Schuldig (Jodi Picoult)

Verlag Piper, Februar 2011
Originaltitel: The tenth circle,
übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Hardcover, 415 Seiten, € 19,95
ISBN 978-3492050302

Genre: Belletristik


Klappentext

Die 14jährige Trixie ist Daniels Augenstern. Er liebt seine Tochter mehr als sich selbst. Der freiberufliche Comiczeichner schafft für Trixie eine Welt voller Heldengeschichten, während seine Frau Lauren an der Universität Karriere macht. Wie brüchig aber das Glück der Familie ist, wird ihm nur allzu bald klar, als Trixie eines Abends vollkommen aufgelöst nach Hause kommt. Die unschuldige Liebe ihres Freundes Jason hat sich in rohe Gewalt verwandelt. Wenig später stirbt der Junge unter merkwürdigen Umständen. Trixi flieht vor den Konsequenzen der Ereignisse nach Alaska. An einen Ort, mit dem Daniel enger verbunden ist, als er wahrhaben will. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, sich seiner Vergangenheit zu stellen: Daniel macht seiner Frau ein erschütterndes Geständnis...


Die Autorin

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften. Seit 1992 schreibt sie mit sensationellem Erfolg Romane. Sie wurde für ihre Werke vielfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem New England Bookseller Award. Ihre Romane erscheinen in 35 Ländern. Sie gehört zu den erfolgreichsten und beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.


Rezension

Worte, die erst einmal den Mund verlassen haben, schweben im Raum und dringen in Gehöre ein, sie können nicht mehr zurückgenommen werden. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen müssen getragen werden, von demjenigen, der die Worte hervorgebracht hat und von demjenigen, der sie hört. Manchmal sind sie federleicht und manchmal haut ihre Wucht riesige Kerben in zarte Gemüter. Sind sie erst einmal gesagt, ist es zu spät für Reue, dann sollte man zu seinem Wort stehen – und die Konsequenzen tragen.

„Solche Sachen sah man in Modezeitschriften, Sachen, die fast pornografisch freizügig waren, wie Daniel fand, und getragen wurden von Models, die kaum älter als Trixie waren. Und die jungen Mädchen zogen so etwas zu einer Party an, weil sie es sexy fanden, ohne darüber nachzudenken, was es bedeutete, wenn ein Mann das auch fand.“ Seite 89

Trixie wurde vergewaltigt. Von Jason, ihrer ersten Liebe und ihrem ersten Freund. Sagt Sie. Jason sagt etwas anderes. Laut ihrem Umfeld hat Jason Recht und Trixie Unrecht. Jeder weiß doch, dass sie sich lediglich rächen will, da Jason mit ihr Schluss gemacht hat. Musste der allseits beliebte Eishockeystar, der doch nun wirklich jede bekommen kann, zu Gewalt greifen, um zu bekommen, was er wollte? Bei einem Mädchen, welches vor lauter Liebeskummer nicht mehr richtig am Leben teilnehmen kann? Allerdings gibt es nur diese zwei Zeugen und es wird wirklich schwierig werden, die Wahrheit herauszubekommen. Denn Aussage steht nun einmal gegen Aussage. Und die Konsequenzen schlagen wie ein Donnerhall in das Leben aller Beteiligten ein. Denn nicht nur Trixie ist betroffen, auch Jasons Leben verändert sich, er wird verhört, verhaftet und muss sein Leben anders einrichten, denn außer Eishockeyspielen darf er nichts mehr außer Haus machen. Dabei hatte er ein Sportstipendium so gut wie sicher in der Tasche, ob er das wohl behalten kann? Trixie trifft es noch viel härter, sie wird gemobbt, verspottet und von allen verlassen, selbst von ihrer besten Freundin.

