Und noch ein kleiner Abschnitt ...
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Kaum waren sie zurück, schlüpfte Wave in andere Klamotten und setzte sich ab. Wollte ihren Androidenkörper von Caius durchchecken und upgraden lassen. Die KI meinte, sie würde erst morgen wieder reinschauen. Damit er genug Zeit hatte, Phage kennenzulernen. Red war brutal nervös. Er atmete mehrmals tief durch, betrachtete die spiegelnden Wandfliesen. Umhüllt von diffusem, goldenem Licht. Das hier war nicht seine Welt.
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Kaum waren sie zurück, schlüpfte Wave in andere Klamotten und setzte sich ab. Wollte ihren Androidenkörper von Caius durchchecken und upgraden lassen. Die KI meinte, sie würde erst morgen wieder reinschauen. Damit er genug Zeit hatte, Phage kennenzulernen. Red war brutal nervös. Er atmete mehrmals tief durch, betrachtete die spiegelnden Wandfliesen. Umhüllt von diffusem, goldenem Licht. Das hier war nicht seine Welt.
Er holte nochmal tief Luft und ging ins Schlafzimmer. Rannte fast in Maze rein, der plötzlich in der Tür stand. Hatte wohl gehört, dass er zurück war. Oder hatte ihn über die Kamerasysteme des Kerns verfolgt. Wave hatte ihm gesteckt, dass der Wirehead das konnte.
Maze trug eine enge Jeans und einen schwarzen, grob gestrickten Pullover, der ihm viel zu groß war. Hing schief über seinen Schultern und ließ das linke Schlüsselbein frei. Der untere Saum berührte fast die Knie. Sah aber trotzdem heiß an ihm aus. „Wollen wir loslegen?“, frage Maze. Er hielt seine transparenten Glaserfaserkabel in der Hand – und ein viertes, schwarz ummanteltes, das deutlich dicker als normal war.
Red starrte auf die silbern blitzenden Platinkuppen und seufzte. „Klar.“ Aus der Nummer kam er nicht mehr raus. „Kann losgehen.“ Waren die acht Stunden schon vorbei? In seinem Nacken spürte er noch immer das kalte Kribbeln. Außerdem war er nervös, weil er nicht wusste, was auf ihn zukam. Und weil er sich mit Maze verband. Irgendwie war das intimer als Sex.
Der Wirehead machte es sich auf dem Bett gemütlich und winkte ihn zu sich. Betrachtete den frisch implantierten Zugang. Seine kühlen Finger tasteten vorsichtig über Reds Nacken, berührten das Metall an seinem Schädel. „Sehr gute Arbeit“, fand Maze.
Red drehte sich zu ihm um. „Hast du das schon mal gemacht?“
Der Wirehead grinste schief. „So ähnlich.“
Ihm schwante, was das bedeutete. „Hast du dich mit Phage verbunden?“
„Ja. Aber das war was anderes.“ Maze schien nach Worten zu suchen. Seine unwirklich blauen Augen blickten nach innen, vielleicht in die Vergangenheit. „Damals habe ich mich mit einem Server, auf dem Phage sich versteckt hat, verbunden“, erklärte er schließlich. „Hab das Teil vom Netz gelöst und direkt eingesteckt. War ein krasser Trip. Der Offline-Link wurde vom Militär entwickelt, um sich direkt mit Maschinen zu verbinden. Auch solchen, die nicht am Netz hängen.“
Red schluckte. „Und mit Menschen geht’s auch?“
„Keine Ahnung.“ Maze sah ihm in die Augen. „Aber mit mir sollte es funktionieren. Ist nicht mehr viel menschlich an mir.“ Er lächelte traurig. „Du kannst dich mit dem Mikrocomputer in meinem Gehirn verbinden. Dort findest du Phage. Und mich.“
Krasse Sache. „Hab ich jetzt auch so ein Ding im Kopf?“, fragte Red.
