Schon bei ihrer Ankunft hatte sie den Blick schweifen lassen und aus den Augenwinkeln glaubte sie, irgendwo Stäbe einer Gefängniszelle gesehen zu haben. Auch wenn niemand zu ihr ein Wort über die Gefangenen gesagt hatte. Fort Brannigan war verhältnismäßig klein und so war Katie zuversichtlich, ihre Freunde bald zu finden. Sie hielt sich stets im Schutz der Dunkelheit, um nicht von den Soldaten gesehen zu werden.
Im Lichtkegel einer Öllampe würfelten an einem grob gezimmerten runden Tisch zwei Soldaten. Sie beschimpften sich gegenseitig als Betrüger und lachten roh. Ihren schleppenden Stimmen nach zu urteilen, sprachen sie schon längerer Zeit dem Branntwein zu. Katie lächelte insgeheim triumphierend, die Finger ihrer linken Hand umklammerten eine kleine Phiole in der Hosentasche. Alkohol würde die Wirkung nur noch verstärken.
In der Dunkelheit konnte sie nur schemenhaft die beiden Gestalten in der Gefängniszelle ausmachen, doch Sina schien sie bemerkt zu haben. Katie hörte die Stimme der Freundin, als die beiden wachhabenden Soldaten in ein Gespräch verwickelte.
Die indianischen Mokassins, die sie in der Truhe gefunden hatte und die sie trug, waren ihr etwas zu groß. Sie waren eher für Männerfüße gemacht, dennoch taten sie ihren Dienst. So war es ihr möglich, sich lautlos an den ihr am nächsten sitzenden Soldaten heranzupirschen. Fest presste sie ihm einen Stofflappen auf Mund und Nase. Ein beißender Geruch erfüllte die Luft und Katie musste aufpassen, nicht selbst ohnmächtig zu werden. Sie hatte ein wenig viel von dem Chloroform erwischt. Augenblicklich sank der Soldat zu Boden und rührte sich nicht mehr. Katie zog während seines Fallens den Revolver aus dem Gürtel und entsicherte die Waffe mit einem leisen Klicken. Als der zweite Soldat aufblickte, schaute er geradewegs in den Lauf des Colts seines Kameraden.
„Du da“, Katie verschwendete keine Zeit. Sie warf dem Soldaten das Chloroform getränkte Tuch hin. „Halte dir das vors Gesicht und schön tief einatmen.“ Sie grinste. „Na, wird’s bald?“
Als der Angesprochene zögerte, winkte sie nachdrücklich mit dem Revolver. Ihr Zeigefinger spannte den Abzugshahn. Widerspruchslos kam der Soldat dem Befehl nach und einen Moment später sank auch er zu Boden. Katie sicherte die Waffe und steckte sie in den Gürtel. Inständig hoffte sie, dass die etwas zu weite Hose nicht rutschte.
„Katie. Gott sei Dank“, mit einem erleichterten Aufatmen schoss Sina vor zu den Gitterstäben, hinter denen man sie und Yuma gefangen hielt.
Der Apache gesellte sich dazu. „Aber wie?“, fragte er verwundert.
„Erzähl ich euch später.“ Eifrig machte Katie sich daran, den am Boden liegenden Soldaten ein Schlüsselbund abzunehmen. Sie erhob sich und hielt ein wenig ratlos den schweren Bund mit den vielen Schlüsseln in Händen. „Die genügen ja für eine ganze Stadt“, meinte sie resigniert.
„Schieß doch einfach das Schloss entzwei“, schlug Sina vor.
„Nein, das verursacht zu viel Lärm.“ Katie drückte der Freundin die Öllampe in die Hand. „Halt die mal, dann kann ich besser sehen.“ Sie stutzte kurz, als der Lichtkegel auf die Handgelenke des Indianers fiel. „Warum trägt Yuma Ketten?“
„Er hat einen Offizier geschlagen. Morgen soll er deswegen erschossen werden“, antwortete Sina. „Jetzt beeil dich doch bitte. Die Sonne geht ja gleich auf.“
Katie entging die Panik in der Stimme ihrer Freundin nicht. Sie ahnte bereits, dass der Erschießungsbefehl nicht nur dem Apachen galt. Hastig suchte sie einen Schlüssel heraus, der vom Augenmaß passen konnte. Es war der Falsche. Katie fluchte. Der nächste war zu klein. „Warum braucht man tausende Schlüssel an einem Bund.“ Endlich fand sie den richtigen. Mit einem rostigen Schaben drehte er sich im Schloss. Katie gestattete sich ein erleichtertes Aufatmen, hatte sie doch befürchtet, das Schloss tatsächlich durchschießen zu müssen. Schnell fand sie auch den Schlüssel für Yumas Ketten. Gerade als die beiden Gefangenen ihr Gefängnis verlassen wollten, erstarrte Sina. Der zweite Soldat, den Katie betäubt hatte, erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit. Schwankend stemmte er sich auf die Knie und fand Halt an dem runden Tisch, wo er zuvor mit seinem noch schlafenden Kameraden gewürfelt hatte. Die Holzplatte knarrte unter seinem Gewicht, doch am meisten erschreckte die Drei die Pistole, die auf sie zeigte. Der Soldat grinste hämisch. Er wusste, dass er nicht einmal treffen musste. Es genügte, den Revolver abzufeuern und innerhalb kurzer Zeit würde es hier von blauen Uniformen nur so wimmeln. Eine Flucht war damit dann völlig ausgeschlossen.
