Ursprünglich für den Wettbewerb gedacht, wurde ich leider nicht rechtzeitig fertig. Mal sehen, wie sie angekommen wäre. 
Die erwähnten Personen, bis auf die Hauptcharaktere, gab es übrigens wirklich und ich kann nur empfehlen mal bei ihren Songs reinzuhören.
Ich hoffe, es gefällt.
Der verrostete, rote Laster rumpelte über die Straße, nahm dieses und jenes Schlagloch mit und seine Stoßdämpfer seufzten bei jedem einzelnem laut auf, gaben aber nicht nach. Malcolm saß hinten auf der Ladefläche, mit der Gitarre seines Vaters auf seinen Oberschenkeln und einer Mundharmonika in den Händen auf der er die Fahrt begleitete, die Fahne aus Staub, die sie hinter sich herzogen betrachtend. Durchgeschüttelt zu werden machte ihm nichts aus, er war schon schlimmer gereist. Unter anderem zu Fuß durchs Bayou, immer auf der Suche nach Arbeit, von der es in diesen Zeiten viel zu wenig gab. Er hatte keine Ahnung warum das so war. Manche erzählten von einem schwarzen Freitag, der die Börse in die Knie gezwungen habe, was auch immer das sein mochte. Vermutlich hieß der Tag nur deswegen so, damit die Weißen auch weiterhin seinen Brüdern und Schwestern die Schuld an ihrem Unglück geben konnten. Die Sklaverei in Ketten war abgeschafft, aber im Geist war sie hier im Süden immer noch vorhanden. Hier hatte sie überdauert, da gab er sich keinen Illusionen hin. Er spielte einen langgezogenen Ton und legte sein Herzblut in ihn hinein, bevor er die Luft in Vibration versetzte und schnell die Töne wechselte. Erneut gab es einen Schlag, der Malcolm bis ins Mark ging und ihn ungewollt hüpfen ließ. Malcolm wurde kräftig durchgeschüttelt und verlor beinahe seine Mundharmonika. Zur Sicherheit steckte er sie in seine Weste und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Endlose Weizenfelder, so weit das Auge reichte, die nach Wasser lechzten. Die letzten Tage waren recht trocken gewesen und die Sonne brannte herunter. Malcolm zog seinen Hut tiefer ins Gesicht. Die Bremsen quietschten und der Laster kam stotternd in einer Wolke aus Staub und Dreck zum Stehen. Malcolm hustete. Aus dem Fenster auf der Fahrerseite kam ein Kopf zum Vorschein.
„Hey Junge! Komm nach vorne. Hier ist es nicht so unbequem und staubig. Wollen doch nicht, dass deine Gitarre kaputt geht.“
Malcolm packte umgehend sein Instrument, sprang von der Ladefläche und beeilte sich einzusteigen. Der Fahrer, ein hagerer Weißer Mitte vierzig, grinste.
„Keine Angst Junge, ich lass dich schon nicht stehen. Will schließlich, dass du für mich arbeitest.“
Der Laster setzte sich wieder in Bewegung und sofort begannen die Schlaglöcher wieder ihre Arbeit. Zunächst sagte keiner von beiden ein Wort. Der Fahrer konzentrierte sich aufs Fahren, während der schwarze Junge aus dem Fenster sah und die Fahrt offenbar genoss.
„Was willst du eigentlich hier unten? Und wo willst du hin?“ Der Fahrer sah nun abwechselnd von der Straße zu Malcolm und umgekehrt.
„Hab kein bestimmtes Ziel.“ Malcolm sah aus dem Fenster und sprach leiser. „Ich will die Welt sehen, mehr nicht.“
„Und dann kommst du ausgerechnet hierher! Na, da gibt es bestimmt bessere Orte, behaupte ich mal. Besonders für einen Jungen wie dich.“ Der Farmer lachte laut auf, beruhigte sich aber schnell wieder. „Jetzt im Ernst. Der Süden hat immer noch nicht ganz vergessen und ein paar Unverbesserliche gibt es immer. Wenn du Pech hast, wird dich dein Aufenthalt ziemlich teuer zu stehen kommen.“
„Und warum nehmt ihr mich dann auf?“, fragte Malcolm.
„Vielleicht bin ich ein Narr. Oder weil es richtig ist. Wer weiß?“ Wieder lachte der Farmer sein lautes und offenes Lachen. „Oder weil ich deine Arbeitskraft brauche und dich zu meinem Sklaven machen will?“ Abgeschwächt wurde diese Aussage durch ein Augenzwinkern, schelmisches Blitzen in den Augen und Schmunzeln. Kurz war Malcolm verunsichert, aber recht schnell wurde ihm eins klar: Dieser Mann würde ihm nichts antun. Er dachte wirklich nur an seine Farm. Von ihm ging keine Gefahr aus. Und das tief im Süden der USA. Da hatte Malcolm schon ganz andere Dinge vernommen.
„Kannst du gut auf dem Ding da spielen?“ Der Farmer zeigte auf die Gitarre, die auf Malcolms Schoß lag. „Hab mal Charley Patton beim alten Sam gesehen. Hat sein Haus dafür extra in ein Juke Joint verwandelt. Die Schwarzen aus der ganzen Nachbarschaft waren da und ein paar Weiße wie ich, die Sam eingeladen hatte.“ Der Lastwagen rumpelte durch ein Schlagloch und zwang seine Insassen die Zähne aufeinander zu pressen, bevor sie sich zufällig die Zunge abbissen. „Hat damals eine beeindruckende Show gezeigt. Mit seinem Stampfen hat er die Hütte zum Beben gebracht und seine Stimme sag ich dir – laut wie das Brüllen eines Grizzlys.“ Malcolm sah ihn verwundert an, sollte dieser Weiße tatsächlich Charles Patton gesehen und einen Zugang zur Musik gefunden haben? Konnte das sein? Dann fiel ihm wieder ein, schon einmal davon gehört zu haben, dass Patton auch - und mittlerweile vor allem - vor Weißen auftrat.
„Kannst du auch zwischen deinen Beinen und hinter deinem Kopf spielen. War echt verrückt, sage ich dir, wie der Kerl plötzlich damit anfing, seine Gitarre in die Luft zu werfen, nur um sie aufzufangen und weiterzuspielen, als ob nichts gewesen wäre. Ich sag dir, das war die verdammt beste Show, die ich je gesehen habe. Hatte so einen Jungen dabei, der ihm den ganzen Abend zugesehen hat. Wie hieß der nochmal?“ Der Farmer kratzte sich am Hinterkopf, seine Mütze dabei festhaltend.
„Robert.“ Malcolm wagte es endlich, den Mann zu unterbrechen.
„Robert. Richtig.“ Die Mütze glitt wieder an ihre vorbestimmte Stelle. „Was ist aus dem Jungen geworden?“
Malcolm zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Er ging und ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht. Er meinte, er käme erst wieder, wenn er so gut Gitarre spielen kann, dass Patton ihn respektieren müsste.“
„Na, nicht, dass er seine Seele an den Teufel verkauft, wie es dieser Tommy Johnson getan haben soll. Muss man sich mal vorstellen. Seele gegen Musik. Wer macht so etwas?“ Der Farmer schüttelte den Kopf. „Wenn es überhaupt stimmt. Kaum zu glauben eigentlich. Der Teufel persönlich gibt einem die Fähigkeit zu spielen. Klingt doch merkwürdig“
Malcolm schaute zu seinem Mitfahrer herüber.
