Schlaf still, mein Mädchen (Doris Bezler)

Verlag Knaur, April 2010
TB, 432 Seiten, € 8,95
ISBN 978-3426502099

Genre: Krimi


Klappentext:

Das kindliche Flehen, das aus allen Richtungen zu kommen schien, verebbte nur langsam und ließ sie wie gelähmt vor Angst zurück. Nach ihrer Scheidung wohnt Maren mit ihrer siebenjährigen Tochter Julia in einem abgelegenen Dorf im Hintertaunus. Überfordert von den neuen Lebensumständen, hat Maren immer öfter einen Alptraum, in dem ein Kind um Hilfe schreit. Als sie zufällig erfährt, dass in dem Ort vor einigen Jahren ein kleines Mädchen spurlos verschwand, stellt sie mit wachsender Unruhe selbst Nachforschungen an. Doch da hat Julia schon längst die Bekanntschaft eines freundlichen Mannes gemacht …


Die Autorin:

Doris Bezler ist seit mehr als 20 Jahren mit Leib und Seele Lehrerin und heute als stellvertretende Schulleiterin tätig. Sie schreibt seit vielen Jahren, oft auch Geschichten für ihren eigenen Unterricht. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei erwachsenen Kindern in Bad Soden/Taunus. "Schlaf still, mein Mädchen" ist ihr erster Kriminalroman.


Rezension:

Eigentlich hatte Maren die perfekte Familie, sie und ihr Mann Rolf mit ihrer kleinen Tochter Julia. Als sie in ein Haus im ländlichen Taunus ziehen, ist ihr Glück perfekt und Maren geht völlig in ihrer Rolle als Ganztagsmutter auf. Deshalb bemerkt sie auch erst spät, dass Rolf schon lange eine Affäre hat. Als er dann zu seiner Freundin nach Frankfurt zieht und sie mit Julia alleine in ihrem großen Haus bleibt, bricht für sie erst einmal eine Welt zusammen. Doch schnell rappelt sie sich wieder auf, beginnt zu joggen und nimmt eine Teilzeitstelle als Lehrerin in Frankfurt an. Ihre ganze Energie konzentriert sich nun auf Julia, sie behütet sie über alles und würde sie am liebsten gar nicht mehr aus den Augen lassen. Vor drei Jahren ist schon einmal ein Mädchen aus dem Dorf verschwunden, der Täter wurde bisher noch nicht gefasst. Jörg, der Bruder der verschwundenen Melanie, geht in Julias Klasse und man munkelt, dass seinem Vater des Öfteren die Hand ausrutscht. Beim Joggen lernt Maren Thorsten Steiner kennen, den Julia schnell in ihr Herz schließt. Ein Geheimnis allerdings umwebt Thorsten, seine Vergangenheit liegt im Dunklen und Maren ist sich nie sicher, wer er eigentlich ist. Möglicherweise sogar der Kinderschänder, denn sein Interesse an der verschwundenen Melanie ist groß.

Die Autorin macht es dem Leser nicht leicht mit ihren Charakteren, die sie durchweg unsympathisch agieren lässt. Maren ist eine überbehütende Mutter, die ihrem Kind viel Selbständigkeit abspricht. Julia darf nicht alleine zur Schule gehen, nachmittags, wenn Maren arbeiten muss, ist sie bei einer Tagesmutter. Diese ist zwar schon fast achtzig, hat aber Spaß mit Julia. Im Gegensatz zu ihrer Mutter lässt sie ihr viel mehr Freiheiten. Maren versucht, alles Unangenehme von Julia fernzuhalten, sie wird viel zu schnell hysterisch und ungerecht. Als Thorsten versucht, ihr die Wahrheit über seine Vergangenheit zu erzählen, blockt sie ab und will es nicht wissen. Inkonsequent schickt sie ihn aber einfach weg, ohne ihn anzuhören, als Freunde Zweifel an seiner Identität in ihr säen. Die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen, gibt sie ihm erst gar nicht. Außerdem schreit sie viel und ist recht schnell beleidigt. Thorsten wirkt anfangs recht schuldbewusst und unheimlich, man spürt, dass er vieles verbirgt. Im Verlauf der Geschichte wird sein Verhalten immer normaler und sympathischer, man merkt, wie ihm die Beziehung zu Maren Stabilität verleiht. Trotzdem bleibt immer noch der Hauch eines Verdachtes, nie ist man sicher, ob er wirklich derjenige ist, den man vermutet. Rolf, ihr Exmann ist ein typischer Chauvinist. Maren ist an allem schuld, ihr Verhalten dem Kind gegenüber ist schädlich, sie sollte sich doch mal überlegen, was sie mit einem neuen Freund dem Kind antut. Ist für ihn eine neue Freundin selbstverständlich, so gilt das noch lange nicht für Maren. Wer weiß, welche schädlichen Einflüsse durch Thorsten und ihr neues Berufsleben auf Julia einwirken. So kommt er schon mal unangemeldet in ihr Haus, poltert herum und droht ihr, das Sorgerecht einzuklagen. Ihre beste Freundin Sybille, die ihr damals die Wahrheit über Rolfs Dienstreisen gesteckt hat, ist mit einem Sensationsreporter zusammen, der die Gelegenheit wahrnimmt und Maren zu Spionagediensten verpflichten will. Immerhin lebt sie in dem Dorf und kennt Melanies Mutter, da dürfte doch wohl noch eine Story für ihn herauskommen. Verstehen kann er nicht, dass Maren sich darauf nicht einlässt. Da sie ja nur ihr Bestes wollen, verdingen sie sich als Detektive und durchstöbern Thorstens Vergangenheit. Als sie nicht das finden, was sie sich erhofft haben, geben sie nicht auf sondern belästigen Maren mit einer Aufdringlichkeit, die schon nicht mehr an Freundschaft grenzt.