Er fasste nach Katies Knöchel, die ihm am nächsten stand. „Schön hiergeblieben, kleines Fräulein“, lallte er mit schwerer Zunge, die nicht nur vom Alkohol herrührte.
Reflexartig trat sie zu. Der Soldat verlor den Halt und für einen Moment sah es so aus, als würde er zu Boden stürzen, doch fing er sich wieder und umklammerte mit der freien linken Hand die Tischkante. „Hilfe!“, zuerst kam das Wort nur schleppend und kaum verständlich aus seinem Mund. Doch je mehr die Wirkung des Chloroforms nachließ, desto besser war er zu verstehen.
„Überfall! Hilfe! Indianer!“
Katies Herz begann zu rasen. Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Wut kochte in ihr hoch. An einem betrunkenen Yankeesoldaten sollte die Befreiung ihrer Freunde ganz bestimmt nicht scheitern. Sie wandte sich um und hieb dem Soldaten ihren eigenen Colt an die Schläfe. Er war ein großer, kräftiger Mann. Der Schlag einer zierlichen Frau, der ihm unter gewöhnlichen Umständen wenig ausgemacht hätte, brachte ihn zum Schwanken, aber noch nicht zu Fall. Er hob seinen Revolver hoch, bereit einen Warnschuss abzugeben.
Plötzlich hielt Katie die eisernen Ketten, die Yuma um die Handgelenke getragen hatte. Sie ließ die schweren Glieder einmal kreisen und schmetterte sie mit aller Kraft an den Kopf des Soldaten. Wie ein gefällter Baum stürzte er zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Katie lehnte einen Moment an die Gefängnisstäbe und fing hysterisch an zu lachen. Sie presste beide Hände auf den Mund. Tränen liefen ihr übers Gesicht und ihr Körper wurde regelrecht geschüttelt.
Yuma und Sina, die immer noch in der Gefängniszelle standen, schauten sie verständnislos an.
„Ihr…ihr hättet.“ Atemlos rang sie nach Luft. Immer wenn sie versuchte ein Wort zu sagen, wurde sie von neuen Lachanfällen geschüttelt. „Ihr hättet eure Gesichter sehen müssen, als ihr da im Stroh saßt.“ Lachend schüttelte sie den Kopf. „Köstlich, einfach zu köstlich.“
„Du bist völlig verrückt“, konstatierte Sina.
„Die Sonne geht bald auf“, warf der Indianer mit einem Blick an den Himmel ein, wo sich ein schmaler silberner Streifen zeigte. „Bald wird hier alles voller Soldaten sein.“
Sina drängte sich an Yuma und Katie vorbei. Sie packte den bewusstlosen Soldaten an den Armen. „Wir müssen die beiden einsperren.“ Sie begann, den schlaffen Körper in die Gefängniszelle zu zerren.
Die Pferde warteten geduldig, bis ihre Reiter sie abholten. Yuma hatte die beiden Soldaten in der Zelle nicht nur gefesselt, sondern auch Fetzen ihrer Uniform als Knebel in den Mund geschoben, sodass sie nicht schreien konnten.
Katie bestieg ihr Pferd und ritt ruhigen Schrittes zu dem großen Tor. Bei den beiden wachhabenden Soldaten, die noch sehr jung zu sein schienen, wollte sie sich höflichst für die empfangene Gastfreundschaft bedanken. Ihren Freunden, die sich im Schutz der Dunkelheit aufhielten, wollte sie ein Zeichen geben, sobald das Tor weit genug offen war, es zu passieren. Die Wache schien im Schlaf zu dösen, doch sobald sie Katie gewahr wurden, schreckten sie auf. Die Schirmmützen waren ihnen fast über die Augen gerutscht.
„Wohin des Weges, junge Dame?“, fragte einer freundlich.
„Ich möchte mich für die Gastfreundschaft, die mir Fort Brannigan gewährt hat, bedanken“, antwortete Katie wohlerzogen und hoffte, dass ihr Gegenüber das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht bemerkte.
Der Soldat wurde hellhörig. Er schob die Schirmmütze in den Nacken. „Es ist früher Morgen. Wollt Ihr Euch nicht noch vom General verabschieden?“
„Ach nein, bitte keine Umstände. Ich vermisse meine Familie“, antwortete Katie. „Würdet ihr mir bitte das Tor öffnen?“
„Eure Familie ist doch bei dem Überfall der Indianer ums Leben gekommen“, fasste der Soldat zusammen. Sein Misstrauen war geweckt. Er nahm sein Gewehr fester in die Hand. „Wenn ich es mir recht bedenke, seht Ihr sehr frisch aus, dafür dass Ihr gerade erst Eure gesamte Familie verloren habt.“ Er war erstaunlich scharfsinnig.
Katie suchte schnell nach einer passenden Antwort. Genau das hatte sie befürchtet. „Nun ja, mein Vater ist ja auf unserer Farm geblieben und…“
„Man kann ihm jederzeit eine Nachricht zukommen lassen“, unterbrach sie der Soldat. „Für eine junge Frau ist es zu gefährlich, allein in der Prärie zu reiten. Die Rothäute habt Ihr doch schon fürchten gelernt.“ Er stellte sich in den Weg und packte Harlekins Zügel.