„Warum nicht? Musik ist Seele. Sie gibt einem die Fähigkeit alles auszudrücken. Gefühle Schmerz, … und der Blues ist meist Schmerz in Noten gegossen.“
„Oho, hört ihn euch an, noch nicht ganz trocken hinter den Ohren und schon will er einen alten Mann belehren.“
„Ich.... ich wollte niemanden belehren,“ begehrte Malcolm auf. „Ich wollte nur...“
„Schon gut, Junge.“ Wurde er da unterbrochen. „Spiel uns lieber was auf deiner Gitarre. Ich schätze, ein bisschen wirst du wohl damit umgehen können.“
Zuerst wollte Malcolm noch einmal aufbegehren, besann sich aber, als er ein süffisantes Lächeln im Gesicht des anderen Mannes sah und legte die Gitarre auf seinen linken Oberschenkel. Zuerst stimmte er sie grob, bevor er zu spielen begann. Er hatte nie Noten lesen gelernt, geschweige denn Akkorde zu greifen, aber er hatte durchs Zusehen recht schnell begriffen, wie die Seiten mit den einzelnen Fingern anzuschlagen waren und konnte diverse bekanntere Melodien durchs Fingerpicking erklingen lassen. Unsicher gab die Gitarre die ersten Töne von sich, aber nachdem ein wenig Zeit vergangen war, fühlte sich Malcolm sicherer und lernte das Holpern und Rumpeln über die Straße auszugleichen, so dass er sich kaum noch verspielte. Und so fuhren sie schweigend weiter, nur von der bittersüßen Melodie der Gitarre begleitet. Die Landschaft glitt an ihnen vorbei, die Felder, voller Weizen. Vereinzelte Bäume, die den Weg säumten und Vögel, die unter lautem Kreischen in die Luft stiegen. Eine der Krähen landete auf dem Kühler des Wagens und starrte Malcolm aus einem ihrer tiefschwarzen Augen an. Sie neigte ihren Kopf und schien ihn genau unter die Lupe zu nehmen. Der Junge merkte, wie ihm immer wärmer wurde unter dem heißen Blick des Vogels und seine Finger glitten zusehends langsamer über die Saiten.
„Kschh, kschh. Weg mit dir, du Aasfresser!“ Malcolms Mitreisender wedelte mit der Hand in Richtung Krähe, um sie zu verscheuchen und tatsächlich flog diese mit einem vorwurfsvollen Krächzen auf.
„So Junge, das Vogelvieh ist weg. Kannst weiterspielen. Klingt nämlich gut, was du da machst. Auch wenn du Patton wahrscheinlich noch lange nicht das Wasser reichen kannst. Oder diesem Tommy Johnson. Aber der hatte auch Hilfe.“ Der Fahrer drehte sein Gesicht zu Malcolm und verzog eine Mundecke zu einem schiefen Grinsen. Ein Goldzahn blendete den Jungen beinahe.
„Komm schon! Spiel!“
Malcolm wurde in die Seite geknufft und ein Schauer lief über seinen Rücken. Die Hand des anderen Mannes hatte sich ganz warm angefühlt. Wärmer, als sie hätte sein dürfen. Aber er schüttelte das aufkommende, beklemmende Gefühl ab und griff erneut in die Saiten.
„Und vergiss nicht zu singen.“ Ein weiteres Grinsen und Augenzwinkern folgten der Aufforderung. „Mit Gesang wird jedes Lied besser, mein Sohn.“ Der Farmer lachte. Nur war es jetzt viel tiefer und dröhnender als zuvor, als ob es von einem viel größeren und massigeren Mann stammte. Malcolm schluckte unwillkürlich. Singen hatte er noch nie vermocht, aber diesem Mann konnte er es aus irgendeinem Grund nicht abschlagen. Und warum eigentlich auch? Nur weil seine Schwester behauptet hatte, seine Stimme wäre nur dazu geeignet, Ungeziefer zu verscheuchen, bedeutete nicht, sie wäre es tatsächlich. Vielleicht war sie besser, als er dachte. Zögerlich begann er sein Gitarrenspiel mit seiner Stimme zu begleiten. Die ersten Worte hauchte er mehr, als dass er sie sang. Krächzend fanden sie ihren Weg zu seinem Zuhörer, der nicht wahrzunehmen schien, wie unwohl sich Malcolm wegen seines eigenen Gesanges fühlte. Im Gegenteil sobald Malcolms Stimme sich gefestigt hatte, summte der die Melodie mit, nickte mit seinem Kopf im Takt und klopfte mit seinen Händen aufs Lenkrad. Malcolm machte dies auf seltsame Art Mut und er sang lauter. Seine Stimme wurde tiefer und ihre Rauheit ging nicht verloren, sondern fügte sich immer mehr in sein Gitarrenspiel ein. Bald schon konnte er sich nicht mehr daran erinnern, warum er sich nicht schon früher mit Gesang begleitet hatte. Die Weite des Südens zog am Fenster vorbei, Staub wirbelte auf, legte sich auf die Felder und Malcolm spielte und sang dazu. Die Sonne stand schon fast im Zenit und erhitzte die Fahrerkabine immer weiter. Doch Malcolm spürte es nicht, er ging in seinem Gitarrenspiel auf, erlag seinem Fieber. Steigerte sich weiter hinein und nahm nichts mehr war, außer dem Holz unter seinen Händen, den Saiten an seinen Fingern und die Klänge, die das darüber Streichen mit der Hand erzeugte. Sie schwangen sich hinauf zum Himmel und kehrten zu ihm zurück, um ihn einzuflüstern, welche Note folgen sollte. Die Zeit schritt voran und er merkte es nicht, bis zu jenem Moment in dem er jäh unterbrochen wurde. Ein Knall ertönte, direkt gefolgt von einem heftigen Ruck durch den Laster. Malcolm wurde nach rechts geworfen und prallte mit der Schulter gegen die Scheibe. Seine Gitarre flog ihm beinahe aus der Hand. Der Laster schlingerte kurz, bevor der Farmer ihn wieder unter Kontrolle bekam und sachte abbremste. Trotzdem landeten sie mit dem rechten Vorderrad im Graben. Als der Laster stand, atmete der Farmer tief durch.
„Na, das war ja was. Nicht wahr, Junge?“ Dabei hob er mit der linken Hand seine Mütze an und fuhr sich mit der Rechten durchs schwarze Haar. Malcolm nickte einfach nur und rieb sich mit schmerzverzerrten Gesicht die rechte Schulter.
„Na, dann wollen wir mal schauen, was los ist.“ Die Fahrertür ging auf und der weiße Mann sprang elegant aus dem Auto, fast schien es so, als gleite, schwebe er zu Boden. Malcolm rieb sich die Augen mit Daumen und Mittelfinger und strich dabei gleichzeitig ein paar Tränen fort. Er hatte sich bestimmt verguckt. Wahrscheinlich hatte der Aufprall ihn nur etwas benommen gemacht und jetzt sah er Dinge, die nicht existierten. Er schaute aus dem Fenster und bemerkte erst jetzt, wo sie waren. Eine Kreuzung mitten im Nirgendwo, die überall und nirgends hinführte. In allen Richtungen konnte er die staubige Landstraße sehen, die in der Ferne verschwand. Jeder Weg würde ihm vermutlich eine weitere, andere Möglichkeit bieten.
„Hey Junge! Komm mal raus. Brauch' Deine Hilfe. Dieser verdammte Reifen ist doch tatsächlich geplatzt.“
Malcolm fuhr ein klein wenig zusammen, als er angesprochen wurde, legte aber sofort seine Gitarre zur Seite, öffnete die Tür und stieg aus. Dreck und Staub stiegen auf, als er aus dem Auto sprang und auf dem Boden landete.
