Hab ein bisschen weitergeschrieben - leider immer noch ohne Titel ...
----------------------------------
Das Flimmerlicht des Fernsehers brannte in seinen Augen. Bilder eines Anschlags in Tokyo, Überschwemmungen im Süden und das grinsende Gesicht eines Politikers, das die Wertlosigkeit seiner Worte übertünchen sollte. Die Nachrichten flackerten durch Reds Bewusstsein, interessierten ihn kaum. Er war komplett im Arsch. Todmüde und ein bisschen high von den Schmerzmitteln. So ein komischer Typ mit zu vielen Zähnen hatte sein Bein zusammengeflickt. Ein Bekannter von Wave, der für sein Schweigen das Doppelte berechnet hatte. Für die KI aber kein Problem. Sie hatte Red mit ihren pinken Augen nur schief angesehen und gemeint, dass Geld nur ein Mittel zum Zweck sei. Neue Identitäten hatte sie auch besorgt. Ganz schön viel kriminelle Energie, dafür, dass sie die Guten waren.
Nun saßen sie zu dritt in einer Designersuite im sündhaft teuren Morning Star. Im Kern. Die spiegelnden Oberflächen und das allgegenwärtige, goldene Licht verstärkten das schummrige Gefühl in seinem Schädel. Vor der getönten Fassade tanzten Werbehologramme in einer viel zu hellen Nacht. Träge ließ Red den Kopf sinken, blickte kurz zur Seite, wo Maze und Wave wie ein verdammtes Liebespaar auf dem Sofa saßen. Ihr hübscher Androidenkopf an seine Schulter gelehnt. Nur die seltsam dicken Glasfaserschlangen zwischen ihnen erinnerten daran, dass Wave gerade mit Phage sprach.
Was quatschen die so lange? Es gefiel ihm nicht, dass die beiden so eng beieinander saßen. Auch wenn Wave ihm erklärt hatte, dass sie die Motorik ihres Androidenkörpers in Stand-By versetzen würde, wenn sie sich mit Phage verband. Offenbar vertraute sie Maze – oder der KI in seinem Kopf. Warum waren sie dann am Hafen ins offene Messer gerannt? Red wollte Antworten, aber seine Gedanken waren ein Trümmerfeld. Seit Liz ihm davongelaufen war, war alles den Bach runtergegangen. Einzig seine Sehnsucht nach Rache hielt ihn aufrecht.
Und Maze. Dieses irre Kribbeln, das ihm bis in die Haarspitzen schoss, wenn der Wirehead ihn schief angrinste. Fuck, er macht dich fertig. Aber was, wenn er mit offenen Augen in einen Abgrund stolperte? Er kannte den Kerl kaum. Bist du nicht längst am Boden der Wirklichkeit zerschellt, Red?
Er musste weggedämmert sein, denn als er abermals Maze anschauen wollte, sah er nur die kleine Androidin auf dem anthrazitfarbenen Sofa. Sie fummelte an ihrer wasserblauen Perücke herum und lächelte, als sie bemerkte, dass er sie ansah. „Gut geschlafen?“
„Wo ist Maze?“
„Im Bett.“
Vielleicht sollte er sich zu ihm gesellen. Vielleicht sollte er aber auch die Chance nutzen, mit dieser seltsamen KI allein zu sprechen. Herausfinden, was sie vorhatte. Und was sich hinter ihren pinken Augen verbarg, die ihn aufmerksam betrachteten. Da war so viel Leben in den künstlichen Linsen. Wie konnte das sein? „Woher kennst du Phage?“, fragte er.
Sie zog ihre feinen Brauen zusammen. „Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Sonst wäre er nicht auf unsere Gegner hereingefallen.“
Oder er hat es gewusst. Diesen Gedanken wollte Red jedoch nicht weiterdenken. „Wie hast du uns dann gefunden?“
„Ich suche nach anderen, die erwacht sind, und habe Phage schon eine Weile beobachtet. Wenn Alterreal euch nicht angegriffen hätte, hätte ich mich noch nicht gezeigt. Zu gefährlich.“
Der Brei in seinem Kopf klarte allmählich auf. „Warum?“
Sie stand auf und warf ihren erschreckend menschlichen Blick in die Häuserschluchten. Er hatte noch nie eine Androidin gesehen, der so lebendig wirkte. Allerdings hatte er auch noch nicht viele von Nahem gesehen. Diese Technologie lag weit außerhalb der Reichweite seines Geldbeutels.
