Ihr Lieben, viel später als geplant und mit einer vollkommen anderen Geschichte: mein offizieller Einstand. Whee! Kicherndes Kürbiskonfetti! Wie bereits aus dem Threadtitel ersichtlich ist es im Rahmen des Schreibanstoßes entstanden und landet nun hier, bereit, von euch zerfleischt zu werden. Man kann es als Spin Off zu einer Vampirgeschichte sehen, die momentan auf 11 Kapitel geplant ist, aber das wird sich eh noch ändern. Ich hoffe, das hier passt überhaupt in die Horrorkategorie, zur Not kann man sagen, es ist ein Horror, es zu lesen. Viel Spaß!
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Für gewöhnlich fand Mathew nichts am Edlen Tropfen, an den Vampiren, die sich dort Nacht für Nacht trafen und auf zweifelhafte Weise gewonnenes Menschenblut tranken, während draußen vor der Tür Ansammlungen von jungen sterblichen Frauen standen und aus ihm unerfindlichen Gründen auf Einlass hofften. Keine von ihnen wusste, was genau sich hinter dieser Tür abspielte, sonst hätten sie zweifelsfrei die einzig vernünftige Option gewählt und Reißaus genommen.
Doch an diesem Abend tat er seinem besten und ältesten Freund Henry den Gefallen, es war Halloween, da konnte man sich einmal etwas gönnen.
„Lass mich raten“, murmelte er so leise, dass nur Henry ihn verstehen konnte, auch wenn die Gefahr, dass jemand auf sie achtete, gering war, da die Anwesenden so stark auf ihre eigenen Gespräche fokussiert waren. „In einem finsteren, spartanisch eingerichteten Hinterzimmer siecht ein Obdachloser dahin, bis er entweder am Blutverlust zugrunde geht oder einer der Angestellten sich ihm erbarmt und ihm ein etwas schnelleres Ende bereitet?“
Henrys Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. „Für gewöhnlich werden die Spender etwas länger am Leben erhalten und das gar nicht schlecht, man will ja die Qualität des Blutes hoch halten. Was blühte ihm denn draußen? Der Kältetod, ein Angriff eines Leidensgenossen, der auf das Wenige, was der arme Mann hat, noch neidisch ist und es ihm mit grober Gewalt zu entreißen beschließt.“
„Spender“, wiederholte Mathew, weil er dieses Wort eine Unmöglichkeit fand. „Spender geben im Normalfall freiwillig und das in nicht zu geringer Zahl.“ Er verließ sich bei der alltäglichen Nahrungsaufnahme lieber auf die Blutbanken, die extra für diesen Zweck neben den medizinischen eingerichtet worden waren, zu denen tagtäglich tatsächliche Spender kamen. Noch lieber waren ihm nur die guten Leute, die ihre Arterien direkt zur Verfügung stellten, für die es ein eigenes Netzwerk gab.
Henry stieß mit ihm an und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Und doch sitzt du hier und trinkst mit mir, wo dich das alles doch so sehr anwidert.“
Anwidern war das falsche Wort, Mathew schätzte bloß die sauberen Methoden höher als die brutalen, in allen Dingen. „Es ist Halloween“, antwortete er. „Außerdem bekommt man dich in letzter Zeit zu selten zu Gesicht, ich musste meine Gelegenheit nutzen.“
„Ich fehle ihm, wie niedlich.“ Henrys Lächeln wurde breiter, schelmischer. „Nun, das mag daran liegen, dass ich kürzlich über unseren guten Freund Anatolij ein ganz reizendes Wesen kennen lernte, ein Mädchen namens Ruby, das sehr bereitwillig gibt und gleichzeitig eine sehr angenehme Gesellschaft darstellt. Bei Gelegenheit sollte ich sie dir vielleicht vorstellen.“ Es war ein seltener Vorfall, dass er etwas meinte, wie er es sagte, doch schien Henry wirklich angetan von diesem Mädchen, das war ihm leicht anzusehen.
„Es wäre mir eine Ehre.“ Mathew hatte kein Problem mit Menschen, einst war er selbst einer gewesen. Er hatte bloß kein Interesse an Bekanntschaften mit der Art Mensch, die dort draußen vor der Türe stand und sich irgendetwas von der Bekanntschaft mit einem Vampir erhoffte, die seinesgleichen in einer Weise romantisch verklärt sah, die schlicht lächerlich schien. Bei Anatolijs Bekanntschaften war das Risiko, an so jemanden zu gelangen, allerdings sehr gering. Der Werwolf hatte ein sehr gutes Gespür für Menschen und neigte dazu, vorrangig solche zu treffen, die eine interessante Persönlichkeit besaßen.
Henry schwärmte weiter von diesem Menschenmädchen, doch Mathews Aufmerksamkeit wurde vom Geruch frischen Blutes und dem Geräusch eines schlagenden, jungen Herzens abgelenkt. Er bemerkte, wie die Blicke anderer Gäste zum Eingang wanderten und wandte sich selbst ebenfalls um.
An der Tür stand eine junge Frau, deren blasse Haut einen starken Kontrast zu ihrem schwarzen Pullover mit ebenfalls schwarzem Spitzenbesatz sowie dem schwarzen Rock und der schwarzen Seidenstrumpfhose mit Rosenblütenmuster bildete. Ihr naturschwarzes Haar fiel ihr in krausen Locken auf die Schultern. Abgesehen von einem schwarzen Lidstrich hatte sie auf Make-Up verzichtet.