„Hinten auf der Ladefläche liegt ein Kreuz und ein Wagenheber, hol' die mal. Ich schau in der Zeit, ob noch was anderes kaputt gegangen ist. Wenn ja, haben wir ein Problem, Junge.“
Ohne Worte ging Malcolm nach hinten, kletterte auf die Ladefläche und fand unter einer Plane Radkreuz und Wagenheber. Er nahm beides und ging damit zu dem Farmer.
„Danke.“ Hörte er.
„Wir hatten echt Glück, Junge. Ist nur der Reifen. Kannst du dich unter das Auto legen und den Wagenheber ansetzen?“ Der Andere sah ihn entschuldigend an. „Mein Rücken macht das nicht mehr so mit.“
Malcolm zuckte mit den Schultern.
„Kann ich machen.“
„Ok. Schon mal sowas gemacht?“ Ein Kopfschütteln. „Ok. Dann erkläre ich dir das schnell. Wenn du dich da drunter gelegt hast, wirst du an der Achse so eine dickere Stelle sehen mit einer Einkerbung, da setzt du an. Geht am Besten. Aber kriech' erstmal drunter, ich geb' dir den Wagenheber an. Wirst sehen ist ganz einfach.“
Malcolm legte sich auf den überhitzten Boden und schob sich über die vielen kleinen Steine der unbefestigten Straße unters Auto. Kurz bevor sein Kopf endgültig unter dem Fahrzeug verschwand, schob sich der eine Mundwinkel des Mannes nach oben und entblößte erneut dessen Goldzahn. Lächelte der Farmer etwa? Vor allem sah es nicht nach einem herzlichen Lächeln aus, sondern mehr, als sei er völlig zufrieden mit sich - und ja, auch eine Spur Boshaftigkeit schien sich darunter gemischt zu haben. Ein Schauer lief Malcolms Rücken hinunter und ihm war für einen kurzen Moment kalt. Sein Hemd klebte an ihm. Dann lief die Zeit weiter und die Wärme in Körper und Gesicht kehrte zurück. Er schob sich weiter. Vermutlich hatte er es sich nur eingebildet.
Zuerst war es etwas verwirrend all das Metall um sich herum zu haben und direkt in die Eingeweide des Motors sehen zu können. Aber schließlich fand er die gesuchte Stelle.
„Hast du es, Junge?“
„Ja, habe ich, Mister.“
„Gut, dann gebe ich dir jetzt den Wagenheber.“
Metall rutschte knirschend über kleine Steine und durch Staub. Malcolm tastete und spürte schnell die angenehme Kühle des Stahls. Er zog das Werkzeug zu sich und setzte es an. Anschließend begann er am Griff zu drehen und langsam hob sich das Auto auf seiner Seite.
„Kannst aufhören, Junge. Das Rad ist frei. Komm raus.“
Das ließ sich Malcolm nicht zweimal sagen. So schnell es ging, robbte er auf dem Rücken zur Seite. Sein Oberkörper war schon zur Hälfte unter dem Auto hervor gekommen, als er das Fehlen seiner Mundharmonika in der Hemdtasche bemerkte. Malcolm hielt sich mit der rechten Hand am Trittbrett fest, zog sich etwas hoch und legte sich auf die Seite. Die Mundharmonika hatte vor Urzeiten seinem Großvater gehört, er musste sie finden. Sie war mit wunderbaren Erinnerungen an seine Kindheit verknüpft. Erinnerungen, die gut waren, an gemeinsame Stunden, in denen er zusammen mit seinem Vater und Großvater Musik gespielt hatte. In denen sie alle Sorgen hinter sich ließen. Fieberhaft suchte Malcolm mit Augen und Händen den Boden ab und dann sah er sie. Unter dem einen Arm des Wagenhebers lag sie und glänzte matt, wie sie es seit dem Tag getan hatte, als er sie aus der Hand seines Großvaters erhalten hatte. Der hatte ihn damals angelächelt und aufgefordert zu spielen. Kein Tag war vergangen, an dem er dies nicht getan hatte. Metall ächzte laut und klagend.
„Junge, was war das?“
„Nichts Mister.“ Malcolms Zunge fuhr über seine trockene Lippe, als es sich weiter streckte um sein Instrument zu erreichen. Wieder ächzte Metall.
„Junge, komm da raus. Der Wagenheber gibt gleich nach.“ Der Farmer war lauter geworden und seine drängende Stimme stellte klar, dass dies keine Bitte war. Malcolm ignorierte alles um sich herum, er hatte die Mundharmonika entdeckt und konnte sie mit seinen Fingern schon berühren, er gab jetzt nicht auf.
„Gleich. Mister. Ist nichts schlimmes.“ Endlich bekam er die Mundharmonika zu fassen und zog sie zu sich heran. Mit einem Kreischen gab der Wagenheber nach. Das Auto krachte herunter und klemmte Malcolms Hand zwischen Boden und Wagenheber ein. Malcolm schrie auf. Heißer Schmerz kochte durch seinen rechten Arm, verbrannte ihn innerlich und vernebelte seine Sinne. Der Farmer reagierte schnell. Praktisch im gleichen Moment lag dieser neben Malcolm und zerrte an dessen Arm, drückte mit seinem Rücken von unten gegen das Gestänge des Lastwagens und versuchte alles, die eingeklemmte Hand zu befreien. Eine Schmerzwelle nach der anderen fiel über Malcolm her und zog über ihn hinweg. Sei ganzes Denken war nur noch von dem höllischen Schmerz erfüllt, den seine Hand aussandte. Er schrie und Tränen zogen Furchen in dem Staub auf seinem Gesicht. Er hörte ein Knacken und spürte wie er ins Freie gezogen wurde. Im nächsten Moment saß er an einem Reifen gelehnt und starrte auf seine verletzte Hand. Ein Knochen stand blank hervor. Sehnen lagen frei und überall war Blut. Er würgte. Rechtzeitig bevor er sein Frühstück erbrach, drehte er sich noch zur Seite. Der Schmerz ließ nach. Er keuchte und lehnte den Kopf an den Reifen, bevor er starren Blicks auf seine Hand hinab sah, auf die blutigen Finger. Der Zeigefinger war fast durchtrennt worden und nur noch eine rote Masse. Sein Atem ging weiterhin schneller, aber die Schmerzen wurden schwächer und er konnte wieder einen Gedanken fassen, was er lieber nicht getan hätte. Seine Hand würde nicht amputiert werden müssen, das wusste Malcolm, aber er hatte genug auf der Farm seines Onkels gesehen, um die Bedeutung der Verletzung zu erfassen. Nie wieder würde er mit dieser Hand einer Gitarre Töne entlocken können. Sie war dahin und damit auch seine Hoffnung, mehr zu werden als ein einfacher Farmer. Mit steifen Fingern ließ sich schwer spielen. Erneut schossen ihm Tränen in die Augen.
„Junge, halt das fest. - Hörst du?“
Der Farmer war an seiner Seite und reichte ihm einen Stoffstreifen. Mechanisch griff Malcolm zu.
„Das wird jetzt weh tun. Aber es gibt nichts besseres als Whisky drüberzuschütten. Also beiß' die Zähne zusammen.“
Malcolm wollte noch protestieren, aber es war zu spät. Der Schmerz in seinem Arm flammte erneut auf. War vorher Feuer durch seinen Arm gelaufen, musste es nun flüssige Lava sein. Im ersten Moment wollte er aufspringen, aber der Farmer drückte ihn gnadenlos mit seiner freien Hand gegen den Reifen. Ein zweites Mal brannte sich das Höllenfeuer durch seine Adern. Malcolm schrie, schrie all seinen Schmerz hinaus. Seine Linke grub sich in die Staubige Erde, eine Nagel löste sich von einem seinem Finger und weiteres Blut floss in den Staub. Malcolm bemerkte es nicht. Agonie hatte ihn überrollt, er lebte jetzt in ihr. Quälend langsam verstrich die Zeit.
