Der Kuss des Kjer (Lynn Raven)

cbt (August 2010)
ab 12 Jahren
Taschenbuch, 605 Seiten, 12,95 €
ISBN: 978-3-570-30489-1

Genre: Fantasy / Jugendbuch


Klappentext

Mit einem Trick bringt Mordan, der erste Heerführer der kriegerischen Kjer, die junge Lijanas vom Volk der Nivard in seine Gewalt. Im Auftrag seines Königs Haffren soll er die Heilerin an den Hof bringen. Lijanas aber hat nur einen Gedanken: Flucht! Doch je näher sie den als >>Blutwolf<< verschrienen Mordan kennenlernt, desto stärker fühlt sie sich zu ihm hingezogen. UnD er sich ebenso zu ihr. Auf beide wartet jedoch einen tödliche Überraschung ...


Rezension

Lynn Raven bezeichnet sich selbst gerne als unspektakulär. Sie ist ein bekennender Anhänger der kalten Jahreszeit, schwärmt für Tiere und beeindruckte im Jahr 2008 mit ihrer vampirischen Jugendbuchreihe Der Kuss des Dämons. Der Kuss des Kjer ist ihr aktueller Roman und erzählt von Lijanas und Mordan, die gemeinsam steinige Wege begehen müssen, um sich am Ende aus den Fesseln ihrer moralischen Vorstellungen zu befreien.

>> Es war das Flüstern des Windes, das Mordan weckte. Im ersten Moment seltsam orientierungslos setzte er sich auf, ohne zu wissen, was nicht stimmte. Doch schon im nächsten Lidschlag war ihm klar: Die Heilerin war fort ... <<

Lijanas ist nicht nur eine bekannte Heilerin der Nivrard, sondern auch die Braut des Prinzen. Dennoch aber ist sie bodenständig, bittet um Bedenkzeit und kümmert sich während der Abwesenheit ihres Fast-Verlobten um Erkrankte. Als sie eines Tages an das Bett eines Mannes gerufen wird, zögert sie nicht und muss bald darauf feststellen, dass man ihr eine Falle gestellt hat. Denn der Kranke ist nicht krank. Er war der Köder des Heerführers Mordan, der im Ruf steht eiskalt, brutal und erbarmungslos zu sein. Dennoch gibt die junge Heilerin nicht auf. Beständig kämpft sie dagegen an, in ein ihr fremdes Land verschleppt zu werden, wobei sie sich nicht nur immer tiefer in ihre Gefühle zu Mordan, sondern auch in das politische Ränkespiel der Kjer verstrickt.

Liebesgeschichten findet man wie Sand am Meer. Manche sind sanft, andere rau und voller Verlangen. Lynn Raven scheint jedoch eine dieser Autorinnen zu sein, die sich nur schwer zwischen den vorhandenen Klischees entscheiden können. Klischees, die man kennt und nicht zuletzt immer wieder lesen möchte. Natürlich auf neue, vielleicht auch frischere Art, doch wenn man ehrlich ist, bleibt das Wesentliche zumeist gleich: Held und Heldin verlieben sich, überwinden gemeinsam Gefahren und bestehen sie, um schlussendlich das ersehnte Glück zu finden. So verlaufen, den Erwartungen entsprechend, die ersten zweihundert Seiten (relativ) handlungsarm, auch wenn sie zu fesseln verstehen. Im munteren Geplänkel zwischen Lijanas und Mordan werden Kräfte gemessen, Widerworte gegeben und Härtemaßnahmen gezeigt. Immer wieder beweist die Autorin hierbei, wie sehr sie es genießt, dem Aufkeimen verschiedenster Gefühle einen würdigen Rahmen zu verleihen. Die Besonderheiten ihrer Charaktere rücken damit mehr und mehr in den Mittelpunkt und sichern, mit dem Voranschreiten der Zeitenanzahl, zunehmend die ungeteilte Aufmerksamkeit des Lesers. Während Mordans Schicksal bedrückt, belebt Lijanas Aufgewecktheit den weiteren Handlungsverlauf und schlussendlich wird klar, dass die beiden gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit wie füreinander geschaffen sind. Dieses Gefühl bringt Lynn Raven gut an ihre Leser und lässt die Protagonisten damit auf eine charmante Art unvergesslich und den Leser zum jugendlichen Schwärmer werden.

