Immer noch auf Titelsuche, sorry ^^ ... hatte viele Ideen, aber noch passt nichts wirklich ...
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Dass sie ihn mitnahmen, war kein gutes Zeichen. Mit routinierten Faustschlägen ins Gesicht und unter die Rippen hatten die Kerle ihm klargemacht, dass er nur dank der Gnade ihres Auftraggebers noch lebte und es vielleicht weiter tun würde, wenn er sich kooperativ zeigte. Also ließ er sich abführen wie ein verdammter Krimineller, flankiert von zwei Kerlen, die mehr auf dem Kerbholz hatten als Dealen und Körperverletzung. Red kannte die Sorte Schläger, diese aalglatten Typen, die hinter der Maske ihrer Designeranzüge und den perfekten, operierten Fressen nichts als menschlicher Abschaum waren. Bestimmt ging ihnen gerade einer ab, weil sie einem Loser wie ihm zeigten konnten, wo sein Platz in dieser Gesellschaft war.
Sein linkes Auge war leicht zugeschwollen. Während er in das von bunten Lichtern aufgebrochene Grau der Straßen blinzelte, überlegte Red, ob er etwas Dummes versuchen sollte. Die beiden irgendwie überrumpeln. Einfach losstürmen. Mit seinem kaputten Bein würde er aber nicht weit kommen. Hilfe konnte er auch nicht erwarten. Die Leute beachteten ihn und seine Entführer nicht, starrten nur auf ihre Handcoms oder in die Leere ihres tristen Alltags. Wenn zwei breite Schnösel jemanden wie Red mitnahmen, mischte man sich besser nicht ein. Er hatte sich auch nie eingemischt und war gut damit gefahren.
Ein paar Sprayer warfen der schwarzen Limousine, die ihn vermutlich in den Kern zurückbringen würde, bewundernde Blicke zu. Scheiße. Die nehmen dich mit, um aus dir Infos über Maze rauszupressen. Und über Wave.
Seine Entführer waren beängstigend still. Sie wussten, dass er allein und gefesselt nichts gegen sie unternehmen konnte. Immerhin hatten sie ihm die Desert Eagle nicht abgenommen. Verließen sich blind auf die Technik und hatten ihn nur grob gescannt – böser Fehler. Ming hatte ihn also nicht über den Tisch gezogen und ihm wirklich eine anständige Knarre verkauft. War ja auch teuer genug gewesen. Aber in der Innentasche seiner Lederjacke war sie erstmal nutzlos. Du musst Geduld haben, Red. Auf einen Fehler warten.
Als sie den Wagen erreichten, bekam er einen Schlag auf den Kopf und wurde auf die Rückbank geworfen. Die Tür knallte hinter ihm zu. Neonfunken tanzten vor seinen Augen und das Bein protestierte mit stechenden Schmerzen. Red schnappte nach Luft, konnte erst nicht viel erkennen. Außer den cremefarbenen Kunststoffbezug der Sitze. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, dass die Typen nicht einstiegen. Erst der dumpfe Aufschlag eines fallenden Körpers ließ ihn stutzen.
Schnaufend kämpfte er sich nach oben, versuchte durch die getönte Scheibe etwas zu erkennen. Sah einen Strudel roter Locken und eine perfekte, bleiche Hand, aus der vier tödliche Klingen fuhren. Sah wie die Hand ein Muster in ein Gesicht schnitt. Blut spritzte gegen die Scheibe. Es folgte ein zweiter, dumpfer Aufprall. Die Schnösel waren hinüber. Wow.
Er erkannte sie nicht, als sie die Autotür aufriss und ihn rauszog. Begriff nur, dass die große, schlanke Frau vor ihm eine Androidin war. Mit grünen Katzenaugen. Und einem lächerlich knappen Fummel, der mehr bleiche Silikonhaut freigab als verbarg.
Erst als sie ihn ansprach, dämmerte ihm, wer ihm gerade den Arsch gerettet hatte. Wieder einmal. „Du hast Glück, dass die dich für einen Idioten halten und nur zweitklassige Schläger schicken.“
„Wave?“ Mehr bekam er nicht heraus.
Sie seufzte. „Ja. Ich hasse diesen Körper. Außerdem muss ich ihn zurückbringen. Komm.“
Inzwischen glotzten doch ein paar Leute, trauten sich aber nicht näher ran. Einige filmten die groteske Szene, während Wave sich seinen Arm um die Schulter legte und mit ihm davon stolzierte. Als wäre er ihre Beute. Der Körper, den sie nutzte, war etwas größer als Red. Und hatte größere Titten als die kindliche Hülle mit den pinken Augen.
