23.12.2013.
Zwischenraum
Atmende Stille und das sanfte Rascheln seiner Federn. Federn. Wieder und wieder flackern die Buchstaben des Wortes in ihrem Bewusstsein, erzittern mit dem Atmen der Stille und ersterben dann zischend unter den Wachstropfen der ersterbenden Kerze. Sie sieht auf, verfängt sich für einen unfassbar kurzen Moment der Ungewissheit in der umherziehenden Dunkelheit und erkennt dann die Umrisse, aus denen sich Gesichter schälen.
„Ihr“, stößt sie hervor, beinahe entsetzt oder schockiert von dem unangekündigten Besuch. Ihr begegnet zweifaches Lächeln, eine Hälfte spöttisch, die andere ehrlich amüsiert.
In diesem Raum ist man nicht lange allein, wispern die Schatten um sie herum, schlingen sich um den glühenden Docht und ersticken den letzten Rest der Flamme. Dunkelheit, mit einem Mal. Dunkelheit, in der die Türen des Raumes sich ausdehnen und seine Grenzen ins Ungefähre, Grenzenlose verschwimmen. Ihr Atem taumelt unter der Wucht der plötzlich verschmolzenen Welten. Insbesondere, wenn man das sein will. Stumm wehrt sie sich gegen diese Erkenntnis, doch das Atmen ihrer Besucher macht ihre Versuche schon im Ansatz zunichte. Atmende Stille und das Rascheln seiner –
„Ich habe keine Federn. Jedenfalls im Moment nicht.“ Seine Stimme hallt überraschend in dem kleinen Raum, aber in der vollkommenen Dunkelheit ist es auch möglich, dass er gewachsen ist und nun mehr umfasst, als sie sich vorstellen kann. Die Welt, in der sie lebt. Die Welt, in die sie ihre Ideen pflanzt und ihnen beim Wachsen zuschaut. Und die Welt, die dazwischen ist, die dahinter liegt, die sich in ihren Träumen bis ins Äußerste weitet und noch zum Zerreißen gespannt stabiler und damit realer ist als alles, was am Tage um sie herum geschieht. Zwischenraum.
„Nein“, ist alles, was ihr darauf einfällt, während ihre Gedanken abschweifen, hinstreben zu seinen Träumen, denen, die er verleugnet und deren Existenz er lange verbirgt. Auch vor ihr.
In einer Ecke des Raumes flackert nun wieder ein Licht auf, entspringt einem Funken und wächst einer Pflanze gleich in die Höhe, um sich in einem unmerklichen Windzug zu ducken und um sein schwaches Leben zu kämpfen. Der Raum nimmt wieder Konturen an, weiße Wände im Dämmerlicht, bewacht von gähnenden Löchern an zwei gegenüberliegenden Seiten. Schwaden ziehen heran, Nebel vielleicht oder Dunkelheit, genau kann sie es nicht erkennen. Doch sie sieht ihre Gegenüber, und das überraschend deutlich. Eine junge Frau, immer noch lächelnd, wissend diesmal, und die sich keine Mühe macht, ihre einmal geklärte Überlegenheit zu verbergen. Ein Mann, unwesentlich älter, der in ihrem Schatten steht und gleichzeitig einen eigenen, noch größeren wirft. Federn.
„Was wollt ihr?“, fragt sie mürrisch, das Mädchen an dem Schreibtisch, mit zerzausten Haaren und geröteten Wangen und dem kleinen, gelben Fleck am Kinn, ein Überbleibsel der letzten Wochen. Ihre Zunge sucht nach den Fäden, die da bis vor kurzem noch waren, sucht nach einer Beschäftigung, die ihr jede Antwort auf Rückfragen erspart.
„Wir?“, wieder breiten sich zwei Lächeln synchron auf zwei unterschiedlichen Gesichtern aus, die Reaktion wirkt beinahe eingeübt, trainiert und perfektioniert in jahrelanger Arbeit. Sechzehn Jahre hatten sie dafür Zeit. Ob sie lachen würden, wenn sie den Verdacht hören würden?
„Unsere Geschichte, so wie du es uns versprochen hast. Einen winzigen Teil davon, und unser Mitspracherecht.“ Das Mädchen seufzt und senkt den Kopf, schließt die Augen und genießt den kurzen Augenblick, in dem es sich vormachen kann, dass es träumt. Mitsprachrecht – ein großes Wort, eines, das in ihrer Gegenwart öfter fiel. Und diese Geschichte, die sie forderten …
„Ihr bekommt sie. Aber nicht heute, so weit ist sie noch nicht. Und auch nicht morgen, übermorgen oder nächste Woche. Nicht im nächsten Monat, nicht mal im nächsten Jahr. Vielleicht.“ Ihre Antwort ist schwammiger als sonst und der Mann und die Frau schütteln ihre Köpfe, wieder synchron.
