Zwischen 4.1 und 4.2 steht vielleicht noch ein Kapitel aus Sicht von Takahashi, das die kurze Zeit von Yelenas Bewusstlosigkeit behandelt. Zur Zeit ist es nicht geplant, aber man weiß ja nie.
Auszug 1_______(Hitoro Takahashi) [veraltete Version]
Auszug 2_______(Janis van Deelen) [veraltete Version]
Auszug 3a / 3b__(Janis van Deelen)
Auszug 4.1 / 4.2_(Yelena Ivanova)
Auszug 5_______(Yelena Ivanova)
Kampfszene____(Hitoro Takahashi)
Yelena Ivanova
»Sie wacht auf, Commander«, verkündete eine Stimme irgendwo hinter Yelenas Lidern. »Verstehen Sie mich, Miss Ivanova?«
»Sag mal, was hältst du eigentlich von ›Yelena Karpenko‹?« Artyoms Lächeln, das Fältchen um seine Augen malte.
»Wird das etwa ein Heiratsantrag, Doktor?«
Er lachte rau. »Bist du das ständige ›Ivanova!‹ nicht leid?«
Das Zittern auf ihrer Haut, wenn er mit den Fingerkuppen über ihre Wange strich, ihre Halslinie nachzeichnete.
Nates Finger an ihrer Kehle drückten zu, so fest, dass sie kaum noch atmen konnte. Sie schnappte nach Luft, wollte aufspringen, aber sie wurde zu Boden gedrückt.
»Ganz ruhig, bleiben Sie liegen. Sie sind zusammengebrochen.«
Weder Nate noch Artyom waren bei ihr. Stattdessen blinzelte sie in ein junges, besorgtes Orkgesicht, das sie nicht sofort einordnen konnte.
»Jelly.«
Asads Stimme brachte die Erinnerungen an die vergangenen Stunden mit. Wie eine Flutwelle stürzten die Bilder auf sie ein, die Angst, die Verzweiflung – »Erschießen Sie ihn!«
»Nate!«
»Ist bewusstlos, vorläufig in Gewahrsam genommen, aber stabil«, beruhigte Asad sie. Ein dunkelroter Bluterguss umrahmte sein linkes Auge. »Komm, ich helf dir auf.«
»Sie sollte noch liegen bleiben«, warf Daisuke ein.
»Seit wann bist du hier Bordarzt, Flachnase!«
»Daisuke, setz dich wieder an den Funk.« Takahashi war ebenfalls nähergekommen, die Stirn in tiefe Falten gelegt, die Hauer leicht gebleckt. Er stand sichtlich unter Strom. »Sie haben nur ein paar Minuten, um mich davon zu überzeugen, dass ich ihren Aztec zu Recht nicht erschossen habe.«
Mit Asads Hilfe richtete sich Yelena auf und kämpfte gegen den Schwindel an. Vor ihren Augen tanzte alles und es dauerte einige Sekunden, bis sie bemerkte, dass van Deelen und Kumi fehlten. Dann fiel ihr Blick auf Nate.
Er lag noch immer in der Ruhenische, auf der Seite, und seine Hände waren mit Kabelband auf seinem Rücken gefesselt. Yelena schluckte schwer, spürte den Schmerz in jeder Faser ihres Halses. Wenigstens hatte ihn noch niemand erschossen.
»Muss das sein?«, wandte sie sich an Takahashi, der ihrem Blick gefolgt war.
»Er hat gedroht, Sie umzubringen.«
Es war so unwirklich, dass Yelena es am liebsten als einen Traum abgetan hätte. Aber das klopfende Pochen in ihrer Kehle hielt sie davon ab.
»Irgendwas ... ist bei ihm durchgebrannt. Das … das war nicht Nate.«
Asad nickte und warf einen misstrauischen Blick zur Tür, einen weiteren zu Daisuke, der sich ans Funkpult verzogen hatte und nicht wirkte, als würde er ihr Gespräch belauschen. Trotzdem senkte der Perser die Stimme.
»Sag’s halt: ein Flashback.«
»Nein!« Sie packte Asads Schulter und schüttelte bestimmend den Kopf. »Es könnten auch Nebenwirkungen vom Ephedrin sein. Wenn die Dosis zu hoch war oder –«
… wenn die Injektion mit irgendetwas in Nates Blut reagiert hat.