„Du siehst komisch aus“, meinte Red und stöhnte unter ihrem Tempo. Der Schmerz in seinem Bein stach ihm bis in den Rücken.
„Ich musste mich beeilen“, erklärte Wave. „Dieses Modell war schnell verfügbar und nah genug an deiner Position. Du kannst Caius dafür danken.“
Sie deutete auf einen Laden für Sexspielzeuge. Red fragte sich, was sie hier sollten. Erst als sie den finsteren Schuppen betraten, wurde ihm klar, dass Wave sich hier ihren aufgebretzelten Körper geliehen hatte. In einer Ecke saßen mehrere Puppen mit üppigen Kurven und perfekten Gesichtern. Androiden, die menschliches Verhalten simulieren konnten. Waren heißbegehrt, zumindest unter denen, die sich so ein Teil leisten konnten.
„Bin wieder da“, rief Wave in die Düsternis des Ladens hinein.
Erst jetzt bemerkte Red hinter dem Tresen eine Gestalt mit der Statur eines Junkies. Aschblondes Haar, das in wirren Strähnen sein schmales Gesicht umrahmte. Eingefallene Wangen und Augenringe so dunkelgrau wie der Nachthimmel. Glasfaserkabel hingen über die schmalen Schultern des Mannes und verloren sich in einer der vielen Taschen seines fleckigen Kittels.
„Caius?“, riet Red.
Wave grinste. „Darf ich vorstellen? Der Puppenmacher. Er hat meinen Lieblingskörper designt, deswegen frage ich ihn nett, bevor ich einen anderen benutze.“ Nicht, dass sie das müsste, dachte sich Red.
„Die ganze Action wegen diesem Kerl?“, fragte Caius. Er klang heiser, als würde er zu viel rauchen. Aber es stank nicht nach Tabak oder Liquid.
„Er gehört zum Team“, erklärte Wave. Damit war für sie alles gesagt. Für den Puppenmacher offenbar auch. Er zuckte nur die Achseln und betrachtete dann die KI, die sich eine seiner Androidinnen ausgeborgt hatte.
„Wie ich sehe, hast du die Spezialfähigkeit meiner jüngsten Schöpfung genutzt?“ Caius deutete mit funkelnden Augen auf das Blut an ihren Händen. Die Klingen hatten sich längst wieder unter die künstliche Haut zurückgezogen.
„War sehr praktisch“, meinte Wave, als wäre es normal, Gesichter in Streifen zu schneiden. Naja, immerhin hatten es die Typen verdient.
Caius grinste breit. „Die perfekte Waffe. Wunderschön und tödlich.“
Während der Puppenmacher Wave erklärte, für welche Art Kunden er Modelle mit Spezialfähigkeiten entwarf, betrachtete Red die erschreckend menschlichen Roboter. Abgesehen davon, dass die Damen allesamt zu perfekt aussahen, erschienen sie unglaublich echt. Viel besser als die Androiden, die er bisher gesehen hatte. Das war ihm schon bei Wave aufgefallen.
„Gefallen dir meine Ladys?“ Caius stand plötzlich neben ihm und schenkte ihm ein dreckiges Grinsen.
Red zuckte die Achseln. „Habs nicht so mit Frauen. Aber die sehen ziemlich echt aus.“
„Ja, wenn sie nicht so wunderschön wären, könnten sie fast Menschen sein“, schwärmte Caius. „Meine Kunden bezahlen sehr viel für diese Mädchen, aber ohne eigene Persönlichkeit sind sie nur Spielzeuge. Ein Programm simuliert menschliches Verhalten, aber es ist nicht dasselbe wie bei Wave.“ Er warf der KI einen Blick voller Bewunderung zu. „Sie ist ein Geist, der diesen Körpern echtes Leben einhaucht. Man sieht es in ihren Augen, wenn sie da ist. Man sieht, dass da wirklich jemand ist.“
Red verstand genau, was er meinte.
„Genug philosophiert“, meinte Wave. „Caius, ich gebe dir diesen Körper zurück. Dieser Chaot hier“, sie deutete auf Red, „findet allein nach Hause.“
Sie setzte sich auf einen Stuhl, schlug die Beine übereinander und nahm die gleiche laszive Pose ein wie die anderen Puppen. Sie warf Red einen säuerlichen Blick zu. Und plötzlich war sie weg. Die grünen Katzenaugen waren leer, als hätte man das Licht in ihnen ausgeknipst.