Im Grunde unterschied sie sich nur in Details von all den anderen jungen Menschenfrauen draußen vor der Tür, doch aus irgendeinem Grund war sie hereingelassen worden. Auf keinen Fall hatte sie sich am Türsteher vorbeischleichen können, der gute Jay war immer wachsam und ließ sich auch nicht von einem Paar hübscher Augen den Kopf verdrehen. Zumal es für sie gefährlich werden konnte, hier unter einer Meute aus blutdurstigen Raubtieren zu stehen.
Irgendetwas musste an dieser Ruby sein, denn als Henry an Mathew vorbei sah und diese junge Anwesende sah, brachte er keinen Kommentar zu ihr an, was äußerst ungewöhnlich war.
Mathew hingegen ging es anders, es war für ihn undenkbar, auch wenn sie selbst daran Schuld trug, wenn sie herkam, sie einem der anderen Gäste zu überlassen, die sonst welche Dinge mit ihr anstellen würden.
„Entschuldige mich, mein Freund“, raunte er, leerte sein Glas und erhob sich.
„Du?“, hörte er Henry lachen, doch er wandte sich nicht um, lächelte nur und schob sich durch die Leute an der Bar nach vorn zum Eingang.
„Guten Abend, die Dame.“ Er verneigte sich leicht und hatte sofort die Aufmerksamkeit der jungen Frau, die sich gerade noch etwas unsicher im Raum umgeschaut hatte. Vielleicht hatte sie selbst nicht damit gerechnet, tatsächlich eingelassen zu werden und gar nicht weiter als bis zum Eingang gedacht. Vielleicht hatte sie das, was sie tatsächlich hinter der Tür, vor der vielleicht auch für sie bereits unzählige Abende des Wartens vergangen waren, fand, überrascht. Dabei konnte sie in ihrer kurzen Anwesenheit noch überhaupt nichts gesehen haben.
Sie lächelte und rote Flecken traten auf ihre Wangen, als er ihre Hand nahm und einen sanften Kuss andeutete. Obwohl er ihre Hand nicht berührte, spürte er das Blut, das durch ihre Adern rauschte. Es konnte daran liegen, dass er gerade genug getrunken hatte, um wirklich durstig zu werden, dass dieses Gefühl und ihr Geruch ein gewisses Verlangen in ihm auslösten.
Doch er hatte sich unter Kontrolle.
„Ihre Anwesen, gute Dame, ist zu dieser Stunden in diesem Lokal doch eine Seltenheit, wie ich gestehen muss. Darf man fragen, was uns die Ehre zu diesem Besuch verschafft?“ Er bot ihr seinen Arm an und führte sie zu seinem Tisch.
Henry warf ihm einen skeptischen Blick zu, bevor er aufstand und ihm auf die Schultern klopfte. „Falls du mich suchst, mein Freund, ich spiele mit dem guten Alastair Philips Karten.“
„Sagen wir, ich konnte den Herrn vor der Tür davon überzeugen, dass ich anders bin als all die Mädels, die glauben, sie hätten eine ach so düstere Seele“, antwortete die junge Frau und stützte den Kopf auf die Hände. „Sie sind so schmerzhaft lächerlich, wenn sie sich einbilden, sie fänden hier Liebe.“
„Und was suchen Sie hier?“, wollte Mathew wissen.
Sie lächelte. „Ich suche nur die Wahrheit, ich möchte einen echten Vampir kennen lernen, keine Vorstellung eines pubertierenden Mädchens, ich suche Aufregung und Nervenkitzel. Ich habe Angst, weil ich durchaus sehe, was in all diesen Blicken liegt, wenn sie auf mir liegen, auch in Ihrem. Und ich finde es geil.“ Diesen letzten Satz sagte sie ganz leise, war sich vielleicht nicht bewusst, dass es dennoch jeder im Raum hören würde, der es wollte, vielleicht wusste sie das auch und es war nur für irgendeinen Effekt.
Falls jemand ihnen zuhörte, interessierte es niemanden. Wahrscheinlich waren alle zu tief in ihre eigenen Gespräche und Gedanken vertieft und das Interesse an diesem Menschenmädchen war gesunken, nachdem Mathew sie sozusagen für sich beansprucht hatte.
„Und dafür nehmen Sie die Gefahr auf sich, getötet und ausgesaugt zu werden?“ Er fragte sich, warum sie nicht einfach zur Spenderin wurde, wenn sie so gern Vampire kennen lernen wollte, doch er musste auch nicht alles verstehen, was in einem Menschen vorging. Vielleicht ging es ihr gerade um dieses Gefühl, nicht in einer kontrollierten Situation zu sein. Und selbst im Spendertum gab es Gefahren, hin und wieder kam es vor, dass ein Vampir diese Möglichkeit ausnutzte, um leicht an Opfer zu kommen. Mathew und Henry kümmerten sich dann darum, dass das nicht wieder vorkam.
Ihr Grinsen wirkte nahezu kindlich.