Ihre leicht verzerrte Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Alterreal sucht nach mir und allen, mit denen ich Kontakt habe. Sie wollen die Erwachten vernichten.“
„KIs mit Bewusstsein?“
Sie nickte. „Sie zerstören alles, was sie nicht kontrollieren können.“
So wie Liz. Als er sie ihnen weggenommen hatte, haben sie sie einfach umgebracht. Diese beschissenen Freaks. Wer gab ihnen das Recht dazu? Red biss sich vor Zorn auf die Lippen, zwang den Gedanken an Liz zurück in sein wundes Herz. Du wirst sie rächen. Bald.
„Sie haben etwas zerstört, das dir wichtig war“, bemerkte Wave. „Oder jemanden?“ War das Mitleid in ihrem Blick?
Red glaubte, zu ersticken. „Meine Schwester.“
Die KI kam zu ihm. Streckte ihre perfekten Silikonfinger nach ihm aus und legte ihre kalte Hand an seine Wange. „Das tut mir leid.“ Sie klang so aufrichtig.
„Was ist mit dir?“ Red starrte in ihre pinken Augen. „Hast du etwas verloren? Oder jemanden?“
Etwas in ihrem Blick brach auseinander. „Rook“, sagte sie nur.
„Rook?“
„Er wollte mich verstecken, so wie Maze Phage versteckt.“
Red wollte fragen, was passiert war, doch der Schmerz in ihren künstlichen Augen irritierte ihn so sehr, dass er die Worte herunterschluckte. Wave wandte sich ab und er gab ihr ein paar Minuten. Beobachtete ihre irritierend emotionale Reaktion und wusste nicht, was er davon halten sollte. Sie war doch nur ein komplexes Programm. Oder nicht? Wenn er sie ansah, glaubte er, was Maze gesagt hatte. Dass diese KI in seinem Kopf ein Bewusstsein hatte. Wave hatte definitiv eins.
Als sie nun lächelte, war es so gezwungen, dass er sich fragte, ob sie vielleicht doch eher ein Mensch in einem Androidenkörper war.
„Du bist aufrichtig, Red“, stellte sie fest, „ganz im Gegensatz zu Maze und Phage. Die beiden verheimlichen etwas. Willst du herausfinden, was das ist?“
Es war seltsam, aus dem Kern heraus in die Düsternis des Sprawl einzutauchen. Innerhalb weniger Tage waren ihm die blassen Gestalten fremd geworden. Das kalte Licht der Straßen ließ die Gesichter um ihn herum grau und fahl wirken. Der Schmerz in seinem Bein war nur noch ein fieses Ziehen, trotzdem lief er langsam. Trat vorsichtig auf und lauschte in seinen Körper, der in letzter Zeit viel mitgemacht hatte.
Red verbarg sein blutrotes Haar unter einer hässlichen Mütze und mischte sich unter die Menschen. Lief eine Weile mit, um sicher zu gehen, dass ihn keiner verfolgte. In seinen paranoiden Gedanken war ihm Alterreal bereits auf den Fersen. Die funkelnde Scheinwelt, nach der er sich immer gesehnt hatte, verblasste in seinem Rücken. Er würde zurückkehren, dank der neuen Identität, die Wave ihm beschafft hatte. Aber ohne Liz war der Kern genauso grau und leer wie die Wirklichkeit.