Caius seufzte so tief und zitternd, als hätte er gerade einen geliebten Menschen verloren. Unschlüssig, ob er bleiben oder gehen sollte, sah sich Red um. Der Laden war ein Loch, in das sich eigentlich nur Perverse verirren konnten. Warum betrieb ein begnadeter Designer wie Caius so einen miesen Schuppen? Aus dem Sprawl konnte sich niemand so eine Puppe leisten, seine Kunden mussten aus dem Kern kommen. Androiden waren heißbegehrt und unverschämt teuer, insbesondere in dieser Qualität.
„Du fragst dich, warum ich keinen schicken Designerladen in einer Mall habe?“ Caius sah ihn schräg von der Seite an und grinste wissend.
Red fand ihn unheimlich. Und wenig vertrauenswürdig. „Sorry, aber mit den Dingern musst du ein Vermögen machen. Du gehörst nicht hier her.“
„Oh doch.“ Der Puppenmacher streckte die Hand aus und strich zärtlich über die Wange einer künstlichen Lady mit blondem Bopp. „Sieh sie dir an, wie perfekt sie ist. Wie menschlich. Im Kern gibt es zu viele Augen und Ohren, zu viele, die wissen wollen, wie ich das mache. Wie ich sie so echt mache. Hier draußen hab ich meine Ruhe und die Kunden kommen zu mir.“ Er warf der Puppe einen zärtlichen Blick zu. „Ich mache das nicht für Geld. Nicht mehr. Ich hab genug davon.“ Die wasserblauen Augen des Puppenmachers leuchteten wie die eines träumenden Kindes. „Ich mache das für sie. Für sie und andere, die wie sie sind. Ich baue ihnen Brücken in unsere Welt.“
Als Red in ihre Suite im Morning Star humpelte, kam er sich furchtbar blöd vor. Bereits zum zweiten Mal hatte Wave ihm den Arsch gerettet, dabei wollte er doch den Helden spielen. Alterreal die Hölle heiß machen. Und ein paar perversen Priestern ein Loch in den Schädel ballern. Aber nach seinem bescheuerten Alleingang war ihm klar, dass er nur ein durchgeknallter Kleindealer war. Wertlos und ohne Verstand. Wahrscheinlich brauchten ihn Maze und die beiden KIs gar nicht. Vielleicht störte er sogar in ihrem virtuellen Krieg, dessen Regeln er nicht durchschaute und der ihm nicht blutig genug war.
Red dachte an den Offline-Link, der ihn in Maze’ Gedanken schicken konnte. Ob du willst oder nicht, du kommst um neue Hardware nicht herum. Um mithalten zu können. Und um zu verstehen, wer sich da im Kopf des Wireheads versteckte. Ob da wirklich jemand war.
Wave begrüßte ihn in ihrem „Lieblingskörper“. Sie schien sich mit dieser zierlichen Gestalt zu identifizieren. Auch für ihn war dieses Mädchen mit den blauen Haaren Wave, auch wenn er nun kapiert hatte, dass sie nicht an eine Hülle gebunden war. Was hatte Caius gesagt? Sie war ein Geist. Ein Geist, der nicht Fleisch und Blut, sondern Metall und Silikon bewohnte. Wahrscheinlich war ihre zerbrechliche Erscheinung nur eine geniale Täuschung.
„Ich habe das Netz hinter dir aufgeräumt“, meinte Wave. „Deine hirnrissige Aktion aus dem Gedächtnis der Welt getilgt.“
Reib mir meine Blödheit auch noch unter die Nase. Red schnaufte. „Ich hab’s kapiert.“ Zähneknirschend schob er ein „danke“ nach und erkundigte sich nach dem Wirehead.
Maze wartete im Schlafzimmer auf ihn. Stand an der Glasfassade und ließ den Blick über die glühenden Häuserschluchten schweifen. Aus seiner Headbuchse baumelten Glasfaserkabel und seine Finger strichen geistesabwesend über sein Deck. Es sah fast aus, als würde gar nicht Maze, sondern die KI in seinem Kopf das Gerät bedienen. Unweigerlich fragte sich Red, ob Phage überhaupt Hände benutzen musste. Ob er das konnte.
„Wo warst du?“
Ah, er hatte Red bemerkt. „Bei einem Kumpel. Ist mies gelaufen.“ Er überlegte, ob er Maze den ganzen Mist beichten sollte, aber vermutlich hatte Wave ihm bereits alles erzählt. Warum fragte er dann, wo er gewesen war? War der Wirehead sauer? Zumindest klang er wie immer. Als wäre ihm alles egal.
