Ein Experiment. Der abgesetzte Refrain sowie zwei Zeilen im Text sind dem Titel „Jeanny“ (Part 1) des großartigen Sängers Falco entnommen. Und wohl immer noch nichts fürs Skriptorium, schade.
September 1994.
England, manchmal. Jeanny.
Leise Musik über die Kopfhörer, die schwarzen Polster speckig glänzend und teils schon aufgerissen. Regenklatschen auf dem feuchtem Bahnsteig, wie weit entfernt. Ein Reisender ruft, unverständlich hinter dem Takt. Doch mit dem Blick starr in den Herbstnebel verwandeln sich auch dieser in ein schwammig-feuchtes Netz, das nach ebenso verklebten Gedanken fischt. Sie schließt die Augen, ruckt mit dem Kopf. Schüttelt das Netz, sodass sie vorbeifallen. Zu durcheinander, um sie erkennen zu können. Rauschgrau hinter den Lidern. Ihre stummen Lippen folgen sklavisch den Zeilen, die sie immer weniger hört. Ein einsamer Lichtreflex aus der Außenwelt streicht über ihre geschlossenen Augen, hinter die sie Bilder zu beschwören versucht. Formel für Formel, Zeile für Zeile. Gedanke für Gedanke, tick-tack, und ein leichtes Jucken auf ihrem Handrücken; angeschwitzt unter dicken Armstulpen.
Bilder. Die Blumen zuhause, nieverblühend plastilin, und ein paar hingeschubste Teekerzen auf dem Küchentisch. Wandernde Bücherdünen in der Wüste der Unordnung. Verstreute Skizzen, und ein türkiser Kolibri im Farbmoment. Sockenhaufen, Staub und Normalität. Auf dem Nachttisch ein Taschenmesser, winzig und wacholdergrün lackiert.
Das Jucken mischt sich mit dem Wunsch, zu kratzen. Ein Blinzeln voll Bahnhof, hinter ihrem Rücken fährt ein Zug ein. Bewegung wie ein Sog, als ob es Wunsch wäre, zu treiben. Ein Uhrgedanke offenbart fast still stehende Zeit.
Bilder. Alterndes Chaos, um die Tastatur arrangiert. Über dem Schreibtisch hängend: ein Familienfoto. Alle lächeln, im Hintergrund das Grün hinter ihrem Elternhaus. Mama fragt, wie es ihr geht. Ob sie genug isst. Am Telefon, die Leitung knistert unangenehm. Das Lachen ihrer Freundin funkt dazwischen, die gespürte Wiedersehensfreude, bevor Kalenderblätter vom Sturm wild von der Wand gerissen werden. Zwischen ihrem rasenden Flug verschwimmen die Scherben zu einem Vielblitzen, dass sie wieder blinzeln will. Nicht blinzeln.
Ein Unterton in Unbehagen wächst zur atmenden Angst, juckend auf ihrer Hand, zuckend in ihrer Brust. Wispernd in ihrem Kopf. Ein Schatten schleicht über die Scherben, erstickt alles in Tinte. Neue
Bilder, gestochen scharf. Ein angedunkelter Bahnsteig. Eine kaum verständliche Durchsage gegen Regenklatschen, und nach und nach Schritte. Eine klare Kante, weiß von Farbe, dahinter die Schienen von feuchtem Glanz betupft. Ferse, Fußballen. Ferse, Fußballen. Ferse. Eine Tasche fällt unbeachtet auf den Boden, als der Schemen mit der runden Nase auftaucht. Fußballen. Sekundenfall, sanft kippender der Blick ohne den Willen dahinter. Den kleinen Fersenstoß nicht gewollt haben können, sich nur fragen, wie sanft Stahl sein will. Wie Traumge-
danken, aber sie schüttelt den Kopf. Uhrblick, mit tiefem Einatmen, kaum verronnene Minute, und widerwillig beschenkt von einem Moment fremder Häme, die sich in ihr Herz bohrt.
Fremd genug?