„Hand... meine Hand… ich...“
„Ruhig Junge, ganz ruhig.“
„Aber... spielen... ich will spielen...“
„Beruhige dich. Alles wird gut.“
Malcolm schüttelte schwerfällig den Kopf.
„Nein. Wird... es nicht.“
Malcolms ganzer Körper zitterte als er zu schluchzen begann. Direkt neben sich vernahm er ein Flattern und als er hinüberblickte, saß direkt neben seinem Bein eine schwarze Krähe und pickte mit ihrem Schnabel ins Erdreich.
„Halt still! Ich verbinde jetzt deine Hand. Das könnte weht tun. Es sei denn...“
Der Farmer hielt inne und betrachtete Malcolm nachdenklich.
„Sag Junge, wie sehr willst du wirklich Gitarre spielen und davon leben? Was wärst du bereit dafür zu geben?“
Trotz der Schmerzen, trotz der Tränen, trotz allem, drangen die Worte des Mannes zu Malcolm durch und auch wenn die Frage für den Moment seltsam erscheinen mochte, beantwortete er sie ohne zu zögern. Langsam drehte er seinen Kopf, um den Mann in die Augen zu sehen, bevor er „Alles!“ flüsterte.
Ein Lächeln stahl sich in die Gesichtszüge des Farmers bei dem er seine strahlend weißen Zähne zeigte. Die Krähe ließ ihren Schnabel auf einen Stein niederfahren und erzeugte so ein dumpfes Klopfen.
„Sehr gut. Dann kann ich mehr für dich tun, als du vielleicht denkst. Folgendes: Ich sorge dafür, dass du wieder Gitarre spielen kannst und zwar besser als dieser Verlierer von Tommy Johnson und du gibst mir, was ich am meisten von dir begehre. Es ist nicht viel, nur eine Kleinigkeit, sozusagen deine Musik. Einverstanden?“
Der Junge verstand zwar nicht, was der Farmer meinte. Aber er war einverstanden, ganz sicher. Warum nicht? Bevor er auf irgendeinem Stück Land verrottete, würde er jede ausgestreckte Hand ergreifen, die ihn tun ließ, was er wollte. Wenn der Mann seine Hand behandeln konnte, wäre er zu allem bereit. Er würde wieder spielen können, einzig dieser Gedanke zählte für Malcolm. Deshalb nickte er.
„Sehr schön, Junge. Allerdings müssen wir einen Vertrag schließen, sonst kann ich dir nicht helfen. Pakt ist Pakt.“ Der Farmer zwinkerte. „Keine Angst, geht ganz schnell! Krächzer komm her!“ Der schwarze Vogel neben Malcolm flatterte auf und landete direkt vor den Füßen seines Herrn und neben Malcolms linker Hand. Schnell stieß er zu und Malcolm spürte einen Stich in seiner Handfläche. Aus einer kleinen, kreisförmigen Wunde quoll etwas Blut. Danach widmete sich die Krähe der Hand seines Herrn.
„Gut. Sehr gut!“ Der Farmer entblößte sämtliche Zähne. „Jetzt schlag ein, Junge“ Der Farmer hielt Malcolm auffordernd seine Hand hin. Der Junge hob seine Hand und streckte sie ihm entgegen.
„Ich kann, deine Hand nicht nehmen, Junge. Du musst einschlagen!“ Mit einem Mal klang die Stimme des Farmers drängend, gar gierig. Malcolm zögerte. Warum wollte der Mann ihm helfen und wie eigentlich? Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Tat er wirklich das Richtige? Sein Gegenüber sah, welche Gedanken sich gerade in ihm breit machten und die Augen des Mannes wurden zu engen Schlitzen. Unvermittelt überrollte Malcolm eine weitere Schmerzwelle und er schrie erneut auf. Als er die Augen wieder öffnete, kniete der Mann vor ihm, mit seinem Gesicht, dicht vor dem des Jungen. Seine Stimme war nun tiefer, zischender und fordernder als er sprach. Der Geruch von faulen Eiern lag in der Luft.
„Schlag ein, Junge. Das ist deine letzte Gelegenheit, ansonsten schwöre ich dir, verbringst du dein Leben im Dreck!“ Die Krähe pochte wieder auf den Stein, der Himmel schien dunkler zu werden und Wind kam auf. Malcolms Herz schlug bis zum Hals. Schweiß trat auf seine Stirn und er musste mehrmals Schlucken. Wie ein Schlange ihr Opfer hielt der Mann seinen Blick gefangen. Langsam und zitternd umfasste Malcolm die ihm angebotene Hand. Sobald er sie berührte, schlossen sich die Finger des Farmers wie ein Schraubstock um seine. Kurz brannte die offene Wunde in seiner Handfläche, dann ließ der Farmer auch wieder los. Zufrieden grinsend erhob sich dieser.
„Na also, war doch gar nicht so schlimm. Ganz einfach. Meinen Preis hole ich mir, wenn die Zeit gekommen ist. Aber erst darfst du etwas leben und genießen. Soll sich schließlich auch lohnen.“ Er tippte sich an seinem breitkrempigen Strohhut. Die Sonne kehrte zurück. „Ich muss mich jetzt leider verabschieden. Aber ich bin sicher, du kommst auch ohne mich zurecht, Junge.“
Der Farmer schnippte mit Daumen und Mittelfinger der linken Hand. Von einem Moment zum anderen, spürte Malcolm keinen Schmerz mehr. Sofort schaute er auf seine rechte Hand. Nicht die Spur einer Verletzung war zu sehen. Im Sonnenlicht drehte er sie, um sie von allen Seiten zu betrachten. Er bewegte die Finger einzeln, machte einer Faust, öffnete sie und nicht der Hauch eines Schmerzes ließ ihn zucken. Wie in Trance erhob er sich.
„Hier, Junge! Probiere es aus!“
Mechanisch griff Malcolm nach der Gitarre, die ihm von hinten angereicht wurde. Vorsichtig ließ er seine Finger über die Saiten gleiten. Zunächst in einem langsamen Rhythmus kamen die Töne einzeln aus dem Bauch des Instrument, aber zunehmend wurde die Melodie fordernder, mitreißender und ehe er sich versah, spielte Malcolm so schnell, präzise und voller Leidenschaft, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die Melodie trug ihn fort und verlangte ihm seelisch und körperlich alles ab. Als der letzte Ton verklang, wandte er sich erschöpft um. Der Lastwagen war fort, ebenso der einfache Farmer, stattdessen sah er sich einem tiefschwarzen Hengst gegenüber, dessen Reiter in schwarz und blutrot gekleidet war. Sein langer Mantel floss über den Rücken des Pferdes und reichte fast bis zum Boden. Flamen züngelten um die Hufe. Der Reiter sah auf ihn hinab. Seine Augen verbargen sich hinter einer Sonnenbrille und lagen im Schatten eines altmodischen Cowboyhutes. Er griff an seine Hutkrempe.
„Gestatten, Baal. Wir sehen uns Junge! Ganz bestimmt.“ Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon. Mit einem Krächzen erhob sich die Krähe und jagte ihrem Herrn hinterher. Zurück blieb Malcolm, allein, ohne Hoffnung. Er sank auf seine Knie und ließ sich auf den Rücken fallen. So liegend bemerkte er, dass er sich in der Mitte der Kreuzung befand, genau wie einst Tommy Johnson. Musik ist Seele, hatte er das nicht zu Baal gesagt? Aus der Tiefe seiner Brust bahnte sich ein Kichern seinen Weg, Erst verhalten, dann brach es hervor und er lachte letztendlich tief und dröhnend. Der Schmerz in seiner Hand war vielleicht verschwunden, aber der in seiner Seele blieb.