„Dass wir sie eines Tages bekommen, wissen wir. Aber so, wie du es uns versprochen hast? Unseren Teil davon?“, beharrt der Mann auf dem Gesagten, setzt sich fest im Denken des Mädchens und wird eins mit dem flackernden Licht der Kerze, das in ihre Augen dringt.
„Mitspracherecht“, seufzt sie, „Ist es das? Werde ich deshalb nie fertig? Weil euer winziger Teil einen Prozent des Gesamten ausmacht, es aber umgekehrt sein müsste?“ Ihre Frage verhallt zwischen den Wänden und wird von den Türöffnungen aufgesogen wie von einem Schwamm. Atmende Stille und das Rascheln seiner Federn.
Wieder erstickt die Kerze in der Dunkelheit, wieder weitet sich der Raum ins Unermessliche. „Ist es so?“, fragt sie erneut in die Leere, doch dann leuchtet ihre Umgebung auf, erstrahlt im Glanz eines prächtig geschmückten Weihnachtsbaumes. Ihre Besucher sind verschwunden, so wie sie gekommen sind, doch in den roten, matten und glänzenden Kugeln erkennt sie die Handschrift der Frau, in den akkurat gesetzten Kerzen die des Mannes. Es ist unverkennbar ihr Weihnachtsbaum, so wie ihnen der Zwischenraum gehörte. Das Mädchen lächelt, als ihm der Duft von Lebkuchen und Grünkohl in die Nase steigt, folgt ihm zu den Schatten einer der Türen und dreht sich noch einmal um. Von der anderen Seite des Raumes, im Türrahmen stehend, schauen ihr ihre Ideen zu, versammelt und in festliche Kleidung gesteckt, alle beieinander, wie sie es nicht mehr gesehen hatte, seit ihre Geschichte ihren Lauf nahm.
Frohe Weihnachten, wispern der Baum, die Kerzen und die atmende Stille, frohe Weihnachten. Sie dreht sich um und verlässt den Raum, glücklicher nun als zuvor. Frohe Weihnachten.
Zwischenraum
Atmende Stille und das sanfte Rascheln seiner Federn. Federn. Wieder und wieder flackern die Buchstaben des Wortes in ihrem Bewusstsein, erzittern mit dem Atmen der Stille und ersterben dann zischend unter den Wachstropfen der ersterbenden Kerze. Sie sieht auf, verfängt sich für einen unfassbar kurzen Moment der Ungewissheit in der umherziehenden Dunkelheit und erkennt dann die Umrisse, aus denen sich Gesichter schälen.
„Ihr“, stößt sie hervor, beinahe entsetzt oder schockiert von dem unangekündigten Besuch. Ihr begegnet zweifaches Lächeln, eine Hälfte spöttisch, die andere ehrlich amüsiert.
In diesem Raum ist man nicht lange allein, wispern die Schatten um sie herum, schlingen sich um den glühenden Docht und ersticken den letzten Rest der Flamme. Dunkelheit, mit einem Mal. Dunkelheit, in der die Türen des Raumes sich ausdehnen und seine Grenzen ins Ungefähre, Grenzenlose verschwimmen. Ihr Atem taumelt unter der Wucht der plötzlich verschmolzenen Welten. Insbesondere, wenn man das sein will. Stumm wehrt sie sich gegen diese Erkenntnis, doch das Atmen ihrer Besucher macht ihre Versuche schon im Ansatz zunichte. Atmende Stille und das Rascheln seiner –
„Ich habe keine Federn. Jedenfalls im Moment nicht.“ Seine Stimme hallt überraschend in dem kleinen Raum, aber in der vollkommenen Dunkelheit ist es auch möglich, dass er gewachsen ist und nun mehr umfasst, als sie sich vorstellen kann. Die Welt, in der sie lebt. Die Welt, in die sie ihre Ideen pflanzt und ihnen beim Wachsen zuschaut. Und die Welt, die dazwischen ist, die dahinter liegt, die sich in ihren Träumen bis ins Äußerste weitet und noch zum Zerreißen gespannt stabiler und damit realer ist als alles, was am Tage um sie herum geschieht. Zwischenraum.
„Nein“, ist alles, was ihr darauf einfällt, während ihre Gedanken abschweifen, hinstreben zu seinen Träumen, denen, die er verleugnet und deren Existenz er lange verbirgt. Auch vor ihr.
