Ich weiß, dass ich das Thema vor Jahren aufgerufen hatte und eigentlich meinen Senf dazu geben wollten, mir aber nicht so recht gelungen ist, das in die richtigen Worte zu fassen - die richtigen Worte sind schließlich wichtig, wie wir nicht zuletzt am Stein des Anstoßes hier sehen.
Für mich ist die Problematik zweigeteilt. Ich fange an mit dem Aspekt, der mir als Schreiberling ganz grundsätzlich Unbehagen breitet: Abgesehen von Fehlekorrektur und in Ausnahmefällen auf den Wunsch des Autoren oder durch seine eigene Hand, sollte ein "fertiges" Stück Literatur (im Sinne von Schaffenswerk, zumeist in Textform, nicht im Sinne von Feuilleton und Ohrensessel) niemals irgendwie verändert werden. Einerseits finde ich es schlicht anmaßend, an etwas rumzudoktern, für das jemand anderes viel Zeit und Geistesleistunge aufgebracht hat. Für mich ist ein Kunstwerk so ziemlich das einzige, was ich im Entferntesten als heilig bezeichnen würde, das Ergebnis eines Schaffenakts, der absolut einzigartig ist. Man darf kritisieren und diskutieren und Vorlieben und Meinungen haben, aber nur, wenn man anerkennt, dass ein Werk - von "Wert" und Qualität abgesehen - fix und unabänderlich sein sollte.
Wie El Lobo schon angemerkt hat, ist ein Werk andererseits auch immer Ausdruck seiner Zeit. Indem wir hier eingreifen, nehmen wir dem Text oder Bild den Kontext, bzw. es aus seinem Kontext und alles, was wir - von der bloßen Gestalt der Worte auf dem Papier abgesehen - aus ihm erfahren können, wird damit beschnitten.
Pippi Langstrumpf ist eben mehr als ein Kinderbuch, es ist ein Zeitzeugnis, das in seiner Gesamtheit Auskunft über die Umstände der Realität seiner Erschaffung liefern kann. Es ist ein Zeugnis, dass wir heute eben nicht mehr von "Negern" reden. Wenn bei Enyd Blyton das häusliche Zusammenleben gezeigt wird, sollte die Reaktion kein Aufschrei sein, der zur Folge hat, dass die Bücher derart modifiziert werden, dass nun auch die Jungen bei der Hausarbeit gezeigt werden, sondern ein Bewusstsein dafür entwickeln, warum unsere Geschlechterrollen heute anders sind und sich weiter ändern und warum das etwas Gutes ist. Allein schon durch diesen Unterschied unendlich lesenswert für nachfolgende Generationen.
Ich empfehle jedem, zu diesem Thema auch den Guardian-Artikel zum Thema Huckleberry Finn zu googlen. Da hat doch tatsächlich der betreffende Moralwächter bei der Entfernung des Begriffes "Nigger" den Kontext, den Redner und die Perspektive des Erzählers übersehen und durch seine "politisch korrekte" Anpassung der Szene viel von ihrer Rassismuskritik genommen.
Wer Krimis schreibt hat keine Leichen im Keller, Horrorautoren sind keine Satanisten und Mark Twain mit Sicherheit kein Rassist.
(Wobei - Kontext - diese Situation eine andere als die hier explizit gewählte betreffend Frau Langstrumpf ist.)
Das bringt mich zum zweiten Punkt, auch dem hat El Lobo und Addi schon angesprochen. Ich möchte aber noch einmal vertieft darauf eingehen.
Die Idee, es wäre uns in unsere aufgeklärten Zeit gestattet, revisionistisch in der Literatur tätig zu werden, ist nicht bloß arrogant, sie ist bedenklich und genau gegenüber den Gesellschaftsgruppen respektlos, die davor geschützt werden sollen, sich beleidigt zu fühlen.
Der "Negerkönig" in Pippi Langstrumpf ist ein Zeugnis der Zeit, in der das Buch geschrieben wurde, darüber können wir uns einig sein. Er ist darüber hinaus auch ein Zeugnis für einen in der Vergangenheit vollzogenen und/oder noch andauernden Prozess, der die Bedürfnisse, Selbstbilder und Ansprüche einer Gesellschaftsgruppe betrifft, anerkennt und zur Folge hat, dass wir heute bestimmte Begriffe aufgrund ihrer inhärenten Wertung (und des historischen Gewichts) nicht mehr verwenden. Und das ist gut so!
