Die Muschelsammlerin von Katryn Berlinger
Verlag Knaur (Juli 2010)
Taschenbuch, 421 Seiten, 8,95 €
ISBN. 978-3-426-50586-1
Genre: Historik
Klappentext
Muscheln, Liebe und der Wind der Ostsee
Sommer 1885: Lilly arbeitet als Süßspeisenköchin in Heiligendamm, Deutschlands erstem Seebad, und sie ist verzweifelt. Zwar hat sie dank eines Kochbuchs mit dem beziehungsreichen Titel „Cuisine d’Amour“ eine gute Stellung in einem Luxushotel gefunden. Doch aus Übermut hat sie einen folgenschweren Fehler begangen, der sie nicht nur ihren Arbeitsplatz kostet, sondern auch ihre Liebe in Gefahr bringen kann.
Rezension
Die Geschichte spielt im ältesten Seebad Deutschlands, Heiligendamm. Ende des 19. Jahrhunderts kurt dort vor allem der Hochadel. Konventionen und die gesellschaftliche Stellung prägen diese Zeit. Darin bewegt sich die Hauptfigur Lilly Alena Babant. Eine junge Frau, die tapfer versucht gegen ihr Schicksal anzukämpfen. Sie ist die Tochter eines mittellosen Bauernsohns mit großen Ideen, der nie zu Geld kam und früh verstarb. Ihre Mutter stammt aus einer gutbürgerlichen Handwerkerfamilie, die mittlerweile verarmt ist. Allerdings waren ihre Eltern nie verheiratet. Aus diesem Grund lebt Lilly nun mit ihrer schwer kranken Mutter bei deren Bruder. Die junge Frau musste schon einiges erdulden. In Berlin erlebte sie als Arbeiterin in einer Strohhutfabrik bittere Armut und nun, zurück am Ort ihrer Kindheit, muss sie mit der Verachtung ihres Onkels zurechtkommen. Erfüllung findet sie einzig und allein im Zubereiten von Desserts als Süßspeisenköchin des ersten Hotels am Ort. Inspiriert wurde sie von Rezepten aus einem französischen Kochbuch mit dem bezeichnenden Titel „Küche der Liebe“. So versucht sie mit ihren Kreationen immer Emotionen auszulösen. Als sie allerdings einem Gast einen dummen Streich spielt, verliert sie diese Stellung und das damit verbundene Ansehen. Im ersten Impuls will sie sich im Meer ertränken. Ein zufällig vorbeikommender Kurgast, Herr von Maichenbach, kann sie davon abhalten und wird zu einem Gönner und Freund.
Maichenbach sorgt dafür, dass Lilly als Hundeausführerin auch weiterhin den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter verdienen kann. Aber damit gefährdet sie ihren Ruf. Denn eine junge Frau, die bei reichen Männern ein und aus geht, gerät leicht in den Verdacht, ihr Geld auf andere Art zu verdienen. Und ein schlechter Ruf wiederum würde ihr sehr schaden, denn sie ist schon lange in Clemens von Rastrow, ihren Freund aus Kindertagen verliebt. Seine Mutter duldet keine Ehe mit einer Nicht-Adligen und ist nach der Entlassung Lillys mit aller Macht bestrebt den Kontakt zwischen Clemens und ihr zu unterbinden. Noch dazu ist sich die, nun ehemalige, Süßspeisenköchin gar nicht sicher, ob Clemens ihre Gefühle erwidert.
Fräulein Babant bewegt sich auf dem glatten gesellschaftlichen Parkett in sehr widersprüchlicher Weise. Obwohl sie sich der strengen Regularien bewusst ist und weiß, wie leicht ihr Handeln oder ihre Worte falsch interpretiert werden können, neigt sie dennoch zu spontanen Entscheidungen. Sie lehnt sich beständig gegen das enge Korsett der Konventionen auf und trifft häufig Entscheidungen mehr nach dem Gefühl als nach dem Verstand. Das ist zugleich der Umstand, den der Leser wohl am meisten als störend empfindet. Die Protagonistin wirkt unreif und widersprüchlich. Fast jedes Mal bereut sie ihre Entscheidungen fast augenblicklich und stürzt sich dann in große Gewissenskonflikte. Sie manövriert sich von einer Katastrophe in die nächste. Das gibt der Geschichte zwar die nötige Dramatik, aber leider taucht immer nur zu schnell zufällig ein unerwarteter Retter auf, der für Lilly die Probleme löst. Sie greift immer wieder auf das Geld reicher Freunde zurück und träumt von einem Leben in entsprechender gesellschaftlicher Position. Das irritiert, da sie bittere Armut kennt und betont, dass Geld und gesellschaftliche Stellung für sie keine Bedeutung haben. Ihr leidenschaftliches Temperament kommt vor allem beim Kochen gut zum Ausdruck. Die Beschreibungen der Zubereitung sind so anschaulich, dass der Leser das Gefühl bekommt, die Aromen riechen und schmecken zu können. Dieser Teil des Romans entschädigt auch für die offensichtlichen Schwächen der Gesamtgeschichte. Die Probleme des Bürgertums und die politischen Verhältnisse werden eher gestreift und finden etwas zu wenig Eingang. Die Auflösungen der Konflikte sind oft zu glatt und nehmen dem Roman einiges an Glaubwürdigkeit.
Fazit
Der Roman liefert ein sehr anschauliches und authentisches Bild der Zeit und des Publikums in einem Seebad. Die Beschreibungen der Süßspeisen sind die wundervollsten Passagen und werden nicht nur Hobbyköche begeistern. Leider weist die Handlunggroße Schwächen auf und wird zu rasch ihrem Finale zugeführt. Hier hätte sich die Autorin ein paar Seiten mehr Zeit nehmen sollen.
Pro & Contra
+ appetitanregende und sehr anschauliche Beschreibungen der Rezepturen+ vermittelt gutes Bild des historischen Seebades
+ durchgängig gehaltene Themen Meer und Süßspeisen geben einen roten Faden
+ sehr anschauliche Beschreibungen der Landschaft
- Auflösungen der Konflikte zu glatt und unrealistisch
- Entscheidungen der „Heldin“ häufig nicht nachvollziehbar
- zu viel Geschichtliches wird angeschnitten, ohne es wirklich in die Handlung einzubeziehen
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5