Mathew schob sein Glas zur Seite und legte seine Hände vor ihr auf den Tisch. „Was halten Sie davon, meine Liebe, wenn wir dieses Lokal verlassen und ich Ihnen an einem anderen, privateren Ort all das zeige und sage, was Sie wissen wollen?“
Anstatt einer verbalen Antwort stand sie auf, Mathew legte das Geld für sein Glas und das seines Freundes auf den Tisch und bot ihr wieder einen Arm an. „Lassen Sie uns den Hinterausgang nehmen, dort ist es wesentlich ruhiger als vorn.“ Manche Mädchen blieben lange vor der Tür stehen, bis weit nach Mitternacht, ohne Erfolg zu haben und doch an jedem Abend wieder. Er wusste nicht, ob er das bedauern oder bewundern sollte.
„Wenn Sie mir die Frage erlauben, gute Dame, wie ist Ihr Name?“
„Man nennt mich Raven“, antwortete sie nach einem Augenblick. „Ja, denken Sie denn, ich verrate völlig Fremden meinen echten Namen?“
Mathew öffnete die Hintertür und geleitete Raven nach draußen in eine schmale Gasse, die durch Müllcontainer, die für den Tagesbetrieb gebraucht wurden, in einer Richtung nicht zugänglich war. „Sie sind nicht dumm. Nun, mein Name ist Mathew und auch nicht mein wahrer.“ Allerdings gab es in der heutigen Zeit niemand mehr, der ihn anders nannte, seinen Geburtsnamen hatte er vor vielen Jahren abgelegt. Heutzutage wurde er hauptsächlich für Frauen verwendet, womit Anatolij und Jay ihn gern aufzogen.
Raven fröstelte und schmiegte sich an ihn, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass er wesentlich wärmer war als die Nacht, eher im Gegenteil. Er hielt es zudem für seltsam, dass sie ihm nicht ihren echten Namen verraten wollte, dafür aber nicht vor Körperkontakt zurückschreckte und ihm aus der Gesellschaft heraus in die Zweisamkeit folgte. Freilich stellte diese bestimmte Gesellschaft alles Andere als Sicherheit für sie dar.
Die Gasse führte etwas entfernt vom Edlen Tropfen wieder auf die Hauptstraße, die nur von wenigen Menschen frequentiert wurde. Man konnte die lauernde Mädchenmeute sehen, von der sich sowohl Mathew als auch Raven mit gerunzelter Stirn abwandten.
„Ich warne Sie vor, Raven. Dies ist Ihre letzte Möglichkeit, zu rennen, falls Sie es sich mit der Wahrheit und dem Nervenkitzel der Gefahr anders überlegt haben.“ Der Ton seiner Stimme irritierte ihn selbst, er schob das auf Halloween, die Nacht, in der man sich so etwas gönnen konnte. Henry pflegte zu sagen, dass Mathew sich nicht ewig verstellen konnte, dass er nicht die ganze Zeit über die Vernunft und Kontrolle bewahren konnte, und vielleicht hatte er recht. Vielleicht musste er sich hin und wieder gehen lassen.
Raven ließ von ihm ab, nur um sich genau vor ihn zu stellen und die Arme um seine Hüften zu legen. Ihre Ärmel rutschten nach oben und er spürte ihre Gänsehaut, die sowohl von der Kälte als auch von der Situation herrühren konnten. „Ich möchte bleiben“, hauchte sie. „Zeigen Sie mir alles.“
„Wie Sie wollen.“ Er hüllte sie in seinen Mantel und hielt sie fest, bevor er verschwand und in einem Waldstück etwas außerhalb der Stadt wieder auftauchte. Der Himmel über ihnen erschien durch die nur an wenigen Stellen aufgerissene Wolkendecke sternenarm und es wehte sachter Wind, der die trockenen Blätter in den Büschen und Bäumen rascheln ließ.
Raven knickte ein, überrascht von der Veränderung des Bodens unter ihren Füßen. Er musste sie festhalten und sie krallte sich in seinem Mantel fest. „Was …“, fragte sie mit erstickter Stimme.
Mathew lächelte schief. Es hatte ihn mehr angestrengt, als er erwartet hatte, schließlich kam es nur selten vor, dass er jemanden mitnahm. Das und ihr durch die Überraschung erhöhter Blutdruck verstärkten seinen Durst noch weiter und er merkte, wie er langsam die Kontrolle verlor. Schleichend, doch umso sicherer. Bestimmte Gedanken erschienen ihm nicht mehr gar so verwerflich, ihr Herzschlag nahm immer größeren Raum in seinem Kopf ein.
Auch das gehörte zur Wahrheit, die sie so sehr begehrte, doch war sie sich dessen bewusst?
„Die Dunkelheit gestattet mir, mich aufzulösen und in Dunkelheit wieder aufzutauchen, wie es mir beliebt.“ Er nahm ihre Hand von seinem Mantel weg und streichelte ihre Finger bis hin zu den schwarz lackierten Nägeln. „Das sind Fähigkeiten, von denen Sie nichts wussten, denn auch Ihr Wissen über uns stammt vor allem aus den romantisierten Vorstellungen junger Damen, ist es nicht so?“
Zuerst schaute sie auf seine Hand, dann hinauf in sein Gesicht. „Ich gebe es zu, doch ich bin ja hier, um das zu ändern.“ Sie lächelte verführerisch. „Erzählen Sie mir von sich. Von ihrem Leben und dem Leben nach Ihrem Tod.“
Er lachte leise. „Liebes Kind, das ist eine überaus lange und nicht minder traurige Geschichte, nichts für einen Abend wie diesen.“ Er wollte nicht daran denken, warum er hier war, er konnte es nicht, zum ersten Mal seit langer Zeit nahm ihn das Blut einer Lebenden so sehr ein, dass er sich nicht recht darauf konzentrieren konnte, dass die Bilder verblassten, ihr Lächeln ganz schwach wurde. Doch er wusste, es würde alles wiederkehren, sobald der Durst gestillt war. Zu diesem Zeitpunkt würde er sich auch dafür hassen, was gerade in ihm vorging.