Red ging zu ihm, lehnte sich an seinen Rücken. Schaute über seine Schulter nach draußen. Es war Mitternacht und das Herz der Stadt schien mehr und mehr flüssiges Neon in die Straßen zu pumpen. Was am Tag in unendlichen Facetten von Weiß und Grün erstrahlte, war nun ein Meer aus Magenta, Blau und Gold. Liz hatte sich danach gesehnt. Nach dieser schönen, heuchlerischen Welt voller Farben. Es war falsch, dass er nun ein Teil davon war. Und sie tot.
„Was wolltest du bei diesem Decan?“, fragte Maze. Ohne sich umzudrehen. Seine Finger tanzten weiter über den Touchscreen, der bei jeder Berührung kurz aufleuchtete.
„Keine Ahnung“, meinte Red. Er rieb seine Wange an den blauschwarzen Haaren, atmete langsam und tief Maze‘ kühlen Duft ein. „Hab jemanden zum Reden gebraucht.“
„Warum redest du nicht mit mir?“ Wenn Liz ihn das gefragt hatte, war ihre Stimme voller Vorwürfe gewesen. Bei Maze klang es dagegen, als hätte er gefragt, warum er die Haare rot und nicht grün färbte. Trotzdem kam es Red so vor, als wäre der Wirehead irgendwie gekränkt.
„Weil‘s um dich geht“, erklärte er. „Und um Phage. Um diesen Hardwarekram, den ich mir implantieren lassen soll.“
Maze drehte sich um. Sahm ins Gesicht und doch irgendwie hindurch. „Du kannst uns alles fragen.“ Der Bildschirm seines Decks wurde schwarz. „Der Eingriff ist ungefährlich.“ Das klang, als wollte Maze ihn beruhigen, was irgendwie süß war. Red zog ihm vorsichtig die Kabel aus seiner Headbuchse. Nahm ihm das Deck aus der Hand und warf es aufs Bett. Der Wirehead verzog das Gesicht, als würde es ihm wehtun, wie achtlos er mit dem Samsung umging.
„Darum geht’s nicht.“
„Worum dann?“
„Ist einfach viel passiert in letzter Zeit“, erklärte Red. „Ich wollte mehr über KIs wissen, aber Decan hat sich als Arschloch entpuppt, das mich an Alterreal verkauft hat. Ende der Geschichte.“
Maze‘ Mundwinkel zuckten. „Pass in Zukunft besser auf.“ Er legte den Kopf schien und grinste ihn an. „Wäre verdammt schade, wenn du draufgehst.“
Red legte die Arme um ihn, zog ihn ganz nah an sich heran. „War das eine Liebeserklärung?“
„So ähnlich.“
Das reichte ihm. Für den Moment hatte sich alles zum Guten gewendet. Wave gab ihnen eine Chance. Eine echte Chance, etwas zu verändern. In den blauen Augen des Wireheads erkannte Red, dass er ähnlich fühlte. Auch Maze wollte etwas verändern. Wollte nicht mehr weglaufen, sondern angreifen. Der Gedanke, dass sie gemeinsam kämpften, sandte ein irres Kribbeln durch seine Nervenbahnen. Die Luft zwischen ihnen begann zu knistern und er drängte Maze gegen das Glas der Fassade. Küsste ihn. Langsam. Fordernd. Er wollte jeden Nanometer seiner blassen Lippen schmecken. Spüren, dass er echt war.
Als sie kurz nach Luft schnappten, zog ihm Red das Shirt über den Kopf. Betrachtete seinen Körper, das Mosaik aus Silikon und Metall, das unterhalb seines Schlüsselbeins begann und bis zur Hüfte ein zerklüftetes Muster bildete. Die künstliche Haut war abgeplatzt, als hätte sie zu viele Schläge abbekommen.
„Warum lässt du das nicht reparieren?“, fragte er und strich vorsichtig über die metallenen Narben.
„Weil es echt ist.“ Maze grinste schief. „Stört es dich?“
„Nein.“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass er so perfekt wie eine dieser Puppen aussah. Red hielt sich an seinem herausfordernden Blick fest, während eine Hand tiefer wanderte, an seiner Hose rumfummelte und den Reisverschluss aufzog. Maze stöhnte auf, als er seine Hand hineingleiten ließ.
„Spürt Phage das?“ Er suchte nach einem Zeichen der KI in den künstlichen Augen. Nach einem Funken, der ihm verriet, dass da wirklich jemand war.
