Manchmal enden diese schwarzen Löcher in meinem Kopf so schnell wie sie gekommen sind. Es ist ein gutes Jahr her, dass ich diese Tatsache das erste Mal beobachten konnte. Ich saß in meinem Zimmer, um zu lernen, hatte aber keine Konzentration. Ich sah noch die Schere und staunte Stunden später über die blutigen Löcher in meinem Unterarm. Wie das passiert ist, konnte ich wohl ahnen, aber eine Erinnerung war nicht vorhanden. Erst zwei Tage nach jenem Tag, abends im Bett, als ich mal wieder nicht schlafen konnte und das Gefühl hatte, dass die Decke meines Zimmers immer näher kommt, um mich zu erdrücken, kehrte sie zurück. Mit voller Wucht, und ich war mehr als schockiert, als ich plötzlich jenes Bild vor mir sah, in dem ich mit völlig ausdruckslosem Gesicht und starrem Blick die Schere in der Hand hatte und stumpfsinnig meinen eigenen Arm bearbeitete.
Erzählt habe ich es allerdings keinem. Wo hätte ich das auch tun sollen? Und vor allem wie, ohne dass mich die Person dann für verrückt erklärt hätte. Ich behielt es für mich, mein kleines Geheimnis. Dem andere folgten. Ich bin doch nicht verrückt. Ich doch nicht.
Geht's nicht mehr weiter, fette Sau?
Saskia, Vera. Nadine, die Maschin...und dann tauchen da vorne am Ende der Lichtung die Mörder auf!
Nein, weiter geht es jetzt nicht mehr, aber ganz vorbei ist es auch nicht. Ich wühle in meinem Rucksack, ohne zu wissen, was ich eigentlich suche. Die Hand scheint etwas zu ahnen, wovon der Kopf noch keine Ahnung hat. Dann aber spüre ich das kalte Metall an den Fingern, umklammere es und ziehe es mit einen Ruck heraus. Einer der Jäger steht da vorne und hält ein Megaphon in den Händen, in welches er irgendetwas spricht. Worte...meine Sprache, und doch wieder nicht. Das alles betrifft mich nicht. Die Mörder sind da. Und mich kriegen sie nicht kampflos.
Wumm! Das Teil, das ich hervor gekramt habe, ist eine Waffe, und sie liegt ziemlich schwer in meiner Hand. Wumm! Und ein drittes Wumm, und dieses Mal habe ich fast getroffen. Der Typ mit dem Megaphon flucht und stolpert rückwärts, und auch seine Begleiter ziehen sich zurück und gehen in Deckung. Und ich blicke staunend auf diesen ziemlich großen Revolver in meinen Händen.
Eine Waffe! Nein, nicht eine Waffe. Nicht irgendeine.
Papas Waffe! Papas alte Waffe aus ganz alten Stasizeiten. Sein Dienstrevolver!
Und dieses Mal hat diese merkwürdige Stimme recht. Das ist tatsächlich jene Waffe, die mein Vater immer wie einen Augapfel gehütet hat. Wie ein Relikt aus ganz fernen Zeiten, in denen die Welt zumindest scheinbar noch in Ordnung gewesen ist. Seiner Meinung nach! Wie kommt die in meinen Rucksack? Er wird sehr böse sein, wenn er erfährt, dass ich sie einfach genommen habe. Aber jetzt mus sich mich doch verteidigen gegen diese Mörder, von denen der eine schon wieder etwas zu mir herüber schreit. Dazu das Brummen des Hubschraubers.
Da sind Flecken auf Vaters Waffe, und sie sind nicht sehr alt. Frisch getrocknet würde ich sagen, obwohl er sie doch immer reinigt. Das ist Blut, getrocknetes Blut, und es scheint noch nicht sehr lange auf der Waffe zu sein. Und in jenem Moment kehrt die Erinnerung zurück, und sie tut es mit der Wucht, die meinen ganzen Körper zum Zittern bringt.
