Halbmondwahrheiten (Isabella Kroth)

Diederichs (August 2010)
Paperback, 220 Seiten
€ 16,95 (D) | € 17,50 (A)
ISBN: 978-3-424-35022-7

Genre: Sachbuch


Klappentext

Einmal in der Woche treffen sie sich bei dem Berliner Psychologen Kazim Erdogan: türkische Männer, die unter einem rigiden Ehrenkodex und uralten Rollenmustern leiden. Zwölf von ihnen kommen in diesem Report zu Wort. Männer, die den Mut hatten, offen über Vergehen, Probleme und Nöte zu sprechen. Sie erzählen aus einem Alltag, der geprägt ist von patriarchalischen Strukturen – und der viele von ihnen zu Verlierern gemacht hat.


Rezension

Isabelle Kroth lebt und arbeitet als Journalistin in München. Mit Scheherazades Tochter erschien im Jahr 2004 ihr erstes Buch, das bald darauf ein Bestseller wurde. Sechs Jahre später widmet sich die Autorin nun dem gleichen Thema, doch auf andere Art. Denn mit Halbmondwahrheiten fokussiert sie die Innenansichten türkischer Männer, die Leid ebenso kennen, wie sich manche Frauen ihren strenggläubigen Familien ausgeliefert sehen.

>> Adem sitzt mit gut zwanzig Männern im Kreis. Er hält ein Gläschen mit Cay in der Hand und balanciert es vorsichtig über den Kopf seiner kleinen Tochter, die auf seinen Schoß klettert. Er sagt: Es ging um meine Ehre. Meine Frau hatte sie mit Füßen getreten. Die anderen Männer um ihn herum nicken. Sie wissen, was er meint ... <<

Ali wollte fünf Jahre in Deutschland verbringen, um das notwendige Geld für seinen Traum zu verdienen: Ein eigenes Haus. Doch das Projekt Deutschland hält, zu seinem Schmerz, bis heute an. Jetzt weiß er, dass er sein Heimatland nie hätte verlassen sollen. Und dieses Wissen teilen viele andere Männern auch. Ahmet zum Beispiel: Ein Mann, der von Auberginen und Paprika, die er gelernt hatte anzubauen, stets mehr wissen wollte, als von einem entfernten, ihm fremden Land. Für seine Familie jedoch war er der Hoffnungsträger. Der, der schlussendlich als Exportbräutigam eine in Deutschland fest verankerte Türkin heiraten musste. Was für die Familie zum Segen wurde, wurde für den jungen, früher einmal sehr selbstsicheren Mann ein Fluch ...

Mann, Muslim, Misere? Diese Frage stellt man sich in den heutigen Tagen und vor allem in der letzten Zeit immer mehr. Denn schenkt man gewissen Prognosen seinen Glauben, so sieht die Zukunft düster, oder besser gesagt muslimisch aus. Eine (anzuzweifelnde) Tatsache, die nur wenigen Menschen wirklich gefällt. Die Mehrzahl jedoch ist beunruhigt, besonders in Verbindung mit so manchem, ohnehin schon bestehenden Vorurteil. Man denke beispielsweise an Frauen, die teilweise (zu) früh zwangsverheiratet wurden oder an die Schwierigkeiten ihrer beinahe gänzlich verhüllten Kinder. Gehänselt, verspottet und damit nicht allein. Doch haben wir, die sich mit den medialen und angeblichen Problemen dieser Kultur beschäftigen, uns schon einmal eingehender mit den türkischen Männern befasst? Ihren zerstörten Träumen gelauscht? Uns gefragt, ob ihre Schicksale der misshandelter Ehefrauen nicht ebenbürtig sind? Haben wir offen zugehört? Lösungen gefunden?

Geneigte Leser, die sich gerne diesen Fragen stellen möchten, werden in Halbmondwahrheiten keine Antworten erfahren. Zumindest keine, die offensichtlich sind und nur darauf warten, bei der nächsten Schicksalsgeschichte über türkische Ehefrauen verworfen zu werden. Denn Isabella Korth schürft wesentlich tiefer. In ihrem neuen Buch portraitiert sie zwölf unterschiedliche Männer, die aus ihrem Leben zwischen rigiden Ehrenkodex und uralten Rollenmuster erzählen. Themen wie Hass, Angst und Abwertung finden ebenso einen Platz wie simple Bedürfnisse, die nur selten ausgedrückt werden dürfen. Der Leser erfährt mehr über Schwächen, Traditionen und stürzt sich gemeinsam mit den Protagonisten in ein Wechselbad der Kulturen, das man schlussendlich auch nachempfinden kann. Die Autorin hat sich in diesem Punkt sehr viel Mühe gegeben und fasziniert mit ihrer Beobachtungsgabe. Sie schildert unaufdringlich, niemals wertend und immer wieder voller Gefühl die Begebenheiten, die durch die Augen der Männer Wahrheit werden. Leser, die in diesem Buch blättern, werden sich zukünftig mehrmals überlegen, ob sie mit dem Finger auf Menschen zeigen möchte, die im Grunde früher nicht nur geduldet, sondern erwünscht waren, und deren Schicksal es nun ist, nur schwer Boden unter den Füßen zu fassen. Zumindest solange, wie man sich weiterhin voneinander zu entfernen versucht anstatt sich anzunähern.

Wie und auf welche Weise das allerdings geschehen soll, enthält Isabelle Kroth dem Leser vor. Denn mit jeder Seite wird deutlicher, dass die Geschichten zwar interessant, dass vieles sehr schwer und anderes scheinbar unmöglich grausam ist, es dennoch aber zu keiner Zeit das Bestreben der Autorin war, den Leser klüger werden zu lassen. Schlussendlich bringt sie weder sich noch annähernde Lösungsvorschläge ein, bietet aber im Gegensatz dazu einen neutralen Lesestoff, über den man schlussendlich lange nachdenken kann.


Fazit

Halbmondwahrheiten von Isabella Kroth ist ein Sachbuch, das versucht äußerst hilfreich dabei zu sein, die türkischen Männer, ihre Bedürfnisse und die daraus folgenden Optionen für ein friedlicheres Zusammenleben verstehen zu können. Die Schicksale der Männer sind hoffnungsvoll, tragisch und verzweifelnd zugleich und jenen Menschen zu empfehlen, die Hintergründe nicht nur kennen, sondern eingehend beleuchten wollen.


Pro und Kontra

+ berührend ehrliche Lebensgeschichten
+ authentische Einblicke in die türkische Kultur
+ Erzählung der deutsch-türkischen Entwicklungsgeschichte
+ wunderbarer Erzählstil der Autorin

o Geschichten stehen im Vordergrund / keine Lösungsvorschläge

- teilweise eintönig

Wertung:

Inhalt: 3,5 / 5
Aktualität: 5 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 3,5 / 5