„Nein, Wave hat nur ein spezielles Interface hinzufügen lassen, das eine Verbindung mit komplexen Offline-Systemen zulässt. Ohne die Sicherungen einer Cyberspace-Schnittstelle.“ Maze sah ihn an, als wäre er sich nicht sicher, ob Red ihn verstand. „Du bist nur ein User.“
Wie beruhigend. Aber er kapierte es trotzdem nicht. „Lass uns einfach anfangen.“
Der Wirehead grinste und steckte sich das schwarze Kabel in seine Headbuchse, dann verband er die Glasfasern mit Reds neuer Hardware. Erst passierte nichts. Nur ein aufblitzender Schmerz, irgendwo in seinem Gehirn. Sekunden zersplitterten. Und Red wurde aus der Realität katapultiert. Bilderfetzen regneten auf ihn nieder. Liz, die ihn wütend anstarrte. Maze, der im eiskristallklaren Blau des Cyberspace rot glühende Strukturen zerlegte. Ein komischer Junkie, einer von Reds Stammkunden, der ihm vor die Füße kotzte. Ein Mann mit dunklen, kalten Augen, der Maze ins Gesicht schlug. Die Erniedrigung brannte in seinen Gedanken, die nicht mehr wussten, welche Bilder ihnen gehörten.
Und plötzlich war alles blau. Wie das Netz. Nein, nicht ganz. Die Endlosigkeit war seltsam leer. Keine Stadt aus bunten Strukturen, nur einige geometrische Gebilde, auf deren Oberfläche Red immer noch Liz sehen konnte. Ihr bleiches, sterbendes Gesicht. Seine zerbrochenen Augen, im Spiegel. Mit riesigen Pupillen. Scheiße, siehst du fertig aus.
„Hallo, Red.“
Er drehte sich um und sah Maze. Und neben ihm Phage. Wie ein Zwilling in Falschfarben. Die Augen grün, das Haar silberblond. Ansonsten hatte er seinen Avatar dem Aussehen des Wireheads perfekt angepasst. Will der mich abfucken?
„Hey, wie geht’s?“, fragte Red, weil ihm nichts Besseres einfiel. Durch den Kontakt mit Wave hatte er zwar schon gecheckt, dass Phage echt und keine Einbildung war, doch ihn auf diese Art zu sehen, war krass. Vor allem da er wie eine Kopie von Maze auftrat.
Die KI grinste. „Bist du nervös? So verhalten kenne ich dich nicht.“
Wie menschlich Phage wirkte. Aber das sollte Red nicht überraschen. Nicht, nachdem er Wave erlebt hatte. „Ist eine schräge Situation“, entgegnete er, „und ich kenne dich nicht.“
Phage nickte. „Verstehe. Aber ich kenne dich, Red, ziemlich gut sogar. Der Sex mit dir war sehr interessant.“
Ihm schoss die Hitze in den Kopf. „Du bekommst also wirklich alles mit“, stellte er fest.
„Nicht alles.“ Phage warf Maze einen vielsagenden Blick zu. Der Wirehead verzog das Gesicht, hielt sich aber im Hintergrund. Sogar jetzt mimte er den stummen Beobachter, an dem alles abprallte. Red fragte sich, ob ihn diese Begegnung überhaupt beeindruckte. Oder ob er was dagegen hatte. War schließlich Waves Idee gewesen und nicht seine.
Zunächst konzentrierte er sich jedoch auf Phage. „Du siehst fast aus wie er.“
Die KI lächelte. Hatte nicht annährend die durchschlagende Wirkung wie bei Maze. „Die Vorlage war naheliegend.“
Klar, aber trotzdem irritierte es Red. „Was ist mit Wave? Sie sagte, ihr kanntet euch vorher nicht. Hast du nicht gemerkt, dass du mit einem Fake Kontakt hast?“
Phage wirkte amüsiert. „Das habe ich sehr wohl bemerkt.“
In Red schrillten die Alarmglocken. „Hast du uns absichtlich in die Falle laufen lassen?“
„Wenn man es so ausdrücken will. Ja. Ich wusste, dass Wave uns beobachtet. Wir brauchen ihre Hilfe und es bestand eine erhöhte Chance, dass sie sich zeigt, wenn wir in Gefahr sind.“
Red war fassungslos. „Du hast Maze als Köder benutzt? Und wenns schief gegangen wär?“ Er schaute den Wirehead an. „Hast du das gewusst?!“
Maze zuckte die Achseln. „Damals nicht.“ Aber geahnt. Bestimmt. Deswegen war er so komisch gewesen, kurz bevor sie zum Hafen marschiert waren. Red hatte ihm angesehen, wie verunsichert er gewesen war. Er sah es ihm jetzt an. Maze erschien ihm so unwirklich, inmitten des klaren Blaus, neben ihm Phage als sein Doppelgänger. Verloren und kalt.