Vereinzelte Lichtecken, ab und zu verlöschend. Abendspuk vor gekippten Fenstern. Die Rolläden hochgezogen, damit Dunkelheit hinaussickern kann. Ein bisschen falsche Vertrautheit in wandernden Chatzeilen, bevor die Namen dahinter ergrauen. Danach die kühle Fensterscheibe im Rücken, einen Fuß gegen die Kommode gestemmt. Einer baumelt, vom Fensterbrett erhängt. Zwischen den Fingern schimmert das Telefondisplay, verstohlene Blicke, wie zufällig immer wieder aktiviert.
Ein Fenster doch aufgerissen, ihr dünnes Hemd spürt den Nachtwind nicht. Sie streckt die Nase hinaus, versucht vergeblich, die Frische zu riechen. Unter der schon aufgeschlagenen Decke sucht nur Kälte nach Schlaf.
Ihre Blicke gleiten ziellos durchs Nichts, streifen zu oft das Display. Telefon stumm, eine letzte Erinnerung an „Geh nicht zu spät schlafen, ja?“, und ein Knistern.
Ein letztes Lichteck lässt Wacholdergrün glänzen.
Ein Familienfoto verschwimmt mit der späten Stunde im Schwarz über dem Schreibtisch, ist trotzdem da. Ihre Finger streifen nur einen winzigen Gegenstand. Sie schließt die Augen, als ihr Puls stolpert.
„Jeanny, come, come on“, flüstert sie wie ein Mantra. Ihre Stimme hangelt sich an den Worten fort ins Lautlose.
Bilder dazu, Bilder. Der Park ihrer Kindheit, sommers mit Kinderlachen bestäubt. Sanft wogende Graufluten, die sich unter ihren Sohlen an den Steg kuscheln. Tanzende Sonnenflecke und Eistee, der über Eiswürfel schwappt in zuckrigem Schmutzbraun, mit jedem Stolpern rötlicher. Ein bisschen Wacholdergrün mit einem Schweizer Logo, das auf dem staubbeflusten Teppich landet, und ihre Knie geben nach. Nur wenig Druck, so wenig Druck, und sie braucht nur zu einzuschlafen, irgendwann. Ein Newsflash, wenn das Telefon klingelt und nicht mehr knistern wi-
ürde, sie sackt auf die Bettkante. Ein höhnisches Lachen in ihrem Hinterkopf, während ein Salzwasserfilm sich auf ihre Wangen bettet. Kraftlos stößt eine beinahe herrenlose Geste das Taschenmesser vom Nachttisch, sodass es stumpf in die Dunkelheit sackt. Der nächste Moment will es wieder finden, das runde Aufprallgeräusch verwandeln. Klare Linien, die glänzend aus dem Wacholdergrün hervorbrechen. Fremdbetrachtet, mit zittrigen Gedanken und alles wirbelt durcheinander, das Lachen, dieses Lachen verstummt nicht, schwillt an.
Das Datum des Newsflash, in die Höhe getrieben von gemiedener Menschlichkeit und trocknendem Blut. Ein schlechtes Gewissen hinter dem Knistern, bitte Routine zu werden, und Sorge in Stille nicht und schließlich nur die Ahnung nein eine nicht einmal aufgebrochene Wohnungstür, zweitschlüsselgeschont, und – kissenersticktes Schreien
„Sie werden dich nicht finden, niemand wird dich finden, du bist“, nur ein Wispern, „bei mir.“
Nach Nichtzeiten aufgeblickt, die Augen hitzeverquollen. Ein Herz, das nicht mehr weiß, in welche Richtung es zu Boden stolpern soll.
Über dem Schreibtisch: ein knisterndes Familienfoto, und darum herum ganz viel belauschte Stille. Und sie.
Noch da.
September 1994.
England, manchmal. Jeanny.