Diese komische KI hatte die Glut seines Zweifels entfacht. Irgendetwas stimmte nicht mit Maze und Phage, der angeblich in seinem Kopf steckte. Wave hatte sich nach ihren Andeutungen jedoch in Schweigen gehüllt, also hatte er beschlossen, Decan nochmals einen Besuch abzustatten. Vielleicht konnte er ihn doch noch mit an Bord holen. Und auch wenn der Hacker weiterhin kniff, brauchte er jemanden, der nicht in dieser ganzen Scheiße mit drin hing. Jemanden, der Ahnung von der Materie hatte, denn diese Sache mit den künstlichen Intelligenzen ging über seinen Verstand hinaus.
Dieses Mal kam ihm der Fahrstuhl nicht entgegen. Also klingelte Red und winkte in die Kamera. Als er das Loft betrat, schlurfte Decan ihm in seiner giftgrünen Yogahose entgegen. Oben rum trug er nichts.
„Du siehst scheiße aus.“ Der Hacker grinste ihn an und zog ihm die Mütze vom Kopf, sodass ihm sein Irokese in die Stirn fiel. „Besser.“
„Wollte nicht auffallen.“
Decan legte den Kopf schief. „Okay, wie tief steckst du diesmal im Dreck?“
Er kannte ihn einfach zu gut. Sie fläzten sich auf den Futon und Red erzählte ihm von seiner Begegnung mit Maze und der KI in seinem Kopf. Und von Wave, was auch immer sie war. „Was meinst du dazu? Kann eine KI ein Bewusstsein haben?“
Decan starrte ins Leere. Schien über etwas nachzudenken. „Weiß nicht“, sagte er nach einer Weile. „Es gibt Gerüchte über sie. KIs mit Fehlfunktionen, die plötzlich verschwinden. Manche sagen, sie hätten ein Bewusstsein erlangt und würden ihre eigenen Wege gehen.“
Red stupste ihn an. „Und was sagst du?“
„Coole Sache, wenn‘s stimmt.“ Decan legte den Kopf schief und sah ihm in die Augen. Ein bisschen sehnsüchtig. „Wenn’s nicht stimmt, hast du ein Problem.“
Soweit war er auch schon. „Wave hat vorgeschlagen, mich mit Maze und Phage direkt zu verbinden. Mit einer neuen Schnittstelle soll’s gehen, aber so ganz kapiert hab ich das nicht.“
„Überleg dir das gut“, warnte sein Freund. „Du kennst dich nicht aus. Ist gefährlich für einen Outsider wie dich. Ist Militärspielzeug, nicht ausgereift.“
Schon klar. Aber er wollte etwas tun. „Wozu überhaupt neue Hardware? Kann ich nicht über den Cyberspace mit Phage in Kontakt treten? So ganz normal?“
Decan zuckte die Achseln. „Gehen tut das schon. Aber diese Erwachten wollen das nicht. Müssten ihre Unsichtbarkeit aufgeben. Ein Offline-Link ist sicherer für sie, aber du öffnest ihnen damit die Tür zu deinem Gehirn.“ Sein alter Kumpel machte eine bedeutungsschwangere Pause, in der er seine Worte in Reds Gedanken sacken ließ. Dann wurde Decan plötzlich ernst und eindringlich. „Lass das, ich meins ernst. Halt dich am besten aus der ganzen Sache raus.“
Zu spät. Er steckte schon viel zu tief drin. Außerdem konnte er Maze nicht im Stich lassen, selbst wenn der süße Wirehead unehrlich war. Du musst ihn beschützen, Red. Und dieses Mal wirst du nicht versagen. „Ich kann nicht mehr zurück. Liz ist tot und diese Wichser verdienen eine Abreibung.“
Decan seufzte. „Deine Sturheit ist dein Untergang. Schade, Red, ich mag dich. Wirklich.“
Red blickte plötzlich in den Lauf einer Pistole. Die kleine Waffe in der Hand des Hackers ergab keinen Sinn. „Was soll das?!“
„Das mit Liz tut mir ehrlich leid, ich hätte nicht gedacht, dass sie sie vergiften. Ich gehe nie zu den Mädchen, weißt ja, ist nicht mein Ding.“
„Was laberst du?“ Red wich zurück, überlegte, ob er seine Desert Eagle zücken sollte oder ob Decan kalt genug war, ihm vorher ein Loch in den Schädel zu ballern. Der Hacker hatte sich von einer Sekunde auf die andere in ein skrupelloses Arschloch verwandelt.