Saskia, Vera, Nadine – die drei. Meine drei. Aber was genau? Freundinnen sind sie nie gewesen, obwohl ich das in meiner Sehnsucht nach Anerkennung anfangs noch gehofft hatte. Das Zelten. Diese ganze Tour. Für mich eine Tortur. Immer wieder Spott und Hohn und Streiche auf meine Kosten. Das schrille Lachen der Anführerin und Vera als williges Werkzeug. Und Nadine, die auch mitmachte, obwohl ich gerade bei ihr auf etwas anderes gehofft hatte!
Habe ich sie deswegen als Erste erschossen? Oder wollte ich nur verhindern, dass sie als die sicher Stärkste versucht, sich zu wehren, wenn ich mit einer anderen beginne? Ich kann es nicht mehr sagen, aber plötzlich hatte ich diese Waffe in der Hand.
Und es hat Wumm gemacht!
Ja genau. Ich wollte das nicht. Aber dann lag da Nadine und ich wusste sofort, dass nichts mehr zu machen ist. Und dann schrie Vera. Sie lief nicht weg. Sie starrte mich einfach nur an und schrie. Es tat so weh in meinen Ohren. Das erneute Geräusch der abgefeuerten Waffe war eine Erlösung. Mehrmals. Dann bin ich aufgestanden. Saskia suchen. Unsere Königin. Die Anführerin. Saskia. Die mit den süßen Gesicht eines Engels und der Seele eines Teufels. Dann stand sie plötzlich vor mir. Gehetzt, geschockt und auch fragend, da sie die Schüsse gehört hat. Ich erinnere mich, dass sie sehr schnell begriffen hat. Merkwürdig war allerdings, dass sie nicht versuchte, in den Wald zu fliehen. Vielleicht hätte sie dann eine kleine Chance gehabt, denn mit meinem Gewicht hätte ich ihr nicht lange folgen können. Aber wahrscheinlich nicht, da ich sie sicher am Rücken erwischt hätte. Nein, die kleine süße Saskia ist völlig sinnlos in ihr Zelt geflohen. Als könnte das dünne Tuch mich und Vaters Waffe draußen lassen. Dabei hat sie einen Schuh verloren. Und jetzt weiß ich auch, warum ich ihr in den Kopf schießen musste – das Gesicht war einfach zu süß. Und sie war immer herzlos gewesen. Voller Spott und Arroganz. Ich weiß jetzt wieder, dass mich nach ihrem Tod die Neugier packte, ob sie überhaupt eines hat.
Ich lasse diese neue Erkenntnis auf mich wirken, aber es ist kein guter Zeitpunkt, mich mit dem Erinnern zu befassen. Denn plötzlich deckt mich ein Kugelhagel ein, und als ich zurück schießen möchte, prallt etwas Hartes gegen meine Schulter. Der Schmerz kommt erst Sekunden später und bohrt sich bis in meinen Arm. Ich schnappe nach Luft. Die Waffen schweigen.
Erneut höre ich die Stimme des Mannes mit dem Megaphon. Er spricht von der Polizei und dass alles umstellt sei. Und dass dies meine letzte Möglichkeit ist, aufzugeben. Es keinen Sinn mehr hätte.
Von welchem Sinn spricht diese Person? Von seinem oder meinem oder gar dem universellen des Lebens? Demütigung und Hass, Mobbing und Verletzungen und immer wieder Worte, die schärfer waren als jedes Schwert. Dachte ich daran, als ich die Waffe eingepackt habe? Ich habe so gehofft, dass diese Tour ein Neuanfang werden würde. Dass ich doch noch zu ihnen gehören würde. Ich habe doch sonst keinen auf der Welt! Aber es wurde stattdessen die Hölle mit Hohn und Spott. Keine Entspannung. Nirgends. Und keine Hoffnung. Ich wollte das nicht. Ich wollte das wirklich nicht!
Sei jetzt tapfer, Mädchen! Die fette Sau ist tot. Sie ist gestern schon gestorben, in jener Nacht, als die Waffe den Weg in deine Hände fand. Sei jetzt auch Du tapfer, nur dieses eine Mal noch!