„Ja.“
Der Gedanke, dass Phage ihnen zuschaute, kitzelte Reds Nerven. „Gefällt es ihm?“
Maze lachte. „Finde es heraus.“
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Dass sie ihn mitnahmen, war kein gutes Zeichen. Mit routinierten Faustschlägen ins Gesicht und unter die Rippen hatten die Kerle ihm klargemacht, dass er nur dank der Gnade ihres Auftraggebers noch lebte und es vielleicht weiter tun würde, wenn er sich kooperativ zeigte. Also ließ er sich abführen wie ein verdammter Krimineller, flankiert von zwei Kerlen, die mehr auf dem Kerbholz hatten als Dealen und Körperverletzung. Red kannte die Sorte Schläger, diese aalglatten Typen, die hinter der Maske ihrer Designeranzüge und den perfekten, operierten Fressen nichts als menschlicher Abschaum waren. Bestimmt ging ihnen gerade einer ab, weil sie einem Loser wie ihm zeigten konnten, wo sein Platz in dieser Gesellschaft war.
Sein linkes Auge war leicht zugeschwollen. Während er in das von bunten Lichtern aufgebrochene Grau der Straßen blinzelte, überlegte Red, ob er etwas Dummes versuchen sollte. Die beiden irgendwie überrumpeln. Einfach losstürmen. Mit seinem kaputten Bein würde er aber nicht weit kommen. Hilfe konnte er auch nicht erwarten. Die Leute beachteten ihn und seine Entführer nicht, starrten nur auf ihre Handcoms oder in die Leere ihres tristen Alltags. Wenn zwei breite Schnösel jemanden wie Red mitnahmen, mischte man sich besser nicht ein. Er hatte sich auch nie eingemischt und war gut damit gefahren.
Ein paar Sprayer warfen der schwarzen Limousine, die ihn vermutlich in den Kern zurückbringen würde, bewundernde Blicke zu. Scheiße. Die nehmen dich mit, um aus dir Infos über Maze rauszupressen. Und über Wave.
Seine Entführer waren beängstigend still. Sie wussten, dass er allein und gefesselt nichts gegen sie unternehmen konnte. Immerhin hatten sie ihm die Desert Eagle nicht abgenommen. Verließen sich blind auf die Technik und hatten ihn nur grob gescannt – böser Fehler. Ming hatte ihn also nicht über den Tisch gezogen und ihm wirklich eine anständige Knarre verkauft. War ja auch teuer genug gewesen. Aber in der Innentasche seiner Lederjacke war sie erstmal nutzlos. Du musst Geduld haben, Red. Auf einen Fehler warten.
Als sie den Wagen erreichten, bekam er einen Schlag auf den Kopf und wurde auf die Rückbank geworfen. Die Tür knallte hinter ihm zu. Neonfunken tanzten vor seinen Augen und das Bein protestierte mit stechenden Schmerzen. Red schnappte nach Luft, konnte erst nicht viel erkennen. Außer den cremefarbenen Kunststoffbezug der Sitze. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, dass die Typen nicht einstiegen. Erst der dumpfe Aufschlag eines fallenden Körpers ließ ihn stutzen.
Schnaufend kämpfte er sich nach oben, versuchte durch die getönte Scheibe etwas zu erkennen. Sah einen Strudel roter Locken und eine perfekte, bleiche Hand, aus der vier tödliche Klingen fuhren. Sah wie die Hand ein Muster in ein Gesicht schnitt. Blut spritzte gegen die Scheibe. Es folgte ein zweiter, dumpfer Aufprall. Die Schnösel waren hinüber. Wow.
Er erkannte sie nicht, als sie die Autotür aufriss und ihn rauszog. Begriff nur, dass die große, schlanke Frau vor ihm eine Androidin war. Mit grünen Katzenaugen. Und einem lächerlich knappen Fummel, der mehr bleiche Silikonhaut freigab als verbarg.
Erst als sie ihn ansprach, dämmerte ihm, wer ihm gerade den Arsch gerettet hatte. Wieder einmal. „Du hast Glück, dass die dich für einen Idioten halten und nur zweitklassige Schläger schicken.“
„Wave?“ Mehr bekam er nicht heraus.
Sie seufzte. „Ja. Ich hasse diesen Körper. Außerdem muss ich ihn zurückbringen. Komm.“
Inzwischen glotzten doch ein paar Leute, trauten sich aber nicht näher ran. Einige filmten die groteske Szene, während Wave sich seinen Arm um die Schulter legte und mit ihm davon stolzierte. Als wäre er ihre Beute. Der Körper, den sie nutzte, war etwas größer als Red. Und hatte größere Titten als die kindliche Hülle mit den pinken Augen.
