Haempes offener Brief an die SF-Literatur

Liebe SF-Literatur,

ich weiß, Du hast es nicht leicht. In vielerlei Hinsicht nicht. Dein Bild in der Öffentlichkeit ist geprägt von Unverständnis, Trivialitäten, Eskapismus, Elitarismus und vielem mehr. Und Du willst etwas sein, was Du nicht bist: etwas Besonderes.

Dabei gibt es zwei grundlegende Probleme, die Du auf Deinem Weg in die Zukunft mit Dir herum schleppst. Auch wenn es keiner wahr haben oder zugeben will. Problem Nr. 1: Alle Welt redet von SF, doch keiner weiß so genau, was SF nun eigentlich ist. Du bist eine undefinierte Masse oder anders gesagt, es gibt so viele Definitionen, dass eigentlich keine mehr stimmt. Oder jede stimmt. Was aber nicht hilft und es keinem leicht macht. Dir am aller wenigsten. Denn kann man, soll man etwas lebendiges überhaupt eindeutig und endgültig definieren? Bist Du so statisch, wie manche Dich gerne hätten? Ich denke nicht. Problem Nr. 2: Dein Selbstverständnis – oder der Mangel desselben. Du siehst Dich – und man macht es Dir und uns, den Lesern, nicht schwer – als etwas Besonderes, als etwas Außergewöhnliches. Gleichzeitig siehst Du Dich aber in der Ecke des ewig Unverstandenen, des Verfolgten, des abfällig Behandelten. Dabei bist Du eigentlich … Nichts. Oder Alles. Du bist Du – steh einfach mal dazu. Sieh Dich nicht als außerhalb oder oberhalb oder unterhalb stehend. Sieh Dich einfach als Teil des Ganzen. Jedes literarische Genre muss mit Anfeindungen kämpfen. Da bist Du nicht alleine. Jedes Genre hat seine literarischen Leicht- und Schwergewichte. Da bist Du keine Ausnahme. Jedes Genre hat Freunde und Feinde. Du unterscheidest Dich da nicht von anderen. Jedes Genre muss im Feuilleton, in der Presse, bei den Kritikern usw. um Anerkennung kämpfen. Da geht es Dir nicht anders als den anderen.

Was also unterscheidet Dich – vom Inhalt einmal abgesehen – von den anderen Genres der Literatur? Richtig: Nichts, absolut Nichts! Ob Western, Krimi, Historienroman, Thriller usw., alle müssen sie eines: beim Leser ankommen! Er ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Leider, leider haben manche Deiner Autoren dieses Ziel aus den Augen verloren. Oder sie setzen sich mit dem Leser gleich. Das Dumme an der Sache ist nur: den Leser gibt es nicht. Leser sind Menschen wie Hinz und Kunz. Und Hinz hat andere Interessen als Kunz. Oder anders gesagt: für ein Produkt – und was ist ein literarisches Werk anderes als ein Produkt geistiger Arbeit? Eine Ware, entstanden aus der Kreativität? – gibt es unterschiedliche Zielkäufer respektive Zielleser. Manche mögen das Triviale, andere mögen das Hochliterarische, manche mögen beides.

Liebe SF-Literatur, ich weiß, Du hast es nicht leicht. Aber wenn Du einfach zu Dir selbst stehst, Dich darüber freust, dass es Dich glücklicherweise in vielerlei Ausprägungen gibt, dann … ja dann machst Du es Dir möglicherweise leichter. Und vielleicht fällt Dir dann manches auch leichter (oder jenen, die hinter Dir stehen). Zum Beispiel fällt es Dir (und ihnen) leichter zu verstehen und zu akzeptieren, dass „Vorwärts bringen“ nicht zwangsläufig bedeutet die literarische Qualität permanent verbessern zu müssen. „Vorwärts bringen“ kann auch bedeuten, dass Du wohin gebracht wirst; an einen Ort oder zu Lesern, wo Du bislang noch nicht warst. Und statt Autoren, die diese Richtung des „Vorwärts bringen“ einschlagen, Steine in den Weg zu legen, solltest Du besser diesen Weg ebnen und die Chancen nutzen, die sich dadurch bieten.

Deine ungeliebte Schwester, die Fantasy-Literatur, hat keine Berührungsängste mit Trivialem und Einfachem. Vielleicht solltest Du Dir einfach mal ein Beispiel daran nehmen. Engstirniges, elitäres, hochmütiges Gehabe, liebe SF-Literatur, haben noch niemanden vorwärts gebracht. Allenfalls seitwärts aufs Abstellgleis, an dessen Ende dann irgendwann stehen wird: „Hier ruht die SF-Literatur. Möge sie das in Frieden tun!“

Willst Du das? Sicher nicht. Viele wollen das nicht. Auch ich will das nicht. Also tue etwas dagegen. Mach es Dir und Deinen Autoren leichter. Gestehe Dir einfach etwas Leichtigkeit zu. Chancen hast Du! Nutze sie!

Das wünscht Dir Dein langjähriger Freund,
Thor Haempe

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