Katie war auf dem bequemen Diwan eingenickt. Romeo und Julia ruhten aufgeschlagen auf ihrer Brust, als Sina aus ihrem Schlummer erwachte.
Sie hatte schon einige Zeit fernab ihres eigentlichen Zuhauses verbracht und so gezwungenermaßen einige Nächte unter den Sternen geschlafen. Doch der Himmel hatte ihr wie aus dem Nichts einen Engel geschickt, der jetzt mit gelöstem Haar, das im Licht der Öllampe kastanienbraun schimmerte, vor ihr auf dem Diwan lag.
Diese Katie schien doch jünger zu sein, als Sina ursprünglich angenommen hatte und im Beisein des Kapitäns spielte sie die Rolle der gewissenhaften Gouvernante fast ein wenig zu perfekt. Sina grinste und beugte sich über ihre neue Freundin, als sie plötzlich stutzte. Dicke Schweißperlen standen auf Katies Stirn und auch von der Oberlippe troff ein kleiner Rinnsal. Behutsam fühlte Sina den Puls am Handgelenk, einmal hatte sie gesehen, wie ihre richtige Gouvernante das bei einem kranken Kind getan hatte. Katies Herz schlug schnell, auch wenn der Schlag nur schwach zu spüren war.
„Katie! Katie“, angsterfüllt rüttelte Sina die Freundin an der Schulter. „Katie, wach doch auf. Bitte!“
Ihr schriller Schrei ließ die Angesprochene kurz die Augenlider anheben.
„Was ist denn?“, murmelte sie wie aus weiter Ferne und drehte sich auf die Seite. Romeo stach noch im Ausschnitt ihres Kleides, während Julia schon halb über dem Rand des Sofas hing.
„Du musst aufwachen“, Sinas Stimme wurde zunehmend panischer. Sie rüttelte Katie fest an der Schulter. Mit einem spitzen Schmerzensschrei fuhr Katie von ihrer Schlafstatt hoch. Romeo und Julia fielen mit einem dumpfen Poltern zu Boden. Stöhnend ließ sich Katie auf das Kanapee sinken, die Augen halb geschlossen. Ihre aufgesprungenen Lippen bewegten sich, doch kam nur ein heiseres Seufzen aus ihrem Mund.
„Du glühst vor Fieber“, Sinas Unterlippe zitterte vor Aufregung.
Mit großer Anstrengung konnte Katie die Augen so weit öffnen, dass sie der Freundin einen kurzen Blick schenkte. „Was ist geschehen?“, flüsterte sie. „Arrrgh, mein Rücken.“
Sachte half Sina ihrer Freundin sich auf das Bett zu legen und das Kleid abzustreifen. Auf dem Rücken hatte der Stoff schon große dunkle Flecken gebildet, die nicht nur vom Schweiß stammten. Mit flinken Fingern öffnete das Mädchen Katies Mieder und wollte der Freundin gerade das Unterhemd abstreifen, doch schien der dünne Stoff wie angeklebt auf der Haut. Die Kranke schrie gellend auf, kaum dass die Hände ihren Rücken berührten.
„Oh, mein Gott“, Sina schlug sich die Hand vor den Mund und unterdrückte ein entsetztes Aufschluchzen. „Was ist mit dir geschehen?“
Katie stützte sich halb auf die Unterarme und wandte Sina das Gesicht zu, das von ihrem offenen Haar verdeckt wurde. „Das war das Abschiedsgeschenk der Mutter Oberin, als ich das Kloster verließ.“ Sie lachte bitter auf und schrie gleich noch einmal vor Schmerz. „Den Rohrstock als Gegenleistung für die Mitgift einer ungehorsamen Klosterschülerin.“
Sina sprang vom Bett. Für wenigstens einen Augenblick wollte sie Abstand halten, zu den Grausamkeiten einer Nonne. „Wo finde ich eine Schere? Ich werde dein Unterkleid wohl in Stücke schneiden müssen.“ Zwanghaft vermied sie den Blick auf die blutunterlaufenen Striemen, die der Rohrstock auf Katies weißer Haut hinterlassen hatte.
„In meiner Tasche“, stöhnte Katie und ließ sich auf die Federkissen sinken. In ihrem Kopf dröhnte es und ihr Körper schien nur noch aus Flammen zu bestehen. Die Glieder wurden wohlig schwer und sie hatte nur noch den einen Wunsch, sich dieser trügerischen Entspannung in Kissen und Federbett hinzugeben.