„Du siehst komisch aus“, meinte Red und stöhnte unter ihrem Tempo. Der Schmerz in seinem Bein stach ihm bis in den Rücken.
„Ich musste mich beeilen“, erklärte Wave. „Dieses Modell war schnell verfügbar und nah genug an deiner Position. Du kannst Caius dafür danken.“
Sie deutete auf einen Laden für Sexspielzeuge. Red fragte sich, was sie hier sollten. Erst als sie den finsteren Schuppen betraten, wurde ihm klar, dass Wave sich hier ihren aufgebretzelten Körper geliehen hatte. In einer Ecke saßen mehrere Puppen mit üppigen Kurven und perfekten Gesichtern. Androiden, die menschliches Verhalten simulieren konnten. Waren heißbegehrt, zumindest unter denen, die sich so ein Teil leisten konnten.
„Bin wieder da“, rief Wave in die Düsternis des Ladens hinein.
Erst jetzt bemerkte Red hinter dem Tresen eine Gestalt mit der Statur eines Junkies. Aschblondes Haar, das in wirren Strähnen sein schmales Gesicht umrahmte. Eingefallene Wangen und Augenringe so dunkelgrau wie der Nachthimmel. Glasfaserkabel hingen über die schmalen Schultern des Mannes und verloren sich in einer der vielen Taschen seines fleckigen Kittels.
„Caius?“, riet Red.
Wave grinste. „Darf ich vorstellen? Der Puppenmacher. Er hat meinen Lieblingskörper designt, deswegen frage ich ihn nett, bevor ich einen anderen benutze.“ Nicht, dass sie das müsste, dachte sich Red.
„Die ganze Action wegen diesem Kerl?“, fragte Caius. Er klang heiser, als würde er zu viel rauchen. Aber es stank nicht nach Tabak oder Liquid.
„Er gehört zum Team“, erklärte Wave. Damit war für sie alles gesagt. Für den Puppenmacher offenbar auch. Er zuckte nur die Achseln und betrachtete dann die KI, die sich eine seiner Androidinnen ausgeborgt hatte.
„Wie ich sehe, hast du die Spezialfähigkeit meiner jüngsten Schöpfung genutzt?“ Caius deutete mit funkelnden Augen auf das Blut an ihren Händen. Die Klingen hatten sich längst wieder unter die künstliche Haut zurückgezogen.
„War sehr praktisch“, meinte Wave, als wäre es normal, Gesichter in Streifen zu schneiden. Naja, immerhin hatten es die Typen verdient.
Caius grinste breit. „Die perfekte Waffe. Wunderschön und tödlich.“
Während der Puppenmacher Wave erklärte, für welche Art Kunden er Modelle mit Spezialfähigkeiten entwarf, betrachtete Red die erschreckend menschlichen Roboter. Abgesehen davon, dass die Damen allesamt zu perfekt aussahen, erschienen sie unglaublich echt. Viel besser als die Androiden, die er bisher gesehen hatte. Das war ihm schon bei Wave aufgefallen.
„Gefallen dir meine Ladys?“ Caius stand plötzlich neben ihm und schenkte ihm ein dreckiges Grinsen.
Red zuckte die Achseln. „Habs nicht so mit Frauen. Aber die sehen ziemlich echt aus.“
„Ja, wenn sie nicht so wunderschön wären, könnten sie fast Menschen sein“, schwärmte Caius. „Meine Kunden bezahlen sehr viel für diese Mädchen, aber ohne eigene Persönlichkeit sind sie nur Spielzeuge. Ein Programm simuliert menschliches Verhalten, aber es ist nicht dasselbe wie bei Wave.“ Er warf der KI einen Blick voller Bewunderung zu. „Sie ist ein Geist, der diesen Körpern echtes Leben einhaucht. Man sieht es in ihren Augen, wenn sie da ist. Man sieht, dass da wirklich jemand ist.“
Red verstand genau, was er meinte.
„Genug philosophiert“, meinte Wave. „Caius, ich gebe dir diesen Körper zurück. Dieser Chaot hier“, sie deutete auf Red, „findet allein nach Hause.“
Sie setzte sich auf einen Stuhl, schlug die Beine übereinander und nahm die gleiche laszive Pose ein wie die anderen Puppen. Sie warf Red einen säuerlichen Blick zu. Und plötzlich war sie weg. Die grünen Katzenaugen waren leer, als hätte man das Licht in ihnen ausgeknipst.
