Strahlend schöner Morgen (James Frey)



Ullstein, 1. Auflage 2009
Originaltitel: Bright Shiny Morning
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens
HC mit SU und LB, 592 Seiten
€ 22,90 (D) | € 23,60 (A)
ISBN: 978-3-550-08767-7

Genre: Belletristik




Klappentext:

Old Man Joe, der Trinker, das Ausreißerpärchen Dylan und Maddie, Amberton, der Filmstar, der heimlich Männer liebt, und die behütete Einwanderertochter Esperanza – sie sind die Hauptfiguren in diesem großen amerikanischen Gegenwartsroman über die Megacity L.A. In ihren Geschichten entfaltet sich ein Kosmos urbanen Lebens, ein Kaleidoskop aus grellen, dynamischen Bildern, aus Sehnsüchten und zerstörten Träumen.

Innerer Klappentext:

Dylan liebt Maddie und ist mit ihr unterwegs nach L.A., Stadt der Hoffnung so vieler Menschen auf eine bessere Zukunft. Die Filmstars Amberton und Casey sind nur zur Tarnung miteinander verheiratet und ständig auf der Suche nach Sex und Bewunderung. Esperanza aus Mexiko verdient ihr Geld im Haushalt einer tyrannischen Lady und verliebt sich in deren Sohn. Der Obdachlose Old Man Joe entdeckt seine Mitmenschlichkeit, als er ein drogensüchtiges Mädchen zusammengeschlagen hinter einer Mülltonne findet. Sie und viele andere Figuren, die im Vorübergehen den Weg des Lesers kreuzen, ergeben das fesselnde Bild einer sich ständig wandelnden Metropole, seit Generationen Verheißung und Moloch zugleich. In L.A., der eigentlichen Hauptfigur, spiegeln Fakten und Fiktion einander im Rhythmus von Geschichte und Gegenwart, von Illusion, Liebe und Gewalt.
James Frey hat einen fulminant komponierten Roman über den unzerstörbaren American Dream geschrieben, der sich an den Brennpunkten unserer modernen Kultur bewegt.



Rezension:

Los Angeles: Stadt der Engel und Stadt der Träume, Ziel vieler Reisender auf der Suche nach Erfüllung ganz eigener Wünsche, vielseitige Metropole inmitten des großen Landes der unbeschränkten Möglichkeiten. Facettenreich und mit einem breitgefächerten "Lebenslauf" stellt die Stadt für viele Menschen die erfolgversprechendste Möglichkeit dar, den sogenannten amerikanischen Traum zu leben und ihr Glück beim Film oder in der Kunst zu versuchen. James Frey, der selbst einige Jahre in L.A. lebte, versucht mit Hilfe seiner vielseitigen und sehr unterschiedlichen Charaktere, die verschiedenen Gesichter der Großstadt mit durchschnittlich 333 Sonnentagen im Jahr aufzuzeigen. Herausgekommen ist dabei ein Roman in zahlreichen kleinen Splittern, die voneinander unabhängig zu lesen sind, sich aber im Laufe des Buches zu einem Gesamtbild entwickeln, und ein lexikonartiger Stadtführer der besonderen Art. Strahlend schöner Morgen besticht schon beim Klappentext mit Facettenreichtum und der Aussicht auf vielseitige Unterhaltung, doch der Leser darf sich auch noch so viel mehr freuen, denn James Frey liefert nicht nur Unterhaltung, sondern auch jede Menge Fakten und Daten über die Metropole Los Angeles.

So vielseitig wie die Stadt sind auch die Charaktere, derer der Autor sich in seinem Autoren-Comeback zwei Jahre nach dem Skandal um seine ersten beiden Bücher bedient - doch man könnte diese beiden Komponenten auch problemlos umdrehen und annehmen, dass die Stadt mit ihren zahlreichen Einwohnern selbst eine Auswahl getroffen hat, welche Szenen im Roman ihren Platz finden sollen. Denn es ist bei Weitem nicht alles Glanz und Glamour in der Gegend, die für Beverly Hills, Bel Air und natürlich Hollywood bekannt ist. Im Gegenteil reihen sich hier abgerissene und heruntergekommene Stadtteile inmitten der (neu)reichen Viertel ein, und immer wirkt es so, als müsste das genau so sein.
Für die Auswahl und Gestaltung seiner Charaktere hat James Frey ein großes Lob verdient, denn selten bekommt man ein Buch in die Hand, in der die Persönlichkeiten so perfekt aufeinander abgestimmt sind, obwohl sie nicht das Geringste miteinander zu tun haben.