»Du weißt, dass das Blödsinn ist, Jelly. Die Dosis ist genau auf ihn abgemischt. Ein Flashback ist die einzige logische Erklärung. Orientierungslosigkeit, emotionale Instabilität, seine plötzliche Vorliebe fürs Elfisch.«
»Hör auf!« Sie wusste, dass er Recht hatte. Aber sie würde das verdammt nochmal nicht akzeptieren. »Du weißt, was das für Nate heißen würde. Mein Gott, ihr seid keine Freunde, aber das kannst du ihm nicht antun!«
»Ich ihm? Er wollte dich töten! Und dir geht’s besser, wenn du dir einredest, er hätte es bei klarem Verstand getan?!«
»Ganz ruhig«, ging Takahashi dazwischen. Vermutlich weil Asad aussah, als würde er auf jemanden einprügeln wollen. Vorzugsweise auf sie. »Was meinen Sie mit Flashback?«
Der Commander schob Yelena zur Steuerkonsole und drückte sie behutsam in den Sitz. Er schien ernsthaft besorgt, dass sie ein weiteres Mal zusammenklappte, wenn er sie auch nur kurz aus den Augen ließ.
»Daisuke, kein Wort verlässt diese Brücke. Verstanden?«
»Aye, Commander«, entgegnete der Orkling hastig und wandte sich demonstrativ wieder dem Funkpult zu. Auch wenn dort nichts geschah.
»Klären Sie mich auf.«
»Na los, Jelly«, schnauzte Asad sie an, verschränkte die Arme vor der Brust und warf einen Blick zur Tür. »Erzähl dem Zollhund, dass Bishop sich total normal verhalten hat. Dass er dir hin und wieder einfach mal an die Gurgel springt und kein Wort MS mehr spricht.«
»Hör auf, Asad. Bitte!«
Sie wollte Nate nicht verlieren …
»Während der Integration eines Aztec«, setzte der Perser ungeachtet ihres flehenden Kopfschüttelns an, »werden Erinnerungen und Wertvorstellungen, teilweise sogar ganze Verhaltensmuster ausradiert – eine Gehirnwäsche, wenn man’s so nennen will. Saubere Sache, wenn’s klappt. Am Ende der Therapie hat man ’ne gesellschaftsfähige, billige Arbeitskraft. Ist vermutlich nur noch ’ne Frage der Zeit, bis der Völkerbund das auch bei der Re-Int von Verbrechern zulässt.«
»Gesellschaftsfähig würde ich diesen Auftritt nicht nennen.« Takahashi deutete auf Nate und runzelte die Stirn. »Kommen Sie zum Punkt.«
»Manchmal kommt’s vor, dass die Gehirnwäsche nicht so gründlich ist, wie die Gutbürger es gern hätten. Der Betroffene hält sich jahrelang für ein vorbildlich unterdrücktes Mitglied der Gesellschaft, aber dann passiert irgendwas – ein Geräusch, ein Bild – und alles ist weg. Plötzlich hast du einen Aztec vor dir, der keine Ahnung hat, wo er ist, verstört, orientierungslos, aggressiv, der alles als Bedrohung wahrnimmt, umgeben von Feinden, ausgeliefert.«
Natürlich wusste sie das alles. Jedes Unternehmen, das Aztec beschäftigte, war verpflichtet, die Mitarbeiter über dieses Risiko aufzuklären. Und manchmal, wenn Nate tief im Astralflug versunken war, hatte sie einfach nur neben ihm gesessen und versucht, einen Sinn in den Satzfetzen zu entdecken, die er murmelte. Früher oder später tauchte immer der Name Cathy auf.
Sie hatte ihn nie darauf angesprochen.
»Ist es dauerhaft?«, hakte Takahashi nach, den Blick auf Nate gerichtet.