„Lassen Sie sofort mein Pferd los“, forderte Katie barsch und stieß Harlekin die Fersen in die Flanken. Der Hengst riss den Kopf hoch und rollte mit den Augen, doch der Soldat hing fast mit seinem gesamten Körpergewicht in den Zügeln des Tieres.
„Du bleibst hier, Mädchen und deine Indianerfreunde auch.“ Er gab seinem Kameraden das Zeichen, Alarm zu schlagen. Katie stieß einen schrillen Schrei aus. Mit aller Kraft trat sie dem Soldaten in die Kehle und zog den Colt aus ihrem Gürtel. Ein scharfer Knall und ein kurzer Blitz, dann sank er getroffen zu Boden. Die nächste Kugel traf seinen Kollegen. Eilig kamen Sina und der Apache herbei. Sie sprangen von den Pferden und stemmten sich zu dritt gegen den schweren Riegel. Sie schoben das Tor so weit auf, dass sie gerade durchreiten konnten.
Am Himmel ging die Sonne auf. Katie half ihren Freunden auf die Pferde. Die Soldaten des Forts waren alarmiert. Plötzlich wimmelte es von blauen Uniformen wie in einem Ameisenhaufen.
Sie konnte die Gefahr körperlich im Rücken spüren. Sina und Yuma zögerten einen Augenblick, sahen sich nach Katie um. Sie gab ihnen unwirsche Handzeichen, weiter zu reiten und die beiden passierten das rettende Tor.
„Ich will sie lebendig“, bellte eine raue Stimme irgendwo in dem Getümmel, während sie sich bemühte, auf ihren nervösen Hengst zu steigen. Gefolgt von dem Apaloosa galoppierte Silver mit eng an den Kopf gelegten Ohren in die Freiheit. Mit aller Kraft klammerte sich Sina am Sattelhorn fest. Ihre schimmernde Stute glich in der aufgehenden Sonne einem Lichtstrahl.
Langsam schwang das Tor wieder nach innen. Verzweifelt versuchte Katie sich einen Weg durch die Menge der Soldaten zu bahnen, die sie umringten. Sie spürte grobe Hände, die von hinten packten und aus dem Sattel zerrten. Einen Moment wehrte sie sich noch voller Verzweiflung, doch wusste sie, dass sie hoffnungslos unterlegen war. Das Tor schwang zu und Katie war gefangen. Ihre Freunde hatten es in die Freiheit geschafft. Brutal wurde sie herumgerissen und im gleichen Augenblick schlug ihr jemand hart ins Gesicht. Katie verlor die Besinnung.
Sie saß in dem gleichen Gefängnis, aus dem sie ihre Freunde befreit hatte. Vor den Gitterstäben saß der ihr bekannte Soldat, den sie mit Chloroform betäubt hatte und spielte Karten. Sein Spielgenosse war ein anderer. Sein Vorgänger hatte den Schlag mit den eisernen Handschellen nicht überlebt. Katie lehnte mit dem Rücken gegen die Wand. Ihre Hände waren gefesselt. In wenigen Stunden sollte sie nach Roswell gebracht werden, wo man ihr den Prozess machen wollte. Die Anklage lautete auf dreifachen Mord, Befreiung von Gefangenen und Widerstand gegen die Armee. Sie hatte nur wenig Hoffnung, falls nicht ein Wunder geschah, war ihr der Galgen sicher oder auch die Kugel. Das lag ganz im Ermessen des Richters. Sie wurde lediglich nur deshalb nicht vor ein Militärgericht gestellt, weil sie eine Frau war.
Rostig drehte sich der Schlüssel im Schloss, die Tür ging mit einem leisen Quietschen auf. Zwei Soldaten flankierten den Ausgang. Katie trat heraus, unbarmherzig stach ihr die Sonne grell in die Augen.
Ein Blaurock eilte herbei und führte ein braunes Pferd am Zügel, wenigstens durfte sie ihr eigenes Pferd reiten. Die Stricke, mit denen man ihre Hände gefesselt hatte, schnitten ihr in die Haut. Sie warf einen Blick zum Tor. Die Apachen lagerten gut einen halben Tagesritt entfernt, wenn alles gutgegangen war, sollten Yuma und Sina wohlbehalten im Stamm angekommen sein. Bis der Häuptling dann aber entsprechend Krieger mobilisiert hatte, mit denen er zu ihrer Rettung im Fort eintraf, verging noch einmal mindestens ein Tag. Falls Taim sich diese Mühe für ein Mädchen überhaupt machte und ihr Vater war mit Sicherheit froh, sie auf so elegante Art loszuwerden. Katie hätte gerne beruhigend über den Hals ihres Pferdes, der vor Aufregung ganz dunkel vom Schweiß war, gestrichen, doch ließen ihre gebundenen Hände das nicht zu. Sie musste sich sogar schwerfällig in den Sattel helfen lassen. Ein Captain, Katie war sein Name entfallen, entrollte ein Dokument und las es mit nasaler Stimme vor. Seine Worte drangen wie durch Watte an ihr Ohr. Sie hörte zwar, was er sagte, doch verstand sie kaum den Sinn. Der Captain rollte das Schriftstück wieder zusammen und überreichte es einem salutierenden Korporal, dessen Gruß er erwiderte.