Sina schnitt schon eifrig das weiße Unterkleid entzwei. Das Metall der Schere brannte wie Eis auf Katies fieberheißer Haut.
Der Stoff fiel in langen Streifen zu Boden, in Katies Ohren grollte das Schnipp-Schnapp wie Donner durch Watte. Mit aller Kraft zwang sie ihren Geist, bei ihr zu bleiben. Eine Ohnmacht hätte den sicheren Tod bedeuten können.
„Wir brauchen heißes Wasser, so viel wie möglich.“ Ihre Stimme war so leise, dass Sina ihr Ohr ganz nah an Katies Mund bringen musste, um sie zu verstehen.
„Die Wunden haben sich entzündet. Du musst sie mit heißen Wasser auswaschen.“ Trotz des Fiebers arbeitete ihr Verstand immer noch präzise wie ein Uhrwerk, obwohl sie das Gefühl hatte, Geist und Körper hätten sich getrennt. Sie schwebte förmlich über dem Bett und sah sich und Sina von oben herab zu.
„In meiner Tasche sind verschiedene Tinkturen, damit reibst du die Wunden ein, wenn du sie gesäubert hast.“
„Welche soll ich denn nehmen?“, fragte Sina schüchtern und ängstlich. In der Heilkunst war sie kaum bewandert. Als Kind hatte sie ihrer Puppe einmal den Arm verbunden, nur um festzustellen, dass Ärztin für sie als Beruf nicht in Frage kam und sie doch lieber Pirat werden wollte. Diesen Entschluss hatte sie schon im zarten Alter von sieben gefasst.
„Du kannst alle nehmen“, antwortete Katie mit letzter Kraft, bevor sie in die Kissen sank und ihr Bewusstsein in eine gnädigere Welt ohne Fieber und Schmerzen glitt.
Wilde Träume hielten sie gefangen, von endlosen Weiten und Geschöpfen mit langen schwarzen Haaren. Die halb Mensch und halb Pferd zu sein schienen. Einer wandte ihr sein blau bemaltes Gesicht zu und es war, als würden seine kohlschwarzen Augen direkt in ihre Seele blicken.
Sie erwachte mit einem Schlag. Der Rücken brannte noch immer teuflisch, doch das Fieber war gesunken und sie nahm ihre Umgebung deutlich wahr. Die Bewegungen des Schiffs auf hoher See spürte sie kaum mehr als das sanfte Wiegen eines Kinderbettchens. Auf dem Sofa, die Beine angezogen und den Kopf auf die Unterarme gelegt, lag Sina. Ihre tiefen, gleichmäßigen Atemzüge verrieten, dass sie fest schlief. Die Morgensonne strahlte in die großzügige Kajüte und ließ das Haar des Mädchens in einem warmen Goldton erstrahlen. Katie schlug die schwere Bettdecke zur Seite und ließ den Blick durch den Raum gleiten. Kleidung lag unordentlich verstreut auf dem Boden oder hing über den Stühlen. Teller mit Essensresten standen auf dem Tisch. Im Raum hing ein Geruch von Krankheit, ungelüftetem Zimmer und Medizin.
Hier muss dringend frische Luft rein, dachte Katie und schwang die Beine aus dem Bett. Augenblicklich begann es in ihrem Kopf zu drehen und der Schwindel warf sie rücklings aufs Bett zurück. Ein gequältes „Uff“, entwich aus ihrem Mund. Überrascht stellte sie fest, dass es ihrem Rücken deutlich besser ging. Bei ihrer letzten Erinnerung, die sie hatte, hätte sie selbst bei diesem kleinen, weichen Fall laut aufgeschrien. Das Kind musste sie während ihrer Bewusstlosigkeit aufopferungsvoll gepflegt haben. Nur wie lange war sie bewusstlos gewesen? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die kleine Uhr neben dem Bett zeigte zehn Uhr an.
Sina bewegte sich im Schlaf und suchte auf dem schmalen Sofa eine bequemere Position zu erlangen. Katie lächelte liebevoll. Die Kleine war ihr richtig ans Herz gewachsen.
Katie schalt sich selbst im Stillen. So klein war Sina auch nicht mehr. Lediglich gut zwei Jahre trennten die beiden voneinander. Sie war vor einer arrangierten Ehe davon gelaufen. Katie seufzte leise und machte einen erneuten Versuch, die drückende Wärme des Krankenlagers zu verlassen.