„Daniel hatte geglaubt, ein Kind, das mit Stofftieren im Bett schlief, würde keinen Stringtanga tragen, doch jetzt erkannte Daniel, dass es Gestaltwandler schon gegeben hatte, lange ehe Comiczeichner Figuren wie Copycat oder The Changeling erfanden, und zwar in Gestalt pubertierender Mädchen.“ Seite 89

Mit ihrer gewohnten Art verwischt Jodi Picoult wieder einmal gekonnt die Konturen zwischen Opfer und Täter, Schwarz und Weiß wird zu einem Graugemisch. Denn beide sind beides, Opfer sowie Täter, womit der Leser gezwungen wird, hinter die Kulissen zu schauen. Immer mehr Hinweise tauchen auf, die Zweifel säen und schon bald ist man sich nicht mehr sicher, mit wem man mehr Mitleid haben sollte. Trixie ist mit ihrer ersten Liebe Jason völlig überfordert; als er sie verlässt, bricht ihre Welt zusammen. Auf einer Party greift sie zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um ihn wiederzubekommen, eingeflüstert von einer gutmeinenden Freundin. Den Ball, den sie damit ins Rollen bringt, kann sie alleine nicht mehr aufhalten. Als sie nicht mehr weiter weiß, flüchtet sie nach Alaska, an den Ort, an dem ihr Vater aufgewachsen ist. Ihr Vater Daniel hatte eine schwere Kindheit, als einziges weißes Kind unter lauter Inuits wurde er von Anfang an ausgegrenzt und gemobbt. Seine Mutter war Lehrerin in einem kleinen Dorf, das ziemlich weltabgeschieden war. So schnell er konnte, verließ er den Ort und erarbeitete sich einen Ruf als Comiczeichner. Laura, seine Frau, unterrichtet am College; für beide war es klar, dass Daniel zuhause bleibt und sich um Trixie kümmert. Aber jetzt hat sich das Mädchen in eine Situation gebracht, zu der auch ihr heißgeliebter Vater keinen Zugang mehr findet.

„Daniel wusste, dass es darauf keine Antwort gab. Es war wie bei einer Trapeznummer: Wie wollte man sagen, in welcher Sekunde der Akrobat sich abstieß, in welchem Moment der Fänger losließ? Es war unmöglich. Man konnte nur ausgehend vom Ergebnis Rückschlüsse ziehen: der erfolgreiche Fang oder der Sturz in die Tiefe.“ Seite 189

Interessant sind die Ausführungen über das Leben in Alaska und Dantes Inferno, Lauras Unterrichtsthema. Unterstützt durch einen eingebauten Comic, dem immer wieder ein paar Seiten gewidmet werden, erfährt man in anschaulicher Weise Näheres über Dantes Weg ins Inferno – oder ist es doch möglicherweise Daniel, der einen Weg aus dem Inferno sucht, in das er so plötzlich hineingeworfen wurde. Leider bleiben am Ende doch einige Fragen offen, das Buch endet ziemlich abrupt. Vorher bekommt man aber noch einen guten Einblick über das derzeitige Leben in Alaska, die Stille, die Kälte und die Hoffnungslosigkeit. Indem sie Trixie folgen, nähern sich Daniel und Laura wieder etwas an, ihre Ehe hatte so einige Rückschläge zu verkraften, besonders da Laura nicht sofort erreichbar war, als Trixie im Krankenhaus war. Aber ob das reichen wird und ob sie jemals wieder in der Lage sein werden, ein einigermaßen normales Leben zu führen, bleibt der Phantasie der Leser überlassen.


Fazit

Vergewaltigung oder nicht? Die Umstände entscheiden oft, wem man wirklich Glauben schenken will. Glaubt man einer Frau, die mit sichtbaren Wunden im Krankenhaus liegt eher als einer, die ihre Verletzungen nur auf der Seele hat? Und wieviele Frauen setzen eine Vergewaltigung bewusst ein, um jemandem zu schaden? Die Macht der Bezichtigung ist oftmals gar nicht abzusehen, Anschuldigungen, die unbedacht ausgestoßen werden, ziehen weite Kreise und schlagen hohe Wellen. Wieder einmal schafft Jodi Picoult es, eine Situation gnadenlos von beiden Seiten zu beleuchten, sodass man sich nie sicher sein kann, auf der richtigen Seite zu stehen.


Pro und Contra

+ Informatives über Alaska und Dantes Inferno
+ wechselnde Erzählperspektiven
+ interessante Charaktere
+ zwei Seiten einer Waagschale
+ hochbrisante Themen
+ verschiedene, aktuelle Themen
+ durchgehende Spannung
+ kein Verurteilen, nur Aufklärung

o der Comic

- das Ende
Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5