Der Corporalstieg auf eine nervöse braune Stute. Drei seiner Kameraden, die ihn und Katie begleiten sollten, warteten schon. Er beugte sich zu dem Mädchen und krallte die Finger in ihren Oberarm. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte sie jede Regung des Schmerzes, man hatte sie schon genug gedemütigt.
„Solltest du einen Fluchtversuch wagen, erschießen wir dich sofort. Hast du verstanden?“, zischte er ihr zu. Katie starrte durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht vorhanden. Sein Griff wurde fester, sie spürte jeden einzelnen Fingernagel. Schließlich nickte sie kaum merklich und überlegte, ob sie es nicht darauf anlegen sollte. Eine Kugel war sicherlich besser als der Strick. Der Corporal schien ihre Gedanken zu erraten, er wollte noch etwas hinzufügen, doch sein Captain gab ihm das Zeichen zum Aufbruch.
Der schwere Riegel wurde zurück geschoben, die Flügeltüren schwangen weit auf und gaben voller Zynismus den Weg frei. Vor wenigen Stunden hätte Katie noch alles dafür gegeben, hier durchreiten zu dürfen, doch am Ende des Weges wartete der Tod auf sie.
Die Sonne stand schon tief am Himmel. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Bis Roswell waren es noch fast zwei Tagesritte. An einem kleinen Fluss unter ein paar schattigen Bäumen richteten sich die Soldaten ein Lager für die Nacht her. Katie wurde unter eine junge Pappel gesetzt und an den Stamm gefesselt. Ein Soldat, bewaffnet mit einem langen doppelläufigen Gewehr, blieb zu ihrer Bewachung. Anscheinend wollten die Blauröcke kein Risiko eingehen. Der Corporal trat zu dem Mädchen uns musterte es mit lüsternem Blick. Seine Zungenspitze fuhr über die aufgesprungenen Lippen: „Vielleicht sollten wir mit der Kleinen noch ein wenig Spaß haben, bevor sie“, er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle, „das hübsche Hälschen langgezogen bekommt.“ Er lachte hämisch. Sein am Boden sitzender Kamerad schob sich die Schirmmütze in die Stirn. „Ach, Joe , du weißt doch wie das ist. Nachher redet sie und auf den Ärger habe ich wirklich keine Lust.“
Joe ging in die Hocke. Er starrte Katie auf unverschämte Art an, fast zog er sie schon mit Blicken aus. Das Mädchen wurde unruhig. Die starken Seile, mit denen man sie gefesselt hatte, hielten sie so fest, dass sie lediglich den Blick abwenden konnte.
„Wir haben unseren Spaß mit ihr und danach kriegt sie eine Kugel.“ Er grinste widerlich. „Auf der Flucht erschossen.“
Joe erhob sich aus der unbequemen Stellung. „Binde sie los“, befahl er seinem Kameraden.
„Was?“, schreckte der aus seinem Dösen auf.
„Losbinden“, wiederholte Joe seinen Befehl.
„Aber…?“ Unsicher huschten die Blicke des noch recht unerfahrenen Soldaten zwischen seinem Vorgesetzten und dem Mädchen hin und her.
„Willst du dich meinem Befehl etwa widersetzen?“ Der Corporal zog seine Pistole und entsicherte sie. Augenblick sprang der Soldat auf. Eine Kugel wegen Befehlsverweigerung wollte er sich wegen der kleinen Hure nicht einfangen. Er löste die Stricke um Katies Handgelenke und Körper.
Der Lauf der Waffe zielte auf Katies Stirn. „Steh auf!“ Sie zögerte. „Wird’s bald oder soll mein Kamerad dir Beine machen?“
Nicht ohne den Colt aus den Augen zu lassen, erhob sie sich. Arme und Beine brannten wie Feuer, als die Blutzirkulation wieder in Gang kam.
„Komm her“, forderte er sie auf. Zögerlich machte sie einen Schritt. Die Beine drohten fast, unter ihr wegzuknicken.
„Schneller“, blaffte der Korporal. Seine drei Kameraden schauten stumm und ohne jede Regung zu. Als Katie auf Armlänge bei ihm war, packte er sie und zog sie eng an sich. Sein nach Branntwein riechender Atem streifte ihr Gesicht. Sie schloss die Augen und betete stumm, es möge schnell vorbei sein. Seine Finger glitten über ihren Rücken wie Spinnenbeine. Katie verspürte den Drang, sich zu übergeben. Er streichelte einen Moment ihren Po, bevor seine widerlichen Finger unter den Saum ihres Hemdes glitten und bloße Haut berührten. Er presste seine Lippen auf ihren Hals, biss leicht in die zarte Haut. Sie spürte, wie er erbebte. „Wir werden viel Freude miteinander haben, meine Hübsche“, versprach er. „Deine roten Freunde werden dich schon so einiges gelehrt haben.“
Wieder presste er seinen Mund auf Katies Lippen. Seine Zunge glitt zwischen ihre Zähne wie eine Schlange durch Felsspalten. Unwillkürlich musste sie an ihren Traum denken. Der Corporalatmete schwer.
Plötzlich hörte sie langgezogene, hohe Schreie. Der Blaurock ließ von Katie ab und gab ihr einen unerwarteten Stoß, so dass sie zu Boden fiel. Einer seiner Kameraden sank mit einem leisen Stöhnen ins Gras. Ein gefiederter Pfeil ragte aus seiner Brust. Die drei verbliebenen Soldaten duckten sich hinter die Bäume und schossen, was die Pistolen hergaben, ohne sich weiter um ihre Gefangene zu kümmern.