Leise Musik über die Kopfhörer, die schwarzen Polster speckig glänzend und teils schon aufgerissen. Regenklatschen auf dem feuchtem Bahnsteig, wie weit entfernt. Ein Reisender ruft, unverständlich hinter dem Takt. Doch mit dem Blick starr in den Herbstnebel verwandeln sich auch dieser in ein schwammig-feuchtes Netz, das nach ebenso verklebten Gedanken fischt. Sie schließt die Augen, ruckt mit dem Kopf. Schüttelt das Netz, sodass sie vorbeifallen. Zu durcheinander, um sie erkennen zu können. Rauschgrau hinter den Lidern. Ihre stummen Lippen folgen sklavisch den Zeilen, die sie immer weniger hört. Ein einsamer Lichtreflex aus der Außenwelt streicht über ihre geschlossenen Augen, hinter die sie Bilder zu beschwören versucht. Formel für Formel, Zeile für Zeile. Gedanke für Gedanke, tick-tack, und ein leichtes Jucken auf ihrem Handrücken; angeschwitzt unter dicken Armstulpen.
Bilder. Die Blumen zuhause, nieverblühend plastilin, und ein paar hingeschubste Teekerzen auf dem Küchentisch. Wandernde Bücherdünen in der Wüste der Unordnung. Verstreute Skizzen, und ein türkiser Kolibri im Farbmoment. Sockenhaufen, Staub und Normalität. Auf dem Nachttisch ein Taschenmesser, winzig und wacholdergrün lackiert.
Das Jucken mischt sich mit dem Wunsch, zu kratzen. Ein Blinzeln voll Bahnhof, hinter ihrem Rücken fährt ein Zug ein. Bewegung wie ein Sog, als ob es Wunsch wäre, zu treiben. Ein Uhrgedanke offenbart fast still stehende Zeit.
Bilder. Alterndes Chaos, um die Tastatur arrangiert. Über dem Schreibtisch hängend: ein Familienfoto. Alle lächeln, im Hintergrund das Grün hinter ihrem Elternhaus. Mama fragt, wie es ihr geht. Ob sie genug isst. Am Telefon, die Leitung knistert unangenehm. Das Lachen ihrer Freundin funkt dazwischen, die gespürte Wiedersehensfreude, bevor Kalenderblätter vom Sturm wild von der Wand gerissen werden. Zwischen ihrem rasenden Flug verschwimmen die Scherben zu einem Vielblitzen, dass sie wieder blinzeln will. Nicht blinzeln.
Ein Unterton in Unbehagen wächst zur atmenden Angst, juckend auf ihrer Hand, zuckend in ihrer Brust. Wispernd in ihrem Kopf. Ein Schatten schleicht über die Scherben, erstickt alles in Tinte. Neue
Bilder, gestochen scharf. Ein angedunkelter Bahnsteig. Eine kaum verständliche Durchsage gegen Regenklatschen, und nach und nach Schritte. Eine klare Kante, weiß von Farbe, dahinter die Schienen von feuchtem Glanz betupft. Ferse, Fußballen. Ferse, Fußballen. Ferse. Eine Tasche fällt unbeachtet auf den Boden, als der Schemen mit der runden Nase auftaucht. Fußballen. Sekundenfall, sanft kippender der Blick ohne den Willen dahinter. Den kleinen Fersenstoß nicht gewollt haben können, sich nur fragen, wie sanft Stahl sein will. Wie Traumge-
danken, aber sie schüttelt den Kopf. Uhrblick, mit tiefem Einatmen, kaum verronnene Minute, und widerwillig beschenkt von einem Moment fremder Häme, die sich in ihr Herz bohrt.
Fremd genug?
Jeanny, quit leaving on dreams,
Jeanny, life is that what it seems.
Jeanny, life is that what it seems.
Vereinzelte Lichtecken, ab und zu verlöschend. Abendspuk vor gekippten Fenstern. Die Rolläden hochgezogen, damit Dunkelheit hinaussickern kann. Ein bisschen falsche Vertrautheit in wandernden Chatzeilen, bevor die Namen dahinter ergrauen. Danach die kühle Fensterscheibe im Rücken, einen Fuß gegen die Kommode gestemmt. Einer baumelt, vom Fensterbrett erhängt. Zwischen den Fingern schimmert das Telefondisplay, verstohlene Blicke, wie zufällig immer wieder aktiviert.