Caius seufzte so tief und zitternd, als hätte er gerade einen geliebten Menschen verloren. Unschlüssig, ob er bleiben oder gehen sollte, sah sich Red um. Der Laden war ein Loch, in das sich eigentlich nur Perverse verirren konnten. Warum betrieb ein begnadeter Designer wie Caius so einen miesen Schuppen? Aus dem Sprawl konnte sich niemand so eine Puppe leisten, seine Kunden mussten aus dem Kern kommen. Androiden waren heißbegehrt und unverschämt teuer, insbesondere in dieser Qualität.
„Du fragst dich, warum ich keinen schicken Designerladen in einer Mall habe?“ Caius sah ihn schräg von der Seite an und grinste wissend.
Red fand ihn unheimlich. Und wenig vertrauenswürdig. „Sorry, aber mit den Dingern musst du ein Vermögen machen. Du gehörst nicht hier her.“
„Oh doch.“ Der Puppenmacher streckte die Hand aus und strich zärtlich über die Wange einer künstlichen Lady mit blondem Bopp. „Sieh sie dir an, wie perfekt sie ist. Wie menschlich. Im Kern gibt es zu viele Augen und Ohren, zu viele, die wissen wollen, wie ich das mache. Wie ich sie so echt mache. Hier draußen hab ich meine Ruhe und die Kunden kommen zu mir.“ Er warf der Puppe einen zärtlichen Blick zu. „Ich mache das nicht für Geld. Nicht mehr. Ich hab genug davon.“ Die wasserblauen Augen des Puppenmachers leuchteten wie die eines träumenden Kindes. „Ich mache das für sie. Für sie und andere, die wie sie sind. Ich baue ihnen Brücken in unsere Welt.“
Als Red in ihre Suite im Morning Star humpelte, kam er sich furchtbar blöd vor. Bereits zum zweiten Mal hatte Wave ihm den Arsch gerettet, dabei wollte er doch den Helden spielen. Alterreal die Hölle heiß machen. Und ein paar perversen Priestern ein Loch in den Schädel ballern. Aber nach seinem bescheuerten Alleingang war ihm klar, dass er nur ein durchgeknallter Kleindealer war. Wertlos und ohne Verstand. Wahrscheinlich brauchten ihn Maze und die beiden KIs gar nicht. Vielleicht störte er sogar in ihrem virtuellen Krieg, dessen Regeln er nicht durchschaute und der ihm nicht blutig genug war.
Red dachte an den Offline-Link, der ihn in Maze’ Gedanken schicken konnte. Ob du willst oder nicht, du kommst um neue Hardware nicht herum. Um mithalten zu können. Und um zu verstehen, wer sich da im Kopf des Wireheads versteckte. Ob da wirklich jemand war.
Wave begrüßte ihn in ihrem „Lieblingskörper“. Sie schien sich mit dieser zierlichen Gestalt zu identifizieren. Auch für ihn war dieses Mädchen mit den blauen Haaren Wave, auch wenn er nun kapiert hatte, dass sie nicht an eine Hülle gebunden war. Was hatte Caius gesagt? Sie war ein Geist. Ein Geist, der nicht Fleisch und Blut, sondern Metall und Silikon bewohnte. Wahrscheinlich war ihre zerbrechliche Erscheinung nur eine geniale Täuschung.
„Ich habe das Netz hinter dir aufgeräumt“, meinte Wave. „Deine hirnrissige Aktion aus dem Gedächtnis der Welt getilgt.“
Reib mir meine Blödheit auch noch unter die Nase. Red schnaufte. „Ich hab’s kapiert.“ Zähneknirschend schob er ein „danke“ nach und erkundigte sich nach dem Wirehead.
Maze wartete im Schlafzimmer auf ihn. Stand an der Glasfassade und ließ den Blick über die glühenden Häuserschluchten schweifen. Aus seiner Headbuchse baumelten Glasfaserkabel und seine Finger strichen geistesabwesend über sein Deck. Es sah fast aus, als würde gar nicht Maze, sondern die KI in seinem Kopf das Gerät bedienen. Unweigerlich fragte sich Red, ob Phage überhaupt Hände benutzen musste. Ob er das konnte.
„Wo warst du?“
Ah, er hatte Red bemerkt. „Bei einem Kumpel. Ist mies gelaufen.“ Er überlegte, ob er Maze den ganzen Mist beichten sollte, aber vermutlich hatte Wave ihm bereits alles erzählt. Warum fragte er dann, wo er gewesen war? War der Wirehead sauer? Zumindest klang er wie immer. Als wäre ihm alles egal.