Katie rettete sich hinter einen Busch, wo sie in Sicherheit das Geschehen beobachten konnte.
Im Lichtkegel einer Öllampe würfelten an einem grob gezimmerten runden Tisch zwei Soldaten. Sie beschimpften sich gegenseitig als Betrüger und lachten roh. Ihren schleppenden Stimmen nach zu urteilen, sprachen sie schon längerer Zeit dem Branntwein zu. Katie lächelte insgeheim triumphierend, die Finger ihrer linken Hand umklammerten eine kleine Phiole in der Hosentasche. Alkohol würde die Wirkung nur noch verstärken.
In der Dunkelheit konnte sie nur schemenhaft die beiden Gestalten in der Gefängniszelle ausmachen, doch Sina schien sie bemerkt zu haben. Katie hörte die Stimme der Freundin, als die beiden wachhabenden Soldaten in ein Gespräch verwickelte.
Die indianischen Mokassins, die sie in der Truhe gefunden hatte und die sie trug, waren ihr etwas zu groß. Sie waren eher für Männerfüße gemacht, dennoch taten sie ihren Dienst. So war es ihr möglich, sich lautlos an den ihr am nächsten sitzenden Soldaten heranzupirschen. Fest presste sie ihm einen Stofflappen auf Mund und Nase. Ein beißender Geruch erfüllte die Luft und Katie musste aufpassen, nicht selbst ohnmächtig zu werden. Sie hatte ein wenig viel von dem Chloroform erwischt. Augenblicklich sank der Soldat zu Boden und rührte sich nicht mehr. Katie zog während seines Fallens den Revolver aus dem Gürtel und entsicherte die Waffe mit einem leisen Klicken. Als der zweite Soldat aufblickte, schaute er geradewegs in den Lauf des Colts seines Kameraden.
„Du da“, Katie verschwendete keine Zeit. Sie warf dem Soldaten das Chloroform getränkte Tuch hin. „Halte dir das vors Gesicht und schön tief einatmen.“ Sie grinste. „Na, wird’s bald?“
Als der Angesprochene zögerte, winkte sie nachdrücklich mit dem Revolver. Ihr Zeigefinger spannte den Abzugshahn. Widerspruchslos kam der Soldat dem Befehl nach und einen Moment später sank auch er zu Boden. Katie sicherte die Waffe und steckte sie in den Gürtel. Inständig hoffte sie, dass die etwas zu weite Hose nicht rutschte.
„Katie. Gott sei Dank“, mit einem erleichterten Aufatmen schoss Sina vor zu den Gitterstäben, hinter denen man sie und Yuma gefangen hielt.
Der Apache gesellte sich dazu. „Aber wie?“, fragte er verwundert.
„Erzähl ich euch später.“ Eifrig machte Katie sich daran, den am Boden liegenden Soldaten ein Schlüsselbund abzunehmen. Sie erhob sich und hielt ein wenig ratlos den schweren Bund mit den vielen Schlüsseln in Händen. „Die genügen ja für eine ganze Stadt“, meinte sie resigniert.
„Schieß doch einfach das Schloss entzwei“, schlug Sina vor.
„Nein, das verursacht zu viel Lärm.“ Katie drückte der Freundin die Öllampe in die Hand. „Halt die mal, dann kann ich besser sehen.“ Sie stutzte kurz, als der Lichtkegel auf die Handgelenke des Indianers fiel. „Warum trägt Yuma Ketten?“
„Er hat einen Offizier geschlagen. Morgen soll er deswegen erschossen werden“, antwortete Sina. „Jetzt beeil dich doch bitte. Die Sonne geht ja gleich auf.“
Katie entging die Panik in der Stimme ihrer Freundin nicht. Sie ahnte bereits, dass der Erschießungsbefehl nicht nur dem Apachen galt. Hastig suchte sie einen Schlüssel heraus, der vom Augenmaß passen konnte. Es war der Falsche. Katie fluchte. Der nächste war zu klein. „Warum braucht man tausende Schlüssel an einem Bund.“ Endlich fand sie den richtigen. Mit einem rostigen Schaben drehte er sich im Schloss. Katie gestattete sich ein erleichtertes Aufatmen, hatte sie doch befürchtet, das Schloss tatsächlich durchschießen zu müssen. Schnell fand sie auch den Schlüssel für Yumas Ketten. Gerade als die beiden Gefangenen ihr Gefängnis verlassen wollten, erstarrte Sina. Der zweite Soldat, den Katie betäubt hatte, erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit. Schwankend stemmte er sich auf die Knie und fand Halt an dem runden Tisch, wo er zuvor mit seinem noch schlafenden Kameraden gewürfelt hatte. Die Holzplatte knarrte unter seinem Gewicht, doch am meisten erschreckte die Drei die Pistole, die auf sie zeigte. Der Soldat grinste hämisch. Er wusste, dass er nicht einmal treffen musste. Es genügte, den Revolver abzufeuern und innerhalb kurzer Zeit würde es hier von blauen Uniformen nur so wimmeln. Eine Flucht war damit dann völlig ausgeschlossen.
Er fasste nach Katies Knöchel, die ihm am nächsten stand. „Schön hiergeblieben, kleines Fräulein“, lallte er mit schwerer Zunge, die nicht nur vom Alkohol herrührte.
