Flamme und Harfe (Ruth Nestvold)

Titel: Flamme und Harfe
Autorin: Ruth Nestvold
Original-Titel: Flame and Harp
Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
Verlag: Penhaligon, Januar 2009
Aufmachung: Hardcover, 704 Seiten
Preis: € 19,95


Rezension 

Mit zu den romantischsten Sagen überhaupt gehört die tragische Geschichte des edlen Tristan und der schönen Isolde. Diese beiden sind der Inbegriff unglücklicher Liebender überhaupt und standen Pate für zahlreiche andere Schicksalgefährten: Die verbotene Beziehung des Ritters Lancelot zu Königin Guinevra soll durch die Legenden von Tristan und Isolde inspiriert worden sein. Das Motiv wiederholt sich später in der Erzählung von Romeo und Julia, auch wenn Letztere heutzutage dank der Shakespeareschen Bearbeitung einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad besitzt.

Aus dem altbekannten traurigen Stoff zaubert die Newcomerin Ruth Nestvold einen vielschichtigen historisch-phantastischen Roman, der durchaus das Zeug zum Bestseller hat. Die erinnische Prinzessin Yseult wächst in einem Land auf, in dem zwar viele Stämme um die Vorherrschaft auf der Grünen Insel kämpfen, andererseits jedoch der Stellenwert der Frauen und der überlieferten Traditionen hoch angesiedelt ist. Als ein schwer verletzter Fremder die Hilfe ihrer Mutter erbittet und sich als Barde ausgibt, ahnt Yseult nicht, dass sie in Wirklichkeit ihrem geschworenen Todfeind gegenüber steht, der für den Tod ihres Onkels verantwortlich ist. Als die Wahrheit ans Licht kommt, ist es zu spät und die beiden jungen Menschen haben sich rettungslos ineinander verliebt. Nur eine räumliche Trennung scheint Hilfe bringen zu können. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen, denn eine Verkettung unglücklicher Umstände zwingt Yseult, den britischen Kleinkönig Marcus zu heiraten – Drystans Vater. Obwohl sich beide gegen das scheinbar Unvermeidliche wehren, ist es vor allem ihren engsten Vertrauten – Yseults Base Brangwyn und Drystans bestem Freund Kurneval – klar, dass es weder der erinnischen Prinzessin noch dem britischen Fürstensohn gelingen wird, ihre Gefühle langfristig zu unterdrücken. Und so nimmt in den unruhigen Wirren des nachrömischen Britanniens bald ein gefährliches und verbotenes Spiel seinen Lauf, das über alle Beteiligte nichts als Unglück zu bringen droht.

Ist “Flamme und Harfe” ein Frauenroman?

Wer nach der Verlagsbeschreibung (samt Bezugnahme auf Marion Zimmer Bradleys Klassiker “Die Nebel von Avalon“) einen stark feministisch angehauchten Roman erwartet, wird nicht fündig. Wenn die Anfangssequenz des Buches auch anderes vermuten lässt, konzentriert sich Ruth Nestvold nicht primär auf die Figur Yseult. Ihr männlicher Konterpart – Drystan – nimmt mindestens ebenso viel Platz ein wie sie. Das erlaubt der Autorin, das Motiv der unglücklichen Liebenden eng mit dem Sagenkreis von König Artus – bzw. hier richtigerweise Arthur – zu verbinden. Weite Teile von “Flamme und Harfe” beschäftigen sich nicht mit der tragischen Beziehung der beiden, sondern mit Arthurs Schlachten gegen die einfallenden Sachsen und um ein geeintes Britannien. Damit – und mit der Entscheidung, ihr Ende vom klassischen Ausgang der Sage inspirieren zu lassen, diesem aber nicht bis ins letzte Detail zu folgen – schafft sie sich genug Potential für mögliche weitere Romane, an denen sie laut ihrer Website auch bereits arbeitet.

Facettenreiche Hauptfiguren, die überzeugen

Obwohl ihre Hauptfiguren überwiegend Gestalten aus dem Reich der Sagen und Legenden sind – über die tatsächliche Existenz von Arthur sind sich die Historiker bis heute uneins – zeichnet Nestvold ein offenbar gut recherchiertes Bild des frühen Mittelalters. Die Römer haben die Insel vor nicht allzu langer Zeit verlassen und auch wenn ihre Bauwerke bereits verfallen, hat ihr Lebensstil den der Briten stark geprägt. Das Christentum ist die vorherrschende Religion, die den alten Glauben immer mehr verdrängt. Damit bildet Drystans Heimat einen sehr starken Kontrast zu Yseults Herkunftland Eriu, eine Insel, die die Römer nie erobert haben. Hier ist der alte Glaube noch sehr lebendig, Rituale spielen im Alltag eine große Rolle und die Frauen von Erin sind den Männern gleichgestellt. Ein Barde zählt ebenso viel wie ein Krieger. Es ist ein altes Land und ein altes Volk, dem Yseult entstammt, und in ihrem Blut sind die magischen Gaben ihrer Vorfahren noch lebendig.

So wächst Yseult - Kämpferin, Heilerin und Magierin gleichermaßen - zu einer starken, selbstbewussten Frau heran. Damit der Eindruck nicht täuscht: Ruth Nestvold übertreibt es mit den phantastischen Elementen keineswegs. Sie macht ihre Heldin weder zu einer Amazone noch zu einer Zauberin – sie schafft vielmehr eine faszinierende Figur mit vielen Facetten. Mit Drystan gelingt ihr Ähnliches. Die anderen Figuren mögen nicht so stark ausgearbeitet sein, sind aber dennoch durchaus sympathisch bzw. zumindest glaubhaft.
Es ist jedoch vor allem das bereits erwähnte Sittengemälde und seine stimmige Atmosphäre, durch das Ruth Nestvolds Debüt beeindruckt – und die Tatsache, dass es ihr gelingt, einer altbekannten Mär völlig neue Seiten abzugewinnen.

Eine tragische Liebe menschlich gemacht 

Mit der größte Verdienst der Autorin ist es, dass es ihr in “Flamme und Harfe” gelingt, die glorifizierte Romanze von Tristan und Isolde menschlich zu machen, sie von ihrem überirdischen Sockel zu heben. Das bedeutet nicht, dass Yseult und Drystan nicht leiden. Es bedeutet vor allem, dass sie ihr Leben nicht ausschließlich durch den jeweils anderen definieren. Nestvold zeichnet die beiden tragischen Liebenden auf realistische Weise und wirft die durchaus mutige wie angebrachte Frage auf, ob die fatale Anziehungskraft, die beide aneinanderkettet, nicht auch zum Teil darin besteht, dass ihre Liebe eben auch eine verbotene ist. Wie anders ist da die sich langsam entfaltende Liebesgeschichte zwischen Brangwyn und Kurneval. Bedacht und vorsichtig entwickelt sich das zarte Pflänzchen Liebe zwischen den beiden – und dadurch überlegter und nicht so (selbst)zerstörerisch. Dieser Vergleich macht das Buch um so runder.

Fazit

“Flamme und Harfe” mag nicht so opulent sein wie “Die Nebel von Avalon”. Das ist aber auch nicht schlimm, denn das strebt der Roman gar nicht an. Vielmehr konzentriert er sich auf andere Dinge. Immerhin macht er durchaus neugierig auf weitere Werke aus der Feder von Ruth Nestvold und – was viel wichtiger ist - bietet Freunden historisch-phantastischer Kost zahlreiche willkommene Stunden wunderbarer Unterhaltung.


Diese ausführliche Rezension stammt von Darkstar von fantasy-news.com!

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