Das Ausreißerpärchen Dylan und Maddie beispielsweise macht sich auf den Weg in ein besseres Leben - von den eigenen Eltern vernachlässigt, geschlagen und gedemütigt haben sie beschlossen, aus ihrem Leben etwas anderes zu machen, sie wollen nicht in ihrem Heimatkaff versauern und auf keinen Fall so enden wie ihre Familien. Das Auf und Ab ihrer Reise nach und später in Los Angeles ist ein wunderbares Beispiel für die verschiedenen Möglichkeiten, die L.A. zu bieten hat, und für zwischenmenschliche Dinge, die wichtig sind und in der heutigen Zeit leider öfter mal vergessen oder in den Hintergrund gedrängt werden.
Völlig gegensätzlich verhält es sich mit der Familie von Esperanza Hernandez, deren Eltern als illegale Einwanderer aus Mexiko besonderen Wert darauf legten, dass ihre Tochter hinter der Grenze auf amerikanischen Boden geboren wird - denn nur so bekam das Mädchen damals die amerikanische Staatsbürgerschaft und ihre Eltern durften ebenfalls in den USA bleiben. Familienzusammenhalt wird bei den Hernandez' groß geschrieben, sodass die Wohngemeinschaft wächst und wächst; Hauptperson dabei bleibt aber stets Esperanza, die für den Leser der Charakter wird, der wegen seines Aussehens nicht als der akzeptiert wird, der er eigentlich ist.
Amberton und Casey hingegen führen ein Doppelleben der Güteklasse A. Beide sind homosexuell, lassen dies aber wegen ihres Bekanntheitsgrades nicht an die Öffentlichkeit durchsickern. Sie leben im gleichen Haus, allerdings in getrennten Flügeln, gemeinsam mit ihren drei Kindern und dem gesamten Hauspersonal. Doch auch im Leben der Filmstars läuft nicht immer alles so reibungslos, wie man sich das vorstellen möchte. Und obwohl gerade diese beiden als einzige Charaktere im gesamten Buch eher unsympathisch bleiben, fühlt man mit ihnen, während sie sich gegenseitig durch ihre Ups and Downs begleiten.
Schließlich wäre da noch Old Man Joe, der eines Morgens aufwachte und schlagartig um vierzig Jahre gealtert war. Mit seinen neununddreißig Jahren sieht er aus wie fast achtzig, und seit jenem Morgen liegt er jeden Tag am Strand, beobachtet den Sonnenaufgang und hofft darauf, eine Antwort auf die Frage zu finden, was mit ihm passiert ist. Als er dem Mädchen Beatrice helfen will, verändert dies nicht nur sein Leben, sondern auch das eines guten Freundes.
Neben diesen vier Hauptsträngen kommen noch viele andere Nebenrollen zum Einsatz, durch das Buch selbst führen jedoch die ganze Zeit diese vier bzw. sechs Protagonisten mitsamt ihrer Umgebung. Der Autor versteht es hier vorzüglich, den Facettenreichtum darzustellen, den nicht nur Menschen verschiedener Art, sondern auch verschiedene Viertel mit sich bringen, und der jeder Stadt ein ganz eigenes Gesicht gibt.

Sprachlich gesehen bewegt sich der Autor auf einer sehr sicheren Seite. Als Leser braucht es einige Zeit, bis man sich an den Sprachstil gewöhnt hat, doch nach anfänglichen Startschwierigkeiten schafft es James Frey, den Leser vollends ins Geschehen zu ziehen, mit den Charakteren mitfiebern zu lassen und das auf jeder einzelnen Seite dargebotene Wissen begierig aufzusaugen.
Und Wissen gibt es auf den knapp sechshundert Seiten einiges zu finden. Nicht alles ist für jeden Leser interessant, manches Mal überblättert der eine oder andere sicherlich gern ein paar Seiten, um den vielen Zahlen zu entgehen, die man doch nicht im Gedächtnis behält. Viele Daten und Fakten lassen die Leserschaft den Kopf schütteln, andere laden zum Schmunzeln ein, wieder andere machen nachdenklich, doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie bringen dem Leser die Stadt, in der all die Handlungsstränge ablaufen, näher und lassen zu, dass er sich zumindest zeitweise selbst wie ein Bewohner von Los Angeles fühlt. Auf jeden Fall dürfte bei dem einen oder anderen die Reiselust geweckt sein, und dank Strahlend schöner Morgen weiß man auch, welche Ecken man sich unbedingt anschauen und welche Viertel man lieber meiden sollte.



Fazit:

Romanzen, Spannung, Emotionen jedweder Art, jede Menge Fakten - all das und viel mehr erwartet den Leser dieses in eigentlich viele kleine Geschichten geteilten Romans. In erster Linie ist Strahlend schöner Morgen allerdings vor allem eines: James Freys Liebeserklärung an die Stadt der Engel - mit all ihren Licht- und Schattenseiten, die oft dicht beieinander liegen und nur selten voneinander zu unterscheiden sind.



Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5