Jetzt könnte man ja meinen, dass die Zensur solcher Begriffe, gerade in der Kinderliteratur, positiv zu sehen ist. Kommen sie nicht mit solche Ausdrücken in Kontakt (als wäre ein Buch dazu der einzige Weg!), verwenden Sie sie nicht und die Welt ist ein besserer Ort. Nur entgeht ihnen damit die Auseinandersetzung mit der Frage, warum es heute anders ist. Was dachten die Leute wenn früher, warum wissen wir heute, dass es falsch war und wie erkenne ich die Irrwege rassistischen Denkens, etc., bevor ich sie hinabgehe? "Neger sagt man nicht" wird so ein moralisches Absolut, das aber auf sich alleine gestellt wirkungslos ist, weil de Kontext, das Warum fehlt. Mehr noch: Es fehlt vollkommen die Tatsache an sich, dass wir dieses und andere Wörter nicht mehr verwenden. Es ist ja nicht mehr da!
Hinzukommt eine weitere Ebene: Das Entfernen derartiger Begriffe macht auch jene Gruppen und Individueen unsichtbar, die Über Jahrzehnte und Jahrhunderte unter rassistischen Handlungen und Äußerungen gelitten und dafür gekämpft haben, dass sie heute nicht mehr zum Alltagston gehören. Ohne das Wissen, dass es mal anders war, hat er Umstand, das es heute nicht mehr so ist und dass es ein weiter, beschwerlicher und oft blutiger Weg war, der hier hin geführt hat praktisch bedeutungslos.
Implizit ist der ganzen Sache natürlich auch die Einstellung, dass unsere Zeit die beste ist und wir aus einer moralisch überlegenen Position über Vergangenes und vergangene Menschen objektiv urteilen können, als wären die Probleme, die sich in diesen paar Worten zeigen heute gelöst und wir könnten uns ab- und anderen Aufgaben zuwenden.
Und zu guter Letzt:
Können wir aufhören Kindern die geistige Kapazität abzusprechen, sich mit schwierigeren Materialien auseinanderzusetzen? Wer glaubt, dass Kinder aus solchen Büchern die falschen Sachen mitnehmen können - und das aufgrund eines Wortes - der vergisst, dass es letztlich in den Aufgabenbereich der Eltern fällt, hier für Klarheit und Kurs zu sorgen. Lasst sie doch von Negerkönigen lesen, aber gebt ihnen den Kontext, der sie das moralische Tabu verstehen lässt.
Für mich ist die Problematik zweigeteilt. Ich fange an mit dem Aspekt, der mir als Schreiberling ganz grundsätzlich Unbehagen breitet: Abgesehen von Fehlekorrektur und in Ausnahmefällen auf den Wunsch des Autoren oder durch seine eigene Hand, sollte ein "fertiges" Stück Literatur (im Sinne von Schaffenswerk, zumeist in Textform, nicht im Sinne von Feuilleton und Ohrensessel) niemals irgendwie verändert werden. Einerseits finde ich es schlicht anmaßend, an etwas rumzudoktern, für das jemand anderes viel Zeit und Geistesleistunge aufgebracht hat. Für mich ist ein Kunstwerk so ziemlich das einzige, was ich im Entferntesten als heilig bezeichnen würde, das Ergebnis eines Schaffenakts, der absolut einzigartig ist. Man darf kritisieren und diskutieren und Vorlieben und Meinungen haben, aber nur, wenn man anerkennt, dass ein Werk - von "Wert" und Qualität abgesehen - fix und unabänderlich sein sollte.
Wie El Lobo schon angemerkt hat, ist ein Werk andererseits auch immer Ausdruck seiner Zeit. Indem wir hier eingreifen, nehmen wir dem Text oder Bild den Kontext, bzw. es aus seinem Kontext und alles, was wir - von der bloßen Gestalt der Worte auf dem Papier abgesehen - aus ihm erfahren können, wird damit beschnitten.
Pippi Langstrumpf ist eben mehr als ein Kinderbuch, es ist ein Zeitzeugnis, das in seiner Gesamtheit Auskunft über die Umstände der Realität seiner Erschaffung liefern kann. Es ist ein Zeugnis, dass wir heute eben nicht mehr von "Negern" reden. Wenn bei Enyd Blyton das häusliche Zusammenleben gezeigt wird, sollte die Reaktion kein Aufschrei sein, der zur Folge hat, dass die Bücher derart modifiziert werden, dass nun auch die Jungen bei der Hausarbeit gezeigt werden, sondern ein Bewusstsein dafür entwickeln, warum unsere Geschlechterrollen heute anders sind und sich weiter ändern und warum das etwas Gutes ist. Allein schon durch diesen Unterschied unendlich lesenswert für nachfolgende Generationen.