Asad schüttelte den Kopf. »Bei den bekannten Fällen war es immer nur eine Sache von Minuten. Das Gehirn macht die Überlastung nicht lange mit. Schaltet ab.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre sein Gerede pure Theorie. »Wenn er aufwacht, wird er wieder ganz der alte Drecksack sein. Wird keinen blassen Schimmer mehr haben, wer er war, bevor er zu ID 03101107/0623 wurde.«
»Das ist doch gut.« Halb Feststellung, halb Frage. »Er war sich also nicht bewusst, was er getan hat.«
»Wir müssen den Vorfall melden.« Die Worte klangen endgültig, als Yelena sie aussprach. »Dann kommt er zurück in die Integration« – Assimilation – »und danach« – falls er es durchsteht – »in ein anderes Umfeld. Um einen Rückfall zu vermeiden.«
»Wär’s dir lieber, er würd’ auf diesem beschissenen Schiff vom Zoll erschossen?«
»Niemand wird ihn erschießen«, entgegnete Takahashi nachdrücklich. »Und so wie es aussieht, wird hier auch niemand in nächste Zeit in ein anderes Umfeld gebracht.« Bei diesen Worten richtete er seinen Blick auf die Frontscheibe, hinter der die Kumen-Esh noch immer schlief. Oder verweste.
»Wir gehen jetzt einen Schritt nach dem nächsten. Und Sie –« Er wandte sich Asad zu. »– halten sich von van Deelen fern. Ein zweites Mal werde ich Kumi nicht zurückpfeifen.«
Am liebsten hätte Yelena die ganze verdammte Verantwortung genommen und sie Takahashi zugeschoben. Er ging weitaus kompetenter damit um. Er war auf ihrer Seite. Und er kämpfte für Nate.
Sergej zu wecken zog sie inzwischen nicht einmal mehr als Notlösung in Betracht. Von ihrer jetzigen Position aus gesehen konnte es eigentlich nur noch besser werden. Sie würde die Kumen-Esh anfliegen, ihre Koordinaten und eine Route für den Rückflug einholen und hoffen, dass van Deelen irgendwann zwischen jetzt und dann einem partiellen Gedächtnisverlust zum Opfer fiel. Oder einem Herzinfarkt.
»Wo sind eigentlich –?«
Als hätte sie ihn heraufbeschworen, öffnete sich die Brückentür und der Merowinger trat ein. Er sah so schrecklich aus, dass Yelena für den Bruchteil einer Sekunde Mitleid mit ihm hatte. Seine linke Gesichtshälfte war blutüberströmt und mit einer Hand presste er ein Tuch gegen die Platzwunde auf seiner Stirn. Obwohl er sich alle Mühe gab, war ihm der Schwindel deutlich anzusehen, der seine Schritte beherrschte. Dicht hinter ihm folgte Kumi und rechnete offenbar ebenfalls damit, dass van Deelen jeden Moment zusammenklappte.
»Was …?«
Ihr Blick fiel auf Asad, der sich kaum Mühe gab, sein spöttisches Grinsen zu verbergen. Geschickt fing er das Kühlpad auf, das Kumi ihm zuwarf, und drückte es auf sein blaues Auge.
»Soll ich mir das mal ansehen?«
Sie wandte sich wieder van Deelen zu, auch wenn sie keine besonders große Lust verspürte, ihn zu verarzten. Aber wenn sie sich nicht auf irgendetwas konzentrieren konnte, würde der Gedanken an die Zukunft sie verrückt machen. Und sie hatte keine Kraft mehr für einen weiteren, sinnlosen Streit mit dem Zöllner.
Takahashi hatte recht: ein Schritt nach dem anderen. Dann konnte auch immer nur eins nach dem anderen schief gehen.
Van Deelen starrte sie eine zeitlang schweigend an. Kurz richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Perser, als der sich mit dem Rücken gegen die Wand zu Boden sinken ließ.
»Ich verlange, dass Sie Ihren Flugmeister wecken. Und ich verlange eine Entschuldigung!«
»Scum!«, blaffte Asad wenig konstruktiv zurück, machte aber zum Glück keine Anstalten, sich noch einmal auf den Merowinger zu stürzen.
»Runter von der Brücke, Asad!«
Allmählich bekam sie Respekt davor, dass Sergej es schaffte, jeden hier an Bord nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Es war definitiv nicht mit einer lauten Stimme getan.
»Bring Nate in den Aufenthaltsraum.« Keine Reaktion. »Bitte.«
»Geht es Ihnen nicht langsam selbst auf die Nerven, Miss Ivanova, dass jeder hier tut, was er will?«, mischte sich zu allem Überfluss van Deelen ein.
Genau das brachte Asad allerdings dazu, endlich auf die Beine zu kommen, um dem Befehl – der Bitte – Folge zu leisten.
»Hilf mir mal«, wies er Kumi an.