Reflexartig trat sie zu. Der Soldat verlor den Halt und für einen Moment sah es so aus, als würde er zu Boden stürzen, doch fing er sich wieder und umklammerte mit der freien linken Hand die Tischkante. „Hilfe!“, zuerst kam das Wort nur schleppend und kaum verständlich aus seinem Mund. Doch je mehr die Wirkung des Chloroforms nachließ, desto besser war er zu verstehen.
„Überfall! Hilfe! Indianer!“
Katies Herz begann zu rasen. Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Wut kochte in ihr hoch. An einem betrunkenen Yankeesoldaten sollte die Befreiung ihrer Freunde ganz bestimmt nicht scheitern. Sie wandte sich um und hieb dem Soldaten ihren eigenen Colt an die Schläfe. Er war ein großer, kräftiger Mann. Der Schlag einer zierlichen Frau, der ihm unter gewöhnlichen Umständen wenig ausgemacht hätte, brachte ihn zum Schwanken, aber noch nicht zu Fall. Er hob seinen Revolver hoch, bereit einen Warnschuss abzugeben.
Plötzlich hielt Katie die eisernen Ketten, die Yuma um die Handgelenke getragen hatte. Sie ließ die schweren Glieder einmal kreisen und schmetterte sie mit aller Kraft an den Kopf des Soldaten. Wie ein gefällter Baum stürzte er zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Katie lehnte einen Moment an die Gefängnisstäbe und fing hysterisch an zu lachen. Sie presste beide Hände auf den Mund. Tränen liefen ihr übers Gesicht und ihr Körper wurde regelrecht geschüttelt.
Yuma und Sina, die immer noch in der Gefängniszelle standen, schauten sie verständnislos an.
„Ihr…ihr hättet.“ Atemlos rang sie nach Luft. Immer wenn sie versuchte ein Wort zu sagen, wurde sie von neuen Lachanfällen geschüttelt. „Ihr hättet eure Gesichter sehen müssen, als ihr da im Stroh saßt.“ Lachend schüttelte sie den Kopf. „Köstlich, einfach zu köstlich.“
„Du bist völlig verrückt“, konstatierte Sina.
„Die Sonne geht bald auf“, warf der Indianer mit einem Blick an den Himmel ein, wo sich ein schmaler silberner Streifen zeigte. „Bald wird hier alles voller Soldaten sein.“
Sina drängte sich an Yuma und Katie vorbei. Sie packte den bewusstlosen Soldaten an den Armen. „Wir müssen die beiden einsperren.“ Sie begann, den schlaffen Körper in die Gefängniszelle zu zerren.
Die Pferde warteten geduldig, bis ihre Reiter sie abholten. Yuma hatte die beiden Soldaten in der Zelle nicht nur gefesselt, sondern auch Fetzen ihrer Uniform als Knebel in den Mund geschoben, sodass sie nicht schreien konnten.
Katie bestieg ihr Pferd und ritt ruhigen Schrittes zu dem großen Tor. Bei den beiden wachhabenden Soldaten, die noch sehr jung zu sein schienen, wollte sie sich höflichst für die empfangene Gastfreundschaft bedanken. Ihren Freunden, die sich im Schutz der Dunkelheit aufhielten, wollte sie ein Zeichen geben, sobald das Tor weit genug offen war, es zu passieren. Die Wache schien im Schlaf zu dösen, doch sobald sie Katie gewahr wurden, schreckten sie auf. Die Schirmmützen waren ihnen fast über die Augen gerutscht.
„Wohin des Weges, junge Dame?“, fragte einer freundlich.
„Ich möchte mich für die Gastfreundschaft, die mir Fort Brannigan gewährt hat, bedanken“, antwortete Katie wohlerzogen und hoffte, dass ihr Gegenüber das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht bemerkte.
Der Soldat wurde hellhörig. Er schob die Schirmmütze in den Nacken. „Es ist früher Morgen. Wollt Ihr Euch nicht noch vom General verabschieden?“
„Ach nein, bitte keine Umstände. Ich vermisse meine Familie“, antwortete Katie. „Würdet ihr mir bitte das Tor öffnen?“
„Eure Familie ist doch bei dem Überfall der Indianer ums Leben gekommen“, fasste der Soldat zusammen. Sein Misstrauen war geweckt. Er nahm sein Gewehr fester in die Hand. „Wenn ich es mir recht bedenke, seht Ihr sehr frisch aus, dafür dass Ihr gerade erst Eure gesamte Familie verloren habt.“ Er war erstaunlich scharfsinnig.
Katie suchte schnell nach einer passenden Antwort. Genau das hatte sie befürchtet. „Nun ja, mein Vater ist ja auf unserer Farm geblieben und…“
„Man kann ihm jederzeit eine Nachricht zukommen lassen“, unterbrach sie der Soldat. „Für eine junge Frau ist es zu gefährlich, allein in der Prärie zu reiten. Die Rothäute habt Ihr doch schon fürchten gelernt.“ Er stellte sich in den Weg und packte Harlekins Zügel.
„Lassen Sie sofort mein Pferd los“, forderte Katie barsch und stieß Harlekin die Fersen in die Flanken. Der Hengst riss den Kopf hoch und rollte mit den Augen, doch der Soldat hing fast mit seinem gesamten Körpergewicht in den Zügeln des Tieres.