Die erwähnten Personen, bis auf die Hauptcharaktere, gab es übrigens wirklich und ich kann nur empfehlen mal bei ihren Songs reinzuhören.

Der verrostete, rote Laster rumpelte über die Straße, nahm dieses und jenes Schlagloch mit und seine Stoßdämpfer seufzten bei jedem einzelnem laut auf, gaben aber nicht nach. Malcolm saß hinten auf der Ladefläche, mit der Gitarre seines Vaters auf seinen Oberschenkeln und einer Mundharmonika in den Händen auf der er die Fahrt begleitete, die Fahne aus Staub, die sie hinter sich herzogen betrachtend. Durchgeschüttelt zu werden machte ihm nichts aus, er war schon schlimmer gereist. Unter anderem zu Fuß durchs Bayou, immer auf der Suche nach Arbeit, von der es in diesen Zeiten viel zu wenig gab. Er hatte keine Ahnung warum das so war. Manche erzählten von einem schwarzen Freitag, der die Börse in die Knie gezwungen habe, was auch immer das sein mochte. Vermutlich hieß der Tag nur deswegen so, damit die Weißen auch weiterhin seinen Brüdern und Schwestern die Schuld an ihrem Unglück geben konnten. Die Sklaverei in Ketten war abgeschafft, aber im Geist war sie hier im Süden immer noch vorhanden. Hier hatte sie überdauert, da gab er sich keinen Illusionen hin. Er spielte einen langgezogenen Ton und legte sein Herzblut in ihn hinein, bevor er die Luft in Vibration versetzte und schnell die Töne wechselte. Erneut gab es einen Schlag, der Malcolm bis ins Mark ging und ihn ungewollt hüpfen ließ. Malcolm wurde kräftig durchgeschüttelt und verlor beinahe seine Mundharmonika. Zur Sicherheit steckte er sie in seine Weste und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Endlose Weizenfelder, so weit das Auge reichte, die nach Wasser lechzten. Die letzten Tage waren recht trocken gewesen und die Sonne brannte herunter. Malcolm zog seinen Hut tiefer ins Gesicht. Die Bremsen quietschten und der Laster kam stotternd in einer Wolke aus Staub und Dreck zum Stehen. Malcolm hustete. Aus dem Fenster auf der Fahrerseite kam ein Kopf zum Vorschein.
„Hey Junge! Komm nach vorne. Hier ist es nicht so unbequem und staubig. Wollen doch nicht, dass deine Gitarre kaputt geht.“
Malcolm packte umgehend sein Instrument, sprang von der Ladefläche und beeilte sich einzusteigen. Der Fahrer, ein hagerer Weißer Mitte vierzig, grinste.
„Keine Angst Junge, ich lass dich schon nicht stehen. Will schließlich, dass du für mich arbeitest.“
Der Laster setzte sich wieder in Bewegung und sofort begannen die Schlaglöcher wieder ihre Arbeit. Zunächst sagte keiner von beiden ein Wort. Der Fahrer konzentrierte sich aufs Fahren, während der schwarze Junge aus dem Fenster sah und die Fahrt offenbar genoss.
„Was willst du eigentlich hier unten? Und wo willst du hin?“ Der Fahrer sah nun abwechselnd von der Straße zu Malcolm und umgekehrt.
„Hab kein bestimmtes Ziel.“ Malcolm sah aus dem Fenster und sprach leiser. „Ich will die Welt sehen, mehr nicht.“
„Und dann kommst du ausgerechnet hierher! Na, da gibt es bestimmt bessere Orte, behaupte ich mal. Besonders für einen Jungen wie dich.“ Der Farmer lachte laut auf, beruhigte sich aber schnell wieder. „Jetzt im Ernst. Der Süden hat immer noch nicht ganz vergessen und ein paar Unverbesserliche gibt es immer. Wenn du Pech hast, wird dich dein Aufenthalt ziemlich teuer zu stehen kommen.“
„Und warum nehmt ihr mich dann auf?“, fragte Malcolm.
„Vielleicht bin ich ein Narr. Oder weil es richtig ist. Wer weiß?“ Wieder lachte der Farmer sein lautes und offenes Lachen. „Oder weil ich deine Arbeitskraft brauche und dich zu meinem Sklaven machen will?“ Abgeschwächt wurde diese Aussage durch ein Augenzwinkern, schelmisches Blitzen in den Augen und Schmunzeln. Kurz war Malcolm verunsichert, aber recht schnell wurde ihm eins klar: Dieser Mann würde ihm nichts antun. Er dachte wirklich nur an seine Farm. Von ihm ging keine Gefahr aus. Und das tief im Süden der USA. Da hatte Malcolm schon ganz andere Dinge vernommen.
„Kannst du gut auf dem Ding da spielen?“ Der Farmer zeigte auf die Gitarre, die auf Malcolms Schoß lag. „Hab mal Charley Patton beim alten Sam gesehen. Hat sein Haus dafür extra in ein Juke Joint verwandelt. Die Schwarzen aus der ganzen Nachbarschaft waren da und ein paar Weiße wie ich, die Sam eingeladen hatte.“ Der Lastwagen rumpelte durch ein Schlagloch und zwang seine Insassen die Zähne aufeinander zu pressen, bevor sie sich zufällig die Zunge abbissen. „Hat damals eine beeindruckende Show gezeigt. Mit seinem Stampfen hat er die Hütte zum Beben gebracht und seine Stimme sag ich dir – laut wie das Brüllen eines Grizzlys.“ Malcolm sah ihn verwundert an, sollte dieser Weiße tatsächlich Charles Patton gesehen und einen Zugang zur Musik gefunden haben? Konnte das sein? Dann fiel ihm wieder ein, schon einmal davon gehört zu haben, dass Patton auch - und mittlerweile vor allem - vor Weißen auftrat.
„Kannst du auch zwischen deinen Beinen und hinter deinem Kopf spielen. War echt verrückt, sage ich dir, wie der Kerl plötzlich damit anfing, seine Gitarre in die Luft zu werfen, nur um sie aufzufangen und weiterzuspielen, als ob nichts gewesen wäre. Ich sag dir, das war die verdammt beste Show, die ich je gesehen habe. Hatte so einen Jungen dabei, der ihm den ganzen Abend zugesehen hat. Wie hieß der nochmal?“ Der Farmer kratzte sich am Hinterkopf, seine Mütze dabei festhaltend.
„Robert.“ Malcolm wagte es endlich, den Mann zu unterbrechen.
„Robert. Richtig.“ Die Mütze glitt wieder an ihre vorbestimmte Stelle. „Was ist aus dem Jungen geworden?“
Malcolm zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Er ging und ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht. Er meinte, er käme erst wieder, wenn er so gut Gitarre spielen kann, dass Patton ihn respektieren müsste.“
„Na, nicht, dass er seine Seele an den Teufel verkauft, wie es dieser Tommy Johnson getan haben soll. Muss man sich mal vorstellen. Seele gegen Musik. Wer macht so etwas?“ Der Farmer schüttelte den Kopf. „Wenn es überhaupt stimmt. Kaum zu glauben eigentlich. Der Teufel persönlich gibt einem die Fähigkeit zu spielen. Klingt doch merkwürdig“
Malcolm schaute zu seinem Mitfahrer herüber.