Raven schürzte die Lippen. „Wie schade. Gibt es keine kurze Version?“
Mathew beugte sich ein Stück zu ihr nach vorn, doch nicht zu weit, um nicht noch mehr seiner Beherrschung zu verlieren. Allein, dass er mit ihr hier stand, war schon ein Schritt zu weit, doch noch konnte er zurück.
Konnte er?
„Eine kurze Version? Die würde der Geschichte nicht gerecht, denken Sie nicht? Details auslassen, die doch alle so wichtig sind. Aber wenn ich es ganz kurz fassen muss: Ich war ein Professor, vor Jahrhunderten, dann wurde ich zum Vampir für die Frau, die ich liebte. Doch sie wurde Opfer eines Jägers und ich floh aus England, meiner geliebten Heimat, kam in diese Stadt und begann ein neues Leben.“
„Leben“, wiederholte sie schwach lächelnd. „Das ist wirklich traurig. Und nun sind Sie hier so allein, selbst unter Ihresgleichen sind Sie allein, auch das habe ich gesehen.“ Sie strich mit den Fingern an seinem Kieferknochen entlang, er spürte das Blut durch die Kapillaren in ihren Fingerkuppen fließen.
„Ganz so ist es nicht.“ Seine Stimme zitterte, während er sich halb verzweifelt am letzten Fädchen der Beherrschung festklammerte. „Ich habe einige gute Freunde, unter Menschen wie Vampiren, ich bin nicht einsamer als jeder in dieser Stadt der Anonymität.“ Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie.
In ihrem Blick, in dem bisher nur Mitleid gelegen hatte, erschien noch etwas anderes. Wahrscheinlich spürte sie, wie verkrampft seine Hand war. „Dann ist es schön, wenn Sie jemanden haben, der Sie wirklich kennt. Ich habe so jemanden nicht, ich bin ganz allein, umgeben von Menschen, die mich nie verstehen würden, was in mir vorgeht. Sie sind blind für all das.“
„Blind lebt es sich leichter“, krächzte er und ohne es selbst recht zu merken, löste er ihre Finger von seinem Gesicht und biss ihr ins Handgelenk. Mit dem Geschmack ihres Bluts in seinem Mund brach der Damm vollends.
Raven schrie und die Lautstärke war zu viel für seine empfindlichen Ohren, er war für einen Moment irritiert, sodass sie Gelegenheit hatte, sich loszureißen und zu rennen. Doch das regte nur seinen Jagdinstinkt an, allzu leicht konnte er sie verfolge, er sah sie in der Finsternis, er hörte ihr Herz auch auf die kurze Entfernung, dazu kam die Blutspur, die sie hinterließ.
Nicht zuletzt war er um ein Vielfaches schneller als sie.
Mathew war nicht mehr er selbst, als er ihr nachsetzte, sie in wenigen Sekunden eingeholt hatte und ihr die Arme von hinten um die Taille schlang, wodurch sie, plötzlich angehalten, keuchend nach vorn ruckte.
„Hier hast du die Wahrheit, Kind, die ganze Wahrheit, wie du sie haben wolltest“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Und wie ich sehe, überwiegt auch bei dir die Angst, wo du doch die ganze Zeit so angetan warst von diesem Gedanken.“
Sie schluchzte und grub die Fingernägel in seine Arme, versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er ließ sie nicht. Was auch immer er bei Sonnenuntergang darüber denken würde, doch er hatte viel zu lang auf dieses Gefühl verzichtet, wehrlose Beute in den Händen zu halten, die süße Verzweiflung zu riechen. „Bitte …“, wimmerte sie.
„Hier ist noch eine Wahrheit für dich: Du weißt nichts. Du weißt gar nichts und wenn du auch nur einen Funken Verstand besessen hättest, wärst du niemals durch diese Tür gegangen, du hättest wissen müssen, was dich erwartet.“
Sie wimmerte immer jämmerlicher und die Kraft ging ihr wohl langsam aus, denn sie wehrte sich immer schwächer, nur die Tränen flossen weiter ungehindert und in ihrem Gesicht stand der Schmerz überdeutlich.
Langsam senkte er den Mund weg von ihrem Ohr hinunter zu ihrem Hals. „Am Ende hattest du genau dieselbe Vorstellung, verharmlost und romantisiert. Der einzige Unterschied zwischen mir und jedem anderen Vampir in der Bar ist gewesen, dass diese Seifenblase viel schneller geplatzt wäre, wärst du an jemand anderen geraten.“ Er hob sie hoch und ließ sich nicht von ihren strampelnden Beinen stören, die immer wieder seine Schienbeine trafen. Ihr Herzschlag in seinem Kopf war übermächtig geworden.