Ihr Magen knurrte laut und forderte sein Recht. Ein gutes Zeichen. Vorsichtig setzte sie sich auf und stützte den Kopf mit den Händen, bis das Schwindelgefühl nachließ, dann drehte sich in der Hüfte. Sie blickte an sich herunter. Sina hatte es irgendwie geschafft, ihr ein reines Nachthemd anzuziehen, während das Kleidchen des Mädchens aussah, als hätte es Tage und Nächte darin zugebracht.
Katie probierte, ob ihre Füße sie trugen. Ihre Knie fühlten sich wie Pudding an, um ein Haar wäre sie wieder gestürzt, konnte sich aber im letzten Moment an dem massiven Pfosten des großen Himmelbettes festhalten.
Sina erwachte und gähnte. „Bist du wach?“, fragte sie schlaftrunken. Katie nickte nur, während sie sich bemühte, die Gewalt über ihren Körper, der sich anfühlte, als habe man altbackenes Brot in Milch aufgeweicht, zurück zu bekommen. „Wie lange war ich bewusstlos?“
Sina, die sich noch halb im Reich ihrer Träume befand, hatte natürlich keine Antwort erwartet und so war sie mit einem Schlag hellwach. Sie sprang auf die Füße und stieß sich schmerzhaft das Knie an einer niedrigen Kommode. „Autsch!“, jammerte sie. Katie bemerkte die verheilende Brandblase an der Hand des Mädchens. Eine Verletzung, die es bei ihrem ersten Zusammentreffen noch nicht gehabt hatte. Sina streckte die steifen Muskeln. „Über vier Tage warst du ohne Besinnung. Als wir in Irland anlegten, fragte mich der Kapitän nach meiner Gouvernante.“
Augenblicklich schlug Katies Herz ein paar Takte schneller. Was sie getan hatte. Sina auf dieses Schiff zu bringen und einfach mit nach Amerika zu nehmen, wurde von Rechtsgelehrten gemeinhin als Kindesentführung bezeichnet, so lange Sina noch nicht einundzwanzig Jahre zählte und die hatte noch nicht einmal Katie.
„Was hast du ihm geantwortet?“, fragte sie bange und fand, ihre Stimme gliche der eines heiseren Raben.
Sina grinste lausbübisch. „Habe ihm erzählt, dass du immer seekrank wirst und die ersten Tage in deinem Quartier bleibst, wenn wir Daddy besuchen gehen.“ Sie lachte auf und tippte sich an die Stirn. „Ich bin ja nicht dumm.“
„Daddy? Seekrank?“ Katie ließ sich schwer auf dem Bett nieder. In ihrem Kopf begann sich erneut, ein Karussell zu drehen. Im Magen machte sich das flaue Gefühl breiter und diesmal nicht nur vom Hunger.
„Natürlich. Ich habe dem Herrn Kapitän erzählt, dass wir diese Reise öfter unternehmen, weil mein Vater viel geschäftlich in den Vereinigten Staaten ist und wir ihn dann besuchen gehen.“
Katie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Und das hat er dir so einfach geglaubt?“
„Er ist sehr angetan von dir, der Herr Kapitän“, grinste Sina und setzte sich zu Katie aufs Bett. „Am liebsten hätte er dich persönlich gepflegt.“
„Na, das hätte mir gerade noch gefehlt“, brummte Katie. Ihr war so schwach geworden, dass sie die Seekranke sehr überzeugend spielen konnte, sollte es darauf ankommen.
„Das Glück war auf meiner Seite. Er ist noch relativ neu, erst seine zweite Fahrt und bei so vielen Passagieren kann er ja unmöglich sagen, wer diese Fahrt regelmäßig macht oder nicht“, unbekümmert zuckte Sina mit den Achseln. „Auf jeden Fall gehe ich lieber als blinder Passagier über Bord, als nach Hause zurück.“
Ihr Blick fiel auf Katie, die sich kaum noch aufrecht halten konnte, alle Kraft hatte sie verlassen. Liebevoll half Sina ihr auf das Federbett zurück.
„Du bleibst besser noch ein oder zwei Tage im Bett, bis du wieder vollständig genesen bist. Ich habe ja alles im Griff.“
Katie machte eine weitreichende Handbewegung. „Ich sehe es. Das ist ein Saustall hier, der dringend aufgeräumt gehört.“ Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Der Ordnungssinn, den die Nonnen im Pensionat ihr über die Jahre förmlich eingeprügelt hatten, ging mal wieder mit ihr durch.
