Und morgen bist du tot (Peter James)

Scherz-Verlag, August 2010
Original: Dead tomorrow, übersetzt von Susanne Goga-Klinkenberg
Hardcover, 528 Seiten, € 18,95
ISBN 978-3-502-10197-0

Genre: Thriller


Klappentext

Lynn umklammerte die Sessellehnen und versuchte, ihr Entsetzen zu unterdrücken. „Ich fasse es nicht, dass ich so denke. Ich war nie ein gewalttätiger Mensch. Normalerweise kann ich keiner Fliege etwas zuleide tun. Und jetzt sitze ich hier und wünsche mir, dass irgendein Fremder stirbt.“

Wie weit würde Lynn Beckett gehen, um das Leben ihrer schwerstkranken Tochter Caitlin zu retten? Als sie im Internet auf eine Organvermittlungsagentur stößt, zögert sie nicht lange. Und ignoriert die Meldungen in den Tageszeitungen, dass drei tote Teenager im Ärmelkanal gefunden wurden. Allen dreien fehlten lebenswichtige Organe. Ein nervenaufreibender Thriller mit Detective Superintendent Roy Grace, der einem lange nicht aus dem Kopf geht.


Der Autor

Peter James ist Schriftsteller und Filmproduzent. Er war lange Jahre in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent tätig. Seit seiner Rückkehr nach England, widmet er sich vorrangig dem Schreiben. Seine Thriller-Serie mit Detective Superintendent Roy Grace ist mittlerweile in 33 Sprachen übersetzt worden. Der Autor lebt im Londoner Stadtteil Notting Hill und in seinem Landhaus in Sussex.


Rezension

Welches Leben ist wertvoller: das eines rumänischen Straßenkindes oder das eines englischen, behüteten Teenagers? Wie weit würde ein Jeder gehen, wenn sein geliebtes Kind vor seinen Augen langsam vor sich hin siecht? Ein neues Organ ist das Wundermittel, die einzige Lösung. Aber Organe sind rar, ein Drittel der Wartenden stirbt vorher. Wie würde man selbst reagieren, wenn dann auf einmal eine gute Fee auftaucht und gegen eine gewisse Summe ein dringend benötigtes Organ verspricht – mit Garantie? Um diese Frage geht es vorrangig im mittlerweile fünften Thriller mit Ermittler Roy Grace. Eher ein Psychothriller, denn die Bösen sind von Anfang an bekannt, es geht lediglich um die Frage, wann und wie sie gefasst werden, wieviele Menschen vorher noch sterben müssen. Und vor allem, wie wird sich Lynn entscheiden, denn immerhin geht es um das Leben ihrer Tochter.

Roy Grace hat eine neue Liebe, Cleo, die Pathologin. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlt er sich wieder geborgen und angekommen, lediglich seine verschwundene Frau Sandy steht noch zwischen ihnen. Durch private Entwicklungen wagt er endlich den Schritt, seine Frau für tot zu erklären. Außerdem besetzt ja sein Kollege Glenn Branson sein Haus, dessen Ehe immer mehr zerrüttet. Er trauert seiner Frau hinterher, belauert sie und hätte sie am liebsten wieder zurück, er kapiert einfach nicht, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenleben will. Sein Verhalten ist eines Menschen nicht würdig, anstatt seinen Stolz zu bewahren, demütigt er sich lieber. Dafür findet er aber entscheidende Hinweise bei dem laufenden Fall, seine Erfahrungen auf See wirken sehr menschlich. Neben den ganzen privaten Verwicklungen gibt es dann für die Einheit auch noch einen Fall aufzuklären. Ein Baggerschiff findet eine Leiche, dem Teenager fehlen alle lebenswichtigen Organe. Seine Identität bleibt ungeklärt, da er in England nicht vermisst wird. Als sie den Tatort näher untersuchen, finden sie noch zwei weitere Leichen, deren Identität genauso ungeklärt bleibt. Im Laufe der Ermittlungen finden sie heraus, dass die Leichen möglicherweise rumänische Straßenkinder sind, denen in England ein besseres Leben versprochen wurde. Was dem Leser von Anfang klar ist, dauert bei den Ermittlern schon einige Zeit, bis sich ihr Ermittlungsansatz auf Organhandel verdichtet. Für den Leser ein bisschen zu lange, Roy Grace und seine Ermittler nehmen das Offensichtliche einfach nicht wahr und wirken etwas begriffsstutzig. Aber dann geht die Ermittlung rasant voran, mit Spannung verfolgt der Leser, ob Caitlin es noch schafft, ihre Leber zu bekommen.