„Warum nicht? Musik ist Seele. Sie gibt einem die Fähigkeit alles auszudrücken. Gefühle Schmerz, … und der Blues ist meist Schmerz in Noten gegossen.“
„Oho, hört ihn euch an, noch nicht ganz trocken hinter den Ohren und schon will er einen alten Mann belehren.“
„Ich.... ich wollte niemanden belehren,“ begehrte Malcolm auf. „Ich wollte nur...“
„Schon gut, Junge.“ Wurde er da unterbrochen. „Spiel uns lieber was auf deiner Gitarre. Ich schätze, ein bisschen wirst du wohl damit umgehen können.“
Zuerst wollte Malcolm noch einmal aufbegehren, besann sich aber, als er ein süffisantes Lächeln im Gesicht des anderen Mannes sah und legte die Gitarre auf seinen linken Oberschenkel. Zuerst stimmte er sie grob, bevor er zu spielen begann. Er hatte nie Noten lesen gelernt, geschweige denn Akkorde zu greifen, aber er hatte durchs Zusehen recht schnell begriffen, wie die Seiten mit den einzelnen Fingern anzuschlagen waren und konnte diverse bekanntere Melodien durchs Fingerpicking erklingen lassen. Unsicher gab die Gitarre die ersten Töne von sich, aber nachdem ein wenig Zeit vergangen war, fühlte sich Malcolm sicherer und lernte das Holpern und Rumpeln über die Straße auszugleichen, so dass er sich kaum noch verspielte. Und so fuhren sie schweigend weiter, nur von der bittersüßen Melodie der Gitarre begleitet. Die Landschaft glitt an ihnen vorbei, die Felder, voller Weizen. Vereinzelte Bäume, die den Weg säumten und Vögel, die unter lautem Kreischen in die Luft stiegen. Eine der Krähen landete auf dem Kühler des Wagens und starrte Malcolm aus einem ihrer tiefschwarzen Augen an. Sie neigte ihren Kopf und schien ihn genau unter die Lupe zu nehmen. Der Junge merkte, wie ihm immer wärmer wurde unter dem heißen Blick des Vogels und seine Finger glitten zusehends langsamer über die Saiten.
„Kschh, kschh. Weg mit dir, du Aasfresser!“ Malcolms Mitreisender wedelte mit der Hand in Richtung Krähe, um sie zu verscheuchen und tatsächlich flog diese mit einem vorwurfsvollen Krächzen auf.
„So Junge, das Vogelvieh ist weg. Kannst weiterspielen. Klingt nämlich gut, was du da machst. Auch wenn du Patton wahrscheinlich noch lange nicht das Wasser reichen kannst. Oder diesem Tommy Johnson. Aber der hatte auch Hilfe.“ Der Fahrer drehte sein Gesicht zu Malcolm und verzog eine Mundecke zu einem schiefen Grinsen. Ein Goldzahn blendete den Jungen beinahe.
„Komm schon! Spiel!“
Malcolm wurde in die Seite geknufft und ein Schauer lief über seinen Rücken. Die Hand des anderen Mannes hatte sich ganz warm angefühlt. Wärmer, als sie hätte sein dürfen. Aber er schüttelte das aufkommende, beklemmende Gefühl ab und griff erneut in die Saiten.
„Und vergiss nicht zu singen.“ Ein weiteres Grinsen und Augenzwinkern folgten der Aufforderung. „Mit Gesang wird jedes Lied besser, mein Sohn.“ Der Farmer lachte. Nur war es jetzt viel tiefer und dröhnender als zuvor, als ob es von einem viel größeren und massigeren Mann stammte. Malcolm schluckte unwillkürlich. Singen hatte er noch nie vermocht, aber diesem Mann konnte er es aus irgendeinem Grund nicht abschlagen. Und warum eigentlich auch? Nur weil seine Schwester behauptet hatte, seine Stimme wäre nur dazu geeignet, Ungeziefer zu verscheuchen, bedeutete nicht, sie wäre es tatsächlich. Vielleicht war sie besser, als er dachte. Zögerlich begann er sein Gitarrenspiel mit seiner Stimme zu begleiten. Die ersten Worte hauchte er mehr, als dass er sie sang. Krächzend fanden sie ihren Weg zu seinem Zuhörer, der nicht wahrzunehmen schien, wie unwohl sich Malcolm wegen seines eigenen Gesanges fühlte. Im Gegenteil sobald Malcolms Stimme sich gefestigt hatte, summte der die Melodie mit, nickte mit seinem Kopf im Takt und klopfte mit seinen Händen aufs Lenkrad. Malcolm machte dies auf seltsame Art Mut und er sang lauter. Seine Stimme wurde tiefer und ihre Rauheit ging nicht verloren, sondern fügte sich immer mehr in sein Gitarrenspiel ein. Bald schon konnte er sich nicht mehr daran erinnern, warum er sich nicht schon früher mit Gesang begleitet hatte. Die Weite des Südens zog am Fenster vorbei, Staub wirbelte auf, legte sich auf die Felder und Malcolm spielte und sang dazu. Die Sonne stand schon fast im Zenit und erhitzte die Fahrerkabine immer weiter. Doch Malcolm spürte es nicht, er ging in seinem Gitarrenspiel auf, erlag seinem Fieber. Steigerte sich weiter hinein und nahm nichts mehr war, außer dem Holz unter seinen Händen, den Saiten an seinen Fingern und die Klänge, die das darüber Streichen mit der Hand erzeugte. Sie schwangen sich hinauf zum Himmel und kehrten zu ihm zurück, um ihn einzuflüstern, welche Note folgen sollte. Die Zeit schritt voran und er merkte es nicht, bis zu jenem Moment in dem er jäh unterbrochen wurde. Ein Knall ertönte, direkt gefolgt von einem heftigen Ruck durch den Laster. Malcolm wurde nach rechts geworfen und prallte mit der Schulter gegen die Scheibe. Seine Gitarre flog ihm beinahe aus der Hand. Der Laster schlingerte kurz, bevor der Farmer ihn wieder unter Kontrolle bekam und sachte abbremste. Trotzdem landeten sie mit dem rechten Vorderrad im Graben. Als der Laster stand, atmete der Farmer tief durch.
„Na, das war ja was. Nicht wahr, Junge?“ Dabei hob er mit der linken Hand seine Mütze an und fuhr sich mit der Rechten durchs schwarze Haar. Malcolm nickte einfach nur und rieb sich mit schmerzverzerrten Gesicht die rechte Schulter.
„Na, dann wollen wir mal schauen, was los ist.“ Die Fahrertür ging auf und der weiße Mann sprang elegant aus dem Auto, fast schien es so, als gleite, schwebe er zu Boden. Malcolm rieb sich die Augen mit Daumen und Mittelfinger und strich dabei gleichzeitig ein paar Tränen fort. Er hatte sich bestimmt verguckt. Wahrscheinlich hatte der Aufprall ihn nur etwas benommen gemacht und jetzt sah er Dinge, die nicht existierten. Er schaute aus dem Fenster und bemerkte erst jetzt, wo sie waren. Eine Kreuzung mitten im Nirgendwo, die überall und nirgends hinführte. In allen Richtungen konnte er die staubige Landstraße sehen, die in der Ferne verschwand. Jeder Weg würde ihm vermutlich eine weitere, andere Möglichkeit bieten.
„Hey Junge! Komm mal raus. Brauch' Deine Hilfe. Dieser verdammte Reifen ist doch tatsächlich geplatzt.“
Malcolm fuhr ein klein wenig zusammen, als er angesprochen wurde, legte aber sofort seine Gitarre zur Seite, öffnete die Tür und stieg aus. Dreck und Staub stiegen auf, als er aus dem Auto sprang und auf dem Boden landete.
„Hinten auf der Ladefläche liegt ein Kreuz und ein Wagenheber, hol' die mal. Ich schau in der Zeit, ob noch was anderes kaputt gegangen ist. Wenn ja, haben wir ein Problem, Junge.“
Ohne Worte ging Malcolm nach hinten, kletterte auf die Ladefläche und fand unter einer Plane Radkreuz und Wagenheber. Er nahm beides und ging damit zu dem Farmer.