Der Orkling, der vermutlich für Asads blaues Auge verantwortlich war, holte sich erst von seinem Commander ein knappes Nicken ab, bevor er dem Perser wortlos half, Nate aufzurichten. Er stöhnte, schien aber nicht gewillt, seine Bewusstlosigkeit aufzugeben. Vielleicht war es besser so.
Erst als die drei von der Brücke verschwunden waren, richtete Yelena ihre Konzentration auf das nächste Problem. Van Deelen starrte sie noch immer an, als mache er sich gedanklich eine Liste aller Verstöße und Fehlverhalten, wegen derer er sie fertigmachen konnte. Aber Takahashi wich nicht von ihrer Seite und auch wenn der Commander nichts an ihrer Situation ändern konnte, tat es gut, dass er demonstrativ Stellung bezog.
Was riskierte er wohl, allein mit der Tatsache, dass er nicht hinter seinem Arbeitgeber stand, sondern hinter einer – bald arbeitslosen – Kosakin und ihrem durchgedrehten Aztec-Piloten? Wie viel würde es ihn kosten, Nate verschont zu haben?
Yelena atmete tief durch und zog die Schultern zurück.
»Ich bin die Verantwortliche hier – Mr van Deelen – und wenn Sie ein Problem damit haben, können Sie Beschwerde bei Sunshine and Beyond einreichen, sobald ich die Risen im nächsten Raumhafen angedockt habe.«
Es war besser, wenn sie nicht darüber nachdachte, was sie sagte. Oder was passieren würde, wenn van Deelen auf sie hörte. Ein Schritt nach dem anderen.
Van Deelen lächelte abfällig. »Glauben Sie mir: Ich werde nicht so schnell vergessen, wer die Verantwortung für das alles hier trägt.«
Die kühlen Worten waren mehr Drohung, als es Nates Hand an ihrer Kehle je hätte sein können. Er würde sie auseinandernehmen.
»Aber selbst wenn Sie Admiral auf dem Flaggschiff der MRF wären, Miss Ivanova: Ein außer Kontrolle geratener Aztec fällt in den Zuständigkeitsbereich der MA.«
»Mr Bishop ist in Gewahrsam und unter Kontrolle«, schaltete Takahashi sich nun doch ein und Yelena wäre ihm dafür am liebsten um den Hals gefallen. »Er stellt keine Gefahr dar.«
»Haben Sie das auch von dem Aztec gedacht, der Sie ihr Auge gekostet hat, Commander?«
Takahashi verriet nicht durch die kleinste Regung, ob ihm dieser Seitenhieb etwas ausmachte.
»Mit Verlaub, Mr van Deelen: Miss Ivanova ist davon überzeugt, dass Mr Bishop vorübergehend unzurechnungsfähig war.«
Er warf ihr einen auffordernden Blick zu, aber sie brachte es nicht fertig, die Wahrheit auszusprechen. Das konnte sie Nate nicht antun.
»Er hatte einen Flashback«, fuhr der Commander schließlich selbst fort. »Miss Ivanova wird diesen Vorfall ordnungsgemäß melden und die Angelegenheit klären.«
Sie schaffte es nicht einmal, zu nicken.
Aber anscheinend reichten Takahashis Worte – und vielleicht trug der Schlag gegen seinen Kopf auch einen Teil dazu bei –, dass van Deelen sich damit zufrieden gab.
»Er bleibt in Gewahrsam«, hielt er nur fest.
»Unter ständiger Aufsicht.«
»Und für Sie, Commander … Das wird ein Nachspiel haben.«
Auch dieses Mal zeigte sich in Takahashis Gesicht keine Regung. Er nickte nur knapp und wandte sich an Yelena. »Sie sollten seine Wunde versorgen. Ich bringe uns näher ran und halte nach dem Hangar-Bereich Ausschau.«
Nur widerwillig erhob Yelena sich, kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und fühlte sich wie in einer falschen Wirklichkeit, als sie mit van Deelen die Brücke verließ. Vielleicht passierte das alles gar nicht. Vielleicht war es irgendeine abgedrehte Art von Astraltraum. Irgendwann wachte sie einfach auf und trat ihre Schicht an. Saß auf der Brücke und erlebte die grenzenlose Freiheit, in die Nate sie manchmal mitnahm.
Denk nicht drüber nach.
Sie hätte ihn niemals losfliegen lassen dürfen.