Auch die handwerklichen Fähigkeiten der Autorin überzeugen. Sie schreibt flüssig, versteht es, viele Details zu erwähnen, die dem Roman eine wunderbare Stimmung und Farbe verleihen, und Umgebungen sowie Charaktere zum Leben zu erwecken. Es erfreut deshalb sehr, den Beschreibungen zu folgen, auch dann wenn die Handlung (die zumeist aus Herumreisen besteht) kurzweilig an Spannung verliert. Wer Fantasy lesen möchte, ist trotz aller bewiesenen Kreativität jedoch falsch beraten, denn ähnlich wie Alera – Geliebter Feind weiß Der Kuss des Kjer zwar Fantasy zu bieten, jedoch nicht in den Vordergrund zu stellen. Wirklich phantastisch gestaltet sind in diesem Fall nur die übernatürlichen Verfolger, die magischen Fähigkeiten der Protagonistin und das bemerkenswert exotische Aussehen der Kjer. Mordan ist zwar nicht ganz das, was man sich unter einem Mann vorstellen möchte, der das Herz eines Mädchens im Sturm erobern kann, doch gerade seine manchmal auch unansehnlichen Einzigartigkeiten, wie die außergewöhnliche Körperbehaarung der Kjer, deren Fangzähne und Klauen, begeistern ungemein. Sie bringen schlussendlich auch ein Stück weit die so lang ersehnte Relativität zurück, die man sich für einen solchen Liebesroman nur wünschen kann.

Aller leidenschaftlichen Begeisterung zum Trotz verdient Lynn Ravens neuestes Werk jedoch in einem für dieses Genre sehr wichtigen Punkt Kritik. Denn die bestehende, für einen solchen Jugendroman doch wünschenswerte Herzlichkeit herrscht nie wirklich vor, so sehr man sie auch spüren kann. Stattdessen beweist der eigentliche Grundton des Romans blanken Ernst, der, in Verbindung mit der nachvollziehbaren Liebesgeschichte, sogar zu begrüßen wäre, doch angesichts der Altersempfehlung des Verlages so manchen Leser nur ein müdes Kopfschütteln entlocken wird. Eigentlich sollte es sich nämlich von selbst verstehen, dass Themen wie Missbrauch, Folter und Unterdrückungen nichts für schwache und erst recht nichts für kindliche Nerven sind. Wer diese Tatsache beim Lesen oder Verschenken bedenkt, wird Der Kuss des Kjers so genießen können, wie es sich gehört, und darf sich darüber hinaus über unterhaltsame, aber auch nachdenklich machende Stunden freuen, die jedem Fan anrührender Liebesromane nur zu empfehlen sind.


Fazit

Aufregend, wild und leidenschaftlich soll Der Kuss des Kjer laut Klappentext sein und tatsächlich stimmt man im Großen und Ganzen zu, wenn auch die Gefühle nicht ganz so pompös gestaltet sind. Darüber hinaus muten viele Feinheiten eher leise und sanft an; andere verblüffen durch Brutalität. Lynn Raven hat es geschafft, ein Buch zu schreiben, das Tiefsinnigkeit ebenso wie leichte Unterhaltung zu bieten versteht und Romantiker ab frühestens sechzehn Jahren zu empfehlen ist wie gestandenen Leseratten auf der Suche nach liebenswerter Zwischenmahlzeit.


Pro und Kontra

+ Protagonisten stets nachvollziehbar
+ sehr interessante Charaktere
+ flüssig zu lesen
+ wunderbar zwischenmenschlich
+ vielseitige, spannungssteigernde Perspektivenwahl

o auch für erwachsene Fans von anrührenden Liebesgeschichten
o Emotionen stehen stets im Vordergrund
o streckenweise wirklich brutal

- teilweise einfallslos
- als Jugendbuch in manchen Dingen zweifelhaft

Bewertung:

Handlung: 3 / 5
Charaktere: 4 / 5
Lesespaß: 4,5 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5