In einer Ecke des Raumes flackert nun wieder ein Licht auf, entspringt einem Funken und wächst einer Pflanze gleich in die Höhe, um sich in einem unmerklichen Windzug zu ducken und um sein schwaches Leben zu kämpfen. Der Raum nimmt wieder Konturen an, weiße Wände im Dämmerlicht, bewacht von gähnenden Löchern an zwei gegenüberliegenden Seiten. Schwaden ziehen heran, Nebel vielleicht oder Dunkelheit, genau kann sie es nicht erkennen. Doch sie sieht ihre Gegenüber, und das überraschend deutlich. Eine junge Frau, immer noch lächelnd, wissend diesmal, und die sich keine Mühe macht, ihre einmal geklärte Überlegenheit zu verbergen. Ein Mann, unwesentlich älter, der in ihrem Schatten steht und gleichzeitig einen eigenen, noch größeren wirft. Federn.
„Was wollt ihr?“, fragt sie mürrisch, das Mädchen an dem Schreibtisch, mit zerzausten Haaren und geröteten Wangen und dem kleinen, gelben Fleck am Kinn, ein Überbleibsel der letzten Wochen. Ihre Zunge sucht nach den Fäden, die da bis vor kurzem noch waren, sucht nach einer Beschäftigung, die ihr jede Antwort auf Rückfragen erspart.
„Wir?“, wieder breiten sich zwei Lächeln synchron auf zwei unterschiedlichen Gesichtern aus, die Reaktion wirkt beinahe eingeübt, trainiert und perfektioniert in jahrelanger Arbeit. Sechzehn Jahre hatten sie dafür Zeit. Ob sie lachen würden, wenn sie den Verdacht hören würden?
„Unsere Geschichte, so wie du es uns versprochen hast. Einen winzigen Teil davon, und unser Mitspracherecht.“ Das Mädchen seufzt und senkt den Kopf, schließt die Augen und genießt den kurzen Augenblick, in dem es sich vormachen kann, dass es träumt. Mitsprachrecht – ein großes Wort, eines, das in ihrer Gegenwart öfter fiel. Und diese Geschichte, die sie forderten …
„Ihr bekommt sie. Aber nicht heute, so weit ist sie noch nicht. Und auch nicht morgen, übermorgen oder nächste Woche. Nicht im nächsten Monat, nicht mal im nächsten Jahr. Vielleicht.“ Ihre Antwort ist schwammiger als sonst und der Mann und die Frau schütteln ihre Köpfe, wieder synchron.
„Dass wir sie eines Tages bekommen, wissen wir. Aber so, wie du es uns versprochen hast? Unseren Teil davon?“, beharrt der Mann auf dem Gesagten, setzt sich fest im Denken des Mädchens und wird eins mit dem flackernden Licht der Kerze, das in ihre Augen dringt.
„Mitspracherecht“, seufzt sie, „Ist es das? Werde ich deshalb nie fertig? Weil euer winziger Teil einen Prozent des Gesamten ausmacht, es aber umgekehrt sein müsste?“ Ihre Frage verhallt zwischen den Wänden und wird von den Türöffnungen aufgesogen wie von einem Schwamm. Atmende Stille und das Rascheln seiner Federn.
Wieder erstickt die Kerze in der Dunkelheit, wieder weitet sich der Raum ins Unermessliche. „Ist es so?“, fragt sie erneut in die Leere, doch dann leuchtet ihre Umgebung auf, erstrahlt im Glanz eines prächtig geschmückten Weihnachtsbaumes. Ihre Besucher sind verschwunden, so wie sie gekommen sind, doch in den roten, matten und glänzenden Kugeln erkennt sie die Handschrift der Frau, in den akkurat gesetzten Kerzen die des Mannes. Es ist unverkennbar ihr Weihnachtsbaum, so wie ihnen der Zwischenraum gehörte. Das Mädchen lächelt, als ihm der Duft von Lebkuchen und Grünkohl in die Nase steigt, folgt ihm zu den Schatten einer der Türen und dreht sich noch einmal um. Von der anderen Seite des Raumes, im Türrahmen stehend, schauen ihr ihre Ideen zu, versammelt und in festliche Kleidung gesteckt, alle beieinander, wie sie es nicht mehr gesehen hatte, seit ihre Geschichte ihren Lauf nahm.
Frohe Weihnachten, wispern der Baum, die Kerzen und die atmende Stille, frohe Weihnachten. Sie dreht sich um und verlässt den Raum, glücklicher nun als zuvor. Frohe Weihnachten.
We are all accidents
Waiting
Waiting to happen
Radiohead, "There There"