Auszug 1_______(Hitoro Takahashi) [veraltete Version]
Auszug 2_______(Janis van Deelen) [veraltete Version]
Auszug 3a / 3b__(Janis van Deelen)
Auszug 4.1 / 4.2_(Yelena Ivanova)
Auszug 5_______(Yelena Ivanova)
Kampfszene____(Hitoro Takahashi)
Yelena Ivanova
»Sie wacht auf, Commander«, verkündete eine Stimme irgendwo hinter Yelenas Lidern. »Verstehen Sie mich, Miss Ivanova?«
»Sag mal, was hältst du eigentlich von ›Yelena Karpenko‹?« Artyoms Lächeln, das Fältchen um seine Augen malte.
»Wird das etwa ein Heiratsantrag, Doktor?«
Er lachte rau. »Bist du das ständige ›Ivanova!‹ nicht leid?«
Das Zittern auf ihrer Haut, wenn er mit den Fingerkuppen über ihre Wange strich, ihre Halslinie nachzeichnete.
Nates Finger an ihrer Kehle drückten zu, so fest, dass sie kaum noch atmen konnte. Sie schnappte nach Luft, wollte aufspringen, aber sie wurde zu Boden gedrückt.
»Ganz ruhig, bleiben Sie liegen. Sie sind zusammengebrochen.«
Weder Nate noch Artyom waren bei ihr. Stattdessen blinzelte sie in ein junges, besorgtes Orkgesicht, das sie nicht sofort einordnen konnte.
»Jelly.«
Asads Stimme brachte die Erinnerungen an die vergangenen Stunden mit. Wie eine Flutwelle stürzten die Bilder auf sie ein, die Angst, die Verzweiflung – »Erschießen Sie ihn!«
»Nate!«
»Ist bewusstlos, vorläufig in Gewahrsam genommen, aber stabil«, beruhigte Asad sie. Ein dunkelroter Bluterguss umrahmte sein linkes Auge. »Komm, ich helf dir auf.«
»Sie sollte noch liegen bleiben«, warf Daisuke ein.
»Seit wann bist du hier Bordarzt, Flachnase!«
»Daisuke, setz dich wieder an den Funk.« Takahashi war ebenfalls nähergekommen, die Stirn in tiefe Falten gelegt, die Hauer leicht gebleckt. Er stand sichtlich unter Strom. »Sie haben nur ein paar Minuten, um mich davon zu überzeugen, dass ich ihren Aztec zu Recht nicht erschossen habe.«
Mit Asads Hilfe richtete sich Yelena auf und kämpfte gegen den Schwindel an. Vor ihren Augen tanzte alles und es dauerte einige Sekunden, bis sie bemerkte, dass van Deelen und Kumi fehlten. Dann fiel ihr Blick auf Nate.
Er lag noch immer in der Ruhenische, auf der Seite, und seine Hände waren mit Kabelband auf seinem Rücken gefesselt. Yelena schluckte schwer, spürte den Schmerz in jeder Faser ihres Halses. Wenigstens hatte ihn noch niemand erschossen.
»Muss das sein?«, wandte sie sich an Takahashi, der ihrem Blick gefolgt war.
»Er hat gedroht, Sie umzubringen.«
Es war so unwirklich, dass Yelena es am liebsten als einen Traum abgetan hätte. Aber das klopfende Pochen in ihrer Kehle hielt sie davon ab.
»Irgendwas ... ist bei ihm durchgebrannt. Das … das war nicht Nate.«
Asad nickte und warf einen misstrauischen Blick zur Tür, einen weiteren zu Daisuke, der sich ans Funkpult verzogen hatte und nicht wirkte, als würde er ihr Gespräch belauschen. Trotzdem senkte der Perser die Stimme.
»Sag’s halt: ein Flashback.«
»Nein!« Sie packte Asads Schulter und schüttelte bestimmend den Kopf. »Es könnten auch Nebenwirkungen vom Ephedrin sein. Wenn die Dosis zu hoch war oder –«
… wenn die Injektion mit irgendetwas in Nates Blut reagiert hat.