Die Spannung baut sich lediglich in der Frage Wann und Wie auf, die Ermittlungen sind akribisch und man bekommt eine ungefähre Ahnung, wie schwer es wirklich ist, die wichtigen Punkte zu erkennen. Neben den Ermittlungen konzentriert sich James auch ausführlich auf das Leben der Straßenkinder in Rumänien. Authentisch wirken seine Beschreibungen und man kann gut verstehen, wie leicht sie Opfer für kriminelle Machenschaften werden können. Erschütternd, dass Kinder in Europa noch unter solchen Verhältnissen aufwachsen müssen, selbst an den Waisenhäusern lässt James kein gutes Haar. Peter James schildert auch eindringlich Lynns Kampf um eine neue Leber, bei der sie buchstäblich über Leichen geht. Ihre Tochter ist ihr ein und alles, sie stellt sie sogar über ihr eigenes Leben und ihre moralischen Schranken, für ihre Tochter ist sie bereit, den Weg der Illegalität zu gehen. Ihre flammende Rede allerdings, die sie der Transplantationsspezialistin hält, hätte auch jede andere Mutter halten können, deren Kind auf ein Organ wartet. Interessant wäre gewesen, wenn Lynn diese Aussagen von jemand anderem zu hören bekommen hätte, ihre Reaktion darauf, dass Caitlin nicht der einzige arme Patient auf der Welt ist. So aber verschließt auch sie ihre Augen vor dem Offensichtlichen, da ist Caitlin viel moralischer und aufgeklärter. Ist ihr Verhalten auch nicht immer sympathisch, so behält sie doch ihre Würde und ihren Galgenhumor bis zum bitteren Ende, obwohl es um ihr Leben geht, handelt sie wesentlich moralischer, wenn auch übertrieben gereizt.

Eine gelungene Mischung aus privaten Problemen, die mit den Ermittlungen einhergehen, verhindert, dass die Geschichte zu langatmig wird. Man kann sich sehr gut in die einzelnen Personen hineinversetzen, ihre Handlungen und Gefühle sind nachvollziehbar. Bei dem Geheimnis um Sandy gibt es neue Hinweise, die auf einen Nachfolgeband hinweisen. Die Täter sind eiskalt und skrupellos, das Verbrechen des Organhandels ist kein Neues, wird aber immer brisanter. Das Buch passt hervorragend in die derzeitige Diskussion um die Organspende, es gibt Denkanstösse und die Tragik bleibt bestimmt lange im Gedächtnis haften. Alleine schon die Diskussion, ob es wertvollere Leben gibt und wer darüber entscheiden darf. Fakt bleibt allerdings, dass es viel zu wenig Spenderorgane gibt und es ein Großteil derjenigen, die auf ein Organ warten, es bis zur Transplantation nicht schaffen.


Fazit

Gibt es eine Wertigkeit bei Leben? Wer entscheidet darüber? Diese beiden Fragen werden hier ausführlich dargelegt und von allen Seiten beleuchtet. Die brisanten Themen Organspende und Organhandel bleiben nachhaltig nach der Lektüre im Gedächtnis haften und bieten genug Stoff zu neuen Ansatzpunkten. Ein jeder sollte sein Verhältnis zur Organspende überdenken, jeder könnte jederzeit in die Bedrängnis kommen, ein Organ zu benötigen. Leider gibt es davon auf der ganzen Welt viel zu wenig, zu wenige sind bis heute bereit zur Organspende. Obwohl die Täter von Anfang an bekannt sind, bleibt das Interesse an der Aufklärung hoch, die privaten Entwicklungen der Protagonisten erhöhen zusätzlich den Lesegenuss.


Pro und Contra:

+ angenehme Erzählweise
+ bereits bekannte Charaktere
+ brisante Themen
+ gelungenes Nebeneinander von Privatem und Beruflichen
+ Frage nach Wertigkeiten

° Täter von Anfang an bekannt
° Figuren entwickeln sich weiter
° neuer Hinweis auf Sandy

- manchmal etwas langatmig
- unnötiger Handlungsnebenstrang
- zu langes Verleugnen des Tatorts Organhandel

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5