„Der einzige Unterschied zwischen dir und den anderen Mädchen vor der Tür“, hauchte er, bevor er die Zähne in ihren Hals schlug, „ist, dass deine Haare nicht schwarz gefärbt sind.“
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Für gewöhnlich fand Mathew nichts am Edlen Tropfen, an den Vampiren, die sich dort Nacht für Nacht trafen und auf zweifelhafte Weise gewonnenes Menschenblut tranken, während draußen vor der Tür Ansammlungen von jungen sterblichen Frauen standen und aus ihm unerfindlichen Gründen auf Einlass hofften. Keine von ihnen wusste, was genau sich hinter dieser Tür abspielte, sonst hätten sie zweifelsfrei die einzig vernünftige Option gewählt und Reißaus genommen.
Doch an diesem Abend tat er seinem besten und ältesten Freund Henry den Gefallen, es war Halloween, da konnte man sich einmal etwas gönnen.
„Lass mich raten“, murmelte er so leise, dass nur Henry ihn verstehen konnte, auch wenn die Gefahr, dass jemand auf sie achtete, gering war, da die Anwesenden so stark auf ihre eigenen Gespräche fokussiert waren. „In einem finsteren, spartanisch eingerichteten Hinterzimmer siecht ein Obdachloser dahin, bis er entweder am Blutverlust zugrunde geht oder einer der Angestellten sich ihm erbarmt und ihm ein etwas schnelleres Ende bereitet?“
Henrys Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. „Für gewöhnlich werden die Spender etwas länger am Leben erhalten und das gar nicht schlecht, man will ja die Qualität des Blutes hoch halten. Was blühte ihm denn draußen? Der Kältetod, ein Angriff eines Leidensgenossen, der auf das Wenige, was der arme Mann hat, noch neidisch ist und es ihm mit grober Gewalt zu entreißen beschließt.“
„Spender“, wiederholte Mathew, weil er dieses Wort eine Unmöglichkeit fand. „Spender geben im Normalfall freiwillig und das in nicht zu geringer Zahl.“ Er verließ sich bei der alltäglichen Nahrungsaufnahme lieber auf die Blutbanken, die extra für diesen Zweck neben den medizinischen eingerichtet worden waren, zu denen tagtäglich tatsächliche Spender kamen. Noch lieber waren ihm nur die guten Leute, die ihre Arterien direkt zur Verfügung stellten, für die es ein eigenes Netzwerk gab.
Henry stieß mit ihm an und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Und doch sitzt du hier und trinkst mit mir, wo dich das alles doch so sehr anwidert.“
Anwidern war das falsche Wort, Mathew schätzte bloß die sauberen Methoden höher als die brutalen, in allen Dingen. „Es ist Halloween“, antwortete er. „Außerdem bekommt man dich in letzter Zeit zu selten zu Gesicht, ich musste meine Gelegenheit nutzen.“
„Ich fehle ihm, wie niedlich.“ Henrys Lächeln wurde breiter, schelmischer. „Nun, das mag daran liegen, dass ich kürzlich über unseren guten Freund Anatolij ein ganz reizendes Wesen kennen lernte, ein Mädchen namens Ruby, das sehr bereitwillig gibt und gleichzeitig eine sehr angenehme Gesellschaft darstellt. Bei Gelegenheit sollte ich sie dir vielleicht vorstellen.“ Es war ein seltener Vorfall, dass er etwas meinte, wie er es sagte, doch schien Henry wirklich angetan von diesem Mädchen, das war ihm leicht anzusehen.
„Es wäre mir eine Ehre.“ Mathew hatte kein Problem mit Menschen, einst war er selbst einer gewesen. Er hatte bloß kein Interesse an Bekanntschaften mit der Art Mensch, die dort draußen vor der Türe stand und sich irgendetwas von der Bekanntschaft mit einem Vampir erhoffte, die seinesgleichen in einer Weise romantisch verklärt sah, die schlicht lächerlich schien. Bei Anatolijs Bekanntschaften war das Risiko, an so jemanden zu gelangen, allerdings sehr gering. Der Werwolf hatte ein sehr gutes Gespür für Menschen und neigte dazu, vorrangig solche zu treffen, die eine interessante Persönlichkeit besaßen.
Henry schwärmte weiter von diesem Menschenmädchen, doch Mathews Aufmerksamkeit wurde vom Geruch frischen Blutes und dem Geräusch eines schlagenden, jungen Herzens abgelenkt. Er bemerkte, wie die Blicke anderer Gäste zum Eingang wanderten und wandte sich selbst ebenfalls um.
An der Tür stand eine junge Frau, deren blasse Haut einen starken Kontrast zu ihrem schwarzen Pullover mit ebenfalls schwarzem Spitzenbesatz sowie dem schwarzen Rock und der schwarzen Seidenstrumpfhose mit Rosenblütenmuster bildete. Ihr naturschwarzes Haar fiel ihr in krausen Locken auf die Schultern. Abgesehen von einem schwarzen Lidstrich hatte sie auf Make-Up verzichtet.
Im Grunde unterschied sie sich nur in Details von all den anderen jungen Menschenfrauen draußen vor der Tür, doch aus irgendeinem Grund war sie hereingelassen worden. Auf keinen Fall hatte sie sich am Türsteher vorbeischleichen können, der gute Jay war immer wachsam und ließ sich auch nicht von einem Paar hübscher Augen den Kopf verdrehen. Zumal es für sie gefährlich werden konnte, hier unter einer Meute aus blutdurstigen Raubtieren zu stehen.