»Du weißt, dass das Blödsinn ist, Jelly. Die Dosis ist genau auf ihn abgemischt. Ein Flashback ist die einzige logische Erklärung. Orientierungslosigkeit, emotionale Instabilität, seine plötzliche Vorliebe fürs Elfisch.«
»Hör auf!« Sie wusste, dass er Recht hatte. Aber sie würde das verdammt nochmal nicht akzeptieren. »Du weißt, was das für Nate heißen würde. Mein Gott, ihr seid keine Freunde, aber das kannst du ihm nicht antun!«
»Ich ihm? Er wollte dich töten! Und dir geht’s besser, wenn du dir einredest, er hätte es bei klarem Verstand getan?!«
»Ganz ruhig«, ging Takahashi dazwischen. Vermutlich weil Asad aussah, als würde er auf jemanden einprügeln wollen. Vorzugsweise auf sie. »Was meinen Sie mit Flashback?«
Der Commander schob Yelena zur Steuerkonsole und drückte sie behutsam in den Sitz. Er schien ernsthaft besorgt, dass sie ein weiteres Mal zusammenklappte, wenn er sie auch nur kurz aus den Augen ließ.
»Daisuke, kein Wort verlässt diese Brücke. Verstanden?«
»Aye, Commander«, entgegnete der Orkling hastig und wandte sich demonstrativ wieder dem Funkpult zu. Auch wenn dort nichts geschah.
»Klären Sie mich auf.«
»Na los, Jelly«, schnauzte Asad sie an, verschränkte die Arme vor der Brust und warf einen Blick zur Tür. »Erzähl dem Zollhund, dass Bishop sich total normal verhalten hat. Dass er dir hin und wieder einfach mal an die Gurgel springt und kein Wort MS mehr spricht.«
»Hör auf, Asad. Bitte!«
Sie wollte Nate nicht verlieren …
»Während der Integration eines Aztec«, setzte der Perser ungeachtet ihres flehenden Kopfschüttelns an, »werden Erinnerungen und Wertvorstellungen, teilweise sogar ganze Verhaltensmuster ausradiert – eine Gehirnwäsche, wenn man’s so nennen will. Saubere Sache, wenn’s klappt. Am Ende der Therapie hat man ’ne gesellschaftsfähige, billige Arbeitskraft. Ist vermutlich nur noch ’ne Frage der Zeit, bis der Völkerbund das auch bei der Re-Int von Verbrechern zulässt.«
»Gesellschaftsfähig würde ich diesen Auftritt nicht nennen.« Takahashi deutete auf Nate und runzelte die Stirn. »Kommen Sie zum Punkt.«
»Manchmal kommt’s vor, dass die Gehirnwäsche nicht so gründlich ist, wie die Gutbürger es gern hätten. Der Betroffene hält sich jahrelang für ein vorbildlich unterdrücktes Mitglied der Gesellschaft, aber dann passiert irgendwas – ein Geräusch, ein Bild – und alles ist weg. Plötzlich hast du einen Aztec vor dir, der keine Ahnung hat, wo er ist, verstört, orientierungslos, aggressiv, der alles als Bedrohung wahrnimmt, umgeben von Feinden, ausgeliefert.«
Natürlich wusste sie das alles. Jedes Unternehmen, das Aztec beschäftigte, war verpflichtet, die Mitarbeiter über dieses Risiko aufzuklären. Und manchmal, wenn Nate tief im Astralflug versunken war, hatte sie einfach nur neben ihm gesessen und versucht, einen Sinn in den Satzfetzen zu entdecken, die er murmelte. Früher oder später tauchte immer der Name Cathy auf.
Sie hatte ihn nie darauf angesprochen.
»Ist es dauerhaft?«, hakte Takahashi nach, den Blick auf Nate gerichtet.
Asad schüttelte den Kopf. »Bei den bekannten Fällen war es immer nur eine Sache von Minuten. Das Gehirn macht die Überlastung nicht lange mit. Schaltet ab.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre sein Gerede pure Theorie. »Wenn er aufwacht, wird er wieder ganz der alte Drecksack sein. Wird keinen blassen Schimmer mehr haben, wer er war, bevor er zu ID 03101107/0623 wurde.«
»Das ist doch gut.« Halb Feststellung, halb Frage. »Er war sich also nicht bewusst, was er getan hat.«
»Wir müssen den Vorfall melden.« Die Worte klangen endgültig, als Yelena sie aussprach. »Dann kommt er zurück in die Integration« – Assimilation – »und danach« – falls er es durchsteht – »in ein anderes Umfeld. Um einen Rückfall zu vermeiden.«
»Wär’s dir lieber, er würd’ auf diesem beschissenen Schiff vom Zoll erschossen?«
»Niemand wird ihn erschießen«, entgegnete Takahashi nachdrücklich. »Und so wie es aussieht, wird hier auch niemand in nächste Zeit in ein anderes Umfeld gebracht.« Bei diesen Worten richtete er seinen Blick auf die Frontscheibe, hinter der die Kumen-Esh noch immer schlief. Oder verweste.