Verlegen legte Sina einen Finger an den Mundwinkel. „Ich räume alles sofort auf“, versprach sie kleinlaut.
3. Teil
Sie hatte schon einige Zeit fernab ihres eigentlichen Zuhauses verbracht und so gezwungenermaßen einige Nächte unter den Sternen geschlafen. Doch der Himmel hatte ihr wie aus dem Nichts einen Engel geschickt, der jetzt mit gelöstem Haar, das im Licht der Öllampe kastanienbraun schimmerte, vor ihr auf dem Diwan lag.
Diese Katie schien doch jünger zu sein, als Sina ursprünglich angenommen hatte und im Beisein des Kapitäns spielte sie die Rolle der gewissenhaften Gouvernante fast ein wenig zu perfekt. Sina grinste und beugte sich über ihre neue Freundin, als sie plötzlich stutzte. Dicke Schweißperlen standen auf Katies Stirn und auch von der Oberlippe troff ein kleiner Rinnsal. Behutsam fühlte Sina den Puls am Handgelenk, einmal hatte sie gesehen, wie ihre richtige Gouvernante das bei einem kranken Kind getan hatte. Katies Herz schlug schnell, auch wenn der Schlag nur schwach zu spüren war.
„Katie! Katie“, angsterfüllt rüttelte Sina die Freundin an der Schulter. „Katie, wach doch auf. Bitte!“
Ihr schriller Schrei ließ die Angesprochene kurz die Augenlider anheben.
„Was ist denn?“, murmelte sie wie aus weiter Ferne und drehte sich auf die Seite. Romeo stach noch im Ausschnitt ihres Kleides, während Julia schon halb über dem Rand des Sofas hing.
„Du musst aufwachen“, Sinas Stimme wurde zunehmend panischer. Sie rüttelte Katie fest an der Schulter. Mit einem spitzen Schmerzensschrei fuhr Katie von ihrer Schlafstatt hoch. Romeo und Julia fielen mit einem dumpfen Poltern zu Boden. Stöhnend ließ sich Katie auf das Kanapee sinken, die Augen halb geschlossen. Ihre aufgesprungenen Lippen bewegten sich, doch kam nur ein heiseres Seufzen aus ihrem Mund.
„Du glühst vor Fieber“, Sinas Unterlippe zitterte vor Aufregung.
Mit großer Anstrengung konnte Katie die Augen so weit öffnen, dass sie der Freundin einen kurzen Blick schenkte. „Was ist geschehen?“, flüsterte sie. „Arrrgh, mein Rücken.“
Sachte half Sina ihrer Freundin sich auf das Bett zu legen und das Kleid abzustreifen. Auf dem Rücken hatte der Stoff schon große dunkle Flecken gebildet, die nicht nur vom Schweiß stammten. Mit flinken Fingern öffnete das Mädchen Katies Mieder und wollte der Freundin gerade das Unterhemd abstreifen, doch schien der dünne Stoff wie angeklebt auf der Haut. Die Kranke schrie gellend auf, kaum dass die Hände ihren Rücken berührten.
„Oh, mein Gott“, Sina schlug sich die Hand vor den Mund und unterdrückte ein entsetztes Aufschluchzen. „Was ist mit dir geschehen?“
Katie stützte sich halb auf die Unterarme und wandte Sina das Gesicht zu, das von ihrem offenen Haar verdeckt wurde. „Das war das Abschiedsgeschenk der Mutter Oberin, als ich das Kloster verließ.“ Sie lachte bitter auf und schrie gleich noch einmal vor Schmerz. „Den Rohrstock als Gegenleistung für die Mitgift einer ungehorsamen Klosterschülerin.“
Sina sprang vom Bett. Für wenigstens einen Augenblick wollte sie Abstand halten, zu den Grausamkeiten einer Nonne. „Wo finde ich eine Schere? Ich werde dein Unterkleid wohl in Stücke schneiden müssen.“ Zwanghaft vermied sie den Blick auf die blutunterlaufenen Striemen, die der Rohrstock auf Katies weißer Haut hinterlassen hatte.
„In meiner Tasche“, stöhnte Katie und ließ sich auf die Federkissen sinken. In ihrem Kopf dröhnte es und ihr Körper schien nur noch aus Flammen zu bestehen. Die Glieder wurden wohlig schwer und sie hatte nur noch den einen Wunsch, sich dieser trügerischen Entspannung in Kissen und Federbett hinzugeben.
Sina schnitt schon eifrig das weiße Unterkleid entzwei. Das Metall der Schere brannte wie Eis auf Katies fieberheißer Haut.