„Du bleibst hier, Mädchen und deine Indianerfreunde auch.“ Er gab seinem Kameraden das Zeichen, Alarm zu schlagen. Katie stieß einen schrillen Schrei aus. Mit aller Kraft trat sie dem Soldaten in die Kehle und zog den Colt aus ihrem Gürtel. Ein scharfer Knall und ein kurzer Blitz, dann sank er getroffen zu Boden. Die nächste Kugel traf seinen Kollegen. Eilig kamen Sina und der Apache herbei. Sie sprangen von den Pferden und stemmten sich zu dritt gegen den schweren Riegel. Sie schoben das Tor so weit auf, dass sie gerade durchreiten konnten.
Am Himmel ging die Sonne auf. Katie half ihren Freunden auf die Pferde. Die Soldaten des Forts waren alarmiert. Plötzlich wimmelte es von blauen Uniformen wie in einem Ameisenhaufen.
Sie konnte die Gefahr körperlich im Rücken spüren. Sina und Yuma zögerten einen Augenblick, sahen sich nach Katie um. Sie gab ihnen unwirsche Handzeichen, weiter zu reiten und die beiden passierten das rettende Tor.
„Ich will sie lebendig“, bellte eine raue Stimme irgendwo in dem Getümmel, während sie sich bemühte, auf ihren nervösen Hengst zu steigen. Gefolgt von dem Apaloosa galoppierte Silver mit eng an den Kopf gelegten Ohren in die Freiheit. Mit aller Kraft klammerte sich Sina am Sattelhorn fest. Ihre schimmernde Stute glich in der aufgehenden Sonne einem Lichtstrahl.
Langsam schwang das Tor wieder nach innen. Verzweifelt versuchte Katie sich einen Weg durch die Menge der Soldaten zu bahnen, die sie umringten. Sie spürte grobe Hände, die von hinten packten und aus dem Sattel zerrten. Einen Moment wehrte sie sich noch voller Verzweiflung, doch wusste sie, dass sie hoffnungslos unterlegen war. Das Tor schwang zu und Katie war gefangen. Ihre Freunde hatten es in die Freiheit geschafft. Brutal wurde sie herumgerissen und im gleichen Augenblick schlug ihr jemand hart ins Gesicht. Katie verlor die Besinnung.
Sie saß in dem gleichen Gefängnis, aus dem sie ihre Freunde befreit hatte. Vor den Gitterstäben saß der ihr bekannte Soldat, den sie mit Chloroform betäubt hatte und spielte Karten. Sein Spielgenosse war ein anderer. Sein Vorgänger hatte den Schlag mit den eisernen Handschellen nicht überlebt. Katie lehnte mit dem Rücken gegen die Wand. Ihre Hände waren gefesselt. In wenigen Stunden sollte sie nach Roswell gebracht werden, wo man ihr den Prozess machen wollte. Die Anklage lautete auf dreifachen Mord, Befreiung von Gefangenen und Widerstand gegen die Armee. Sie hatte nur wenig Hoffnung, falls nicht ein Wunder geschah, war ihr der Galgen sicher oder auch die Kugel. Das lag ganz im Ermessen des Richters. Sie wurde lediglich nur deshalb nicht vor ein Militärgericht gestellt, weil sie eine Frau war.
Rostig drehte sich der Schlüssel im Schloss, die Tür ging mit einem leisen Quietschen auf. Zwei Soldaten flankierten den Ausgang. Katie trat heraus, unbarmherzig stach ihr die Sonne grell in die Augen.
Ein Blaurock eilte herbei und führte ein braunes Pferd am Zügel, wenigstens durfte sie ihr eigenes Pferd reiten. Die Stricke, mit denen man ihre Hände gefesselt hatte, schnitten ihr in die Haut. Sie warf einen Blick zum Tor. Die Apachen lagerten gut einen halben Tagesritt entfernt, wenn alles gutgegangen war, sollten Yuma und Sina wohlbehalten im Stamm angekommen sein. Bis der Häuptling dann aber entsprechend Krieger mobilisiert hatte, mit denen er zu ihrer Rettung im Fort eintraf, verging noch einmal mindestens ein Tag. Falls Taim sich diese Mühe für ein Mädchen überhaupt machte und ihr Vater war mit Sicherheit froh, sie auf so elegante Art loszuwerden. Katie hätte gerne beruhigend über den Hals ihres Pferdes, der vor Aufregung ganz dunkel vom Schweiß war, gestrichen, doch ließen ihre gebundenen Hände das nicht zu. Sie musste sich sogar schwerfällig in den Sattel helfen lassen. Ein Captain, Katie war sein Name entfallen, entrollte ein Dokument und las es mit nasaler Stimme vor. Seine Worte drangen wie durch Watte an ihr Ohr. Sie hörte zwar, was er sagte, doch verstand sie kaum den Sinn. Der Captain rollte das Schriftstück wieder zusammen und überreichte es einem salutierenden Korporal, dessen Gruß er erwiderte.
Der Corporalstieg auf eine nervöse braune Stute. Drei seiner Kameraden, die ihn und Katie begleiten sollten, warteten schon. Er beugte sich zu dem Mädchen und krallte die Finger in ihren Oberarm. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte sie jede Regung des Schmerzes, man hatte sie schon genug gedemütigt.