»Wir gehen jetzt einen Schritt nach dem nächsten. Und Sie –« Er wandte sich Asad zu. »– halten sich von van Deelen fern. Ein zweites Mal werde ich Kumi nicht zurückpfeifen.«
Am liebsten hätte Yelena die ganze verdammte Verantwortung genommen und sie Takahashi zugeschoben. Er ging weitaus kompetenter damit um. Er war auf ihrer Seite. Und er kämpfte für Nate.
Sergej zu wecken zog sie inzwischen nicht einmal mehr als Notlösung in Betracht. Von ihrer jetzigen Position aus gesehen konnte es eigentlich nur noch besser werden. Sie würde die Kumen-Esh anfliegen, ihre Koordinaten und eine Route für den Rückflug einholen und hoffen, dass van Deelen irgendwann zwischen jetzt und dann einem partiellen Gedächtnisverlust zum Opfer fiel. Oder einem Herzinfarkt.
»Wo sind eigentlich –?«
Als hätte sie ihn heraufbeschworen, öffnete sich die Brückentür und der Merowinger trat ein. Er sah so schrecklich aus, dass Yelena für den Bruchteil einer Sekunde Mitleid mit ihm hatte. Seine linke Gesichtshälfte war blutüberströmt und mit einer Hand presste er ein Tuch gegen die Platzwunde auf seiner Stirn. Obwohl er sich alle Mühe gab, war ihm der Schwindel deutlich anzusehen, der seine Schritte beherrschte. Dicht hinter ihm folgte Kumi und rechnete offenbar ebenfalls damit, dass van Deelen jeden Moment zusammenklappte.
»Was …?«
Ihr Blick fiel auf Asad, der sich kaum Mühe gab, sein spöttisches Grinsen zu verbergen. Geschickt fing er das Kühlpad auf, das Kumi ihm zuwarf, und drückte es auf sein blaues Auge.
»Soll ich mir das mal ansehen?«
Sie wandte sich wieder van Deelen zu, auch wenn sie keine besonders große Lust verspürte, ihn zu verarzten. Aber wenn sie sich nicht auf irgendetwas konzentrieren konnte, würde der Gedanken an die Zukunft sie verrückt machen. Und sie hatte keine Kraft mehr für einen weiteren, sinnlosen Streit mit dem Zöllner.
Takahashi hatte recht: ein Schritt nach dem anderen. Dann konnte auch immer nur eins nach dem anderen schief gehen.
Van Deelen starrte sie eine zeitlang schweigend an. Kurz richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Perser, als der sich mit dem Rücken gegen die Wand zu Boden sinken ließ.
»Ich verlange, dass Sie Ihren Flugmeister wecken. Und ich verlange eine Entschuldigung!«
»Scum!«, blaffte Asad wenig konstruktiv zurück, machte aber zum Glück keine Anstalten, sich noch einmal auf den Merowinger zu stürzen.
»Runter von der Brücke, Asad!«
Allmählich bekam sie Respekt davor, dass Sergej es schaffte, jeden hier an Bord nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Es war definitiv nicht mit einer lauten Stimme getan.
»Bring Nate in den Aufenthaltsraum.« Keine Reaktion. »Bitte.«
»Geht es Ihnen nicht langsam selbst auf die Nerven, Miss Ivanova, dass jeder hier tut, was er will?«, mischte sich zu allem Überfluss van Deelen ein.
Genau das brachte Asad allerdings dazu, endlich auf die Beine zu kommen, um dem Befehl – der Bitte – Folge zu leisten.
»Hilf mir mal«, wies er Kumi an.
Der Orkling, der vermutlich für Asads blaues Auge verantwortlich war, holte sich erst von seinem Commander ein knappes Nicken ab, bevor er dem Perser wortlos half, Nate aufzurichten. Er stöhnte, schien aber nicht gewillt, seine Bewusstlosigkeit aufzugeben. Vielleicht war es besser so.