Julia ist allerdings ein ganz schweres Kaliber. Frech, aufdringlich, fordernd, uneinsichtig und beleidigend legt sie ein unmögliches Verhalten an den Tag, was mit einer normalen Siebenjährigen nicht mehr kompatibel ist. Sie sagt, was sie denkt und will, sie bittet nicht, sie fordert. Thorsten schmeißt sie sich regelrecht an den Hals, obwohl sie ihn gerade erst kennen gelernt hat. Sie hat ihre eigene Meinung darüber, was ihr erlaubt werden sollte und was nicht, zur Not umgeht sie halt die Verbote ihrer Mutter mit einer unheimlichen Bauernschläue. Immer wieder wird betont, wie intelligent Julia doch ist und dass sie sich in der zweiten Klasse langweilt. Ihr Sozialverhalten indes ist das eines verwöhnten, kleinen Kindes, dem keine Grenzen gesetzt werden. Geschickt nutzt sie immer wieder die Schuldgefühle ihrer Eltern aus und manövriert sie in ausweglose Situationen, in denen sie eigentlich mal ein Machtwort sprechen müssten. Niedergedrückt von ihrer eigenen Unfähigkeit, Julia Grenzen aufzuzeigen, können sie das aber nicht. Dieses Verhalten verleidet die Geschichte ungemein, man sieht mit offenen Augen, wie alle Personen in ihr eigenes Unglück rennen und wünscht der Mutter ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft. Einfach eine Schande, wie gewollt hilflos sie sich von Julia manipulieren lässt und kein Mass für angemessenes Verhalten setzt.
Warum fesselt trotz aller Kritikpunkte das Buch dann trotzdem noch? Es liegt an dem angenehmen Schreibstil von Doris Bezler, der den Leser gefangen nimmt. Wechselnde Perspektiven lassen tiefe Einblicke in die einzelnen Charaktere zu, auch in die des Täters. Dieser entpuppt sich wirklich erst ganz zum Schluß, immer wieder sät die Autorin gekonnt Zweifel an einzelnen Personen. Man will einfach wissen, wer Thorsten Steiner denn nun wirklich ist und ob es Maren gelingt, ein bisschen selbstbewusster aufzutreten. Sehr deutlich kommt hier auch die Doppelmoral der Menschen zutage, egal ob Mann oder Frau, diejenigen, bei denen das Kind nicht lebt, meinen immer noch, dem anderen vorschreiben zu können, wie sie sich zu verhalten haben. Was für den einen gilt, gilt für den anderen noch lange nicht.


Fazit:

Ein Psychothriller mit gegensätzlich agierenden Hauptpersonen, der durch seine flüssige, eingängige Sprache besticht. Doris Bezler gelingt es sehr gut, Zweifel zu säen – hätte sie doch nur ihre Personen angemessener agieren lassen und sie nicht ständig ungerecht aufbrausend oder von Selbstzweifeln zerfressen lassen.


Pro und Contra:

+ packender Stil
+ Spannung wächst immer mehr
+ stimmige Atmosphäre

o unblutig

- unreife Charaktere
- völlig überzogenes Verhalten des Kindes


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5