Reds Gedanken stolperten ineinander. Die KI hatte Maze und ihn verraten. Benutzte sie für ihre Spielchen. Konnte es sein, dass die beiden gar nicht dasselbe wollten? Oder verarschte Maze ihn? Scheiße, du musst ruhig bleiben. „Wann wolltest du’s mir sagen?“
Der Wirehead mied seinen virtuellen Blick. „Weiß nicht.“ Was für eine lahme Antwort. „Phage weiß, was er tut.“ Oder er kontrolliert dich.
„Er hat dich benutzt!“, platzte Red heraus. „Er hat uns benutzt. Wie hätten beide draufgehen können. Ist dir das klar?“ Am liebsten hätte er sich das Verbindungskabel herausgerissen. Die Traurigkeit, die Maze wie eine trübe Aura umgab, hielt ihn davon ab. Sah fast aus, als würde er sich schuldig fühlen. Außerdem musste Red mehr über Phage herausfinden. Vor allem jetzt, da ihm bewusst war, dass sie nicht auf der gleichen Seite standen.
„Wenn du gegen Alterreal vorgehen willst“, mischte sich die KI ein, „musst du Risiken eingehen. Du hast bereits mehrmals dein Leben für Maze riskiert. Ich dachte, du verstehst das.“
„Das ist nicht dasselbe“, knurrte Red. „Man riskiert nicht einfach das Leben anderer.“ Irgendwie lief das hier kein bisschen so, wie er sich das erhofft hatte.
Phage starrte ihn an. „Dann wären wir handlungsunfähig. Maze und ich stecken beide in diesem Körper, wir riskieren immer das Leben des anderen.“
Verdammt. Das klang sogar logisch. Jede Entscheidung, die Maze traf, wirkte sich auf Phage aus und umgekehrt. Wenn Phage also wieder irrsinnige Risiken einging, hing der Wirehead mit drin. Und mit ihm Red. Was für eine beschissen komplizierte Situation.
„Was willst du eigentlich?“, fragte er die KI.
Phage grinste als habe er auf die Frage gewartet. „Das Gleiche wie du. Rache.“
Irgendwie klang das seltsam aus seinem virtuellen Mund. „Rache wofür?“
„Für das, was sie uns angetan haben“, erklärte Phage und warf Maze einen Blick zu, in dem alles lag, was zwischen ihnen geschehen war. Red kam sich vollkommen deplatziert vor, aber er musste endlich wissen, was zwischen den beiden abging.
„Was ist passiert?“, verlangte er zu wissen.
Der Wirehead und die KI starrten einander eine Weile an. Was ziemlich schräg aussah. Als würde Maze in einen Spiegel schauen, der ihn verzerrt zeigte. Schließlich sagte Phage: „Los, erzähl es ihm.“
Maze schüttelte langsam den Kopf. Plötzlich zerbrach die Welt zu dunklen Scherben. Red fuhr hoch, als würde er aus einem Alptraum erwachen. Sein Atem ging stoßweise und er bemerkte erst jetzt, wie angespannt er die ganze Zeit gewesen war. Maze dagegen saß neben ihm, als wäre nichts geschehen. Langsam wickelte er das schwarze Kabel auf und legte es auf den Nachttisch zu seinem Deck. Er vermied es, Red anzuschauen, aber er würde jetzt nicht locker lassen.
„Was sollst du mir erzählen?“, fragte er.
Maze lächelte gequält. „Phage lügt. Er will nur deinen Beschützerinstinkt wecken.“ In seinen Blick war etwas auseinander gebrochen.
„Womit?“
Maze streckte seinen künstlichen Arm nach ihm aus. Bewegte die silikonüberzogenen Metallfinger, als wären sie Fremdkörper. „Damit.“
Die Fragen, die seit ihrer ersten Begegnung durch Reds Kopf schwirrten, vereinten sich zu einer Erkenntnis. Eiskalte Wut entzündete seine Gedanken, als ihm dämmerte, was diese Sektenspinner dem Wirehead angetan hatten. Du hast es doch gewusst. Du warst nur zu feige, zu fragen. „Was haben sie …“
Maze unterbrach ihn. „Ist besser, wenn du das nicht weißt.“ Die Zerbrechlichkeit in seinen künstlichen Augen hielt Red davon ab, die Wahrheit aus ihm herauszuquetschen. Jedes Detail hätte ihn näher an den Rand eines Ausrasters getrieben. Der Wirehead kannte ihn offenbar schon gut genug, um zu wissen, dass er etwas ziemlich Blödes anstellen würde. Trotzdem schwor sich Red, irgendwann herauszufinden, was sie mit Maze gemacht hatten.
“Die Farben sind der Ort, wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen.” (Paul Cézanne)