Der Stoff fiel in langen Streifen zu Boden, in Katies Ohren grollte das Schnipp-Schnapp wie Donner durch Watte. Mit aller Kraft zwang sie ihren Geist, bei ihr zu bleiben. Eine Ohnmacht hätte den sicheren Tod bedeuten können.
„Wir brauchen heißes Wasser, so viel wie möglich.“ Ihre Stimme war so leise, dass Sina ihr Ohr ganz nah an Katies Mund bringen musste, um sie zu verstehen.
„Die Wunden haben sich entzündet. Du musst sie mit heißen Wasser auswaschen.“ Trotz des Fiebers arbeitete ihr Verstand immer noch präzise wie ein Uhrwerk, obwohl sie das Gefühl hatte, Geist und Körper hätten sich getrennt. Sie schwebte förmlich über dem Bett und sah sich und Sina von oben herab zu.
„In meiner Tasche sind verschiedene Tinkturen, damit reibst du die Wunden ein, wenn du sie gesäubert hast.“
„Welche soll ich denn nehmen?“, fragte Sina schüchtern und ängstlich. In der Heilkunst war sie kaum bewandert. Als Kind hatte sie ihrer Puppe einmal den Arm verbunden, nur um festzustellen, dass Ärztin für sie als Beruf nicht in Frage kam und sie doch lieber Pirat werden wollte. Diesen Entschluss hatte sie schon im zarten Alter von sieben gefasst.
„Du kannst alle nehmen“, antwortete Katie mit letzter Kraft, bevor sie in die Kissen sank und ihr Bewusstsein in eine gnädigere Welt ohne Fieber und Schmerzen glitt.
Wilde Träume hielten sie gefangen, von endlosen Weiten und Geschöpfen mit langen schwarzen Haaren. Die halb Mensch und halb Pferd zu sein schienen. Einer wandte ihr sein blau bemaltes Gesicht zu und es war, als würden seine kohlschwarzen Augen direkt in ihre Seele blicken.
Sie erwachte mit einem Schlag. Der Rücken brannte noch immer teuflisch, doch das Fieber war gesunken und sie nahm ihre Umgebung deutlich wahr. Die Bewegungen des Schiffs auf hoher See spürte sie kaum mehr als das sanfte Wiegen eines Kinderbettchens. Auf dem Sofa, die Beine angezogen und den Kopf auf die Unterarme gelegt, lag Sina. Ihre tiefen, gleichmäßigen Atemzüge verrieten, dass sie fest schlief. Die Morgensonne strahlte in die großzügige Kajüte und ließ das Haar des Mädchens in einem warmen Goldton erstrahlen. Katie schlug die schwere Bettdecke zur Seite und ließ den Blick durch den Raum gleiten. Kleidung lag unordentlich verstreut auf dem Boden oder hing über den Stühlen. Teller mit Essensresten standen auf dem Tisch. Im Raum hing ein Geruch von Krankheit, ungelüftetem Zimmer und Medizin.
Hier muss dringend frische Luft rein, dachte Katie und schwang die Beine aus dem Bett. Augenblicklich begann es in ihrem Kopf zu drehen und der Schwindel warf sie rücklings aufs Bett zurück. Ein gequältes „Uff“, entwich aus ihrem Mund. Überrascht stellte sie fest, dass es ihrem Rücken deutlich besser ging. Bei ihrer letzten Erinnerung, die sie hatte, hätte sie selbst bei diesem kleinen, weichen Fall laut aufgeschrien. Das Kind musste sie während ihrer Bewusstlosigkeit aufopferungsvoll gepflegt haben. Nur wie lange war sie bewusstlos gewesen? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die kleine Uhr neben dem Bett zeigte zehn Uhr an.
Sina bewegte sich im Schlaf und suchte auf dem schmalen Sofa eine bequemere Position zu erlangen. Katie lächelte liebevoll. Die Kleine war ihr richtig ans Herz gewachsen.
Katie schalt sich selbst im Stillen. So klein war Sina auch nicht mehr. Lediglich gut zwei Jahre trennten die beiden voneinander. Sie war vor einer arrangierten Ehe davon gelaufen. Katie seufzte leise und machte einen erneuten Versuch, die drückende Wärme des Krankenlagers zu verlassen.