„Danke.“ Hörte er.
„Wir hatten echt Glück, Junge. Ist nur der Reifen. Kannst du dich unter das Auto legen und den Wagenheber ansetzen?“ Der Andere sah ihn entschuldigend an. „Mein Rücken macht das nicht mehr so mit.“
Malcolm zuckte mit den Schultern.
„Kann ich machen.“
„Ok. Schon mal sowas gemacht?“ Ein Kopfschütteln. „Ok. Dann erkläre ich dir das schnell. Wenn du dich da drunter gelegt hast, wirst du an der Achse so eine dickere Stelle sehen mit einer Einkerbung, da setzt du an. Geht am Besten. Aber kriech' erstmal drunter, ich geb' dir den Wagenheber an. Wirst sehen ist ganz einfach.“
Malcolm legte sich auf den überhitzten Boden und schob sich über die vielen kleinen Steine der unbefestigten Straße unters Auto. Kurz bevor sein Kopf endgültig unter dem Fahrzeug verschwand, schob sich der eine Mundwinkel des Mannes nach oben und entblößte erneut dessen Goldzahn. Lächelte der Farmer etwa? Vor allem sah es nicht nach einem herzlichen Lächeln aus, sondern mehr, als sei er völlig zufrieden mit sich - und ja, auch eine Spur Boshaftigkeit schien sich darunter gemischt zu haben. Ein Schauer lief Malcolms Rücken hinunter und ihm war für einen kurzen Moment kalt. Sein Hemd klebte an ihm. Dann lief die Zeit weiter und die Wärme in Körper und Gesicht kehrte zurück. Er schob sich weiter. Vermutlich hatte er es sich nur eingebildet.
Zuerst war es etwas verwirrend all das Metall um sich herum zu haben und direkt in die Eingeweide des Motors sehen zu können. Aber schließlich fand er die gesuchte Stelle.
„Hast du es, Junge?“
„Ja, habe ich, Mister.“
„Gut, dann gebe ich dir jetzt den Wagenheber.“
Metall rutschte knirschend über kleine Steine und durch Staub. Malcolm tastete und spürte schnell die angenehme Kühle des Stahls. Er zog das Werkzeug zu sich und setzte es an. Anschließend begann er am Griff zu drehen und langsam hob sich das Auto auf seiner Seite.
„Kannst aufhören, Junge. Das Rad ist frei. Komm raus.“
Das ließ sich Malcolm nicht zweimal sagen. So schnell es ging, robbte er auf dem Rücken zur Seite. Sein Oberkörper war schon zur Hälfte unter dem Auto hervor gekommen, als er das Fehlen seiner Mundharmonika in der Hemdtasche bemerkte. Malcolm hielt sich mit der rechten Hand am Trittbrett fest, zog sich etwas hoch und legte sich auf die Seite. Die Mundharmonika hatte vor Urzeiten seinem Großvater gehört, er musste sie finden. Sie war mit wunderbaren Erinnerungen an seine Kindheit verknüpft. Erinnerungen, die gut waren, an gemeinsame Stunden, in denen er zusammen mit seinem Vater und Großvater Musik gespielt hatte. In denen sie alle Sorgen hinter sich ließen. Fieberhaft suchte Malcolm mit Augen und Händen den Boden ab und dann sah er sie. Unter dem einen Arm des Wagenhebers lag sie und glänzte matt, wie sie es seit dem Tag getan hatte, als er sie aus der Hand seines Großvaters erhalten hatte. Der hatte ihn damals angelächelt und aufgefordert zu spielen. Kein Tag war vergangen, an dem er dies nicht getan hatte. Metall ächzte laut und klagend.
„Junge, was war das?“
„Nichts Mister.“ Malcolms Zunge fuhr über seine trockene Lippe, als es sich weiter streckte um sein Instrument zu erreichen. Wieder ächzte Metall.
„Junge, komm da raus. Der Wagenheber gibt gleich nach.“ Der Farmer war lauter geworden und seine drängende Stimme stellte klar, dass dies keine Bitte war. Malcolm ignorierte alles um sich herum, er hatte die Mundharmonika entdeckt und konnte sie mit seinen Fingern schon berühren, er gab jetzt nicht auf.
„Gleich. Mister. Ist nichts schlimmes.“ Endlich bekam er die Mundharmonika zu fassen und zog sie zu sich heran. Mit einem Kreischen gab der Wagenheber nach. Das Auto krachte herunter und klemmte Malcolms Hand zwischen Boden und Wagenheber ein. Malcolm schrie auf. Heißer Schmerz kochte durch seinen rechten Arm, verbrannte ihn innerlich und vernebelte seine Sinne. Der Farmer reagierte schnell. Praktisch im gleichen Moment lag dieser neben Malcolm und zerrte an dessen Arm, drückte mit seinem Rücken von unten gegen das Gestänge des Lastwagens und versuchte alles, die eingeklemmte Hand zu befreien. Eine Schmerzwelle nach der anderen fiel über Malcolm her und zog über ihn hinweg. Sei ganzes Denken war nur noch von dem höllischen Schmerz erfüllt, den seine Hand aussandte. Er schrie und Tränen zogen Furchen in dem Staub auf seinem Gesicht. Er hörte ein Knacken und spürte wie er ins Freie gezogen wurde. Im nächsten Moment saß er an einem Reifen gelehnt und starrte auf seine verletzte Hand. Ein Knochen stand blank hervor. Sehnen lagen frei und überall war Blut. Er würgte. Rechtzeitig bevor er sein Frühstück erbrach, drehte er sich noch zur Seite. Der Schmerz ließ nach. Er keuchte und lehnte den Kopf an den Reifen, bevor er starren Blicks auf seine Hand hinab sah, auf die blutigen Finger. Der Zeigefinger war fast durchtrennt worden und nur noch eine rote Masse. Sein Atem ging weiterhin schneller, aber die Schmerzen wurden schwächer und er konnte wieder einen Gedanken fassen, was er lieber nicht getan hätte. Seine Hand würde nicht amputiert werden müssen, das wusste Malcolm, aber er hatte genug auf der Farm seines Onkels gesehen, um die Bedeutung der Verletzung zu erfassen. Nie wieder würde er mit dieser Hand einer Gitarre Töne entlocken können. Sie war dahin und damit auch seine Hoffnung, mehr zu werden als ein einfacher Farmer. Mit steifen Fingern ließ sich schwer spielen. Erneut schossen ihm Tränen in die Augen.
„Junge, halt das fest. - Hörst du?“
Der Farmer war an seiner Seite und reichte ihm einen Stoffstreifen. Mechanisch griff Malcolm zu.
„Das wird jetzt weh tun. Aber es gibt nichts besseres als Whisky drüberzuschütten. Also beiß' die Zähne zusammen.“
Malcolm wollte noch protestieren, aber es war zu spät. Der Schmerz in seinem Arm flammte erneut auf. War vorher Feuer durch seinen Arm gelaufen, musste es nun flüssige Lava sein. Im ersten Moment wollte er aufspringen, aber der Farmer drückte ihn gnadenlos mit seiner freien Hand gegen den Reifen. Ein zweites Mal brannte sich das Höllenfeuer durch seine Adern. Malcolm schrie, schrie all seinen Schmerz hinaus. Seine Linke grub sich in die Staubige Erde, eine Nagel löste sich von einem seinem Finger und weiteres Blut floss in den Staub. Malcolm bemerkte es nicht. Agonie hatte ihn überrollt, er lebte jetzt in ihr. Quälend langsam verstrich die Zeit.
