Hallo Addi,
das ist mal ein Text, bei dem ich als erste Reaktion weniger den Text in Form und Gestaltung besprechen möchte, sondern den Inhalt an sich. Du beschreibst eine Situation, in der sich sicher viele wiederfinden und die gleichermaßen zermürbend, aussichtlos und langweilig ist: Bewerbungen zu schreiben. Hoffen, die richtigen Worte zu finden. Zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Aus der Masse herauszustechen. Wo ist der viel beschworene Fachkräftemangel, wenn man ihn mal braucht? (Berufsbedingte Einsicht: natürlich nicht bei den Akademikern.) Klagt nicht alle Welt über den demografischen Wandel? Wo sind denn die freien Jobs?
Und dann eine zweite Ebene, die du hier nicht besprichst (weil du örtlich kaum gebunden bist?): Wie schaffen es Leute, zwei Jobs in einem Ort, in einer Region zu finden? Zweimal das Glücksrad zu drehen und es an derselben Stelle zum Halten zu bringen? Ist unsere Generation, unsere Zeit so neu, so anders? Die Möglichkeiten sind so vielfältig, aber nie dort, wo man sie gerade bräuchte. Wie war das mit Generation Y, auf die sich Unternehmen einstellen müssen. Wenn sich Bewerber dann doch durch monatelange Verfahren zwängen müssen: Internettest, Assessment Center, Auswahlgespräch - und dann entscheidet doch die Nase im persönlichen Gespräch. So viel gesiebt und die anderen sind ja doch irgendwann genauso gut oder schlecht qualifiziert.
Aber: Dein Text behandelt nicht (nur) diese negativen Aspekte. Er schaut auch nach vorn, und das gefällt mir sehr gut: Was möchte ich eigentlich? Wer will ich werden? Plötzlich entscheiden Glück und Zufall doch ein ganz großes Stück darüber, was man anderen Leuten bald erzählen wird, wer man ist und was man tut for a living. Eine spannende Zeit mit so vielen Wegen, die möglich wären. Unsere Erwerbsbiographien sind ja auch nicht mehr klassisch, sondern es ist durchaus üblich, mal hier, mal dort drei, vier, fünf Jahre zu arbeiten. Und dann woanders. Das Spiel des Lebens, das Rad drehen, abwägen: Was bin ich, was könnte ich sein. Die Ungewissheit hat ja auch etwas Positives, etwas Kreatives. Und auch wenn dein abschließender Satz ganz anders klingt, nicht positiv, nicht kreativ, sondern eher deterministisch: Ich lese in deinen Text nicht nur Sorgen hinein.
So, das war jetzt wenig textlich und viel nur sachlich. Dein Text ist gut geschrieben, mir gefallen die Bildlichkeit, die knackigen Formulierungen, der leicht resignierende Unterton in Aussagen wie "Einmal Ich zum Sonderangebot."
Ein paar kleine Anmerkungen aber doch:
Ach, und nach dem Bindestrich habe ich sofort gelesen "das Herz verschließt sich und bleibt unentschlossen"
Würde "zerdenke mögliche Zukunftsversionen" aber streichen, das brauchst du nicht.
Gleiches gilt für das "zumindest"
Liebe Grüße & bis morgen!
Libertine
ps. Vllt kommen wir mal dazu, ich selbst hatte großes Glück nach meinem Studium, aber das dann mal persönlich
das ist mal ein Text, bei dem ich als erste Reaktion weniger den Text in Form und Gestaltung besprechen möchte, sondern den Inhalt an sich. Du beschreibst eine Situation, in der sich sicher viele wiederfinden und die gleichermaßen zermürbend, aussichtlos und langweilig ist: Bewerbungen zu schreiben. Hoffen, die richtigen Worte zu finden. Zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Aus der Masse herauszustechen. Wo ist der viel beschworene Fachkräftemangel, wenn man ihn mal braucht? (Berufsbedingte Einsicht: natürlich nicht bei den Akademikern.) Klagt nicht alle Welt über den demografischen Wandel? Wo sind denn die freien Jobs?