Irgendetwas musste an dieser Ruby sein, denn als Henry an Mathew vorbei sah und diese junge Anwesende sah, brachte er keinen Kommentar zu ihr an, was äußerst ungewöhnlich war.
Mathew hingegen ging es anders, es war für ihn undenkbar, auch wenn sie selbst daran Schuld trug, wenn sie herkam, sie einem der anderen Gäste zu überlassen, die sonst welche Dinge mit ihr anstellen würden.
„Entschuldige mich, mein Freund“, raunte er, leerte sein Glas und erhob sich.
„Du?“, hörte er Henry lachen, doch er wandte sich nicht um, lächelte nur und schob sich durch die Leute an der Bar nach vorn zum Eingang.
„Guten Abend, die Dame.“ Er verneigte sich leicht und hatte sofort die Aufmerksamkeit der jungen Frau, die sich gerade noch etwas unsicher im Raum umgeschaut hatte. Vielleicht hatte sie selbst nicht damit gerechnet, tatsächlich eingelassen zu werden und gar nicht weiter als bis zum Eingang gedacht. Vielleicht hatte sie das, was sie tatsächlich hinter der Tür, vor der vielleicht auch für sie bereits unzählige Abende des Wartens vergangen waren, fand, überrascht. Dabei konnte sie in ihrer kurzen Anwesenheit noch überhaupt nichts gesehen haben.
Sie lächelte und rote Flecken traten auf ihre Wangen, als er ihre Hand nahm und einen sanften Kuss andeutete. Obwohl er ihre Hand nicht berührte, spürte er das Blut, das durch ihre Adern rauschte. Es konnte daran liegen, dass er gerade genug getrunken hatte, um wirklich durstig zu werden, dass dieses Gefühl und ihr Geruch ein gewisses Verlangen in ihm auslösten.
Doch er hatte sich unter Kontrolle.
„Ihre Anwesen, gute Dame, ist zu dieser Stunden in diesem Lokal doch eine Seltenheit, wie ich gestehen muss. Darf man fragen, was uns die Ehre zu diesem Besuch verschafft?“ Er bot ihr seinen Arm an und führte sie zu seinem Tisch.
Henry warf ihm einen skeptischen Blick zu, bevor er aufstand und ihm auf die Schultern klopfte. „Falls du mich suchst, mein Freund, ich spiele mit dem guten Alastair Philips Karten.“
„Sagen wir, ich konnte den Herrn vor der Tür davon überzeugen, dass ich anders bin als all die Mädels, die glauben, sie hätten eine ach so düstere Seele“, antwortete die junge Frau und stützte den Kopf auf die Hände. „Sie sind so schmerzhaft lächerlich, wenn sie sich einbilden, sie fänden hier Liebe.“
„Und was suchen Sie hier?“, wollte Mathew wissen.
Sie lächelte. „Ich suche nur die Wahrheit, ich möchte einen echten Vampir kennen lernen, keine Vorstellung eines pubertierenden Mädchens, ich suche Aufregung und Nervenkitzel. Ich habe Angst, weil ich durchaus sehe, was in all diesen Blicken liegt, wenn sie auf mir liegen, auch in Ihrem. Und ich finde es geil.“ Diesen letzten Satz sagte sie ganz leise, war sich vielleicht nicht bewusst, dass es dennoch jeder im Raum hören würde, der es wollte, vielleicht wusste sie das auch und es war nur für irgendeinen Effekt.
Falls jemand ihnen zuhörte, interessierte es niemanden. Wahrscheinlich waren alle zu tief in ihre eigenen Gespräche und Gedanken vertieft und das Interesse an diesem Menschenmädchen war gesunken, nachdem Mathew sie sozusagen für sich beansprucht hatte.
„Und dafür nehmen Sie die Gefahr auf sich, getötet und ausgesaugt zu werden?“ Er fragte sich, warum sie nicht einfach zur Spenderin wurde, wenn sie so gern Vampire kennen lernen wollte, doch er musste auch nicht alles verstehen, was in einem Menschen vorging. Vielleicht ging es ihr gerade um dieses Gefühl, nicht in einer kontrollierten Situation zu sein. Und selbst im Spendertum gab es Gefahren, hin und wieder kam es vor, dass ein Vampir diese Möglichkeit ausnutzte, um leicht an Opfer zu kommen. Mathew und Henry kümmerten sich dann darum, dass das nicht wieder vorkam.
Ihr Grinsen wirkte nahezu kindlich.
Mathew schob sein Glas zur Seite und legte seine Hände vor ihr auf den Tisch. „Was halten Sie davon, meine Liebe, wenn wir dieses Lokal verlassen und ich Ihnen an einem anderen, privateren Ort all das zeige und sage, was Sie wissen wollen?“
Anstatt einer verbalen Antwort stand sie auf, Mathew legte das Geld für sein Glas und das seines Freundes auf den Tisch und bot ihr wieder einen Arm an. „Lassen Sie uns den Hinterausgang nehmen, dort ist es wesentlich ruhiger als vorn.“ Manche Mädchen blieben lange vor der Tür stehen, bis weit nach Mitternacht, ohne Erfolg zu haben und doch an jedem Abend wieder. Er wusste nicht, ob er das bedauern oder bewundern sollte.