Such a lonely little girl
Ein Fenster doch aufgerissen, ihr dünnes Hemd spürt den Nachtwind nicht. Sie streckt die Nase hinaus, versucht vergeblich, die Frische zu riechen. Unter der schon aufgeschlagenen Decke sucht nur Kälte nach Schlaf.
In a cold, cold world
Ihre Blicke gleiten ziellos durchs Nichts, streifen zu oft das Display. Telefon stumm, eine letzte Erinnerung an „Geh nicht zu spät schlafen, ja?“, und ein Knistern.
Ein letztes Lichteck lässt Wacholdergrün glänzen.
There's someone who needs you
Ein Familienfoto verschwimmt mit der späten Stunde im Schwarz über dem Schreibtisch, ist trotzdem da. Ihre Finger streifen nur einen winzigen Gegenstand. Sie schließt die Augen, als ihr Puls stolpert.
„Jeanny, come, come on“, flüstert sie wie ein Mantra. Ihre Stimme hangelt sich an den Worten fort ins Lautlose.
Bilder dazu, Bilder. Der Park ihrer Kindheit, sommers mit Kinderlachen bestäubt. Sanft wogende Graufluten, die sich unter ihren Sohlen an den Steg kuscheln. Tanzende Sonnenflecke und Eistee, der über Eiswürfel schwappt in zuckrigem Schmutzbraun, mit jedem Stolpern rötlicher. Ein bisschen Wacholdergrün mit einem Schweizer Logo, das auf dem staubbeflusten Teppich landet, und ihre Knie geben nach. Nur wenig Druck, so wenig Druck, und sie braucht nur zu einzuschlafen, irgendwann. Ein Newsflash, wenn das Telefon klingelt und nicht mehr knistern wi-
ürde, sie sackt auf die Bettkante. Ein höhnisches Lachen in ihrem Hinterkopf, während ein Salzwasserfilm sich auf ihre Wangen bettet. Kraftlos stößt eine beinahe herrenlose Geste das Taschenmesser vom Nachttisch, sodass es stumpf in die Dunkelheit sackt. Der nächste Moment will es wieder finden, das runde Aufprallgeräusch verwandeln. Klare Linien, die glänzend aus dem Wacholdergrün hervorbrechen. Fremdbetrachtet, mit zittrigen Gedanken und alles wirbelt durcheinander, das Lachen, dieses Lachen verstummt nicht, schwillt an.
Das Datum des Newsflash, in die Höhe getrieben von gemiedener Menschlichkeit und trocknendem Blut. Ein schlechtes Gewissen hinter dem Knistern, bitte Routine zu werden, und Sorge in Stille nicht und schließlich nur die Ahnung nein eine nicht einmal aufgebrochene Wohnungstür, zweitschlüsselgeschont, und – kissenersticktes Schreien
„Sie werden dich nicht finden, niemand wird dich finden, du bist“, nur ein Wispern, „bei mir.“
You're lost in the night,
Don't want to struggle and fight
Don't want to struggle and fight
Nach Nichtzeiten aufgeblickt, die Augen hitzeverquollen. Ein Herz, das nicht mehr weiß, in welche Richtung es zu Boden stolpern soll.
Über dem Schreibtisch: ein knisterndes Familienfoto, und darum herum ganz viel belauschte Stille. Und sie.
Noch da.
There's someone who needs you
"Unmöglich? Du selbst bist doch die Fürstin des Unmöglichen. Du hast mir das Leben geschenkt und es dann zur Hölle gemacht. Zwei Väter hast Du mir gegeben, und beide mir entrissen. Unter Schmerzen mich geboren und zu Schmerzen mich verdammt. Nun spreche ich zu Dir aus dem Grabe, zu dem Du mir die Welt geschaffen hast: Ich bin Deine Tochter - und Dein Tod."
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