„Hand... meine Hand… ich...“
„Ruhig Junge, ganz ruhig.“
„Aber... spielen... ich will spielen...“
„Beruhige dich. Alles wird gut.“
Malcolm schüttelte schwerfällig den Kopf.
„Nein. Wird... es nicht.“
Malcolms ganzer Körper zitterte als er zu schluchzen begann. Direkt neben sich vernahm er ein Flattern und als er hinüberblickte, saß direkt neben seinem Bein eine schwarze Krähe und pickte mit ihrem Schnabel ins Erdreich.
„Halt still! Ich verbinde jetzt deine Hand. Das könnte weht tun. Es sei denn...“
Der Farmer hielt inne und betrachtete Malcolm nachdenklich.
„Sag Junge, wie sehr willst du wirklich Gitarre spielen und davon leben? Was wärst du bereit dafür zu geben?“
Trotz der Schmerzen, trotz der Tränen, trotz allem, drangen die Worte des Mannes zu Malcolm durch und auch wenn die Frage für den Moment seltsam erscheinen mochte, beantwortete er sie ohne zu zögern. Langsam drehte er seinen Kopf, um den Mann in die Augen zu sehen, bevor er „Alles!“ flüsterte.
Ein Lächeln stahl sich in die Gesichtszüge des Farmers bei dem er seine strahlend weißen Zähne zeigte. Die Krähe ließ ihren Schnabel auf einen Stein niederfahren und erzeugte so ein dumpfes Klopfen.
„Sehr gut. Dann kann ich mehr für dich tun, als du vielleicht denkst. Folgendes: Ich sorge dafür, dass du wieder Gitarre spielen kannst und zwar besser als dieser Verlierer von Tommy Johnson und du gibst mir, was ich am meisten von dir begehre. Es ist nicht viel, nur eine Kleinigkeit, sozusagen deine Musik. Einverstanden?“
Der Junge verstand zwar nicht, was der Farmer meinte. Aber er war einverstanden, ganz sicher. Warum nicht? Bevor er auf irgendeinem Stück Land verrottete, würde er jede ausgestreckte Hand ergreifen, die ihn tun ließ, was er wollte. Wenn der Mann seine Hand behandeln konnte, wäre er zu allem bereit. Er würde wieder spielen können, einzig dieser Gedanke zählte für Malcolm. Deshalb nickte er.
„Sehr schön, Junge. Allerdings müssen wir einen Vertrag schließen, sonst kann ich dir nicht helfen. Pakt ist Pakt.“ Der Farmer zwinkerte. „Keine Angst, geht ganz schnell! Krächzer komm her!“ Der schwarze Vogel neben Malcolm flatterte auf und landete direkt vor den Füßen seines Herrn und neben Malcolms linker Hand. Schnell stieß er zu und Malcolm spürte einen Stich in seiner Handfläche. Aus einer kleinen, kreisförmigen Wunde quoll etwas Blut. Danach widmete sich die Krähe der Hand seines Herrn.
„Gut. Sehr gut!“ Der Farmer entblößte sämtliche Zähne. „Jetzt schlag ein, Junge“ Der Farmer hielt Malcolm auffordernd seine Hand hin. Der Junge hob seine Hand und streckte sie ihm entgegen.
„Ich kann, deine Hand nicht nehmen, Junge. Du musst einschlagen!“ Mit einem Mal klang die Stimme des Farmers drängend, gar gierig. Malcolm zögerte. Warum wollte der Mann ihm helfen und wie eigentlich? Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Tat er wirklich das Richtige? Sein Gegenüber sah, welche Gedanken sich gerade in ihm breit machten und die Augen des Mannes wurden zu engen Schlitzen. Unvermittelt überrollte Malcolm eine weitere Schmerzwelle und er schrie erneut auf. Als er die Augen wieder öffnete, kniete der Mann vor ihm, mit seinem Gesicht, dicht vor dem des Jungen. Seine Stimme war nun tiefer, zischender und fordernder als er sprach. Der Geruch von faulen Eiern lag in der Luft.
„Schlag ein, Junge. Das ist deine letzte Gelegenheit, ansonsten schwöre ich dir, verbringst du dein Leben im Dreck!“ Die Krähe pochte wieder auf den Stein, der Himmel schien dunkler zu werden und Wind kam auf. Malcolms Herz schlug bis zum Hals. Schweiß trat auf seine Stirn und er musste mehrmals Schlucken. Wie ein Schlange ihr Opfer hielt der Mann seinen Blick gefangen. Langsam und zitternd umfasste Malcolm die ihm angebotene Hand. Sobald er sie berührte, schlossen sich die Finger des Farmers wie ein Schraubstock um seine. Kurz brannte die offene Wunde in seiner Handfläche, dann ließ der Farmer auch wieder los. Zufrieden grinsend erhob sich dieser.
„Na also, war doch gar nicht so schlimm. Ganz einfach. Meinen Preis hole ich mir, wenn die Zeit gekommen ist. Aber erst darfst du etwas leben und genießen. Soll sich schließlich auch lohnen.“ Er tippte sich an seinem breitkrempigen Strohhut. Die Sonne kehrte zurück. „Ich muss mich jetzt leider verabschieden. Aber ich bin sicher, du kommst auch ohne mich zurecht, Junge.“
Der Farmer schnippte mit Daumen und Mittelfinger der linken Hand. Von einem Moment zum anderen, spürte Malcolm keinen Schmerz mehr. Sofort schaute er auf seine rechte Hand. Nicht die Spur einer Verletzung war zu sehen. Im Sonnenlicht drehte er sie, um sie von allen Seiten zu betrachten. Er bewegte die Finger einzeln, machte einer Faust, öffnete sie und nicht der Hauch eines Schmerzes ließ ihn zucken. Wie in Trance erhob er sich.
„Hier, Junge! Probiere es aus!“
Mechanisch griff Malcolm nach der Gitarre, die ihm von hinten angereicht wurde. Vorsichtig ließ er seine Finger über die Saiten gleiten. Zunächst in einem langsamen Rhythmus kamen die Töne einzeln aus dem Bauch des Instrument, aber zunehmend wurde die Melodie fordernder, mitreißender und ehe er sich versah, spielte Malcolm so schnell, präzise und voller Leidenschaft, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die Melodie trug ihn fort und verlangte ihm seelisch und körperlich alles ab. Als der letzte Ton verklang, wandte er sich erschöpft um. Der Lastwagen war fort, ebenso der einfache Farmer, stattdessen sah er sich einem tiefschwarzen Hengst gegenüber, dessen Reiter in schwarz und blutrot gekleidet war. Sein langer Mantel floss über den Rücken des Pferdes und reichte fast bis zum Boden. Flamen züngelten um die Hufe. Der Reiter sah auf ihn hinab. Seine Augen verbargen sich hinter einer Sonnenbrille und lagen im Schatten eines altmodischen Cowboyhutes. Er griff an seine Hutkrempe.
„Gestatten, Baal. Wir sehen uns Junge! Ganz bestimmt.“ Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon. Mit einem Krächzen erhob sich die Krähe und jagte ihrem Herrn hinterher. Zurück blieb Malcolm, allein, ohne Hoffnung. Er sank auf seine Knie und ließ sich auf den Rücken fallen. So liegend bemerkte er, dass er sich in der Mitte der Kreuzung befand, genau wie einst Tommy Johnson. Musik ist Seele, hatte er das nicht zu Baal gesagt? Aus der Tiefe seiner Brust bahnte sich ein Kichern seinen Weg, Erst verhalten, dann brach es hervor und er lachte letztendlich tief und dröhnend. Der Schmerz in seiner Hand war vielleicht verschwunden, aber der in seiner Seele blieb.
Auf das der Wind in eurem Rücken, nie euer eigener sei. (alter irischer Reisegruß
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drakir
und seine Werke

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