„Wenn Sie mir die Frage erlauben, gute Dame, wie ist Ihr Name?“
„Man nennt mich Raven“, antwortete sie nach einem Augenblick. „Ja, denken Sie denn, ich verrate völlig Fremden meinen echten Namen?“
Mathew öffnete die Hintertür und geleitete Raven nach draußen in eine schmale Gasse, die durch Müllcontainer, die für den Tagesbetrieb gebraucht wurden, in einer Richtung nicht zugänglich war. „Sie sind nicht dumm. Nun, mein Name ist Mathew und auch nicht mein wahrer.“ Allerdings gab es in der heutigen Zeit niemand mehr, der ihn anders nannte, seinen Geburtsnamen hatte er vor vielen Jahren abgelegt. Heutzutage wurde er hauptsächlich für Frauen verwendet, womit Anatolij und Jay ihn gern aufzogen.
Raven fröstelte und schmiegte sich an ihn, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass er wesentlich wärmer war als die Nacht, eher im Gegenteil. Er hielt es zudem für seltsam, dass sie ihm nicht ihren echten Namen verraten wollte, dafür aber nicht vor Körperkontakt zurückschreckte und ihm aus der Gesellschaft heraus in die Zweisamkeit folgte. Freilich stellte diese bestimmte Gesellschaft alles Andere als Sicherheit für sie dar.
Die Gasse führte etwas entfernt vom Edlen Tropfen wieder auf die Hauptstraße, die nur von wenigen Menschen frequentiert wurde. Man konnte die lauernde Mädchenmeute sehen, von der sich sowohl Mathew als auch Raven mit gerunzelter Stirn abwandten.
„Ich warne Sie vor, Raven. Dies ist Ihre letzte Möglichkeit, zu rennen, falls Sie es sich mit der Wahrheit und dem Nervenkitzel der Gefahr anders überlegt haben.“ Der Ton seiner Stimme irritierte ihn selbst, er schob das auf Halloween, die Nacht, in der man sich so etwas gönnen konnte. Henry pflegte zu sagen, dass Mathew sich nicht ewig verstellen konnte, dass er nicht die ganze Zeit über die Vernunft und Kontrolle bewahren konnte, und vielleicht hatte er recht. Vielleicht musste er sich hin und wieder gehen lassen.
Raven ließ von ihm ab, nur um sich genau vor ihn zu stellen und die Arme um seine Hüften zu legen. Ihre Ärmel rutschten nach oben und er spürte ihre Gänsehaut, die sowohl von der Kälte als auch von der Situation herrühren konnten. „Ich möchte bleiben“, hauchte sie. „Zeigen Sie mir alles.“
„Wie Sie wollen.“ Er hüllte sie in seinen Mantel und hielt sie fest, bevor er verschwand und in einem Waldstück etwas außerhalb der Stadt wieder auftauchte. Der Himmel über ihnen erschien durch die nur an wenigen Stellen aufgerissene Wolkendecke sternenarm und es wehte sachter Wind, der die trockenen Blätter in den Büschen und Bäumen rascheln ließ.
Raven knickte ein, überrascht von der Veränderung des Bodens unter ihren Füßen. Er musste sie festhalten und sie krallte sich in seinem Mantel fest. „Was …“, fragte sie mit erstickter Stimme.
Mathew lächelte schief. Es hatte ihn mehr angestrengt, als er erwartet hatte, schließlich kam es nur selten vor, dass er jemanden mitnahm. Das und ihr durch die Überraschung erhöhter Blutdruck verstärkten seinen Durst noch weiter und er merkte, wie er langsam die Kontrolle verlor. Schleichend, doch umso sicherer. Bestimmte Gedanken erschienen ihm nicht mehr gar so verwerflich, ihr Herzschlag nahm immer größeren Raum in seinem Kopf ein.
Auch das gehörte zur Wahrheit, die sie so sehr begehrte, doch war sie sich dessen bewusst?
„Die Dunkelheit gestattet mir, mich aufzulösen und in Dunkelheit wieder aufzutauchen, wie es mir beliebt.“ Er nahm ihre Hand von seinem Mantel weg und streichelte ihre Finger bis hin zu den schwarz lackierten Nägeln. „Das sind Fähigkeiten, von denen Sie nichts wussten, denn auch Ihr Wissen über uns stammt vor allem aus den romantisierten Vorstellungen junger Damen, ist es nicht so?“
Zuerst schaute sie auf seine Hand, dann hinauf in sein Gesicht. „Ich gebe es zu, doch ich bin ja hier, um das zu ändern.“ Sie lächelte verführerisch. „Erzählen Sie mir von sich. Von ihrem Leben und dem Leben nach Ihrem Tod.“
Er lachte leise. „Liebes Kind, das ist eine überaus lange und nicht minder traurige Geschichte, nichts für einen Abend wie diesen.“ Er wollte nicht daran denken, warum er hier war, er konnte es nicht, zum ersten Mal seit langer Zeit nahm ihn das Blut einer Lebenden so sehr ein, dass er sich nicht recht darauf konzentrieren konnte, dass die Bilder verblassten, ihr Lächeln ganz schwach wurde. Doch er wusste, es würde alles wiederkehren, sobald der Durst gestillt war. Zu diesem Zeitpunkt würde er sich auch dafür hassen, was gerade in ihm vorging.