„Solltest du einen Fluchtversuch wagen, erschießen wir dich sofort. Hast du verstanden?“, zischte er ihr zu. Katie starrte durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht vorhanden. Sein Griff wurde fester, sie spürte jeden einzelnen Fingernagel. Schließlich nickte sie kaum merklich und überlegte, ob sie es nicht darauf anlegen sollte. Eine Kugel war sicherlich besser als der Strick. Der Corporal schien ihre Gedanken zu erraten, er wollte noch etwas hinzufügen, doch sein Captain gab ihm das Zeichen zum Aufbruch.
Der schwere Riegel wurde zurück geschoben, die Flügeltüren schwangen weit auf und gaben voller Zynismus den Weg frei. Vor wenigen Stunden hätte Katie noch alles dafür gegeben, hier durchreiten zu dürfen, doch am Ende des Weges wartete der Tod auf sie.
Die Sonne stand schon tief am Himmel. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Bis Roswell waren es noch fast zwei Tagesritte. An einem kleinen Fluss unter ein paar schattigen Bäumen richteten sich die Soldaten ein Lager für die Nacht her. Katie wurde unter eine junge Pappel gesetzt und an den Stamm gefesselt. Ein Soldat, bewaffnet mit einem langen doppelläufigen Gewehr, blieb zu ihrer Bewachung. Anscheinend wollten die Blauröcke kein Risiko eingehen. Der Corporal trat zu dem Mädchen uns musterte es mit lüsternem Blick. Seine Zungenspitze fuhr über die aufgesprungenen Lippen: „Vielleicht sollten wir mit der Kleinen noch ein wenig Spaß haben, bevor sie“, er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle, „das hübsche Hälschen langgezogen bekommt.“ Er lachte hämisch. Sein am Boden sitzender Kamerad schob sich die Schirmmütze in die Stirn. „Ach, Joe , du weißt doch wie das ist. Nachher redet sie und auf den Ärger habe ich wirklich keine Lust.“
Joe ging in die Hocke. Er starrte Katie auf unverschämte Art an, fast zog er sie schon mit Blicken aus. Das Mädchen wurde unruhig. Die starken Seile, mit denen man sie gefesselt hatte, hielten sie so fest, dass sie lediglich den Blick abwenden konnte.
„Wir haben unseren Spaß mit ihr und danach kriegt sie eine Kugel.“ Er grinste widerlich. „Auf der Flucht erschossen.“
Joe erhob sich aus der unbequemen Stellung. „Binde sie los“, befahl er seinem Kameraden.
„Was?“, schreckte der aus seinem Dösen auf.
„Losbinden“, wiederholte Joe seinen Befehl.
„Aber…?“ Unsicher huschten die Blicke des noch recht unerfahrenen Soldaten zwischen seinem Vorgesetzten und dem Mädchen hin und her.
„Willst du dich meinem Befehl etwa widersetzen?“ Der Corporal zog seine Pistole und entsicherte sie. Augenblick sprang der Soldat auf. Eine Kugel wegen Befehlsverweigerung wollte er sich wegen der kleinen Hure nicht einfangen. Er löste die Stricke um Katies Handgelenke und Körper.
Der Lauf der Waffe zielte auf Katies Stirn. „Steh auf!“ Sie zögerte. „Wird’s bald oder soll mein Kamerad dir Beine machen?“
Nicht ohne den Colt aus den Augen zu lassen, erhob sie sich. Arme und Beine brannten wie Feuer, als die Blutzirkulation wieder in Gang kam.
„Komm her“, forderte er sie auf. Zögerlich machte sie einen Schritt. Die Beine drohten fast, unter ihr wegzuknicken.
„Schneller“, blaffte der Korporal. Seine drei Kameraden schauten stumm und ohne jede Regung zu. Als Katie auf Armlänge bei ihm war, packte er sie und zog sie eng an sich. Sein nach Branntwein riechender Atem streifte ihr Gesicht. Sie schloss die Augen und betete stumm, es möge schnell vorbei sein. Seine Finger glitten über ihren Rücken wie Spinnenbeine. Katie verspürte den Drang, sich zu übergeben. Er streichelte einen Moment ihren Po, bevor seine widerlichen Finger unter den Saum ihres Hemdes glitten und bloße Haut berührten. Er presste seine Lippen auf ihren Hals, biss leicht in die zarte Haut. Sie spürte, wie er erbebte. „Wir werden viel Freude miteinander haben, meine Hübsche“, versprach er. „Deine roten Freunde werden dich schon so einiges gelehrt haben.“
Wieder presste er seinen Mund auf Katies Lippen. Seine Zunge glitt zwischen ihre Zähne wie eine Schlange durch Felsspalten. Unwillkürlich musste sie an ihren Traum denken. Der Corporalatmete schwer.
Plötzlich hörte sie langgezogene, hohe Schreie. Der Blaurock ließ von Katie ab und gab ihr einen unerwarteten Stoß, so dass sie zu Boden fiel. Einer seiner Kameraden sank mit einem leisen Stöhnen ins Gras. Ein gefiederter Pfeil ragte aus seiner Brust. Die drei verbliebenen Soldaten duckten sich hinter die Bäume und schossen, was die Pistolen hergaben, ohne sich weiter um ihre Gefangene zu kümmern.
Katie rettete sich hinter einen Busch, wo sie in Sicherheit das Geschehen beobachten konnte.