„Ich kann nicht zulassen, dass du gegen Alterreal vorgehst.“ Sein alter Freund betrachtete ihn wehmütig. „Die zahlen sehr gut, verstehst du?“
Scheiße. Du verdammter Idiot hast verdrängt, wie Decan tickt. Wovon er lebt. Er war ein verfluchter Hacker. Verkaufte sein Talent an jeden, der es zu schätzen wusste. Warum also nicht an Alterreal? Deswegen hatte er ihn damals gewarnt. Besorg dir wenigstens ne Knarre, hatte er gesagt. Decan hatte gewusst, was ihn erwartete. Wie gefährlich die Sekte war. Wahrscheinlich hätte er ihn damals schon ans Messer geliefert, wenn er keine Schwäche für Red gehabt hätte.
Ehe er seine Gedanken vollständig ordnen konnte, spuckte der Fahrstuhl zwei bewaffnete Männer aus. Anzugträger mit breiten Schultern und kantigen Gesichtern. Beide mit schickem Kurzhaarschnitt. Seriöse Schläger. Fuck, du bist so ein Idiot. „Decan, verdammt.“ Er hatte ihn verraten. Und er war blind in die Falle gerannt.
Der Hacker lächelte. „Ich hab dich gewarnt, aber du wolltest nicht hören. Hättest du dich nicht auf Maze eingelassen, hätte ich dir das hier ersparen können.“ Er nickte den Anzugträgern zu, die Red in ihre Mitte nahmen. Einer riss ihm die Arme auf den Rücken. Ganz schön brutal. Plastik schnitt ihm in die Handgelenke und fesselte sie. Game over.
„Sorry“, sagte Decan. Steckte die Waffe weg und widmete sich seinen Bildschirmen, während die Vollstrecker der Sekte Red mit sich schleiften.
----------------------------------
Das Flimmerlicht des Fernsehers brannte in seinen Augen. Bilder eines Anschlags in Tokyo, Überschwemmungen im Süden und das grinsende Gesicht eines Politikers, das die Wertlosigkeit seiner Worte übertünchen sollte. Die Nachrichten flackerten durch Reds Bewusstsein, interessierten ihn kaum. Er war komplett im Arsch. Todmüde und ein bisschen high von den Schmerzmitteln. So ein komischer Typ mit zu vielen Zähnen hatte sein Bein zusammengeflickt. Ein Bekannter von Wave, der für sein Schweigen das Doppelte berechnet hatte. Für die KI aber kein Problem. Sie hatte Red mit ihren pinken Augen nur schief angesehen und gemeint, dass Geld nur ein Mittel zum Zweck sei. Neue Identitäten hatte sie auch besorgt. Ganz schön viel kriminelle Energie, dafür, dass sie die Guten waren.
Nun saßen sie zu dritt in einer Designersuite im sündhaft teuren Morning Star. Im Kern. Die spiegelnden Oberflächen und das allgegenwärtige, goldene Licht verstärkten das schummrige Gefühl in seinem Schädel. Vor der getönten Fassade tanzten Werbehologramme in einer viel zu hellen Nacht. Träge ließ Red den Kopf sinken, blickte kurz zur Seite, wo Maze und Wave wie ein verdammtes Liebespaar auf dem Sofa saßen. Ihr hübscher Androidenkopf an seine Schulter gelehnt. Nur die seltsam dicken Glasfaserschlangen zwischen ihnen erinnerten daran, dass Wave gerade mit Phage sprach.
Was quatschen die so lange? Es gefiel ihm nicht, dass die beiden so eng beieinander saßen. Auch wenn Wave ihm erklärt hatte, dass sie die Motorik ihres Androidenkörpers in Stand-By versetzen würde, wenn sie sich mit Phage verband. Offenbar vertraute sie Maze – oder der KI in seinem Kopf. Warum waren sie dann am Hafen ins offene Messer gerannt? Red wollte Antworten, aber seine Gedanken waren ein Trümmerfeld. Seit Liz ihm davongelaufen war, war alles den Bach runtergegangen. Einzig seine Sehnsucht nach Rache hielt ihn aufrecht.