Ich empfehle jedem, zu diesem Thema auch den Guardian-Artikel zum Thema Huckleberry Finn zu googlen. Da hat doch tatsächlich der betreffende Moralwächter bei der Entfernung des Begriffes "Nigger" den Kontext, den Redner und die Perspektive des Erzählers übersehen und durch seine "politisch korrekte" Anpassung der Szene viel von ihrer Rassismuskritik genommen.
Wer Krimis schreibt hat keine Leichen im Keller, Horrorautoren sind keine Satanisten und Mark Twain mit Sicherheit kein Rassist.
(Wobei - Kontext - diese Situation eine andere als die hier explizit gewählte betreffend Frau Langstrumpf ist.)
Das bringt mich zum zweiten Punkt, auch dem hat El Lobo und Addi schon angesprochen. Ich möchte aber noch einmal vertieft darauf eingehen.
Die Idee, es wäre uns in unsere aufgeklärten Zeit gestattet, revisionistisch in der Literatur tätig zu werden, ist nicht bloß arrogant, sie ist bedenklich und genau gegenüber den Gesellschaftsgruppen respektlos, die davor geschützt werden sollen, sich beleidigt zu fühlen.
Der "Negerkönig" in Pippi Langstrumpf ist ein Zeugnis der Zeit, in der das Buch geschrieben wurde, darüber können wir uns einig sein. Er ist darüber hinaus auch ein Zeugnis für einen in der Vergangenheit vollzogenen und/oder noch andauernden Prozess, der die Bedürfnisse, Selbstbilder und Ansprüche einer Gesellschaftsgruppe betrifft, anerkennt und zur Folge hat, dass wir heute bestimmte Begriffe aufgrund ihrer inhärenten Wertung (und des historischen Gewichts) nicht mehr verwenden. Und das ist gut so!
Jetzt könnte man ja meinen, dass die Zensur solcher Begriffe, gerade in der Kinderliteratur, positiv zu sehen ist. Kommen sie nicht mit solche Ausdrücken in Kontakt (als wäre ein Buch dazu der einzige Weg!), verwenden Sie sie nicht und die Welt ist ein besserer Ort. Nur entgeht ihnen damit die Auseinandersetzung mit der Frage, warum es heute anders ist. Was dachten die Leute wenn früher, warum wissen wir heute, dass es falsch war und wie erkenne ich die Irrwege rassistischen Denkens, etc., bevor ich sie hinabgehe? "Neger sagt man nicht" wird so ein moralisches Absolut, das aber auf sich alleine gestellt wirkungslos ist, weil de Kontext, das Warum fehlt. Mehr noch: Es fehlt vollkommen die Tatsache an sich, dass wir dieses und andere Wörter nicht mehr verwenden. Es ist ja nicht mehr da!
Hinzukommt eine weitere Ebene: Das Entfernen derartiger Begriffe macht auch jene Gruppen und Individueen unsichtbar, die Über Jahrzehnte und Jahrhunderte unter rassistischen Handlungen und Äußerungen gelitten und dafür gekämpft haben, dass sie heute nicht mehr zum Alltagston gehören. Ohne das Wissen, dass es mal anders war, hat er Umstand, das es heute nicht mehr so ist und dass es ein weiter, beschwerlicher und oft blutiger Weg war, der hier hin geführt hat praktisch bedeutungslos.
Implizit ist der ganzen Sache natürlich auch die Einstellung, dass unsere Zeit die beste ist und wir aus einer moralisch überlegenen Position über Vergangenes und vergangene Menschen objektiv urteilen können, als wären die Probleme, die sich in diesen paar Worten zeigen heute gelöst und wir könnten uns ab- und anderen Aufgaben zuwenden.
Und zu guter Letzt:
Können wir aufhören Kindern die geistige Kapazität abzusprechen, sich mit schwierigeren Materialien auseinanderzusetzen? Wer glaubt, dass Kinder aus solchen Büchern die falschen Sachen mitnehmen können - und das aufgrund eines Wortes - der vergisst, dass es letztlich in den Aufgabenbereich der Eltern fällt, hier für Klarheit und Kurs zu sorgen. Lasst sie doch von Negerkönigen lesen, aber gebt ihnen den Kontext, der sie das moralische Tabu verstehen lässt.
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