Raven schürzte die Lippen. „Wie schade. Gibt es keine kurze Version?“
Mathew beugte sich ein Stück zu ihr nach vorn, doch nicht zu weit, um nicht noch mehr seiner Beherrschung zu verlieren. Allein, dass er mit ihr hier stand, war schon ein Schritt zu weit, doch noch konnte er zurück.
Konnte er?
„Eine kurze Version? Die würde der Geschichte nicht gerecht, denken Sie nicht? Details auslassen, die doch alle so wichtig sind. Aber wenn ich es ganz kurz fassen muss: Ich war ein Professor, vor Jahrhunderten, dann wurde ich zum Vampir für die Frau, die ich liebte. Doch sie wurde Opfer eines Jägers und ich floh aus England, meiner geliebten Heimat, kam in diese Stadt und begann ein neues Leben.“
„Leben“, wiederholte sie schwach lächelnd. „Das ist wirklich traurig. Und nun sind Sie hier so allein, selbst unter Ihresgleichen sind Sie allein, auch das habe ich gesehen.“ Sie strich mit den Fingern an seinem Kieferknochen entlang, er spürte das Blut durch die Kapillaren in ihren Fingerkuppen fließen.
„Ganz so ist es nicht.“ Seine Stimme zitterte, während er sich halb verzweifelt am letzten Fädchen der Beherrschung festklammerte. „Ich habe einige gute Freunde, unter Menschen wie Vampiren, ich bin nicht einsamer als jeder in dieser Stadt der Anonymität.“ Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie.
In ihrem Blick, in dem bisher nur Mitleid gelegen hatte, erschien noch etwas anderes. Wahrscheinlich spürte sie, wie verkrampft seine Hand war. „Dann ist es schön, wenn Sie jemanden haben, der Sie wirklich kennt. Ich habe so jemanden nicht, ich bin ganz allein, umgeben von Menschen, die mich nie verstehen würden, was in mir vorgeht. Sie sind blind für all das.“
„Blind lebt es sich leichter“, krächzte er und ohne es selbst recht zu merken, löste er ihre Finger von seinem Gesicht und biss ihr ins Handgelenk. Mit dem Geschmack ihres Bluts in seinem Mund brach der Damm vollends.
Raven schrie und die Lautstärke war zu viel für seine empfindlichen Ohren, er war für einen Moment irritiert, sodass sie Gelegenheit hatte, sich loszureißen und zu rennen. Doch das regte nur seinen Jagdinstinkt an, allzu leicht konnte er sie verfolge, er sah sie in der Finsternis, er hörte ihr Herz auch auf die kurze Entfernung, dazu kam die Blutspur, die sie hinterließ.
Nicht zuletzt war er um ein Vielfaches schneller als sie.
Mathew war nicht mehr er selbst, als er ihr nachsetzte, sie in wenigen Sekunden eingeholt hatte und ihr die Arme von hinten um die Taille schlang, wodurch sie, plötzlich angehalten, keuchend nach vorn ruckte.
„Hier hast du die Wahrheit, Kind, die ganze Wahrheit, wie du sie haben wolltest“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Und wie ich sehe, überwiegt auch bei dir die Angst, wo du doch die ganze Zeit so angetan warst von diesem Gedanken.“
Sie schluchzte und grub die Fingernägel in seine Arme, versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er ließ sie nicht. Was auch immer er bei Sonnenuntergang darüber denken würde, doch er hatte viel zu lang auf dieses Gefühl verzichtet, wehrlose Beute in den Händen zu halten, die süße Verzweiflung zu riechen. „Bitte …“, wimmerte sie.
„Hier ist noch eine Wahrheit für dich: Du weißt nichts. Du weißt gar nichts und wenn du auch nur einen Funken Verstand besessen hättest, wärst du niemals durch diese Tür gegangen, du hättest wissen müssen, was dich erwartet.“
Sie wimmerte immer jämmerlicher und die Kraft ging ihr wohl langsam aus, denn sie wehrte sich immer schwächer, nur die Tränen flossen weiter ungehindert und in ihrem Gesicht stand der Schmerz überdeutlich.
Langsam senkte er den Mund weg von ihrem Ohr hinunter zu ihrem Hals. „Am Ende hattest du genau dieselbe Vorstellung, verharmlost und romantisiert. Der einzige Unterschied zwischen mir und jedem anderen Vampir in der Bar ist gewesen, dass diese Seifenblase viel schneller geplatzt wäre, wärst du an jemand anderen geraten.“ Er hob sie hoch und ließ sich nicht von ihren strampelnden Beinen stören, die immer wieder seine Schienbeine trafen. Ihr Herzschlag in seinem Kopf war übermächtig geworden.
„Der einzige Unterschied zwischen dir und den anderen Mädchen vor der Tür“, hauchte er, bevor er die Zähne in ihren Hals schlug, „ist, dass deine Haare nicht schwarz gefärbt sind.“
"Siehst du die beiden Mädels, die am Tisch sitzen wie zwei frierende Spatzen auf einem Zweig? Siehst du, wie eng ihre Fäden verwoben sind?" - Die Fäden des Schicksals ~ ReaperRoadtrip
Immer.