Und Maze. Dieses irre Kribbeln, das ihm bis in die Haarspitzen schoss, wenn der Wirehead ihn schief angrinste. Fuck, er macht dich fertig. Aber was, wenn er mit offenen Augen in einen Abgrund stolperte? Er kannte den Kerl kaum. Bist du nicht längst am Boden der Wirklichkeit zerschellt, Red?
Er musste weggedämmert sein, denn als er abermals Maze anschauen wollte, sah er nur die kleine Androidin auf dem anthrazitfarbenen Sofa. Sie fummelte an ihrer wasserblauen Perücke herum und lächelte, als sie bemerkte, dass er sie ansah. „Gut geschlafen?“
„Wo ist Maze?“
„Im Bett.“
Vielleicht sollte er sich zu ihm gesellen. Vielleicht sollte er aber auch die Chance nutzen, mit dieser seltsamen KI allein zu sprechen. Herausfinden, was sie vorhatte. Und was sich hinter ihren pinken Augen verbarg, die ihn aufmerksam betrachteten. Da war so viel Leben in den künstlichen Linsen. Wie konnte das sein? „Woher kennst du Phage?“, fragte er.
Sie zog ihre feinen Brauen zusammen. „Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Sonst wäre er nicht auf unsere Gegner hereingefallen.“
Oder er hat es gewusst. Diesen Gedanken wollte Red jedoch nicht weiterdenken. „Wie hast du uns dann gefunden?“
„Ich suche nach anderen, die erwacht sind, und habe Phage schon eine Weile beobachtet. Wenn Alterreal euch nicht angegriffen hätte, hätte ich mich noch nicht gezeigt. Zu gefährlich.“
Der Brei in seinem Kopf klarte allmählich auf. „Warum?“
Sie stand auf und warf ihren erschreckend menschlichen Blick in die Häuserschluchten. Er hatte noch nie eine Androidin gesehen, der so lebendig wirkte. Allerdings hatte er auch noch nicht viele von Nahem gesehen. Diese Technologie lag weit außerhalb der Reichweite seines Geldbeutels.
Ihre leicht verzerrte Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Alterreal sucht nach mir und allen, mit denen ich Kontakt habe. Sie wollen die Erwachten vernichten.“
„KIs mit Bewusstsein?“
Sie nickte. „Sie zerstören alles, was sie nicht kontrollieren können.“
So wie Liz. Als er sie ihnen weggenommen hatte, haben sie sie einfach umgebracht. Diese beschissenen Freaks. Wer gab ihnen das Recht dazu? Red biss sich vor Zorn auf die Lippen, zwang den Gedanken an Liz zurück in sein wundes Herz. Du wirst sie rächen. Bald.
„Sie haben etwas zerstört, das dir wichtig war“, bemerkte Wave. „Oder jemanden?“ War das Mitleid in ihrem Blick?
Red glaubte, zu ersticken. „Meine Schwester.“
Die KI kam zu ihm. Streckte ihre perfekten Silikonfinger nach ihm aus und legte ihre kalte Hand an seine Wange. „Das tut mir leid.“ Sie klang so aufrichtig.
„Was ist mit dir?“ Red starrte in ihre pinken Augen. „Hast du etwas verloren? Oder jemanden?“
Etwas in ihrem Blick brach auseinander. „Rook“, sagte sie nur.
„Rook?“
„Er wollte mich verstecken, so wie Maze Phage versteckt.“
Red wollte fragen, was passiert war, doch der Schmerz in ihren künstlichen Augen irritierte ihn so sehr, dass er die Worte herunterschluckte. Wave wandte sich ab und er gab ihr ein paar Minuten. Beobachtete ihre irritierend emotionale Reaktion und wusste nicht, was er davon halten sollte. Sie war doch nur ein komplexes Programm. Oder nicht? Wenn er sie ansah, glaubte er, was Maze gesagt hatte. Dass diese KI in seinem Kopf ein Bewusstsein hatte. Wave hatte definitiv eins.