Ihr Magen knurrte laut und forderte sein Recht. Ein gutes Zeichen. Vorsichtig setzte sie sich auf und stützte den Kopf mit den Händen, bis das Schwindelgefühl nachließ, dann drehte sich in der Hüfte. Sie blickte an sich herunter. Sina hatte es irgendwie geschafft, ihr ein reines Nachthemd anzuziehen, während das Kleidchen des Mädchens aussah, als hätte es Tage und Nächte darin zugebracht.
Katie probierte, ob ihre Füße sie trugen. Ihre Knie fühlten sich wie Pudding an, um ein Haar wäre sie wieder gestürzt, konnte sich aber im letzten Moment an dem massiven Pfosten des großen Himmelbettes festhalten.
Sina erwachte und gähnte. „Bist du wach?“, fragte sie schlaftrunken. Katie nickte nur, während sie sich bemühte, die Gewalt über ihren Körper, der sich anfühlte, als habe man altbackenes Brot in Milch aufgeweicht, zurück zu bekommen. „Wie lange war ich bewusstlos?“
Sina, die sich noch halb im Reich ihrer Träume befand, hatte natürlich keine Antwort erwartet und so war sie mit einem Schlag hellwach. Sie sprang auf die Füße und stieß sich schmerzhaft das Knie an einer niedrigen Kommode. „Autsch!“, jammerte sie. Katie bemerkte die verheilende Brandblase an der Hand des Mädchens. Eine Verletzung, die es bei ihrem ersten Zusammentreffen noch nicht gehabt hatte. Sina streckte die steifen Muskeln. „Über vier Tage warst du ohne Besinnung. Als wir in Irland anlegten, fragte mich der Kapitän nach meiner Gouvernante.“
Augenblicklich schlug Katies Herz ein paar Takte schneller. Was sie getan hatte. Sina auf dieses Schiff zu bringen und einfach mit nach Amerika zu nehmen, wurde von Rechtsgelehrten gemeinhin als Kindesentführung bezeichnet, so lange Sina noch nicht einundzwanzig Jahre zählte und die hatte noch nicht einmal Katie.
„Was hast du ihm geantwortet?“, fragte sie bange und fand, ihre Stimme gliche der eines heiseren Raben.
Sina grinste lausbübisch. „Habe ihm erzählt, dass du immer seekrank wirst und die ersten Tage in deinem Quartier bleibst, wenn wir Daddy besuchen gehen.“ Sie lachte auf und tippte sich an die Stirn. „Ich bin ja nicht dumm.“
„Daddy? Seekrank?“ Katie ließ sich schwer auf dem Bett nieder. In ihrem Kopf begann sich erneut, ein Karussell zu drehen. Im Magen machte sich das flaue Gefühl breiter und diesmal nicht nur vom Hunger.
„Natürlich. Ich habe dem Herrn Kapitän erzählt, dass wir diese Reise öfter unternehmen, weil mein Vater viel geschäftlich in den Vereinigten Staaten ist und wir ihn dann besuchen gehen.“
Katie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Und das hat er dir so einfach geglaubt?“
„Er ist sehr angetan von dir, der Herr Kapitän“, grinste Sina und setzte sich zu Katie aufs Bett. „Am liebsten hätte er dich persönlich gepflegt.“
„Na, das hätte mir gerade noch gefehlt“, brummte Katie. Ihr war so schwach geworden, dass sie die Seekranke sehr überzeugend spielen konnte, sollte es darauf ankommen.
„Das Glück war auf meiner Seite. Er ist noch relativ neu, erst seine zweite Fahrt und bei so vielen Passagieren kann er ja unmöglich sagen, wer diese Fahrt regelmäßig macht oder nicht“, unbekümmert zuckte Sina mit den Achseln. „Auf jeden Fall gehe ich lieber als blinder Passagier über Bord, als nach Hause zurück.“
Ihr Blick fiel auf Katie, die sich kaum noch aufrecht halten konnte, alle Kraft hatte sie verlassen. Liebevoll half Sina ihr auf das Federbett zurück.
„Du bleibst besser noch ein oder zwei Tage im Bett, bis du wieder vollständig genesen bist. Ich habe ja alles im Griff.“
Katie machte eine weitreichende Handbewegung. „Ich sehe es. Das ist ein Saustall hier, der dringend aufgeräumt gehört.“ Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Der Ordnungssinn, den die Nonnen im Pensionat ihr über die Jahre förmlich eingeprügelt hatten, ging mal wieder mit ihr durch.
Verlegen legte Sina einen Finger an den Mundwinkel. „Ich räume alles sofort auf“, versprach sie kleinlaut.
3. Teil