Flieg, Hitler, Flieg! (Ned Beauman)

DuMont Buchverlag 2010
Aus dem Englischen von: Sophie Kreutzfeldt
285 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-8321-9541-0
Preis: € 19,95 (D)

Genre: Belletristik


Rezension

Der Nazimemorabliensammler und Internetauktionär Fishy, der an einer seltenen Erkrankung leidet, die ihn nach altem Fisch stinken lässt, hat nur wenige Freunde - und nur einen Auftraggeber. Als der ihn eines Abends nach einem Detektiv sehen lässt, der sich nicht mehr meldet, findet der unbeholfene Fishy Chaos, eine Leiche - und einen Dankesbrief, unterschrieben von Hitler selbst, der dem Mörder entgangen sein muss. Was hat es mit dem Brief auf sich? Wer war der Adressat und was hatte er mit Seth Roach, einem jüdischen Straßenboxer aus London, zu tun? Und wer würde töten, um mehr über diese Dinge herauszufinden?

Anophthalmus hitleri

Ein Käfer, den es wirklich gibt. Wie der zu seinem Namen kam, das versucht Ned Beauman in seinem Roman auf neue Weise zu erklären. Dazu schickt er jüdische Boxer und fanatische Eugeniker, ungeschickte Möchtegerndetektive und Auftragskiller für sich ins Rennen.

Eine Ausgangssituation, die durchaus Potential birgt. Ein wenig erstaunt ist der Leser dann vielleicht, wenn er sich in einem Roman wiederfindet, der im Plauderton vor sich hin plätschernd seinen Lauf nimmt. Spannung und "Lesewut" werden von Beginn an immer wieder durch Einschübe und Nebensachen geschickt ausgebremst. Man verfolgt den Lauf der Dinge in drei Erzählsträngen und auf mindestens zwei Zeitebenen, trifft dabei immer wieder auf komische, jedoch nicht wirklich lustige Stellen, lernt neue seltsame, aber kaum mehr als oberflächlich charakterisierte Figuren kennen, und kämpft sich ein wenig durch die Hintergrundinfo und Exkurse, die der Autor, da die Geschichte ja erfunden ist, ausführlichst einbringt. Dieser Art liest man so vor sich hin, über Seltsamkeiten und schräge Szenen, ohne, dass es je ganz interessant oder je gänzlich langweilig wäre. Immer wieder fällt auf, wie genau der Autor für kleine Dinge recherchiert haben muss - doch kann das den Leser in der zeitweiligen Mühsamkeit der Darbringung dann doch irgendwie nicht hundertprozentig begeistern.

Ein Buch, also, das aus spannendem Material geplauderte Nebensachen macht? Einerseits irgendwie schon. Andrerseits finden sich immer wieder bemerkenswert ausgefallene, schöne Bilder, Vergleiche und Überlegungen ein, baut sich der Autor selbst an jenem Punkt in Form eines Forenbeitrages in die Erzählung ein, an dem sie die historische Wahrheit ganz verlässt, und leitet Fishy mit einem Hinweis in die erfundene Geschichte hinein - da spürt man einen Hauch des Genialen. Beauman ist also durchaus ein Mensch, der Ideen hat und scheinbar kann er auch schreiben - nur warum kommt dann sowas dabei heraus?

Was war das Ziel von Beauman mit diesem Buch? Diese Frage stellt man sich während des Lesens, wenn man bei der Mitte des Buches feststellt, dass da bisher zwar die eine oder andere eher unmotivierte homosexuelle Sexszene dabei war, man aber eigentlich immer noch kein wirkliches Interesse für das Schicksal der Figuren oder die Ereignisse entwickelt hat. Man stellt sie sich wieder, wenn man nach der Auflösung auf den letzten paar Seiten versteht, wie genau der Autor geplant, wie viel Arbeit er hineingesteckt hat.

Der Spannung wegen wurde der Roman jedenfalls nicht geschrieben und auch nicht der tiefenpsychologischen Charakterisierung der Figuren wegen. Bliebe... der Stil? Die Technik? Der Witz? Gar als ironisches Portrait der Englischen Gesellschaft, das einem als "Fremden" leider entgeht? Irgendwie weiß man nicht ganz, was man mit dem Buch anfangen soll; es ist weder gut noch schlecht, bald vergessen und doch beschäftigt es einen irgendwie.

Vielleicht, weil man dabei doch das Gefühl hat, Ned Beauman hat ein wenig zu viel am Gerüst des Buches herumgetüftelt, sich zu sehr bemüht, etwas Geniales zu schaffen, um sich wirklich genug mit dem Inhalt selbst zu beschäftigen: Alles ist bis ins Detail durchgeplant, die skurrilsten, kleinsten Einzelheiten sind recherchiert oder erfunden und ausführlichst erklärt, die Geschichte hat die sogenannten "relevanten" Themen (Sex, Homosexualität, Gewalt, Liebe, Verbrechen), die kleinen Twists, die man von einem genialen Buch erwartet, und ist, modern, in Erzählstränge geteilt, die sich am Ende auflösen. Nur lebendig ist sie fast nie.

Man fragt sich rückblickend womöglich sogar kopfschüttelnd, wie ein Autor eine Geschichte über Nazi-Memorabliensammler, Auftragsmörder, brutale Straßenboxer, verkrümmte Wissenschaftler und die eine oder andere starke Frau derart unlebendig abhandeln kann.. und stellt nach der letzten Seite trotzdem fest, dass es sich irgendwie gelohnt hat, zu Ende zu lesen.

Ein Wort zur deutschen Ausgabe

Hier ist ein wenig Kritik am Verlag angebracht, denn weder Inhalt, noch allgemeinem Eindruck dieses Buches werden das deutsche Cover, der deutsche Titel und der Klappentext gerecht: Das Buch ist kaum lustig genug, um Hitlers Clownsnase zu rechtfertigen, und wenn man sich nicht getraut hat, den Mann sonst auf dem Titel wiederzugeben, hätte man ihn ganz weglassen sollen (das Originalcover kommt ebenfalls ohne Hitler aus - wie auch der Originaltitel, "Boxer Beatle"). Der Klappentext gibt wiederum den gesamten eigentlichen Inhalt bzw. das Rätsel des Buches wieder und ist eher irreführend für den potentiellen Leser. Wenn man nach der Lektüre nocheinmal zu ihm zurückkehrt, fühlt man sich ein wenig mit falschen Versprechungen gelockt - kaum fair.


Fazit

Ein schräges Buch, zu dem weder sein deutsches Cover noch der Klappentext passen. Streckenweise eher zäh, immer wieder doch noch interessant genug, um weiter zu lesen aber nie wirklich packend. Trotzdem liest man bis zum Schluss und hat am Ende doch das Gefühl, die Exkurse und Seltsamkeiten davor haben sich auf irgendeine Weise ausgezahlt, und legt einigermaßen befriedigt das Buch zur Seite. Einigermaßen befriedigt, aber nicht begeistert.

Extras: Zeichenband

Handlung: 2,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5