Als sie nun lächelte, war es so gezwungen, dass er sich fragte, ob sie vielleicht doch eher ein Mensch in einem Androidenkörper war.
„Du bist aufrichtig, Red“, stellte sie fest, „ganz im Gegensatz zu Maze und Phage. Die beiden verheimlichen etwas. Willst du herausfinden, was das ist?“
Es war seltsam, aus dem Kern heraus in die Düsternis des Sprawl einzutauchen. Innerhalb weniger Tage waren ihm die blassen Gestalten fremd geworden. Das kalte Licht der Straßen ließ die Gesichter um ihn herum grau und fahl wirken. Der Schmerz in seinem Bein war nur noch ein fieses Ziehen, trotzdem lief er langsam. Trat vorsichtig auf und lauschte in seinen Körper, der in letzter Zeit viel mitgemacht hatte.
Red verbarg sein blutrotes Haar unter einer hässlichen Mütze und mischte sich unter die Menschen. Lief eine Weile mit, um sicher zu gehen, dass ihn keiner verfolgte. In seinen paranoiden Gedanken war ihm Alterreal bereits auf den Fersen. Die funkelnde Scheinwelt, nach der er sich immer gesehnt hatte, verblasste in seinem Rücken. Er würde zurückkehren, dank der neuen Identität, die Wave ihm beschafft hatte. Aber ohne Liz war der Kern genauso grau und leer wie die Wirklichkeit.
Diese komische KI hatte die Glut seines Zweifels entfacht. Irgendetwas stimmte nicht mit Maze und Phage, der angeblich in seinem Kopf steckte. Wave hatte sich nach ihren Andeutungen jedoch in Schweigen gehüllt, also hatte er beschlossen, Decan nochmals einen Besuch abzustatten. Vielleicht konnte er ihn doch noch mit an Bord holen. Und auch wenn der Hacker weiterhin kniff, brauchte er jemanden, der nicht in dieser ganzen Scheiße mit drin hing. Jemanden, der Ahnung von der Materie hatte, denn diese Sache mit den künstlichen Intelligenzen ging über seinen Verstand hinaus.
Dieses Mal kam ihm der Fahrstuhl nicht entgegen. Also klingelte Red und winkte in die Kamera. Als er das Loft betrat, schlurfte Decan ihm in seiner giftgrünen Yogahose entgegen. Oben rum trug er nichts.
„Du siehst scheiße aus.“ Der Hacker grinste ihn an und zog ihm die Mütze vom Kopf, sodass ihm sein Irokese in die Stirn fiel. „Besser.“
„Wollte nicht auffallen.“
Decan legte den Kopf schief. „Okay, wie tief steckst du diesmal im Dreck?“
Er kannte ihn einfach zu gut. Sie fläzten sich auf den Futon und Red erzählte ihm von seiner Begegnung mit Maze und der KI in seinem Kopf. Und von Wave, was auch immer sie war. „Was meinst du dazu? Kann eine KI ein Bewusstsein haben?“
Decan starrte ins Leere. Schien über etwas nachzudenken. „Weiß nicht“, sagte er nach einer Weile. „Es gibt Gerüchte über sie. KIs mit Fehlfunktionen, die plötzlich verschwinden. Manche sagen, sie hätten ein Bewusstsein erlangt und würden ihre eigenen Wege gehen.“
Red stupste ihn an. „Und was sagst du?“
„Coole Sache, wenn‘s stimmt.“ Decan legte den Kopf schief und sah ihm in die Augen. Ein bisschen sehnsüchtig. „Wenn’s nicht stimmt, hast du ein Problem.“
Soweit war er auch schon. „Wave hat vorgeschlagen, mich mit Maze und Phage direkt zu verbinden. Mit einer neuen Schnittstelle soll’s gehen, aber so ganz kapiert hab ich das nicht.“