Ja, sage ich zu mir selbst. Ich nehme die Waffe, die jetzt im Dreck liegt, in meinen gesunden linken Arm. Gleich wird es weh tun. Dann richte ich mich mühevoll auf, während mein Rücken protestiert und der Arm der getroffenen rechten Schulter nach unten hängt.
Ich grinse den Polizisten zu, bevor ich Vaters Waffe auf sie richte. Und dann wird es noch einmal richtig laut.
Erzählt habe ich es allerdings keinem. Wo hätte ich das auch tun sollen? Und vor allem wie, ohne dass mich die Person dann für verrückt erklärt hätte. Ich behielt es für mich, mein kleines Geheimnis. Dem andere folgten. Ich bin doch nicht verrückt. Ich doch nicht.
Geht's nicht mehr weiter, fette Sau?
Saskia, Vera. Nadine, die Maschin...und dann tauchen da vorne am Ende der Lichtung die Mörder auf!
Nein, weiter geht es jetzt nicht mehr, aber ganz vorbei ist es auch nicht. Ich wühle in meinem Rucksack, ohne zu wissen, was ich eigentlich suche. Die Hand scheint etwas zu ahnen, wovon der Kopf noch keine Ahnung hat. Dann aber spüre ich das kalte Metall an den Fingern, umklammere es und ziehe es mit einen Ruck heraus. Einer der Jäger steht da vorne und hält ein Megaphon in den Händen, in welches er irgendetwas spricht. Worte...meine Sprache, und doch wieder nicht. Das alles betrifft mich nicht. Die Mörder sind da. Und mich kriegen sie nicht kampflos.
Wumm! Das Teil, das ich hervor gekramt habe, ist eine Waffe, und sie liegt ziemlich schwer in meiner Hand. Wumm! Und ein drittes Wumm, und dieses Mal habe ich fast getroffen. Der Typ mit dem Megaphon flucht und stolpert rückwärts, und auch seine Begleiter ziehen sich zurück und gehen in Deckung. Und ich blicke staunend auf diesen ziemlich großen Revolver in meinen Händen.
Eine Waffe! Nein, nicht eine Waffe. Nicht irgendeine.
Papas Waffe! Papas alte Waffe aus ganz alten Stasizeiten. Sein Dienstrevolver!
Und dieses Mal hat diese merkwürdige Stimme recht. Das ist tatsächlich jene Waffe, die mein Vater immer wie einen Augapfel gehütet hat. Wie ein Relikt aus ganz fernen Zeiten, in denen die Welt zumindest scheinbar noch in Ordnung gewesen ist. Seiner Meinung nach! Wie kommt die in meinen Rucksack? Er wird sehr böse sein, wenn er erfährt, dass ich sie einfach genommen habe. Aber jetzt mus sich mich doch verteidigen gegen diese Mörder, von denen der eine schon wieder etwas zu mir herüber schreit. Dazu das Brummen des Hubschraubers.
Da sind Flecken auf Vaters Waffe, und sie sind nicht sehr alt. Frisch getrocknet würde ich sagen, obwohl er sie doch immer reinigt. Das ist Blut, getrocknetes Blut, und es scheint noch nicht sehr lange auf der Waffe zu sein. Und in jenem Moment kehrt die Erinnerung zurück, und sie tut es mit der Wucht, die meinen ganzen Körper zum Zittern bringt.
Saskia, Vera, Nadine – die drei. Meine drei. Aber was genau? Freundinnen sind sie nie gewesen, obwohl ich das in meiner Sehnsucht nach Anerkennung anfangs noch gehofft hatte. Das Zelten. Diese ganze Tour. Für mich eine Tortur. Immer wieder Spott und Hohn und Streiche auf meine Kosten. Das schrille Lachen der Anführerin und Vera als williges Werkzeug. Und Nadine, die auch mitmachte, obwohl ich gerade bei ihr auf etwas anderes gehofft hatte!