Red ging zu ihm, lehnte sich an seinen Rücken. Schaute über seine Schulter nach draußen. Es war Mitternacht und das Herz der Stadt schien mehr und mehr flüssiges Neon in die Straßen zu pumpen. Was am Tag in unendlichen Facetten von Weiß und Grün erstrahlte, war nun ein Meer aus Magenta, Blau und Gold. Liz hatte sich danach gesehnt. Nach dieser schönen, heuchlerischen Welt voller Farben. Es war falsch, dass er nun ein Teil davon war. Und sie tot.
„Was wolltest du bei diesem Decan?“, fragte Maze. Ohne sich umzudrehen. Seine Finger tanzten weiter über den Touchscreen, der bei jeder Berührung kurz aufleuchtete.
„Keine Ahnung“, meinte Red. Er rieb seine Wange an den blauschwarzen Haaren, atmete langsam und tief Maze‘ kühlen Duft ein. „Hab jemanden zum Reden gebraucht.“
„Warum redest du nicht mit mir?“ Wenn Liz ihn das gefragt hatte, war ihre Stimme voller Vorwürfe gewesen. Bei Maze klang es dagegen, als hätte er gefragt, warum er die Haare rot und nicht grün färbte. Trotzdem kam es Red so vor, als wäre der Wirehead irgendwie gekränkt.
„Weil‘s um dich geht“, erklärte er. „Und um Phage. Um diesen Hardwarekram, den ich mir implantieren lassen soll.“
Maze drehte sich um. Sahm ins Gesicht und doch irgendwie hindurch. „Du kannst uns alles fragen.“ Der Bildschirm seines Decks wurde schwarz. „Der Eingriff ist ungefährlich.“ Das klang, als wollte Maze ihn beruhigen, was irgendwie süß war. Red zog ihm vorsichtig die Kabel aus seiner Headbuchse. Nahm ihm das Deck aus der Hand und warf es aufs Bett. Der Wirehead verzog das Gesicht, als würde es ihm wehtun, wie achtlos er mit dem Samsung umging.
„Darum geht’s nicht.“
„Worum dann?“
„Ist einfach viel passiert in letzter Zeit“, erklärte Red. „Ich wollte mehr über KIs wissen, aber Decan hat sich als Arschloch entpuppt, das mich an Alterreal verkauft hat. Ende der Geschichte.“
Maze‘ Mundwinkel zuckten. „Pass in Zukunft besser auf.“ Er legte den Kopf schien und grinste ihn an. „Wäre verdammt schade, wenn du draufgehst.“
Red legte die Arme um ihn, zog ihn ganz nah an sich heran. „War das eine Liebeserklärung?“
„So ähnlich.“
Das reichte ihm. Für den Moment hatte sich alles zum Guten gewendet. Wave gab ihnen eine Chance. Eine echte Chance, etwas zu verändern. In den blauen Augen des Wireheads erkannte Red, dass er ähnlich fühlte. Auch Maze wollte etwas verändern. Wollte nicht mehr weglaufen, sondern angreifen. Der Gedanke, dass sie gemeinsam kämpften, sandte ein irres Kribbeln durch seine Nervenbahnen. Die Luft zwischen ihnen begann zu knistern und er drängte Maze gegen das Glas der Fassade. Küsste ihn. Langsam. Fordernd. Er wollte jeden Nanometer seiner blassen Lippen schmecken. Spüren, dass er echt war.
Als sie kurz nach Luft schnappten, zog ihm Red das Shirt über den Kopf. Betrachtete seinen Körper, das Mosaik aus Silikon und Metall, das unterhalb seines Schlüsselbeins begann und bis zur Hüfte ein zerklüftetes Muster bildete. Die künstliche Haut war abgeplatzt, als hätte sie zu viele Schläge abbekommen.
„Warum lässt du das nicht reparieren?“, fragte er und strich vorsichtig über die metallenen Narben.
„Weil es echt ist.“ Maze grinste schief. „Stört es dich?“
„Nein.“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass er so perfekt wie eine dieser Puppen aussah. Red hielt sich an seinem herausfordernden Blick fest, während eine Hand tiefer wanderte, an seiner Hose rumfummelte und den Reisverschluss aufzog. Maze stöhnte auf, als er seine Hand hineingleiten ließ.
„Spürt Phage das?“ Er suchte nach einem Zeichen der KI in den künstlichen Augen. Nach einem Funken, der ihm verriet, dass da wirklich jemand war.
„Ja.“
Der Gedanke, dass Phage ihnen zuschaute, kitzelte Reds Nerven. „Gefällt es ihm?“
Maze lachte. „Finde es heraus.“
“Die Farben sind der Ort, wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen.” (Paul Cézanne)