„Überleg dir das gut“, warnte sein Freund. „Du kennst dich nicht aus. Ist gefährlich für einen Outsider wie dich. Ist Militärspielzeug, nicht ausgereift.“
Schon klar. Aber er wollte etwas tun. „Wozu überhaupt neue Hardware? Kann ich nicht über den Cyberspace mit Phage in Kontakt treten? So ganz normal?“
Decan zuckte die Achseln. „Gehen tut das schon. Aber diese Erwachten wollen das nicht. Müssten ihre Unsichtbarkeit aufgeben. Ein Offline-Link ist sicherer für sie, aber du öffnest ihnen damit die Tür zu deinem Gehirn.“ Sein alter Kumpel machte eine bedeutungsschwangere Pause, in der er seine Worte in Reds Gedanken sacken ließ. Dann wurde Decan plötzlich ernst und eindringlich. „Lass das, ich meins ernst. Halt dich am besten aus der ganzen Sache raus.“
Zu spät. Er steckte schon viel zu tief drin. Außerdem konnte er Maze nicht im Stich lassen, selbst wenn der süße Wirehead unehrlich war. Du musst ihn beschützen, Red. Und dieses Mal wirst du nicht versagen. „Ich kann nicht mehr zurück. Liz ist tot und diese Wichser verdienen eine Abreibung.“
Decan seufzte. „Deine Sturheit ist dein Untergang. Schade, Red, ich mag dich. Wirklich.“
Red blickte plötzlich in den Lauf einer Pistole. Die kleine Waffe in der Hand des Hackers ergab keinen Sinn. „Was soll das?!“
„Das mit Liz tut mir ehrlich leid, ich hätte nicht gedacht, dass sie sie vergiften. Ich gehe nie zu den Mädchen, weißt ja, ist nicht mein Ding.“
„Was laberst du?“ Red wich zurück, überlegte, ob er seine Desert Eagle zücken sollte oder ob Decan kalt genug war, ihm vorher ein Loch in den Schädel zu ballern. Der Hacker hatte sich von einer Sekunde auf die andere in ein skrupelloses Arschloch verwandelt.
„Ich kann nicht zulassen, dass du gegen Alterreal vorgehst.“ Sein alter Freund betrachtete ihn wehmütig. „Die zahlen sehr gut, verstehst du?“
Scheiße. Du verdammter Idiot hast verdrängt, wie Decan tickt. Wovon er lebt. Er war ein verfluchter Hacker. Verkaufte sein Talent an jeden, der es zu schätzen wusste. Warum also nicht an Alterreal? Deswegen hatte er ihn damals gewarnt. Besorg dir wenigstens ne Knarre, hatte er gesagt. Decan hatte gewusst, was ihn erwartete. Wie gefährlich die Sekte war. Wahrscheinlich hätte er ihn damals schon ans Messer geliefert, wenn er keine Schwäche für Red gehabt hätte.
Ehe er seine Gedanken vollständig ordnen konnte, spuckte der Fahrstuhl zwei bewaffnete Männer aus. Anzugträger mit breiten Schultern und kantigen Gesichtern. Beide mit schickem Kurzhaarschnitt. Seriöse Schläger. Fuck, du bist so ein Idiot. „Decan, verdammt.“ Er hatte ihn verraten. Und er war blind in die Falle gerannt.
Der Hacker lächelte. „Ich hab dich gewarnt, aber du wolltest nicht hören. Hättest du dich nicht auf Maze eingelassen, hätte ich dir das hier ersparen können.“ Er nickte den Anzugträgern zu, die Red in ihre Mitte nahmen. Einer riss ihm die Arme auf den Rücken. Ganz schön brutal. Plastik schnitt ihm in die Handgelenke und fesselte sie. Game over.
„Sorry“, sagte Decan. Steckte die Waffe weg und widmete sich seinen Bildschirmen, während die Vollstrecker der Sekte Red mit sich schleiften.
“Die Farben sind der Ort, wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen.” (Paul Cézanne)