Habe ich sie deswegen als Erste erschossen? Oder wollte ich nur verhindern, dass sie als die sicher Stärkste versucht, sich zu wehren, wenn ich mit einer anderen beginne? Ich kann es nicht mehr sagen, aber plötzlich hatte ich diese Waffe in der Hand.
Und es hat Wumm gemacht!
Ja genau. Ich wollte das nicht. Aber dann lag da Nadine und ich wusste sofort, dass nichts mehr zu machen ist. Und dann schrie Vera. Sie lief nicht weg. Sie starrte mich einfach nur an und schrie. Es tat so weh in meinen Ohren. Das erneute Geräusch der abgefeuerten Waffe war eine Erlösung. Mehrmals. Dann bin ich aufgestanden. Saskia suchen. Unsere Königin. Die Anführerin. Saskia. Die mit den süßen Gesicht eines Engels und der Seele eines Teufels. Dann stand sie plötzlich vor mir. Gehetzt, geschockt und auch fragend, da sie die Schüsse gehört hat. Ich erinnere mich, dass sie sehr schnell begriffen hat. Merkwürdig war allerdings, dass sie nicht versuchte, in den Wald zu fliehen. Vielleicht hätte sie dann eine kleine Chance gehabt, denn mit meinem Gewicht hätte ich ihr nicht lange folgen können. Aber wahrscheinlich nicht, da ich sie sicher am Rücken erwischt hätte. Nein, die kleine süße Saskia ist völlig sinnlos in ihr Zelt geflohen. Als könnte das dünne Tuch mich und Vaters Waffe draußen lassen. Dabei hat sie einen Schuh verloren. Und jetzt weiß ich auch, warum ich ihr in den Kopf schießen musste – das Gesicht war einfach zu süß. Und sie war immer herzlos gewesen. Voller Spott und Arroganz. Ich weiß jetzt wieder, dass mich nach ihrem Tod die Neugier packte, ob sie überhaupt eines hat.
Ich lasse diese neue Erkenntnis auf mich wirken, aber es ist kein guter Zeitpunkt, mich mit dem Erinnern zu befassen. Denn plötzlich deckt mich ein Kugelhagel ein, und als ich zurück schießen möchte, prallt etwas Hartes gegen meine Schulter. Der Schmerz kommt erst Sekunden später und bohrt sich bis in meinen Arm. Ich schnappe nach Luft. Die Waffen schweigen.
Erneut höre ich die Stimme des Mannes mit dem Megaphon. Er spricht von der Polizei und dass alles umstellt sei. Und dass dies meine letzte Möglichkeit ist, aufzugeben. Es keinen Sinn mehr hätte.
Von welchem Sinn spricht diese Person? Von seinem oder meinem oder gar dem universellen des Lebens? Demütigung und Hass, Mobbing und Verletzungen und immer wieder Worte, die schärfer waren als jedes Schwert. Dachte ich daran, als ich die Waffe eingepackt habe? Ich habe so gehofft, dass diese Tour ein Neuanfang werden würde. Dass ich doch noch zu ihnen gehören würde. Ich habe doch sonst keinen auf der Welt! Aber es wurde stattdessen die Hölle mit Hohn und Spott. Keine Entspannung. Nirgends. Und keine Hoffnung. Ich wollte das nicht. Ich wollte das wirklich nicht!
Sei jetzt tapfer, Mädchen! Die fette Sau ist tot. Sie ist gestern schon gestorben, in jener Nacht, als die Waffe den Weg in deine Hände fand. Sei jetzt auch Du tapfer, nur dieses eine Mal noch!
Ja, sage ich zu mir selbst. Ich nehme die Waffe, die jetzt im Dreck liegt, in meinen gesunden linken Arm. Gleich wird es weh tun. Dann richte ich mich mühevoll auf, während mein Rücken protestiert und der Arm der getroffenen rechten Schulter nach unten hängt.
Ich grinse den Polizisten zu, bevor ich Vaters Waffe auf sie richte. Und dann wird es noch einmal richtig laut.