Und dann eine zweite Ebene, die du hier nicht besprichst (weil du örtlich kaum gebunden bist?): Wie schaffen es Leute, zwei Jobs in einem Ort, in einer Region zu finden? Zweimal das Glücksrad zu drehen und es an derselben Stelle zum Halten zu bringen? Ist unsere Generation, unsere Zeit so neu, so anders? Die Möglichkeiten sind so vielfältig, aber nie dort, wo man sie gerade bräuchte. Wie war das mit Generation Y, auf die sich Unternehmen einstellen müssen. Wenn sich Bewerber dann doch durch monatelange Verfahren zwängen müssen: Internettest, Assessment Center, Auswahlgespräch - und dann entscheidet doch die Nase im persönlichen Gespräch. So viel gesiebt und die anderen sind ja doch irgendwann genauso gut oder schlecht qualifiziert.
Aber: Dein Text behandelt nicht (nur) diese negativen Aspekte. Er schaut auch nach vorn, und das gefällt mir sehr gut: Was möchte ich eigentlich? Wer will ich werden? Plötzlich entscheiden Glück und Zufall doch ein ganz großes Stück darüber, was man anderen Leuten bald erzählen wird, wer man ist und was man tut for a living. Eine spannende Zeit mit so vielen Wegen, die möglich wären. Unsere Erwerbsbiographien sind ja auch nicht mehr klassisch, sondern es ist durchaus üblich, mal hier, mal dort drei, vier, fünf Jahre zu arbeiten. Und dann woanders. Das Spiel des Lebens, das Rad drehen, abwägen: Was bin ich, was könnte ich sein. Die Ungewissheit hat ja auch etwas Positives, etwas Kreatives. Und auch wenn dein abschließender Satz ganz anders klingt, nicht positiv, nicht kreativ, sondern eher deterministisch: Ich lese in deinen Text nicht nur Sorgen hinein.
So, das war jetzt wenig textlich und viel nur sachlich. Dein Text ist gut geschrieben, mir gefallen die Bildlichkeit, die knackigen Formulierungen, der leicht resignierende Unterton in Aussagen wie "Einmal Ich zum Sonderangebot."
Ein paar kleine Anmerkungen aber doch:
Zitat:Meine Augen wandern noch einmal über den Text, suchen nach mir in den Zeilen – das Herz ist unentschlossen wie so oft."mir" würde ich hervorheben, zB kursiv
Ach, und nach dem Bindestrich habe ich sofort gelesen "das Herz verschließt sich und bleibt unentschlossen"

Zitat:Aber die Agentur für Arbeit sitzt auf der Schulter, flüstert einem in Dauerschleife Eile ein.Hier würde ich perspektivisch beim "mir" bleiben
Zitat:Wo einst phantastische Welten aus dem Nichts erwuchsen, Drachen ihre Schatten über blühende Felder warfen und Trolle mit mächtigen Keulen Elfen niederwalzten, versuche ich nun, mich in drei Absätze zu quetschen.
Zitat:Acht bis zehn Stunden pro Tag an Spinnen, Spinnendrüsen und den Bestandteilen von Spinnenfäden forschen, um dann zu versuchen, die Ergebnisse in eine Form zu bringen, die veröffentlichungswürdig und damit in meinen Kreisen erst wirklich wertvoll ist.An beiden Stellen fände ich eine direkte Formulierung schöner, also kein "versuche, das und das zu tun", sondern "tue das und das" - es liest sich entschlossener, auch wenn die Unentschlossenheit zu deinem Text gehört. In der ersten Textstelle beschreibt es eine Tatsache "quetsche ich mich nun in drei Absätze", in der zweiten eine Qualifikation, die auf jeden Fall vorhanden ist: "um dann die Ergebnisse in eine Form zu bringen, die ..."
Zitat:Jeden Tag drehe ich das Rad, wäge das, was ich bin, gegen das, was ich sein könnte, und zerdenke mögliche Zukunftsversionen. Unendliche Ausführungen des Ichs – zumindest bis die Realität ihr Urteil fällt.Finde ich super, dieses Ende!
Würde "zerdenke mögliche Zukunftsversionen" aber streichen, das brauchst du nicht.
Gleiches gilt für das "zumindest"
Liebe Grüße & bis morgen!
Libertine
ps. Vllt kommen wir mal dazu, ich selbst hatte großes Glück nach meinem Studium, aber das dann mal persönlich

... und von den wundersamsten Wegen bleibt uns der Staub nur an den Schuhen. (Dota Kehr)
Avatar von Eddie Haspelmann
Avatar von Eddie Haspelmann