Erst als die drei von der Brücke verschwunden waren, richtete Yelena ihre Konzentration auf das nächste Problem. Van Deelen starrte sie noch immer an, als mache er sich gedanklich eine Liste aller Verstöße und Fehlverhalten, wegen derer er sie fertigmachen konnte. Aber Takahashi wich nicht von ihrer Seite und auch wenn der Commander nichts an ihrer Situation ändern konnte, tat es gut, dass er demonstrativ Stellung bezog.
Was riskierte er wohl, allein mit der Tatsache, dass er nicht hinter seinem Arbeitgeber stand, sondern hinter einer – bald arbeitslosen – Kosakin und ihrem durchgedrehten Aztec-Piloten? Wie viel würde es ihn kosten, Nate verschont zu haben?
Yelena atmete tief durch und zog die Schultern zurück.
»Ich bin die Verantwortliche hier – Mr van Deelen – und wenn Sie ein Problem damit haben, können Sie Beschwerde bei Sunshine and Beyond einreichen, sobald ich die Risen im nächsten Raumhafen angedockt habe.«
Es war besser, wenn sie nicht darüber nachdachte, was sie sagte. Oder was passieren würde, wenn van Deelen auf sie hörte. Ein Schritt nach dem anderen.
Van Deelen lächelte abfällig. »Glauben Sie mir: Ich werde nicht so schnell vergessen, wer die Verantwortung für das alles hier trägt.«
Die kühlen Worten waren mehr Drohung, als es Nates Hand an ihrer Kehle je hätte sein können. Er würde sie auseinandernehmen.
»Aber selbst wenn Sie Admiral auf dem Flaggschiff der MRF wären, Miss Ivanova: Ein außer Kontrolle geratener Aztec fällt in den Zuständigkeitsbereich der MA.«
»Mr Bishop ist in Gewahrsam und unter Kontrolle«, schaltete Takahashi sich nun doch ein und Yelena wäre ihm dafür am liebsten um den Hals gefallen. »Er stellt keine Gefahr dar.«
»Haben Sie das auch von dem Aztec gedacht, der Sie ihr Auge gekostet hat, Commander?«
Takahashi verriet nicht durch die kleinste Regung, ob ihm dieser Seitenhieb etwas ausmachte.
»Mit Verlaub, Mr van Deelen: Miss Ivanova ist davon überzeugt, dass Mr Bishop vorübergehend unzurechnungsfähig war.«
Er warf ihr einen auffordernden Blick zu, aber sie brachte es nicht fertig, die Wahrheit auszusprechen. Das konnte sie Nate nicht antun.
»Er hatte einen Flashback«, fuhr der Commander schließlich selbst fort. »Miss Ivanova wird diesen Vorfall ordnungsgemäß melden und die Angelegenheit klären.«
Sie schaffte es nicht einmal, zu nicken.
Aber anscheinend reichten Takahashis Worte – und vielleicht trug der Schlag gegen seinen Kopf auch einen Teil dazu bei –, dass van Deelen sich damit zufrieden gab.
»Er bleibt in Gewahrsam«, hielt er nur fest.
»Unter ständiger Aufsicht.«
»Und für Sie, Commander … Das wird ein Nachspiel haben.«
Auch dieses Mal zeigte sich in Takahashis Gesicht keine Regung. Er nickte nur knapp und wandte sich an Yelena. »Sie sollten seine Wunde versorgen. Ich bringe uns näher ran und halte nach dem Hangar-Bereich Ausschau.«
Nur widerwillig erhob Yelena sich, kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und fühlte sich wie in einer falschen Wirklichkeit, als sie mit van Deelen die Brücke verließ. Vielleicht passierte das alles gar nicht. Vielleicht war es irgendeine abgedrehte Art von Astraltraum. Irgendwann wachte sie einfach auf und trat ihre Schicht an. Saß auf der Brücke und erlebte die grenzenlose Freiheit, in die Nate sie manchmal mitnahm.
Denk nicht drüber nach.
Sie hätte ihn niemals losfliegen lassen dürfen.
»Couldnʼt you crawl into a bush somewhere and die? That would be great, thanks.« (Alistair, Dragon Age)
»You can be anything you want on the internet.
What's funny is how many people choose to be stupid.« (Zack Finfrock)
»You can be anything you want on the internet.
What's funny is how many people choose to be stupid.« (Zack Finfrock)