fisch. ein Bericht (Christian Stuhlpfarrer)

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Residenz Verlag, Salzburg-Wien-Frankfurt 2001

218 Seiten

ISBN 3-7017-1258-1

Preis: 13,00 €

Belletristik

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Untergetaucht

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„[...] an jenem Montag also, am 27. Dezember 1999, um 10 Uhr 11, wurde in Wien Simmering, in der Thürnlhofstraße einundzwanzig bis dreiundzwanzig, Stiege acht, die Wohnungstür Nummer eins gewaltsam geöffnet. Es bestand, wie es hieß, „Gefahr im Verzug“.“

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Denn Ludwig Adalbert Unselig, Mieter dieser Wohnung, ist seit Tagen nicht mehr herausgekommen und öffnet die Tür auch nicht auf die ausdrücklichen Aufforderungen der Hausmeisterin hin. Opfer eines Gewaltverbrechens? Nein, einfach nur verschwunden. Statt ihm finden die Einsatzkräfte die Ursache für immer wiederkehrende Wasserlacken im Gang: Unselig hat sein Wohnzimmer auf ganz besondere Weise umgestaltet. Mit Kacheln ausgekleidet, einem Duschkopf an der Decke sowie einem Abfluss im Boden gleicht es einem Schwimmbad – oder doch eher einem Aquarium? Pressluftflaschen und Flossen zeugen davon, dass Unselig hier immer wieder abgetaucht ist.

Als klar wird, dass Unselig nach Albanien geflüchtet ist – „ans Meer“ –, wird die Wohnung weiterverkauft, die Einrichtung versteigert. Der Nachmieter und Erzähler findet allerdings einen ganz besonderen Nachlass, es sind die Aufzeichnungen Unseligs. Mit ihrer Hilfe und zahlreichen Zeugenaussagen begibt er sich auf dessen nasse Spuren, zunächst noch in nüchternem Tonfall, doch er bleibt nicht lange uninvolviert ...

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„Ich Möchtegern, ...“

                                      

„... ich möchte das Meer nach Hause tragen“, schreibt Ludwig Adalbert Unselig, und tatsächlich, dieser skurrilen Figur, die trotz ihrer andauernden Abwesenheit Zentrum des Buches bildet, kann man als Leser eine gewisse Sympathie auf Dauer nicht versagen. „Mir ist schwindlig“, heißt es in den Aufzeichnungen. „In meinem Kopf rauscht das Meer.“ Und es rauscht. Es rauscht in den Sätzen, die Unselig dem Erzähler hinterlassen hat, eine dunkle, ursprüngliche Sehnsucht, manchmal verkopft, manchmal verwortet, aber immer wieder präsent und immer wieder spürbar. Es verwundert nicht, dass sich der farb- und charakterlose Erzähler dieser Faszination nicht lange entziehen kann.

Leider muss auch gesagt werden, dass Unselig im Grunde die einzige Figur ist, die einen positiven Eindruck hinterlässt. Selbst wenn der Erzähler kurzfristig Konturen zu gewinnen scheint, so gerät er doch nur zu einem blassen Abklatsch, und die im Klappentext als „Wiener Originale“ angepriesenen Nebencharaktere sind nahezu ausnahmslos überzeichnete, lieblose Klischees. Von hintergründigem Humor oder ebensolcher Kritik scheint Stuhlpfarrer nichts zu halten, hier wird einem der Holzhammer um die Ohren geschlagen, und was in Unseligs Aufzeichnungen als seltsam getriebener Stil noch überzeugt, wird in solchen Szenen zur groben Direktheit.

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Wellengang

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Vermochte mich das Buch anfangs gar nicht zu überzeugen – schon der Einstieg ist mit einem fünfzehnzeiligen, reizlosen Satz denkbar ungünstig gewählt –, so steigert es sich doch im weiteren Verlauf, unter anderem dadurch, dass Stuhlpfarrer glücklicherweise die Auftritte des gänzlich misslungenen Hausmeisterinnenklischees Milhavic reduziert. Auch mit zunehmender Präsenz Unseligs in seinen Aufzeichnungen gewinnt es an Reiz und Farbe und selbst dem Erzähler gelingt es zeitweise, im Einfluss seiner Nachforschungen greifbarer und sympathischer zu werden. Leider lässt dies gegen Ende wieder nach und speziell die grellen, künstlichen und angestückelt wirkenden Traumsequenzen, die später auftauchen, hätte Stuhlpfarrer sich sparen können. Somit ist dieser „Bericht“ ein Auf und Ab, einem flachen Beginn folgt ein kontinuierlicher Bogen nach oben, der dann aber ebenso kontinuierlich wieder absinkt und in einen vorhersehbaren Schluss mündet.

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Fazit

Skurril ist dieses Buch allemal, und wer Direktheit ohnehin mehr schätzt als hintergründige Schreibweise, dem wird „fisch. ein Bericht“ wohl gefallen – ist der Humor doch definitiv nicht ohne Zielpublikum, wie andere Rezensionen beweisen. Für mich persönlich sind es Unseligs Aufzeichnungen sowie einige Abschnitte mit dem Erzähler selbst, die ich als lesens- und überdenkenswert empfinde. Und es sind die flachen Figuren, die übersteigerten Stilmittel sowie das ins Leere laufende Ende, die mich das Buch trotzdem nicht empfehlen lassen.

 

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Pro und Contra:

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+ Originelle Idee

+ Gelungen gestaltete „Hauptfigur“

+ Stilistisch ansprechende Einschübe aus Unseligs Aufzeichnungen

+ Interessante Überlegungen

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- Lieb- und respektlos gestaltete Nebencharaktere

- Blasser Erzähler

- Zum Teil sehr grober, überzeichnender Stil

- Längen, vor allem gegen Ende

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Extras:

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~ Vereinzelte, detailgenaue Tuschzeichnungen Hannes Hochmeisters von Verschlüssen, Muscheln und Schneckenhäusern

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Bewertung:

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Handlung: 2/5

Unseligs Charakter: 4/5

Sonstige Charaktere: 1,5/5

Lesespaß: 2,5/5

Preis/Leistung: 3/5

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