakt auf dünnem Eis. Risse ziehen sich durch den eben noch so fest scheinenden Untergrund. Zwischen- und innermenschliche Klüfte, die sich auftun, präzise Aufnahmen, selbst Nebenfiguren erhalten ein Gesicht und eine Geschichte, erhalten Leben. Ein Leben, bei dem die Gefahr im Detail lauert, und ins Detail geht Paulus Hochgatterer, zoomt immer wieder ganz nah heran, auf die Spielfiguren in einer fest verschlossenen Kinderhand, auf das weggetupfte Gesicht eines alten Fotos. Und er lässt etwas ahnen von der Süße des Lebens, die in einem Bogenstrich liegt und in ein paar Sommersprossen, in einem geworfenen Schneeball und in einem Abendessen auf der verschneiten Terrasse eines Gastgartens, aber auch von der Bitterkeit, die sich unter der Süße verbergen kann, ein Nachgeschmack, der am Rachen klebt. Und in manchen Momenten bringt er einen tatsächlich zum Schmunzeln mit Pippin und Mad-Eye, mit eingestreuten Überlegungen und Vergleichen. Skurrilität und Normalität, Humor und Grauen liegen nah beieinander in der Süße des Lebens.

Gesichter

Vielfältig sind die Gesichter, mit denen man hier konfrontiert wird, jedes einzelne ausgearbeitet und lebendig. In seiner Erzählweise wahrt Paulus Hochgatterer immer eine gewisse Distanz zu seinen Figuren, entblößt und entblättert sie nicht, offenbart aber zugleich behutsam tiefer gelegene Schichten ihrer Persönlichkeiten, ohne ein einziges Mal zu werten. Das bleibt dem Leser überlassen. Und vielleicht braucht auch der diesen richtenden Part nicht zu übernehmen, das vermittelt der leise Schluss, das erzählt der Blick des Kommissars über den See.

Fazit

Atmosphärisch dicht und stilistisch von wunderbarer Sicherheit zeichnet der Autor das Portrait einer Kleinstadt und ihrer Menschen, detailliert und feinfühlig. Wen auch psychologischere Betrachtungsweisen nicht stören und wer damit zurecht kommt, dass nicht gerade wenige Figuren ihren Auftritt auf den Seiten haben, dem kann ich dieses Buch uneingeschränkt empfehlen. Vielleicht ist die Auflösung ein bisschen gar typisch für den „neuen Kriminalroman“, aber auch darüber lässt die gelungene Erzählweise gerne hinwegsehen. Nicht nur ein Buch für klassische Krimileser!


Pro und Contra:

+ Sorgfältig ausgearbeitete Ideen und Personen
+ Lebendigkeit und Authentizität
+ Atmosphärisch sehr gelungen
+ Genügt auch sprachlich höheren Ansprüchen

- Ende ein wenig zu typisch


Bewertung:

 


Handlung: 3/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5